Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 02.11.1994; Aktenzeichen 6 U 842/94)

LG Leipzig (Urteil vom 24.05.1994; Aktenzeichen 11 O 338/93)

 

Tatbestand

Der ehemalige Rat der Stadt N. als Rechtsträger von Volkseigentum schloß mit dem Beklagten am 22.03.90 einen Vertrag über die gewerbliche Nutzung einer Teilfläche von 750 qm eines in der R.-Straße in N. gelegenen Grundstücks. Als Beginn der unbefristet vorgesehenen Nutzung wurde der 1.04.90 festgelegt. Eine Beendigung der Nutzung durch den Rat der Stadt sollte u.a. dann möglich sein, wenn die Fläche im Interesse staatlicher Aufgaben benötigt wird. Für die Nutzung war eine jährliche "Gebühr" von 37,50 M zu entrichten. Unter Ziffer 6 des Vertrages wurden folgende weitere Vereinbarungen getroffen:

Der vorgenannte Pachtpreis gilt nur bis zur gewerblichen Nutzung (Cafe, Eisdiele udg.). Die Bebauung ist mit dem Bauamt abzustimmen. Der Kauf der Baulichkeit gilt als vereinbart. Zu oben genanntem Vertrag gehört ein stark reparaturbedürftiges Blockhaus.

Mit Schreiben vom 27.08.93 hat die Klägerin das Vertragsverhältnis zum 31.12.93, hilfsweise zum 31.12.94, mit der Begründung gekündigt, die Grundstücke in der R.-Straße zur Beseitigung der Wohnungsnot als Eigenheimstandorte veräußern zu wollen. Mit ihrer Klage hat sie vom Beklagten die Herausgabe des ihm überlassenen Grundstücks verlangt. Der Beklagte ist dem Begehren entgegengetreten und hat u.a. geltend gemacht, es handele sich um einen Vertrag über die Nutzung von Bodenflächen zur Erholung nach den §§ 312 ff DDR-ZGB, der in seinem Bestand geschützt sei.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, daß es sich bei dem Vertrag um einen Pachtvertrag handele, der zum 31.03.94, dem Schluß des Pachtjahres, rechtswirksam gekündigt worden sei. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht durch Urteil als unzulässig verworfen, weil die Berufungssumme nicht erreicht sei. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 547 ZPO unbeschränkt zulässige Revision ist nicht begründet.

1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß eine Pachtstreitigkeit vorliege, weil zwischen den Vertragsparteien ausdrücklich die gewerbliche Nutzung des Grundstücks vereinbart worden sei und der Beklagte in den Genuß der aus dem Grundstück gezogenen Früchte habe gelangen sollen. Eine einseitige Veränderung der Grundstücksnutzung durch den Beklagten in eine solche zu Erholungszwecken habe das Wesen des Vertrages nicht berühren können. Der rechtlichen Einordnung als Pachtvertrag stehe nicht entgegen, daß der Vertrag vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschlossen worden sei und das Zivilgesetzbuch der DDR den Pachtvertrag nicht vorsehe. Im Rahmen der Vertragsfreiheit hätten auch in der DDR Vereinbarungen getroffen werden können, die im Zivilgesetzbuch oder in anderen Rechtsvorschriften nicht geregelt worden seien. Deshalb sei die Übereinkunft vom 22.03.90 nach damaligem Recht als Vertrag eigener Art zu bewerten, auf den von dem Wirksamwerden des Beitritts an nach Art. 232 § 3 EGBGB die Regelungen über Pachtverhältnisse anzuwenden seien. Der Rechtsmittelwert des Herausgabeanspruchs sei demgemäß nach § 8 ZPO zu bestimmen. Der insofern maßgebliche Pachtzins sei mit 37,50 M jährlich vereinbart worden. Auf den Wert des Blockhauses, das dem Vorbringen des Beklagten zufolge in sein Eigentum übergegangen sei, komme es daneben nicht an. Nachdem Pachten am 1.07.90 im Verhältnis 1:1 umgestellt worden seien, betrage der Pachtzins 37,50 DM. Der fünfundzwanzigfache Betrag, durch den der Beschwerdewert beschränkt werde, belaufe sich somit auf 937,50 DM und überschreite die Berufungssumme des § 511a Abs. 1 ZPO nicht.

2. Die Revision wendet sich, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt worden ist, dagegen, daß das Oberlandesgericht der Berechnung des Rechtsmittelstreitwerts die mit jährlich 37,50 M vereinbarte "Gebühr" zugrunde gelegt hat. Sie vertritt die Auffassung, hinsichtlich des dem Beklagten eingeräumten Rechts, das Grundstück zu nutzen, komme es auf den wirklichen Wert dieser Befugnis an. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, daß dem Beklagten aufgrund der Vereinbarung über den Kauf des Blockhauses weitere Rechte eingeräumt worden seien.

