Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.11.1985)

LG Gießen (Urteil vom 18.01.1985)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. November 1985 aufgehoben und das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Gießen vom 18. Januar 1985 abgeändert.

Es wird festgestellt, daß das am 21. Februar 1984 zu UR-Nr. 40/84 des Notars Hans-Dieter K. in G. vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot (§ 8 a der Ergänzung des Gesellschaftsvertrags der Beklagten – UR-Nr. 139/93 des Notars Elmar Gr. in F.) unwirksam ist.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war seit 1978 Mitgesellschafter der 1977 gegründeten Beklagten, die sich auf dem Sektor der sogenannten Paketreiseveranstaltungen betätigt. Er hielt zuletzt 40 % des Stammkapitals und war Geschäftsführer der Beklagten. Der Kläger hat zu Lasten der Beklagten Steuerhinterziehungen und Unterschlagungen begangen. Nachdem diese Verfehlungen am 11. Februar 1984 aufgedeckt worden waren, beschloß die Gesellschafterversammlung am 21. Februar 1984, 18.00 Uhr, den Gesellschaftsvertrag vom 30. März 1983 durch folgenden § 8 a zu ergänzen.

  1. „Den Gesellschaftern ist es untersagt, unmittelbar oder mittelbar für eigene oder fremde Rechnung

    1. Geschäfte im Geschäftszweig der Gesellschaft zu tätigen,
    2. ein Konkurrenzunternehmen zu gründen, zu erwerben oder sich an einem solchen zu beteiligen,
    3. auf welche Weise auch immer für ein solches Unternehmen tätig zu werden oder es auf andere Weise zu unterstützen.

    Als Konkurrenzunternehmen oder als Geschäft im Geschäftszweig der Gesellschaft gelten alle Geschäfte, die sich mit der Vermittlung von Reiseleistungen jeglicher Art an Wiederverkäufer, Werbefahrtenveranstalter oder Vereine befassen.

    Die vorstehende Verpflichtung gilt auch innerhalb von drei Jahren nach Ausscheiden eines Gesellschafters.

  2. In jedem Fall der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsverbot hat der ausgeschiedene Gesellschafter eine Vertragsstrafe in Höhe von 10.000,– DM zu zahlen.

    Im Falle eines Dauerverstoßes (Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen für länger als einen Monat) ist die Vertragsstrafe für jeden angefangenen Monat neu verwirkt, in der Gesamthöhe jedoch auf 240.000,– DM begrenzt.”

Im Anschluß hieran wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen. Er verzichtete für den Fall seines Ausscheidens aus der Gesellschaft auf alle Ansprüche gegen die Gesellschaft und trat sodann mit notariellem Vertrag, beurkundet um 18.25 Uhr, seinen Geschäftsanteil von 20.000,– DM an den Mitgesellschafter T. ab. In der um 18.30 Uhr errichteten notariellen Urkunde erkannte der Kläger an, der Beklagten 76.000,– DM zu schulden, bestellte zur Sicherung eine Grundschuld und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung; inzwischen hat er eine Schuld in Höhe von 90.438,– DM anerkannt. Am 22. Februar 1984 verpflichtete sich der Kläger, der Beklagten die durch sein Ausscheiden und durch die erforderliche Überprüfung entstandenen und entstehenden Kosten zu ersetzen. In dieser Erklärung heißt es weiter, durch die Aufnahme einer Angestelltentätigkeit werde die Konkurrenzschutzklausel des Gesellschaftsvertrags „nicht berührt”. Außerdem wurde zwischen den Parteien ein bis zum 21. August 1984 befristeter Arbeitsvertrag geschlossen, nach welchem der Kläger als kaufmännischer Angestellter 4.000,– DM brutto im Monat erhalten sollte. Auf seinen Wunsch wurde das Arbeitsverhältnis zum 20. Mai 1984 beendet.

Der Kläger war von Juni 1984 an bei der PR To. GmbH beschäftigt, die sich ebenfalls mit dem Paketreiseservice befaßt. Im Februar 1985 gründete er die Firma „Touristik-Werbeteam Heinrich S.”.

In einem bei dem Landgericht Gießen anhängigen und derzeit ausgesetzten Rechtsstreit macht die Beklagte für die Zeit vom 1. Juli 1984 bis 28. Februar 1985 insgesamt 80.000,– DM Vertragsstrafe gegen den Kläger geltend. Dieser hält das Wettbewerbsverbot für unwirksam. Er hat in dem vorliegenden Rechtsstreit beantragt festzustellen, daß das mit Vertrag vom 21. Februar 1984 vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot dem Kläger gegenüber unwirksam ist.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das in § 8 a des Gesellschaftsvertrages vom 21. Februar 1984 enthaltene Wettbewerbsverbot ist gemäß § 138 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG nichtig, soweit es die Tätigkeit des Klägers nach seinem Ausscheiden als Gesellschafter der Beklagten betrifft.

a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats darf ein im Gesellschaftsvertrag festgelegtes nachvertragliches Wettbewerbsverbot den Verpflichteten in der Berufsausübung nicht übermäßig beschränken und damit nicht über die schützenswerten Interessen des Begünstigten hinausgehen. Der danach vorzunehmende Interessenausgleich erfordert eine umfassende Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch die Berücksichtigung des Zwecks, der mit der Vereinbarung des Wettbewerbsverbots verfolgt wird. Das gilt sowohl für den Gegenstand des Wettbewerbsverbots als vor allem auch für die zeitliche Dauer und den örtlichen Bereich (Sen.Urt. v. 19.11.1973 – II ZR 52/72, WM 1974, 74, 76; vgl. ferner BGHZ 91, 1, 5 m.w.N.). Bei Wettbewerbsverboten, die im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung unter Gesellschaftern stehen, ist für die Abwägung auch von besonderer Bedeutung, daß in der Auseinandersetzungsabfindung regelmäßig der wirtschaftliche Wert des Wettbewerbsverbots mit einkalkuliert ist (vgl. BGH, Urt. v. 9.11.1973 – I ZR 83/72, WM 1974, 253, 254).

b) Mit diesen Grundsätzen ist § 8 a des Gesellschaftsvertrages vom 21. Februar 1984 nicht vereinbar.

Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot wurde zu dem Zeitpunkt in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen, als die Straftaten des Klägers aufgedeckt worden waren. Vor diesem Zeitpunkt hielten die Gesellschafter eine solche Regelung offenbar für entbehrlich. Wie die Beklagte selber vorträgt, wurde eine „Gesamtmaßnahme” getroffen, um dem Kläger die strafrechtliche Verfolgung zu ersparen. Der Kläger wurde als Geschäftsführer abberufen, schied als Gesellschafter aus, mußte seine Schadensersatzpflicht anerkennen, sich der Zwangsvollstreckung in sein Vermögen unterwerfen und seine Schuld durch die Bestellung einer Grundschuld sichern. Er mußte außerdem seinen Gesellschaftsanteil unentgeltlich an den Mehrheitsgesellschafter Tank abtreten und auf alle Ansprüche gegen die Gesellschaft verzichten, also auch auf seinen Abfindungsanspruch, den er auf über 200.000,– DM beziffert, was die Beklagte allerdings bestreitet. Endlich mußte er ein bis dahin nicht bestehendes Wettbewerbsverbot hinnehmen. Die „Gesamtmaßnahme” war zweifelsfrei durch schützenswerte Interessen der Beklagten gedeckt, soweit sie darauf gerichtet war, den angerichteten Schaden einzudämmen, seine Wiedergutmachung sicherzustellen und die gesellschaftsrechtliche Zusammenarbeit einvernehmlich zu beenden. Dagegen ist das Wettbewerbsverbot, so wie es sich in die „Gesamtmaßnahme” einfügt, durch schützenswerte Interessen der Beklagten nicht mehr gedeckt. Der Verzicht des Klägers auf alle Ansprüche gegen die Gesellschaft hatte zur Folge, daß er nicht nur jeden Anspruch gegen die Beklagte verlor, sondern diese ihm auch den wirtschaftlichen Wert des Wettbewerbsverbots nicht ersetzen muß. Damit wurden dem Kläger unter Ausnutzung seiner Zwangslage einseitig Pflichten auferlegt, die ausschließlich zu seinen Lasten gehen. Zudem beschränkt ihn das Wettbewerbsverbot übermäßig in seiner Berufsausübung. Es greift tief in seine berufliche und private Existenz ein. Zwar ist es gegenständlich und zeitlich begrenzt; eine örtliche Beschränkung auf eine bestimmte Region enthält es jedoch nicht. Dadurch wurde es dem Kläger unmöglich gemacht, innerhalb von drei Jahren im Bereich des Paketreisedienstes, auf den er sich spezialisiert hat, tätig zu werden. Dies gilt auch für eine Tätigkeit als Angestellter Sie wird von dem gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbot erfaßt. Aus der Erklärung vom 22. Februar 1984 kann sich schon deshalb nichts Gegenteiliges ergeben, weil der Gesellschaftsvertrag hierdurch nicht wirksam geändert werden konnte. Der Kläger hätte demnach spätestens ab September 1984 versuchen müssen, zunächst in einer anderen Sparte des Reisegewerbes unterzukommen. Dies hätte es ihm angesichts des absehbaren Einkommensverlustes ganz beträchtlich erschwert, gleichzeitig für seinen sowie den Unterhalt seiner Familie zu sorgen und seinen im Zusammenhang mit der Aufdeckung seiner Straftaten gegenüber der Beklagten übernommenen Verpflichtungen nachzukommen. Eine derartige einseitige Beschränkung der Freiheit der Berufsausübung ist unvertretbar und verstößt gegen die guten Sitten.

 

Unterschriften

Dr. Bauer, Bundschuh, Richter am Bundesgerichtshof Brandes kann infolge Urlaubs nicht unterschreiben. Dr. Bauer, Dr. Hesselberger, Röhricht

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1237625

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