Entscheidungsstichwort (Thema)

Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

Bestimmen Allgemeine Versicherungsbedingungen, daß der Lebensversicherer nach dem Tode des Versicherungsnehmers den Bezugsberechtigten oder den Inhaber des Versicherungsscheins als bevollmächtigt zum Empfang von Willenserklärungen ansehen kann, so verstößt das weder gegen Vorschriften des VVG noch gegen § 9 AGBG.

 

Normenkette

AGBG §§ 8-9; VVG §§ 16, 20, 34a; BGB § 168 S. 1; ALB n.F. § 11 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 1980 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht als Begünstigter Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag geltend, den seine am 11. Januar 1979 verstorbene Ehefrau mit der Beklagten Ende 1977 über eine Versicherungssumme von DM 50.000,- abgeschlossen hatte.

Mit schriftlicher Erklärung vom 30. Januar 1978 hatte die Versicherungsnehmerin alle Rechte aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherung eines Kredites an die Bank für Gemeinwirtschaft, Niederlassung E. (Bank), abgetreten. In dieser Erklärung heißt es u.a.:

"Hiermit widerrufe ich die bestehenden Bezugsrechte, soweit sie den Rechten der Bank entgegenstehen. Wenn die Bank die abgetretenen Versicherungsansprüche freigibt, leben die Bezugsrechte wieder auf ..."

Den Versicherungsschein hatte sie zugleich der Bank übergeben.

In § 11 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten (AVB) heißt es unter Nr. 3:

"Die "V." ist berechtigt, sämtliche Versicherungsleistungen rechtsgültig an den Inhaber der Police auszuzahlen; sie kann indessen verlangen, daß er sich als Anspruchsberechtigter ausweist. Nach dem Tod des Versicherungsnehmers kann die "Vita" den Begünstigten oder den Inhaber der Police als bevollmächtigt zur Empfangnahme von Willenserklärungen ansehen."

Mit Schreiben vom 31. Mai 1979 an die Bank erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß §§ 16 ff VVG, weil die Versicherungsnehmerin bei Vertragsschluß für die Übernahme des Versicherungsrisikos erhebliche Umstände nicht angezeigt habe; nach den der Beklagten zugegangenen ärztlichen Auskünften habe die Versicherungsnehmerin seit mehreren Jahren an der zum Tode führenden Erkrankung gelitten. Zugleich lehnte die Beklagte den Versicherungsanspruch - soweit er das gleichzeitig an die Bank überwiesene Deckungskapital von DM 1.145,- überstieg - unter Belehrung gemäß § 12 Abs. 3 VVG ab.

Die Bank übertrug sodann die ihr abgetretenen Ansprüche auf den Kläger und zeigte dies der Beklagten an.

Der Kläger behauptet, die Versicherungsnehmerin habe alle für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstände dem Vertreter D. der Beklagten, der den Vertrag aufgenommen habe, nach bestem Wissen angegeben. Er ist der Ansicht, die Beklagte sei nicht zum Rücktritt berechtigt. Er fordert von ihr Zahlung von DM 48,855,- nebst Zinsen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des klagabweisenden Urteils des Landgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Beklagte sei nicht rechtswirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Die Erklärung hätte nach dem Tode der Versicherungsnehmerin gegenüber deren Erben abgegeben werden müssen. Der Bank seien lediglich die Ansprüche auf Einziehung des Versicherungskapitals abgetreten worden. Der Bestand des Versicherungsverhältnisses zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten sei dadurch nicht berührt worden. Der Rücktritt vom Versicherungsvertrag hätte deshalb gegenüber den Erben erklärt werden müssen.

Die Bank sei auch nicht Zustellungsbevollmächtigte der Versicherungsnehmerin (und ihrer Erben) für die Rücktrittserklärung gewesen. Ob die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten für die Rücktrittserklärung nach § 20 Abs. 2 VVG durch individuelle Vereinbarung im Hinblick auf § 34 a VVG rechtlich zulässig sei, könne dahinstehen, denn eine solche Vereinbarung sei nicht getroffen worden. Auf § 11 Nr. 3 Satz 2 AVB könne sich die Beklagte nicht berufen. Ob diese Bestimmung schon unter dem Gesichtspunkt des § 34 a VVG Bedenken begegne, bedürfe keiner Entscheidung. Sie sei jedenfalls nach § 9 AGBG unwirksam, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, wie sie in § 20 und § 34 a VVG zum Ausdruck komme, nicht zu vereinbaren sei. Die Regelung des § 11 Nr. 3 Satz 2 AVB verändere die gesetzliche Regelung zugunsten des Versicherers dahin, daß er gegenüber einem anderen als dem Erben des Versicherungsnehmers Willenserklärungen abgeben könne. Der Versicherer werde dadurch von seiner Verpflichtung befreit, den Erben mit der erforderlichen Sorgfalt zu ermitteln. Zugleich werde die rechtliche Stellung des Erben verschlechtert, weil dieser nunmehr das Risiko trage, von dem einem Dritten gegenüber erklärten Rücktritt keine Kenntnis zu erhalten. Das Interesse des Erben an der Wahrnehmung seiner Rechte werde dadurch nicht angemessen berücksichtigt.

Ein Indiz für die Unausgewogenheit der AVB der Beklagten sei auch die Fassung von § 11 Abs. 1 Satz 3 der ALB n. F. (VerBAV 1975, 434), die den gleichen Sachverhalt regele. Danach könne der Versicherer, sofern nicht ein vom Versicherungsnehmer namentlich bezeichneter Zustellungsbevollmächtigter vorhanden sei, den Bezugsberechtigten und (nur) falls ein solcher nicht vorhanden oder sein Aufenthalt nicht feststellbar sei, den Inhaber des Versicherungsscheins als bevollmächtigt zum Empfang dieser Willenserklärungen ansehen. In § 11 Nr. 3 Satz 2 AVB sei der Beklagten aber ohne sachlichen Grund ein freies Wahlrecht eingeräumt. Ob § 11 Abs. 1 Satz 3 der ALB n.F. mit § 34 a VVG vereinbar sei und einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG standhalten würde, könne dahinstehen.

II.

Es kann offenbleiben, ob nach dem Tode des Versicherungsnehmers die Rücktrittserklärung des Versicherers etwa deshalb gegenüber dem Bezugsberechtigten abgegeben werden kann, weil - wie die Revision meint - die Erben weder in Rechte noch in Pflichten aus dem Lebensversicherungsvertrage eingetreten sind. Jedenfalls hält die Ansicht des Berufungsgerichts, die Bevollmächtigung der Bank zum Empfang von Willenserklärungen der Beklagten nach dem Tode der Versicherungsnehmerin durch § 11 Nr. 3 Satz 2 AVB verstoße gegen § 9 AGBG, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Vielmehr war der Bank wirksam Empfangsvollmacht erteilt worden.

1.

Die gemäß § 34 a VVG zugunsten des Versicherungsnehmers zwingende Bestimmung des § 20 Abs. 2 VVG, nach welcher der Rücktritt durch Erklärung gegenüber dem Versicherungsnehmer erfolgt, schließt nicht aus, daß der Versicherungsnehmer einen Empfangsbevollmächtigten bestellt. Dem steht weder der Wortlaut des Gesetzes noch dessen Sinn entgegen. Die Bestimmung des § 34 a VVG bezweckt den Schutz des Versicherungsnehmers, nicht eine Beschränkung seiner Rechte. Der Versicherungsnehmer kann und wird in vielen Fällen ein dringendes und berechtigtes Interesse daran haben, auch gegenüber dem Versicherer durch Bevollmächtigte vertreten zu werden. Es ist nicht ersichtlich, warum sich eine solche Vollmacht nicht auf den Empfang von Willenserklärungen des Versicherers erstrecken oder überhaupt nur darauf beschränken können sollte. Eine derartige Beschränkung der rechtlichen und wirtschaftlichen Freiheit des Versicherungsnehmers wäre weder sinnvoll, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber das beabsichtigt hätte.

Daß eine Vollmacht im Rahmen des § 168 Satz 1 BGB über den Tod des Vollmachtgebers hinaus wirken und auch erst für den Fall des Todes bestellt werden kann, ist Von jeher allgemein anerkannt; sie wirkt nach dem Tode des Vollmachtgebers als Vollmacht sämtlicher Erben (vgl. RGZ 106, 185; BGH Urteil vom 18. April 1969, V ZR 179/65 = NJW 1969, 1245, 1246). Gerade an der Erteilung einer solchen nach seinem Tode wirkenden Vollmacht kann der Vollmachtgeber mit Blick auf seine Rechtsnachfolger, aber auch seinen Vertragspartner ein besonderes Interesse haben. Denn dadurch wird sichergestellt, daß nach seinem Tode ohne Rücksicht auf die oft zeitraubenden Feststellungen über die Rechtsnachfolge und die Legitimation der Erben dringend notwendige Rechtsgeschäfte abgewickelt werden können. Solche Vollmachten können auf bestimmte Wirkungskreise, insbesondere die Abgabe und den Empfang von Willenserklärungen im Rahmen bestimmter Verträge, beschränkt werden. Für Versicherungsverträge gilt insoweit nichts anderes. Gerade bei einem Lebensversicherungsvertrag dessen wesentliche Wirkungen mit dem Tode des Versicherungsnehmers eintreten, haben beide Vertragspartner ein offensichtliches Interesse daran, durch Erteilung einer solchen Vollmacht die Rechtsbeziehungen zwischen den nach dem Tode des Versicherungsnehmers am Vertrag beteiligten Personen zu erleichtern.

Es bestehen somit keine rechtlichen Hindernisse gegenüber der Erteilung einer über den Tod des Versicherungsnehmers hinauswirkenden, auf das Versicherungsverhältnis beschränkten Empfangsvollmacht im Rahmen einer individuellen vertraglichen Vereinbarung.

2.

Rechtliche Bedenken bestehen auch nicht dagegen, einen Empfangsbevollmächtigten im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen zu bestellen.

a)

Auf den hier in Frage stehenden Versicherungsvertrag sind die Bestimmungen des AGBG anzuwenden, denn er ist nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen (§§ 30, 28 Abs. 1 AGBG). Die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten unterliegen der Inhaltskontrolle nach §§ 9 bis 11 AGBG, soweit durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden (§ 8 AGBG).

Einer der in §§ 10, 11 AGBG geregelten Fälle liegt nicht vor. Die Bestimmung des § 11 Nr. 3 Satz 2 AVB weicht auch nicht von Rechtsvorschriften ab; insbesondere ist im VVG eine Regelung der Bestellung von Bevollmächtigten durch den Versicherungsnehmer nicht enthalten, von der die genannte Bestimmung abweichen könnte. Die Bestimmung ergänzt lediglich die Rechtsvorschriften der §§ 164, 167, 168 BGB und des § 20 Abs. 2 VVG für diejenigen Lebensversicherungsverträge, deren Bestandteil die AVB geworden sind.

b)

Der Versicherungsnehmer wird durch diese Bestimmung nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 9 Abs. 1 AGBG). Umfang und Fälligkeit der gegenseitigen Leistungen und Pflichten des Versicherungsvertrages werden dadurch nicht berührt. Die Erteilung einer Empfangsvollmacht für den Bezugsberechtigten oder den Inhaber des Versicherungsscheins entspricht - zumindest in aller Regel - nicht nur den Interessen des Versicherers, sondern auch denen des Versicherungsnehmers. Lebensversicherungsverträge werden vom Versicherungsnehmer für den Fall, daß er den Versicherungsfall nicht selbst erlebt, im Interesse des Bezugsberechtigten geschlossen. Nach dem Tode des Versicherungsnehmers ist dieser allein an der Versicherung wirtschaftlich interessiert. Es kann deshalb regelmäßig den Interessen des Versicherungsnehmers nicht widersprechen, für den Fall seines Todes den Bezugsberechtigten zu bevollmächtigen. Wenn überhaupt eine Vollmacht für diesen Fall erteilt wird, dann wird sinnvollerweise in erster Linie der Bezugsberechtigte als Bevollmächtigter in Betracht kommen.

Aber auch die Bevollmächtigung des Inhabers des Versicherungsscheins widerspricht den Interessen des Versicherungsnehmers jedenfalls dann nicht, wenn ein Bezugsberechtigter nicht bestellt oder sein Aufenthalt nach dem Tode des Versicherungsnehmers nicht feststellbar ist und deshalb Willenserklärungen des Versicherers in Bezug auf den Versicherungsvertrag ohne die Bestellung eines solchen Bevollmächtigten möglicherweise längere Zeit überhaupt nicht wirksam abgegeben werden könnten. Es ist angemessen, wenn der Versicherungsnehmer auch den berechtigten Interessen des Versicherers als seines Vertragspartners, die sich daraus ergeben, bei Abschluß des Versicherungsvertrages Rechnung trägt.

Daß die Vollmacht in den AVB auf die Empfangnahme von Willenserklärungen des Versicherers beschränkt ist, steht dem nicht entgegen. Die Vollmacht ist damit auf den Umfang beschränkt, an dem der Versicherer ein besonderes Interesse hat, um nach Eintritt des Versicherungsfalles den notwendigen legitimierten Erklärungsempfänger zu haben. Das widerspricht den Interessen des Versicherungsnehmers nicht, sondern dient dem Vertragszweck und damit den Interessen beider Vertragspartner (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Eine Regelung in einem gegenseitigen Vertrag, die vor allem im Interesse des einen Vertragspartners liegt, braucht deshalb nicht den Interessen des anderen entgegenzustehen. Der Versicherungsnehmer ist nicht gehindert, namentlich einen anderen Empfangsbevollmächtigten zu bestellen oder dem Bezugsberechtigten weitergehende Vollmacht zu erteilen.

c)

Auf etwa abweichende Interessen des Erben des Versicherungsnehmers kann es im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG jedenfalls insoweit grundsätzlich nicht ankommen, als sie den bei Abschluß des Vertrages bestehenden Interessen des Versicherungsnehmers, also des Vertragspartners des Verwenders der AGB, nicht entsprechen. Die Bestimmung des § 9 AGBG bezweckt den Schutz des Vertragspartners gegenüber dem Verwender inhaltlich unangemessener AGB; der Schutz der andersartigen Interessen der Erben des Vertragspartners vor den Auswirkungen des Vertrages nach dem Erbfall liegt außerhalb des Schutzzwecks dieser Norm.

Hat der Erblasser eine Vollmacht mit Wirkung über seinen Tod hinaus oder für den Fall seines Todes erteilt, so muß der Erbe diese gegen sich gelten lassen, solange er die Vollmacht nicht als Rechtsnachfolger widerruft. Nicht anders ist die Rechts- und Interessenlage der Beteiligten im vorliegenden Fall.

Soweit der Bezugsberechtigte oder der Inhaber des Versicherungsscheins Willenserklärungen des Versicherers nach dem Tode des Versicherungsnehmers nicht als Rechtsinhaber, sondern als Empfangsbevollmächtigter des Erben entgegennimmt, wird er jedenfalls nach §§ 681, 666 BGB dem Erben Auskunft zu erteilen, diesen also insbesondere von dem Empfang der Willenserklärung in Kenntnis zu setzen haben. Das ist offenbar auch im vorliegenden Fall geschehen; der Kläger hat nach der Rückübertragung der Bezugsberechtigung durch die Bank auf ihn gegenüber der Beklagten innerhalb der Frist des § 12 Abs. 3 VVG den Anspruch auf die Versicherungsleistung gerichtlich geltend machen können.

