Leitsatz (amtlich)

1. In einem vor dem Zusammenbruch abgeschlossenen Anstellungsvertrag konnte ein Entlassungsverbot nicht für eine Arbeitsbehinderung vereinbart werden, die sich erst aus den Entnazifizierungsbestimmungen der Besatzungsmächte ergab.

2. Wenn die Organe der AG funktionsunfähig sind, darf der alleinige Aktionär eine notwendig gewordene fristlose Kündigung des Vorstandes aussprechen.

3. Zur fristlosen Kündigung des Vorstandes einer AG können auch von diesem nicht verschuldete Gründe berechtigen.

4. Der frühere Vorstand einer AG, der wegen seiner seine Weiterbeschäftigung hindernden früheren Zugehörigkeit zur NSDAP entlassen worden ist, kann Ruhegehaltsansprüche nicht daraus herleiten, daß die AG Ihn während des nationalsozialistischen Regimes angestellt hatte, um seine damalige politische Stellung für sich auszunutzen.

5. Er kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit Pensionsansprüche daraus herleiten, daß er durch Kriegsdienst an der Leistung wesentlicher Arbeit für die AG gehindert war, daß er nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft Not gelitten und Inzwischen nur eine kleine Anstellung gefunden hat.

 

Normenkette

AktG § 75; BGB §§ 242, 626

 

Tenor

Der Kläger war ab 1. Oktober 1939 Vorstand der Beklagten, einer Aktiengesellschaft, deren alleiniger Aktionär das Land X. war. Er war seit dem 1. November 1922 bei der Firma H. angestellt und dort seit 1927 an verschiedenen Stellen als erster Kaufmann tätig. Der NSDAP gehörte er seit 1931 an und war von Herbst 1934 bis Anfang 1937 als stellvertretender Gauwalter der DAF tätig; während dieser Zeit war er von der H. beurlaubt. Als er von der Beklagten angestellt wurde, war er 33 Jahre alt Der Anstellungsvertrag vom 19./26. Juli 1919 sah für ihn alsbald ein Ruhegeld vor Der Kläger wurde nach etwa zweimonatiger Tätigkeit bei der Beklagten zum Wehrdienst eingezogen. Mit Schreiben vom 21. Juni 1945 kündigte der durch Verfügung der französischen Militärregierung vom 13. Mai 1945 mit der vorläufigen Finanzverwaltung des Landes X beauftragte Ministerialrat B. dem Kläger das Anstellungsverhältnis mit sofortiger Wirkung Für das Kündigungsschreiben wurde ein Briefbogen mit dem Kopf: Finanz- und Wirtschaftsminister des Landes X. verwendet, auf dem in Schreibmaschine unter das Datum noch die Firma der Beklagten gesetzt war. Das Kündigungsschreiben berief sich darauf, daß der damalige Reichsstatthalter von X. den Kläger auf Grund seiner Zugehörigkeit zur NSDAP vor 1933 für besonders geeignet für die Stellung gehalten habe, und sagte, daß die Kündigung in Vollzug der Anweisung der französischen Militärregierung an alle deutschen Regierungsbehörden (Amtsbl Baden Nr. 3 v. 14.6.45, S 3) ausgesprochen werde. Der Kläger war bei Eingang dieses Schreibens noch in Kriegsgefangenschaft, aus der er Ende September 1945 entlassen wurde.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, weil Ministerialrat B. zu ihr nicht berechtigt gewesen sei, die im Kündigungsschreiben angezogene Vorschrift der Militärregierung nur auf Behördenangestellte anwendbar sei und Parteizugehörigkeit keinen Kündigungsgrund darstelle. Er ist der Ansicht, daß der Vertrag mangels Kündigung ausgelaufen sei und er deshalb die vereinbarten Pensionsrechte habe.

Er verlangt nunmehr 6.830 DM Ruhegehalt für 1950 und 1951 unter Aufrechterhaltung der Ansprüche für die frühere Zeit. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

 

Gründe

I.

Dem Kläger stehen vertragliche Pensionsrechte nicht zu.

1. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß eine die Weiterbeschaftigung hindernde Zugehörigkeit zur NSDAP einen wichtigen Grund zur Kündigung abgab (u.a. BGHZ 8, 363, 12, 339). Diese Voraussetzung war gegenüber dem Kläger gegeben, da im Jahre 1945 ungewiß war, wie lange er durch seine Parteizugehörigkeit an der Ausübung seines Dienstes als Vorstand der Beklagten gehindert sein würde – er wurde erst durch Spruchbescheid vom 16. Februar 1949 als Mitläufer eingestuft –, und angesichts seiner politischen Belastung für das Unternehmen, das im Eigentum der öffentlichen Hand steht, untragbar war.

