Leitsatz (amtlich)

Der Grundstückseigentümer kann die Beseitigung oder Abänderung einer bereits vorhandenen Einzäunung jedenfalls dann verlangen, wenn sich nur unter dieser Voraussetzung sein nachbarrechtlicher Anspruch (§§ 32, 35 Abs. 1 NachbG NW) auf eine ortsübliche und von der bisherigen in ihrem Erscheinungsbild wesentlich abweichende Einfriedigung verwirklichen läßt.

 

Normenkette

BGB § 1004; EGBGB Art. 124; NRWNachbarrechtsG §§ 32, 35 Abs. 1, § 50

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 11.05.1977)

LG Krefeld

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Mai 1977 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien waren Grundstücksnachbarn in K.. Der Kläger hat sein noch unbebautes Grundstück im Laufe des Rechtsstreits veräußert. Die Beklagten errichteten an der Grenze ihres mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks eine Einzäunung aus senkrecht aneinandergereihten Eisenbahnschwellen. Jede vierte der im übrigen ca. 60 cm hohen Schwellen hat eine Höhe von etwa 1,60 m; diese erhöhten Schwellen sind mit Maschendraht verbunden. Die Einzäunung überschreitet bis zu sechs Zentimeter die Grenze zu dem Nachbargrundstück des Klägers.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug von den Beklagten die Beseitigung dieser Einzäunung und statt dessen die nach dem örtlichen Bebauungsplan vorgesehene Einfriedigung aus Maschendraht verlangt; außerdem hat er beantragt, eine Bodenerhöhung des Nachbargrundstücks im Grenzbereich zu entfernen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit der Berufung hat der Kläger seinen Anspruch weiterverfolgt, den Palisadenzaun – hilfsweise den auf seinem Grundstück befindlichen Teil – zu beseitigen, den Maschendrahtzaun in den Verlauf der gemeinsamen Grenze zurückzunehmen und ihn an verzinkten oder kunststoffummantelten Stahlrohren anzubringen.

Das Oberlandesgericht hat die Beklagten verurteilt, die jetzt vorhandene Einzäunung insoweit zu beseitigen, als sie auf dem Grundstück des Klägers steht, sowie den bisher an Eisenbahnschwellen befestigten Drahtzaun auf die gemeinsame Grenze zu verlegen, den Zaun an den verlangten Stahlrohren zu befestigen und in dem dazu erforderlichen Umfang die Eisenbahnschwellen zu entfernen.

Im übrigen hat das Oberlandesgericht die Berufung zurückgewiesen.

Mit der – zugelassenen – Revision beantragen die Beklagten, das Berufungsurteil aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I.

Für das Revisionsverfahren ist es ohne Bedeutung, daß der Kläger sein Grundstück inzwischen veräußert hat. Er hat dadurch zwar seine Sachlegitimation verloren, weil nur der Grundstückseigentümer die auf die §§ 32, 50 NachbG NW, § 1004 BGB gestützten Klageansprüche geltend machen kann; die Prozeßführungsbefugnis des Klägers aber bleibt nach § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestehen (vgl. Senatsurteile vom 30. September 1955, V ZR 140/54, LM Nr. 3 zu § 265 ZPO = MDR 1956, 157 und vom 28. Mai 1976, V ZR 195/74, LM Nr. 12/13 zu § 917 BGB = MDR 1976, 917).

Die neuen Eigentümer haben den Prozeß weder übernommen noch sind sie von den Beklagten zur Übernahme aufgefordert worden (§ 266 Abs. 1 ZPO).

II.

Das Berufungsgericht hält die Beklagten gemäß §§ 32, 35 Abs. 1 NachbG NW für verpflichtet, eine ortsübliche Einfriedigung auf der Grenze zu dem Nachbargrundstück des Klägers anzubringen und die vorhandene nicht ortsübliche Einzäunung soweit zu entfernen, daß sich die verlangte Einfriedigung errichten läßt.

Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 NachbG NW ist der Eigentümer eines bebauten Grundstücks, das – wie in diesem Falle – innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt, auf Verlangen des Nachbarn zur Einfriedigung an der gemeinsamen Grenze verpflichtet. Die Einfriedigung muß ortsüblich sein (§ 35 Abs. 1 NachbG NW). Sie ist auf der Grenze zu errichten (§ 36 Abs. 1 NachbG NW).

Der Kläger beansprucht eine derartige Einfriedigung.

Im Berufungsurteil ist – von der Revision unbeanstandet – festgestellt, daß der verlangte Maschendrahtzaun und nicht die schon vorhandene Einzäunung aus senkrecht aneinandergereihten Eisenbahnschwellen die ortsübliche Art der Einfriedigung in dem Wohngebiet der Parteien ist. Festgestellt ist auch, daß die Palisadenwand nach ihrem jetzigen Standort einer Errichtung des ortsüblichen Zaunes auf der Grenze im Wege steht. Die Eisenbahnschwellen mit der daran befestigten Drahtverspannung müssen daher jedenfalls in dem Ausmaß beseitigt werden, daß sich die Einfriedigung auf der Grenze tatsächlich ermöglichen läßt. Das ist die hier notwendige Voraussetzung zur Erfüllung der nachbarrechtlichen Einfriedigungspflicht (vgl. Zimmermann/Steinke, NachbG NW § 35 Anm. 2 e bb und f; Schäfer, NachbG NW 4. Aufl. § 32 Anm. 4 und § 35 Anm. 1 a.E.; Dehner, NJW 1975, 1972 in krit. Anm. zu OLG Hamm NJW 1975, 1035).

Zutreffend ist zwar die Auffassung der Revision, daß die Vorschriften des NachbG NW unmittelbar nur die Einfriedigungspflicht, nicht aber auch einen entsprechenden Beseitigungsanspruch des Grundstücksnachbarn regeln; dieser Anspruch ergibt sich indessen aus der in § 50 NachbG NW enthaltenen Rechtsgrundverweisung auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und damit auf die hier maßgebliche Bestimmung des § 1004 BGB.

Wer gegen seine gesetzliche Einfriedigungspflicht verstößt, beeinträchtigt das Eigentum des Grundstücksnachbarn in dem nachbarrechtlich geschützten Bereich. Dieser Schutzbereich umfaßt nicht nur das Recht des Eigentümers auf Erhaltung einer schon bestimmungsgemäß errichteten Einfriedigung, sondern auch seinen Anspruch, daß eine solche errichtet wird. Eine bereits vorhandene Einzäunung, welche die verlangte ortsübliche Einfriedigung auf der gemeinsamen Grenze vereitelt, ist als ein nachbarrechtswidriger Zustand gemäß § 1004 BGB zu beseitigen oder so abzuändern, wie es zur Erfüllung des Einfriedigungsanspruchs nötig ist.

Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die schon vorhandene Einzäunung wegen ihres nicht ortsüblichen Erscheinungsbildes nur eine immaterielle Eigentumsstörung darstellt. Zwar hat der Senat wiederholt ausgesprochen, daß lediglich ästhetisch störende Vorgänge oder Zustände auf einem Grundstück dem davon betroffenen Nachbarn in der Regel keinen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB geben (Urteile vom 15. November 1974, V ZR 83/73, NJW 1975, 170 und vom 15. Mai 1970, V ZR 20/68, BGHZ 54, 56 = NJW 1970, 1541); vorliegend geht es indessen um die Wahrung einer durch das Nachbarrecht besonders ausgestalteten Rechtsposition des Eigentümers, nämlich um seinen Anspruch auf eine ortsübliche Einfriedigung.

Wie der Senat bereits in seinem zum Abdruck in BGHZ vorgesehenen Urteil vom 9. Februar 1979 – V ZR 108/77 – entschieden hat, bildet das Erfordernis der Ortsüblichkeit nicht nur den Maßstab dafür, welche Art der Einfriedigung die Nachbarn kostenmäßig hinnehmen müssen (§ 37 Abs. 1 NachbG NW); es bestimmt im beiderseitigen Interesse auch die zweckgerechte und darüber hinaus die ihnen optisch-ästhetisch zumutbare Beschaffenheit der Einfriedigung, weil gerade in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild einer Einfriedigung die Interessen der Nachbarn häufig widerstreiten und das nordrhein-westfälische Nachbarrechtsgesetz solche Streitigkeiten in angemessener Weise ausgleichen will. Dem steht nicht entgegen, daß § 35 Abs. 1 Satz 1 NachbG NW diesen individuellen Interessenausgleich im Einklang mit den öffentlichen Belangen an einer geordneten Baugestaltung regelt.