Diese Erwägungen können der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Das Oberlandesgericht hat der Ermittlung der Berufungssumme zu Recht die Vorschrift des § 8 ZPO zugrunde gelegt, wonach bei Miet- oder Pachtverhältnissen, deren Bestand oder Dauer streitig ist, der Betrag des auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Zinses, höchstens jedoch der fünfundzwanzigfache Jahresbetrag, maßgebend ist. Dabei kann dahinstehen, ob die rechtliche Qualifizierung des Vertrages als Pachtvertrag Inhalt und Zweck der Vereinbarung entspricht oder ob nicht ein Mietvertrag vorliegt (vgl. zur Abgrenzung Senatsurteil vom 27.03.91 - XII ZR 136/90 - NJW-RR 1991, 906 f). Die Differenzierung zwischen Miete und Pacht und die daraus folgende rechtliche Qualifizierung des Vertragsverhältnisses ist nur insoweit bedeutsam, als sich daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen. Das ist hinsichtlich des Rechtsmittelstreitwertes nicht der Fall.

§ 8 ZPO wäre auch dann anzuwenden, wenn ein gemischter Vertrag vorläge, da die entgeltliche Grundstücksnutzung den wesentlichen Vertragsinhalt ausmacht. Die Wertberechnung geschieht in einem solchen Fall durch Ermitteln des Teilwertes der miet- oder pachtrechtlichen Beziehung sowie des Teilwertes der übrigen Beziehung, falls insoweit eine eigene wirtschaftliche Bewertung stattfinden kann (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl. § 8 Rdn. 2 und 15).

"Zins" im Sinne des § 8 ZPO ist der vertraglich vereinbarte Miet- oder Pachtzins und nicht der Betrag, der nach Ansicht einer Partei als Nutzungsentgelt angemessen wäre (vgl. Senatsurteil vom 28.09.94 - XII ZR 50/94 - BGHR ZPO § 8 Räumungsklage 3). Es kommt demnach nicht darauf an, ob der ortsübliche Miet- oder Pachtzins höher anzusetzen ist als die vertraglich festgelegten 37,50 M. Ein höherer Zins ist nach Ziff. 6 des Vertrages auch später nicht vereinbart worden, da eine gewerbliche Nutzung des Grundstücks durch den Beklagten nicht erfolgt ist.

3. Die Revision macht weiter geltend, unter "Zins" seien außer dem eigentlichen in Geld zu zahlenden oder in Naturalien zu erbringenden Miet- oder Pachtzins auch vertragliche Gegenleistungen anderer Art wie Baukostenzuschüsse und Instandsetzungskosten zu verstehen. Daraus werde deutlich, daß es nicht allein auf den in einem festen Betrag ausgedrückten Miet- oder Pachtzins ankommen könne. Vorliegend habe die vorläufige Natur des bezifferten Miet- oder Pachtzinses berücksichtigt werden müssen. Nach § 6 des Vertrages gelte der jährliche "Pachtpreis" von 37,50 M nur bis zur gewerblichen Nutzung. Insoweit handele es sich bei dem schriftlichen Pachtvertrag um einen Vorvertrag, in dem sich die Parteien bindend verpflichtet hätten, einen Pachtvertrag über das Grundstück erneut abzuschließen, sobald die gewerbliche Nutzung beginnen werde. Die Kündigung berühre somit nicht nur den Vertrag vom 22.03.90, sondern auch den erst noch niederzulegenden künftigen Hauptvertrag. Demgemäß betreffe der Rechtsstreit auch den Wegfall der Verpflichtung, diesen Hauptvertrag abzuschließen. Der maßgebliche Miet- oder Pachtzins müsse daher auch den Betrag umfassen, der sich bei Fortdauer des Vertrages im Falle einer gewerblichen Nutzung ergeben würde.

Diesen Erwägungen muß der Erfolg versagt bleiben. Der Senat, der den für die Zulässigkeit der Berufung maßgebenden Sachverhalt auch in tatsächlicher Hinsicht selbständig zu würdigen hat (vgl. etwa BGHZ 7, 280, 283 f), vermag der Revision in der Bewertung des Vertrages als Vorvertrag zu einem mit Beginn der gewerblichen Nutzung noch abzuschließenden Hauptvertrag nicht zu folgen. Es ist regelmäßig davon auszugehen, daß der Abschluß eines sofort wirksamen Hauptvertrages gewollt ist, während der Abschluß eines Vorvertrages eine Ausnahme darstellt. Deshalb ist sorgfältig zu prüfen, ob die Vertragsparteien wirklich nur die Verpflichtung, einen Hauptvertrag abzuschließen, oder ob sie nicht vielmehr unmittelbar die sich aus diesem ergebenden Rechte und Pflichten haben begründen wollen (BGH, Urteile vom 8.06.62 - I ZR 6/61 - NJW 1962, 1812 f und vom 16.04.69 - VIII ZR 64/66 - WM 1969, 919).