Es mag sein, daß der Kläger zur Erläuterung dessen, was nach dem Vertrage wichtiger Grund sein sollte, darauf hingewiesen worden ist, daß er keine silbernen Löffel stehlen dürfe. Selbst wenn diese Erläuterung Vertragsinhalt geworden wäre, so schlösse das eine Kündigung wegen der durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP eingetretenen Behinderung zur Arbeitsleistung nicht aus. Denn das Recht einer Aktiengesellschaft zu fristloser Entlassung ihrer Vorstandsmitglieder kann im Hinblick auf § 75 Abs. 3 AktG im voraus weder ausgeschlossen noch auf bestimmte Gründe beschränkt werden. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 28. Januar 1953 – II ZR 265/51 (BGHZ 8, 361) – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Lehrmeinung ausgesprochen.

Wenn aber, wie der Kläger behauptet, bei Vertragsschluß gar nicht damit gerechnet worden ist, daß er einmal wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP an der Ausübung seines Amtes gehindert sein und deshalb entlassen werden könnte, so kann überhaupt nicht vereinbart worden sein, daß er aus dem genannten Grunde nicht fristlos entlassen werden dürfe. Ein solches Entlassungsverbot konnte auch gar nicht für eine Arbeitsbehinderung vereinbart werden, die sich erst aus den Entnazifizierungsbestimmungen der Besatzungsmächte ergab. Denn das Gegenteil annehmen, hieße einer Parteivereinbarung die Macht geben, Besatzungsrecht von vornherein für sich unanwendbar zu machen, und das ist schlechthin ausgeschlossen.

2. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die Kündigung für die Beklagte ausgesprochen worden ist, denn die Beklagte ist auf dem Kündigungsschreiben als Absenderin vermerkt, und dem Kläger wurde sein Anstellungsverhältnis zur Beklagten gekündigt.

3. Ministerialrat B. war zur Wahrnehmung der Rechte der Beklagten berechtigt. Die Organe der Beklagten waren im Jahre 1945 funktionsunfähig, die Mitglieder des Aufsichtsrats waren zur Untätigkeit verurteilt, eine Hauptversammlung konnte nicht einberufen werden, und das Registergericht war zur Bestellung eines Notaufsichtsrats (§ 89 AktG) wegen Stillstands der Rechtspflege außerstande. Aus Anlaß ähnlicher Fälle hat der Senat bereits mehrfach ausgesprochen (BGHZ 12, 339/40; Urt v. 8.5.54 – II ZR 235/53), daß der Alleinaktionär eine notwendig gewordene fristlose Kündigung von Vorstandsmitgliedern aussprechen darf, wenn die Organe der Gesellschaft funktionsunfähig sind Das gilt auch für die Beklagte.

Daß aber Ministerialrat B. zur Vertretung des alleinigen Aktionärs befugt war, kann nach der Verfügung der französischen Militärregierung vom 13. Mai 1945 durch die er mit der vorläufigen Finanzverwaltung des Landes X. beauftragt wurde, nicht bezweifelt werden und ist auch vom Kläger nicht ernstlich in Zweifel gezogen worden.

4. Daß die Kündigung „in Vollzug der Anweisung der französischen Militärregierung an alle deutschen Regierungsbehörden (Amtsbl Baden Nr. 3 v. 14.6.45 S 3)” ausgesprochen wurde und ob diese Anweisung nur für Behördenangestellte oder auch für Vorstandsmitglieder eines von der öffentlichen Hand betriebenen wirtschaftlichen Unternehmens gilt, ist unerheblich. Denn es ist klar, daß dem Kläger werfen der durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP bedingten Verhinderung, sein Amt vorerst weiter auszuüben gekündigt wurde, und es bedurfte keiner Entlassungsanordnung der Besatzungsmächte, um die ausgesprochene Kündigung berechtigt erscheinen zu lassen. Darum kommt es auch nicht darauf an, ob diese französische Anordnung oder das am Sitz der Gesellschaft geltende amerikanische Besatzungsrecht galt.

5. Die fristlose Entlassung setzte ein Verschulden des Klägers nicht voraus. Auch unverschuldete Gründe berechtigen zur jederzeitigen Auflösung des Anstellungsvertrages mit einem Vorstandsmitglied. Das ist allseits anerkannt und ständige Rechtsprechung.

6. Zweifel können bestehen, ob die Kündigung gleich bei ihrem Eingang in der Wohnung des Klägers oder erst bei seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft wirksam geworden ist. Aber diese Frage braucht nicht entschieden zu werden, da der Kläger Ansprüche erst für eine Zeit lange nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft geltend macht Es ist daher für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblich, in welchem Zeitpunkt die Kündigungserklärung wirksam geworden ist.