Der Hinweis der Revision auf § 34 NachbG NW rechtfertigt keine andere Beurteilung. Wenn diese Vorschrift eine Einfriedigungspflicht für den Fall ausschließt, daß Einfriedigungen in dem betreffenden Ortsteil nicht üblich sind, so ist damit nur dem übergeordneten Allgemeininteresse an einem ungestörten Ortsbild Rechnung getragen. Dies besagt aber nicht, daß der Eigentümer eine Einfriedigung dulden muß, die der tatsächlich ortsüblichen widerspricht. Ein dahingehender Wille des Landesgesetzgebers kann auch nicht der Regelung des § 36 Abs. 4 NachbG NW entnommen werden. Die Bedeutung dieser Vorschrift erschöpft sich in der darin vorgesehenen Ausschlußfrist für den Beseitigungsanspruch des Eigentümers eines landwirtschaftlich nutzbaren Grundstücks bei nicht abstandsgerechter Grenzscheidung des Nachbargrundstücks (§ 36 Abs. 2 NachbG NW).

Aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung in den Fällen nicht ortsüblich oder nicht bestimmungsgemäß errichteter Einfriedigungen (§ 35 NachbG NW) kann nicht mehr gefolgert werden, als daß der Gesetzgeber hierfür eine anspruchsbeschränkende Ausschlußfrist nicht für sachdienlich hielt. Die Schlußfolgerung der Revision, daß in diesen Fällen Beseitigungsansprüche nicht in Betracht kommen könnten, ist unvereinbar mit dem Schutzzweck der §§ 32, 35 Abs. 1 NachbG NW und dem sich daraus ergebenden Recht des Eigentümers, die Herstellung einer ortsüblichen Einfriedigung auf der Grenze auch gegen den Widerstand des Nachbarn durchzusetzen.

Was schließlich die Auffassung der Revision anbelangt, der Begriff der Ortsüblichkeit sei für einen hierauf gestützten Einfriedigungs- und Beseitigungsanspruch zu unbestimmt, so wird verkannt, daß sich dieses Merkmal auch in anderen gesetzlichen Vorschriften findet (vgl. etwa die §§ 906 Abs. 2, 919 Abs. 2 BGB) und daß es für den Einzelfall durchaus eine nach objektiven Kriterien mögliche Inhaltsbestimmung des Anspruchs erlaubt. Dies belegt die Entscheidung des Berufungsgerichts. Sie stellt eindeutig fest, daß die von den Beklagten errichtete Palisadenwand nicht die in dem Wohngebiet der Parteien übliche Einfriedigungsart ist. Eine andere Frage ist, ob etwa nur eine erhebliche Abweichung von der Ortsüblichkeit den Anspruch auf Beseitigung rechtfertigen kann. Darüber ist hier jedoch nicht zu befinden; denn es ist offensichtlich, daß sich die jetzige Einzäunung wesentlich von dem unterscheidet, was der Kläger als Einfriedigung verlangen kann (vgl. auch das erwähnte Senatsurteil vom 9. Februar 1979 bezüglich immaterieller Einwirkungen, denen eine ortsüblich angelegte Einfriedigung durch eine zusätzliche nicht ortsübliche ausgesetzt ist).

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß der Grundstückseigentümer nach § 1004 BGB, Art. 124 EGBGB, §§ 32, 35 Abs. 1, 50 NachbG NW die Beseitigung oder Abänderung einer bereits vorhandenen Einzäunung jedenfalls dann verlangen kann, wenn sich nur unter dieser Voraussetzung sein nachbarrechtlicher Anspruch auf eine ortsübliche, von der bisherigen in ihrem Erscheinungsbild wesentlich abweichende Einfriedigung verwirklichen läßt. Demgemäß hat das Berufungsgericht die Beklagten mit Recht verurteilt, die Eisenbahnschwellen in dem zur Errichtung des ortsüblichen Maschendrahtzauns nötigen Umfang zu entfernen und diesen Zaun auf die Grenze zu setzen.