Für die Annahme, daß die Vertragsparteien sich für die Zeit ab Beginn der gewerblichen Nutzung noch nicht endgültig haben binden wollen, enthält der Vertrag keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die unter Ziffer 6 getroffene Abrede, der vorgenannte Pachtpreis (37,50 M) gelte nur bis zur gewerblichen Nutzung, reicht dafür nicht aus. Trotz einzelner noch offener Punkte kann bereits ein verbindlicher Hauptvertrag vorliegen. Daß ein solcher nicht gewollt war, läßt sich dem Vertrag nicht entnehmen. Von dem noch offenen Pachtzins ab Beginn der gewerblichen Nutzung abgesehen sind die gegenseitigen Rechte und Pflichten nämlich verbindlich geregelt worden. Demgemäß ergibt sich auch aus dem Wortlaut der Vereinbarung nichts dafür, daß für die Zeit der gewerblichen Nutzung zunächst nur die Verpflichtung begründet werden sollte, einen anderen schuldrechtlichen Vertrag, den Hauptvertrag, zu schließen. Für die Bestimmung der Rechtsmittelbeschwer muß mithin ein zusätzliches Interesse des Beklagten an dem Abschluß eines Hauptvertrages (vgl. hierzu Hillach/Rohs, Handbuch des Streitwerts in Zivilsachen, 9. Aufl., § 30 G) außer Betracht bleiben, zumal der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 3.05.94 ausweislich des Sitzungsprotokolls selbst erklärt hat, die Absicht einer gewerblichen Nutzung habe sich im Zuge der Wende zerschlagen, er wolle das Grundstück nur noch privat nutzen.

4. Die Revision wendet weiter ein, bei der Bemessung des Rechtsmittelstreitwerts sei auch der Verkauf des auf dem Grundstück befindlichen Blockhauses zu berücksichtigen. Da die Vertragsparteien insoweit noch keinen Kaufpreis vereinbart hätten, der Beklagte jedoch an dem Erwerb der Baulichkeit festhalte, sei eine Wertfestsetzung gemäß § 3 ZPO vorzunehmen. Der Wert liege bei wenigstens 2.000 DM.

Auch mit diesem Einwand vermag die Revision nicht durchzudringen. Selbst wenn der Beklagte zusätzlich zu dem Recht, das Grundstück zu nutzen, eine Rechtsposition an dem Blockhaus erlangt hätte und demzufolge ein gemischter Vertrag vorläge, könnte für den nicht als Miete oder Pacht anzusehenden Vertragsteil bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise kein zusätzlicher Teilwert (vgl. hierzu Stein/Jonas/Roth aaO) angesetzt werden. Bereits in dem Vertrag vom 20.03.90 ist festgehalten worden, daß es sich um ein stark reparaturbedürftiges Blockhaus handelt. Der Beklagte, der nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zunächst die Absicht hatte, das Blockhaus zu renovieren, hat diesen Plan aufgrund der erheblichen Baufälligkeit aufgegeben und mit Schreiben vom 9.06.93 bei dem Rat der Stadt N. den Abbruch "der Holzhütte" auf eigene Kosten beantragt. Bei dieser Sachlage kann ohne konkrete anderweitige Darlegung aber nicht davon ausgegangen werden, daß das Blockhaus noch irgendeinen wirtschaftlichen Wert verkörpert.

5. Der somit allein nach dem jährlich zu zahlenden Zins zu bemessende Rechtsmittelstreitwert übersteigt die Berufungssumme des § 511a Abs. 1 ZPO nicht. Nachdem Mieten und Pachten gemäß Kap. II Art. 10 Abs. 5 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BGBl. II S. 537, 539) vom 1.07.90 an im Verhältnis 1:1 umgestellt worden sind, beträgt der Jahreszins 37,50 DM. Selbst wenn der Wertberechnung der fünfundzwanzigfache Betrag des einjährigen Zinses als Höchstwert zugrunde zu legen wäre (vgl. zur Bemessung der streitigen Zeit im Falle einer vom Mieter geltend gemachten Mieterschutzregelung Senatsurteil vom 1.04.92 - XII ZR 200/91 - BGHR ZPO § 8 Räumungsklage 1 = NJW-RR 1992, 1359), ergäbe sich lediglich eine Beschwer in Höhe von 937,50 DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993376

BGHR ZPO § 8 Räumungsklage 6

NJWE-MietR 1996, 54

WM 1996, 1064

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