Leitsatz (amtlich)

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer in einem sog. Dieselfall (hier: Verkauf eines Gebrauchtwagens).

 

Normenkette

BGB § 826 H

 

Verfahrensgang

OLG Braunschweig (Urteil vom 27.02.2020; Aktenzeichen 7 U 42/19)

LG Braunschweig (Entscheidung vom 29.11.2018; Aktenzeichen 3 O 1721/17)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Braunschweig vom 27.2.2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger erwarb am 25.7.2013 von einem Autohaus einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Golf VI TDI zu einem Preis von 20.800 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.

Rz. 3

Die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkennt, ob sich das Fahrzeug innerhalb oder außerhalb der Bedingungen des Testlaufs nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befindet. Außerhalb der Bedingungen des NEFZ werden weniger Abgase in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet und es werden so mehr Stickoxide emittiert, als wenn sich das Fahrzeug innerhalb der Bedingungen des NEFZ befindet.

Rz. 4

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete Mitte Oktober 2015 einen Rückruf an, der auch das Fahrzeug des Klägers betraf. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA freigab. Der Kläger ließ das Software-Update aufspielen.

Rz. 5

Der Kläger hat die Zahlung von 20.800 EUR (Kaufpreis) nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2.8.2013 Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

Rz. 6

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 7

Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu, auch kein Anspruch aus § 826 BGB. Es fehle an ausreichendem Vortrag des Klägers dazu, welche dem Personenkreis des § 31 BGB unterfallende Person eine den Sittenwidrigkeitsvorwurf begründende Handlung oder Unterlassung begangen habe. Dem Kläger komme insoweit keine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zugute. Ferner fehle es an ausreichendem Vortrag zu einem als sittenwidrig einzustufenden Verhalten der Beklagten. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Kläger, der das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Dritten erworben habe, nur mittelbar geschädigt worden sei und dass die durch die Verwendung der Softwaresteuerung verletzten Normen nicht dem Schutz der hier geltend gemachten individuellen Vermögensinteressen des einzelnen Verbrauchers dienten. Gebrauchtwagenkäufer seien so weit vom Produktionsprozess und Inverkehrbringen des Fahrzeugs entfernt, dass ihre Betroffenheit vom sittenwidrigen Verhalten rein zufällig sei. Darauf, inwieweit sich der Kläger nach Aufspielen des Updates noch auf einen Schaden berufen könne, komme es nicht mehr an.

II.

Rz. 8

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB nicht verneint werden.

Rz. 9

Nach den - teils durch konkrete Bezugnahmen - erfolgten tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts behauptet der Kläger, die Beklagte habe die Dieselmotoren bewusst und zielgerichtet mit der streitgegenständlichen Software versehen, die Motoren unter Täuschung der zuständigen Zulassungs- und Prüfungsbehörden in den Verkehr gebracht und die Ahnungslosigkeit der Verbraucher ausgenutzt. Der Kläger habe wie jeder Käufer die selbstverständliche Erwartung gehabt, dass ein Fahrzeug, das mit der Schadstoffklasse Euro 5 in den Verkehr gebracht werde, diese Voraussetzungen auch wirklich und nicht nur aufgrund einer werkseitigen Softwaremanipulation erfülle. Das Fahrzeug sei für die Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr nicht geeignet und von einer Stilllegung bedroht gewesen. Als Beweggrund der Beklagten komme eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten hätten von dem Einsatz der Software Kenntnis gehabt, das Inverkehrbringen der jeweiligen Motoren veranlasst und die Schädigung der Kunden damit billigend in Kauf genommen. Es sei fernliegend, dass dem Vorstand oder Teilen desselben die manipulierte Funktion der Motorsteuerung sowie das Inverkehrbringen der gesetzwidrigen Fahrzeuge verborgen geblieben seien. Der Kläger hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er von der Software gewusst hätte.

Rz. 10

Das vom Kläger vorgetragene und der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legende Verhalten der Beklagten ist ihm gegenüber als objektiv sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB anzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 13 ff.; v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 12 f.; v. 27.7.2021 - VI ZR 698/20, juris Rz. 9 m.w.N.). Der Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen kaufte, ändert daran nichts (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 25; v. 18.5.2021 - VI ZR 452/19 VersR 2021, 1116 Rz. 10 m.w.N.). Angesichts des Tatvorwurfs durfte das Berufungsgericht von dem Kläger keinen näheren Vortrag dazu verlangen, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person ein entsprechendes sittenwidriges Verhalten an den Tag gelegt hat. Die Beklagte traf die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte (vgl. BGH vom 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 14 ff.; v. 20.7.2021 - VI ZR 633/20, WM 2021, 1657 Rz. 11 ff.; jeweils m.w.N.). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden, der nicht wegen des durchgeführten Software-Updates entfallen ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 44 ff., insb. Rz. 58; v. 18.5.2021 - VI ZR 452/19 VersR 2021, 1116 Rz. 12 f.; v. 20.7.2021 - VI ZR 633/20, WM 2021, 1657 Rz. 18), fällt nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB nicht an (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 24 m.w.N.; v. 18.5.2021 - VI ZR 452/19, juris Rz. 11).

III.

Rz. 11

Die angegriffene Entscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO) und daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

MDR 2022, 309

VRS 2021, 205

VersR 2022, 390

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