III.

Soweit das Berufungsgericht einen Beseitigungsanspruch auch für den Teil der Palisadenwand bejaht, der sich auf dem Grundstück des Klägers befindet, mag dahinstehen, ob dieser Teil nicht ohnehin schon deshalb mit entfernt werden muß, weil er eine ortsübliche Einfriedigung auf der Grenze verhindert. Aber auch wenn der über die Grenze reichende Teil kein Hindernis für die Errichtung der verlangten Einfriedigung darstellen sollte, wovon das Berufungsgericht ausgeht, rechtfertigt sich der Anspruch auf Beseitigung des Grenzüberbaues aus § 1004 Abs. 1 BGB. Das stellt die Revision nicht in Frage. Sie macht jedoch unter Hinweis auf § 251 Abs. 2 BGB geltend, daß die Beseitigung mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre. Diese Rüge greift nicht durch.

Ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB ist ausgeschlossen, wenn er sich nur mit unverhältnismäßigen und unzumutbaren Aufwendungen erfüllen ließe. Das entspricht einem allgemeinen Rechtsgedanken, der in den §§ 251 Abs. 2, 633 Abs. 2 Satz 2 BGB zum Ausdruck kommt und auch auf § 1004 Abs. 1 BGB anzuwenden ist (Senatsurteile vom 21. Juni 1974, V ZR 164/72, BGHZ 62, 388 = NJW 1974, 1552 und vom 21. Dezember 1973, V ZR 107/72, WM 1974, 572, 573 = MDR 1974, 571). Dies hat das Berufungsgericht beachtet. Es hat festgestellt, daß hier eine Beseitigung „ohne großen Aufwand” möglich sei. Dabei hat das Berufungsgericht, wie seine Ausführungen deutlich machen, auch nicht verkannt, daß es nicht bloß auf die Kostenhöhe, sondern auf eine interessengemäße Abwägung der Belange beider Parteien im Einzelfall ankommt. Wenn der Tatrichter gleichwohl allein schon im Hinblick auf den geringfügigen Beseitigungsaufwand den Anspruch des Klägers als begründet angesehen hat, ist das revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

IV.

Was den Inhalt der Einfriedigungspflicht angeht, ist der Revision zuzugeben, daß es widersprüchlich erscheint, wenn das Berufungsgericht zum einen die Möglichkeit unterstellt, daß die vom Kläger für den Maschendrahtzaun verlangten Befestigungsstützen aus verzinkten oder kunststoffummantelten Stahlrohren nicht die allein ortsübliche Einfriedigungsart seien (BU S. 10/11), in den weiteren Ausführungen aber gerade diese Zaunpfosten als tatsächlich ortsüblich bezeichnet (BU S. 11/12).

Wären in dieser Hinsicht verschiedenartige Einfriedigungen in dem Ortsteil der Parteien üblich, so hätten die Beklagten ein Wahlrecht, das nach § 264 BGB erst mit Beginn der Zwangsvollstreckung auf den Kläger übergehen würde. Dennoch ist das Berufungsurteil in diesem Punkt letztlich bedenkenfrei; denn es stellt zugleich fest, daß die verlangten Zaunpfosten dem geltenden Bebauungsplan entsprechen. Der örtliche Bebauungsplan im Sinne von §§ 9, 10 BBauG in Verbindung mit der landesrechtlichen Vorschrift des § 103 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 4 BauO NW in der Fassung vom 15. Juli 1976 (GVBl NW S. 264) ist die Ortssatzung, die nach § 35 Abs. 1 Satz 3 NachbG NW die Art der Einfriedigung verbindlich festlegt und die deshalb hier andere als die vom Kläger (wahlweise) verlangten Befestigungsstützen ausschließt.

Die Revision ist demnach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Hill, Dr. Eckstein, Hagen, Vogt, Räfle

 

Fundstellen

Haufe-Index 1722819

Nachschlagewerk BGH

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