Leitsatz (amtlich)

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sog. Dieselfall.

 

Normenkette

BGB §§ 31, 826 Gd, § 826 H

 

Verfahrensgang

OLG Braunschweig (Urteil vom 19.03.2020; Aktenzeichen 7 U 173/19)

LG Braunschweig (Entscheidung vom 17.01.2019; Aktenzeichen 3 O 573/18 (050))

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Braunschweig vom 19.3.2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger erwarb im Juli 2015 von einem Autohaus einen gebrauchten Pkw Skoda Octavia zu einem Preis von 12.600 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der von der Beklagten hergestellt wurde. Die die Abgasrückführung steuernde Software erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird, und schaltete in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß. Die zuständige Zulassungsbehörde, die britische Vehicle Certification Agency (VCA), stufte diese Software daher als unzulässig ein. Mit Schreiben vom 5.5.2017 gab die VCA ein Software-Update für das streitgegenständliche Fahrzeug frei. Der Kläger ließ das Update im März 2018 durchführen.

Rz. 3

Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzgl. eines Vorteilsausgleichs für gezogene Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, zudem die Zahlung von Deliktszinsen, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten beantragt.

Rz. 4

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter mit Ausnahme der Anträge auf Zahlung von Deliktszinsen und auf Feststellung des Annahmeverzugs und mit der Maßgabe, dass er die vom Berufungsgericht (hilfsweise) vorgenommene Berechnung des Vorteilsausgleichs hinnimmt.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner unter BeckRS 2020, 24159 veröffentlichten Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Rz. 6

Die Beklagte hafte nicht aus §§ 826, 31 BGB, weil der darlegungspflichtige Kläger keinen konkreten Täter benannt habe. Der Tatbestand des § 826 BGB müsse jedoch von einer die wesensmäßigen Funktionen der juristischen Person selbständig und eigenverantwortlich wahrnehmenden Person vollständig verwirklicht worden sein. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten dafür bestehe nicht. Soweit der Kläger unter Zeugenbeweis vorgetragen habe, der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten und weitere namentlich benannte Mitarbeiter hätten jedenfalls vor Kaufvertragsabschluss des Klägers vom Einsatz der streitgegenständlichen Software gewusst, handele es sich um pauschale Vermutungen. Die Erhebung des Zeugenbeweises stelle deshalb eine unzulässige Ausforschung dar.

Rz. 7

Ferner fehle es an substantiiertem Vortrag des Klägers zu den Gesamtumständen, die zu einer die Annahme der Sittenwidrigkeit begründenden besonderen Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten gegenüber dem Kläger führen könnten. Dies gelte im Streitfall schon deshalb, weil die Beklagte nicht Herstellerin des Pkw Skoda und der Kläger auch nicht dessen Ersterwerber gewesen sei.

Rz. 8

Unabhängig davon habe der Kläger auch das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens nicht dargelegt. Zum einen liege der geltend gemachte Vermögensschaden außerhalb des Schutzzwecks des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007. Zum anderen habe der Kläger die von ihm gerügte Beeinträchtigung, nämlich das Vorhandensein der abgasbeeinflussenden Software, bereits durch die Installation des von der VCA freigegebenen Software-Updates beseitigen lassen.

II.

Rz. 9

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht verneint werden.

Rz. 10

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger auf der Grundlage des mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachvortrags des Klägers als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. im Einzelnen BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 16 ff., 21, 23). Dabei macht es keinen Unterschied, dass es vorliegend um ein Fahrzeugmodell einer Tochtergesellschaft der Beklagten (Skoda) geht, die Beklagte also nicht das Fahrzeug in den Verkehr gebracht, sondern den Motor hierfür hergestellt hat. Entscheidend ist, dass die Beklagte mit der Herstellung des Motors und der Programmierung der Motorsteuerungssoftware auch für die Fahrzeugmodelle ihrer Tochtergesellschaften (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 19) die Typgenehmigungsbehörde - je nach dem Kenntnisstand der Verantwortlichen der Tochtergesellschaften als mittelbare Täterin oder als Mittäterin/Teilnehmerin (§ 830 BGB) - arglistig getäuscht und sich die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer in die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zunutze gemacht hat (BGH, Urt. v. 11.5.2021 - VI ZR 80/20, juris Rz. 12).

Rz. 11

2. Die Revision wendet sich weiter mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein Anspruch aus § 826 BGB scheide bereits deshalb aus, weil der Kläger nicht hinreichend dargetan habe, dass der von ihm als Zeuge benannte damalige Vorstandsvorsitzende und weitere leitende Mitarbeiter der Beklagten, deren Handeln sich die Beklagte gem. § 31 BGB zurechnen lassen müsste, den deliktischen Tatbestand verwirklicht haben.

Rz. 12

a) Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 15; vom 30.7.2020 - VI ZR 367/19 ZIP 2020, 1763 Rz. 15; v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 35).

Rz. 13

Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 16; v. 30.7.2020 - VI ZR 367/19 ZIP 2020, 1763 Rz. 16; v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 37 ff. m.w.N.).

Rz. 14

b) Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Denn diese Fragen betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick des Klägers entziehen. Demgegenüber war der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar (vgl. BGH, Urt. v. 4.5.2021 - VI ZR 81/20 WM 2021, 1229 Rz. 16 f.; v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 19; vom 30.7.2020 - VI ZR 367/19 ZIP 2020, 1763 Rz. 19; v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 39 ff.).

Rz. 15

3. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann zudem der für einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden nicht verneint werden.

Rz. 16

a) Ein Schaden i.S.d. § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen (BGH, Urt. v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 21; v. 30.7.2020 - VI ZR 367/19 ZIP 2020, 1763 Rz. 21; vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 46 ff. m.w.N. = MDR 2020, 790 = VersR 2020, 988). Nach deren Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort.

Rz. 17

Der vom Kläger geltend gemachte Schaden liegt damit nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an (vgl. BGH, Urt. v. 4.5.2021 - VI ZR 81/20 WM 2021, 1229 Rz. 23; v. 26.1.2021 - VI ZR 405/19 ZIP 2021, 368 Rz. 24; v. 30.7.2020 - VI ZR 367/19 ZIP 2020, 1763 Rz. 23 f.).

Rz. 18

b) Der Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Software-Update wieder entfallen. Der gem. § 249 Abs. 1 BGB mit dem Vertragsschluss entstandene Anspruch des Klägers auf (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises erlischt nicht, wenn sich der (objektive) Wert oder Zustand des Fahrzeugs in der Folge aufgrund neuer Umstände wie etwa der Aufdeckung des verdeckten Sachmangels oder der Durchführung des Updates verändern. Der im Juli 2015 unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss, der im Rahmen des § 826 BGB zum Schaden in Form der ungewollten Verpflichtung führt, wird durch das im März 2018 durchgeführte Software-Update nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 58).

III.

Rz. 19

Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14709540

WM 2021, 1657

JZ 2021, 572

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