7. Im Hinblick auf die Vertragsfreiheit kann vereinbart werden, daß Ruhegehalt auch bei unverschuldeter fristloser Kündigung gewährt werden soll. Der Vertrag vom 19./26. Juli 1939 schließt das vereinbarte Ruhegehalt bei fristloser Kündigung aus § 626 BGB mit Ausnahme des Falles der Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung aus. Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, den Vertrag ergänzend dahin auszulegen, daß das Ruhegehalt auch bei fristloser Entlassung des Klägers wegen auf seiner Parteizugehörigkeit beruhender Dienstbehinderung habe gewährt werden sollen. Diese Erwägung liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, ist also der Beurteilung des Revisionsgerichts nicht zugänglich, und steht in rechtlicher Hinsicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 12, 342).

Das vom Berufungsgericht gewonnene Auslegungsergebnis kann nicht auf dem Wege des § 242 BGB umgestoßen werden.

Diese Vorschrift berechtigt auch nicht dazu, dem Kläger in einem Falle, der die vereinbarte Pension nicht auslöste, den vertraglichen Pensionsanspruch deshalb zu geben, weil er [Kläger] von der Beklagten aus seinem Dienstverhältnis mit der Firma H. „geholt” worden sei, um als Nationalsozialist diejenigen Widerstande niederkämpfen zu können, die ihr aus der Herrschaft des Nationalsozialismus erwachsen waren. Denn der Kläger kann die Beklagte nicht daran festhalten, daß sie ihn zu sich „holte”, um seine Eigenschaft als alter Pg für sich auszunutzen, weil er auf diese Weise noch heute Vorteile aus seiner nationalsozialistischen Einstellung herleiten würde.

Vertragliche Ruhegehaltsansprüche sind dem Kläger daher zu Recht versagt worden.

II.

Aber auch aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit stehen dem Kläger keine Pensionsrechte zu.

Der Kläger war erst 33 Jahre alt, als er den Anstellungsvertrag bei der Beklagten erhielt. In seiner Stellung bei der Firma H. hatte er noch keine Pensionsrechte, sondern bloß eine Pensionserwartung an deren Pensionskasse, die sich erst dann zum Pensionsanspruch verdichtete, falls er bis zur Dienstunfähigkeit oder bis zur Erreichung der Altersgrenze in den Diensten der H. geblieben wäre. Der Kläger hat also durch seinen Übertritt zur Beklagten keine ihm bereits erwachsenen Pensionsansprüche aufgegeben. Im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger und seinem Amtsnachfolger bei der Beklagten hat er alsbald, ohne Probezeit und ohne Bewährung einen Pensionsvertrag erhalten. Das war mindestens bei der Beklagten ungewöhnlich. Der Kläger ist befähigt und war bei Ausspruch der Kündigung und seitdem arbeitsfähig. Das alles hat das Berufungsgericht rechtlich einwandfrei festgestellt. Alle diese Umstände stehen der Anerkennung einer aus Billigkeitsgründen zuzusprechenden Pension entgegen. Der Senat hat aus Billigkeitsgründen ein Ruhegehalt nur da gewährt, wo der Betroffene wertvolle Arbeit für das Unternehmen geleistet, seine Arbeitskraft während der Anstellung im Interesse des Unternehmens aufgebraucht hatte oder infolge Alters oder Krankheit kaum noch imstande war, anderwärts eine Lebensstellung mit ausreichendem Einkommen zu finden. Der Kläger kann für sich lediglich ins Feld führen, daß er durch seinen Kriegsdienst verhindert war, wesentliche Arbeit für die Beklagte zu leisten, daß er nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft Not gelitten und inzwischen nur eine kleine Anstellung gefunden habe. Das sind jedoch, wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt, keine Gründe, die sich von zahllosen anderen Schicksalen unterscheiden und die ihn berechtigten, unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit Ruhegehalt zusätzlich zu einem selbstverdienten Arbeitseinkommen zu beanspruchen.

Die von der Revision angeschnittene Frage, ob der Kläger bei Erreichung des 65. Lebensjahres oder bei Eintritt seiner Dienstunfähigkeit gegenüber der Beklagten pensionsberechtigt ist, hatte das Revisionsgericht nicht zu entscheiden, da ein diesbezüglicher Feststellungsantrag in den Tatsacheninstanzen nicht gestellt worden ist. Da der Kläger anwaltlich vertreten war und jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, daß er einen solchen Feststellungsantrag irrtümlich unterlassen haben könnte, trifft das Berufungsgericht nicht der Vorwurf der Revision, es hätte die Stellung eines solchen Antrages anregen müssen. Von einer Verletzung des § 139 ZPO kann keine Rede sein.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1776298

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge