Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.12.1991)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 13. Zivilsenates in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 1991 aufgehoben, soweit über den Hilfsantrag und die Kosten entschieden worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an die F. Sparkasse, zu dem dortigen Darlehenskonto Nr. … 162.542,20 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 29. Juni 1990 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte rechtswirksam von einem Lebensversicherungsvertrag zurückgetreten ist und deshalb die Auszahlung der – nach Abzug des bereits an die F. Sparkasse zurückerstatteten Deckungskapitals (17.457,80 DM) verbleibenden – Versicherungssumme in Höhe von noch 162.542,20 DM verweigern darf.

Die Klägerin ist die Alleinerbin ihres am 2. Oktober 1989 verstorbenen Ehemannes. Dieser hatte sich im Rahmen einer Firmen-Gruppenversicherung bei der Beklagten auf den Erlebens wie auf den Todesfall versichert. Er hatte unter dem 24. September 1987 einen entsprechenden Formularantrag gestellt, der die Beklagte veranlaßte, ihm am 29. Dezember 1987 einen Versicherungsschein zu übersenden. Dem Vertragsverhältnis liegen Bedingungen der Beklagten für die kapitalbildende Lebensversicherung zugrunde (Bl. 22 ff. GA); in ihrem Versicherungsschein ist eine „Besondere Vereinbarung” aufgeführt. In dem Antragsformular hatte der Versicherungsnehmer sich selbst als den zum Empfang der Versicherungsleistung Berechtigten vermerkt; der Versicherungsschein enthält keine auf eine andere Person lautende Bezugsberechtigung, Schon vor Abschluß der Lebensversicherung hatte der Versicherungsnehmer seine vertraglichen Ansprüche zur Sicherung einer Darlehensrückzahlungsverpflichtung an die F. Sparkasse abgetreten.

In dem Antragsformular, das unter dem 24. September 1987 ausgefüllt wurde, ist eine Schlußerklärung enthalten, in der es unter anderem heißt:

„Die Antragsfragen sind nach bestem Wissen richtig und vollständig beantwortet. Jede bis zur Annahme des Antrags noch eintretende nicht unerhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der zu versichernden Person werde ich unverzüglich der Gesellschaft schriftlich anzeigen. Ich weiß, daß die Gesellschaft bei Verletzung dieser Pflichten vom Vertrag zurücktreten kann; …”

In einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 15. Dezember 1989 erklärte die Beklagte ihren Rücktritt von dem Lebensversicherungsvertrag und begründete dies damit, daß der Versicherungsnehmer ihr nicht nachgemeldet habe, daß er sich am 5. November 1987 wegen Beschwerden in ärztliche Behandlung begeben und ein Herzmittel verschrieben erhalten habe.

Die Parteien streiten nunmehr darum, ob der Versicherungsnehmer eine ihm bekannte, nicht unerhebliche Gesundheitsverschlechterung nach Antragstellung schuldhaft nicht angezeigt und ob die Beklagte ihren Rücktritt fristgerecht erklärt hat. In erster Instanz hat die Klägerin Zahlung der restlichen Versicherungssumme nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit an sich begehrt. Diese Klage ist abgewiesen worden. In der Berufungsinstanz hat sie ihren bisherigen Klageantrag als Hauptantrag aufrechterhalten und hilfsweise die Zahlung an die F. Sparkasse begehrt. Ihre Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie Haupt- und Hilfsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung des Hilfsantrages richtet. Sie führt zur Verurteilung der Beklagten, die restliche Versicherungsumme an die F. Sparkasse zu zahlen.

1. Da sämtliche Rechte aus dem Versicherungsvertrag und damit auch das Bezugsrecht im Falle des Todes des Versicherungsnehmers an die F. Sparkasse abgetreten sind, kann die Klägerin nicht Leistung an sich beanspruchen. Ihr steht kein Anspruch auf Auskehrung der restlichen Versicherungssumme zu, denn ausweislich des von ihr vorgelegten Schreibens vom 3. April 1990 belief sich die Darlehensschuld des Versicherungsnehmers im Zeitpunkt seines Todes noch auf 240.000 DM und damit auf mehr als die vereinbarte Versicherungssumme von 180.000 DM (vgl. das in BGHZ 109, 67 veröffentlichte Senatsurteil unter 3.).

Bereits in der Klageschrift hat die Klägerin allerdings die Abtretung an die Sparkasse offengelegt. In der Berufungsinstanz hat sie ferner ein Schreiben der Sparkasse vom 21. November 1991 vorgelegt, aus dem sich zweifelsfrei eine Ermächtigung der Klägerin seitens der Sparkasse zur Prozeßführung in gewillkürter Prozeßstandschaft ergibt, denn es heißt dort wörtlich:

„Sollte sich in dem von Ihnen geführten Rechtsstreit ergeben, daß der Vertragsrücktritt des G. Konzerns zu Unrecht erfolgte, und daß der Lebensversicherungsvertrag wieder in Kraft gesetzt wird, ist die dadurch bedingte Leistungspflicht der Versicherungsgesellschaft unverändert an uns zu leisten.”

Ausweislich dieses Schreibens ist die Klägerin nicht ermächtigt, Leistung an sich selbst zu fordern. Vielmehr wiederholt die Sparkasse damit nur ihr Einverständnis, daß die Klägerin einen Prozeß mit dem Klageantrag führt, Zahlung an die Sparkasse zu leisten.

Demnach ist das Hauptbegehren der Klägerin in beiden Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden.

2. Das kommt jedoch nicht gleichermaßen für ihr Hilfsbegehren in Betracht.

Da in dem Rücktrittsschreiben vom 15. Dezember 1989 eine Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 VVG nicht gesetzt worden ist, erübrigt sich von vornherein ein Eingehen darauf, zu welchem Zeitpunkt die Sparkasse ihre Ermächtigung erteilt hat (vgl. hierzu Senatsurteil vom 3. März 1993 – IV ZR 267/91 – unter 3 d, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das für eine gewillkürte Prozeßstandschaft erforderliche schutzwerte Interesse der Klägerin ist gegeben, denn als Alleinerbin des Versicherungsnehmers schuldet sie die Rückführung des gewährten Darlehens. Hiervon wird sie weitgehend frei, wenn sie mit ihrem Hilfsantrag obsiegt und die Beklagte dementsprechend an die Sparkasse leisten muß (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Dezember 1989 – VII ZR 49/89 – BGHR ZPO § 51 Abs. 1, Prozeßstandschaft, gewillkürte 15).

3. Das Berufungsgericht ist ohne weitere Erörterungen davon ausgegangen, die Klägerin sei die richtige Adressatin der Rücktrittserklärung der Beklagten gewesen. Dies trifft jedoch nicht zu.

a) Gemäß § 6 Abs. 6 der vereinbarten Versicherungsbedingungen gilt, wenn der Beklagten keine andere Person als Bevollmächtigte benannt worden ist, nach dem Ableben des Versicherungsnehmers ein Bezugsberechtigter als bevollmächtigt, eine Rücktritts- oder Anfechtungserklärung entgegenzunehmen. Ist ein Bezugsberechtigter nicht vorhanden oder kann sein Aufenthalt nicht ermittelt werden, so kann die Beklagte den Inhaber des Versicherungsscheins zur Entgegennahme der Erklärung als bevollmächtigt ansehen. Nach dieser Klausel wäre der Rücktritt vom Vertrag gegenüber der Sparkasse und nicht der Klägerin zu erklären gewesen, denn infolge der gemäß § 13 Abs. 4 der vereinbarten Bedingungen angezeigten Abtretung ist die Sparkasse auch Bezugsberechtigte geworden.