3.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht ein Indiz für eine Unausgewogenheit von § 11 Nr. 3 Satz 2 AVB darin gesehen, daß nach dem Wortlaut dieser Bestimmung - anders als nach § 11 Abs. 1 Satz 3 ALB n.F. - der Versicherer die Wahl habe, ob er seine Willenserklärung gegenüber dem Bezugsberechtigten oder dem Inhaber des Versicherungsscheins abgeben wolle.

Regeln verschiedene AGB gleichartige Sachverhalte, so folgt aus dem Umstand, daß eine dieser Bedingungen präziser und für den Vertragspartner des Verwenders günstiger formuliert ist, keineswegs, daß die anderen AGB wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam sein müßten. Das gilt auch hier.

Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daß § 11 Nr. 3 Satz 2 AVB bei einer an den Grundsätzen von § 157 BGB und § 5 AGBG orientierten Auslegung zu dem gleichen Ergebnis führt wie die präzisere Formulierung des § 11 Abs. 1 Satz 3 ALB n.F..

Den Fall, daß ein namentlich benannter Empfangsbevollmächtigter vorhanden ist, erwähnen die AVB der Beklagten nicht. Daß eine solche namentliche Vollmacht der auf den AVB beruhenden Empfangsvollmacht vorgeht, folgt aber ohne weiteres aus Treu und Glauben; es wäre auch nicht zu erwarten, daß ein Versicherer sinnloserweise bei Abgabe einer Willenserklärung anders verfahren würde. Daß der Bezugsberechtigte, auch wenn er nicht im Besitz des Versicherungsscheins ist, als Bevollmächtigter dem Inhaber des Versicherungsscheins vorgeht, ergibt sich schon aus der Natur der Sache und dem eigenen Interesse des Versicherers. Der Bezugsberechtigte ist mit dem Versicherungsfall Gläubiger der Versicherungsleistung geworden (§ 166 Abs. 2 VVG). Er ist nach § 171 Abs. 2 VVG anzeigepflichtig. Sollte ein Versicherer Willenserklärungen nach Eintritt des Versicherungsfalles nicht gegenüber dem ihm namentlich bekannten Bezugsberechtigten, dessen Aufenthalt feststellbar ist, abgeben, sondern gegenüber einem sachlich nicht legitimierten Inhaber des Versicherungsscheins, so würde darin in der Regel ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegen; der Versicherer könnte sich dann auf ihm günstige Rechtsfolgen seiner Willenserklärung gemäß § 242 BGB nicht berufen. Auch die AVB der Beklagten nennen den Bezugsberechtigten sprachlich vor dem Inhaber der Police.

Aus allem ergibt sich, daß auch die Beklagte nach ihren AVB nicht etwa ein freies Wahlrecht hatte, ob sie nach dem Tode des Versicherungsnehmers Willenserklärungen gegenüber dem Bezugsberechtigten oder dem Inhaber des Versicherungsscheins als Bevollmächtigten abgeben wollte. Im vorliegenden Fall stellte sich die Frage ohnehin nicht, weil die Bank als Zessionar zugleich Inhaber des Versicherungsanspruchs und auch des Versicherungsscheins war.

III.

Da nach allem die Bank zum Empfang der Rücktrittserklärung der Beklagten legitimiert war, kommt es für die Entscheidung des vorliegenden Falles darauf an, ob die Beklagte zum Rücktritt berechtigt war. Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Der Rechtsstreit ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen,

Rottmüller,

Dr. Schmidt-Kessel,

Rassow,

Dr. Zopfs

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456080

NJW 1982, 2314

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