Bereits in seiner Entscheidung vom 5. Mai 1982 – IVa ZR 264/80 – VersR 1982, 746 hat der Senat folgendes klargestellt: Klauseln in einer Lebensversicherung, die den Versicherer berechtigen, nach dem Tod des Versicherungsnehmers davon auszugehen, daß dieser bestimmte Personen zur Entgegennahme von Willenserklärungen des Versicherers nach Eintritt des Versicherungsfalles bevollmächtigt hat, sind grundsätzlich rechtlich unbedenklich. In der Regel stellt es einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn sich der Versicherer nicht an diese von ihm selbst dem Versicherungsnehmer vorgegebene Regelung hält. Er kann sich deshalb in derartigen Fällen nicht auf ihm günstige Rechtsfolgen von Willenserklärungen berufen, die er eigenmächtig gegenüber anderen Personen als den in seiner Klausel bezeichneten abgegeben hat.

b) Die vorstehend erörterte Klausel ist allerdings unter Umständen dann nicht maßgeblich, wenn die im Versicherungsschein vermerkte „Besondere Vereinbarung” Vertragsbestandteil geworden ist und es sich um eine hiermit auch für die Zeit nach dem Tod des Versicherungsnehmers erteilte Vollmacht handelt. In ihr heißt es wörtlich unter 1. und 3.:

„1. Der Versicherung liegt der Gruppenversicherungsvertrag zugrunde mit

Firma W. in H. E.V.

Die Vereinigung ist vom Versicherungsnehmer (VN) zu seiner Vertretung mit Ausnahme der Änderung des Bezugsrechts und der Entgegennahme der Versicherungsleistung bevollmächtigt. Der Geschäftsverkehr wird nur zwischen der Vereinigung und dem G.-Konzern geführt.

3. Voraussetzung für diese Versicherung ist das Weiterbestehen des Gruppenvertrages und der Mitgliedschaft des VN bei der Vereinigung. Nach einer Kündigung des Gruppenvertrages werden bestehende Versicherungen solange unverändert weitergeführt, wie die Prämien gesammelt an den G.-Konzern weitergeleitet werden. Anderenfalls kann die Versicherung zu den Prämien des Fortsetzungstarifs weitergeführt werden, wenn dies innerhalb eines Monats beantragt wird. Gleiches gilt nach dem Ausscheiden aus der Vereinigung mit einer Frist von 3 Monaten; der VN erhält dazu ein Fortsetzungsangebot.”

Bestanden im Zeitpunkt des Todes des Versicherungsnehmers der Gruppenvertrag und die Mitgliedschaft des Versicherungsnehmers bei dem W. in H. e.V. unverändert fort oder wurden zumindest die Prämienzahlungen des Versicherungsnehmers weiterhin gesammelt an die Beklagte weitergeleitet, so könnte es einen der Beklagten benannten Bevollmächtigten im Sinne des § 6 Abs. 6 ihrer Versicherungsbedingungen gegeben haben; der Rücktritt wäre demnach dem genannten W. zu erklären gewesen.

Weiterer Aufklärung des Sachverhalts bedarf es zur Entscheidung über den Hilfsantrag nicht, denn jedenfalls war die Klägerin, an die allein die Rücktrittserklärung gerichtet ist, nicht die richtige Adressatin. Mit dem Eingang der Erklärung bei der Klägerin konnte die Beklagte die einmonatige Rücktrittsfrist des § 20 Abs. 1 VVG nicht wahren. Da sie zwischenzeitlich längst abgelaufen ist (die Beklagte selbst steht auf dem Standpunkt, mit dem Zugang des zweiten Arztbriefes am 27. November 1989 habe sie ausreichende Kenntnis im Sinne des § 20 Abs. 1 VVG erlangt gehabt), erweist sich die Sache als entscheidungsreif unabhängig von der Frage, ob die Beklagte überhaupt rücktrittsberechtigt war. Dem Hilfsantrag war deshalb in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts stattzugeben.

Zinsen §§ 231, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Kosten: §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO.

 

Unterschriften

Bundschuh, Dr. Ritter, Römer, Dr. Schlichting, Terno

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128832

NJW 1993, 2113

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