Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung anwaltlicher Beratungspflicht. Aussichtsloser Mahnbescheidsantrag trotz beantragtem Konkursverfahren. Schadensersatzanspruch wegen nutzlos aufgewandter Kosten

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Beratungspflicht des Rechtsanwalts, der für seinen Mandanten einen Mahnbescheid beantragt, wenn gegen den Schuldner bereits ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt ist.

 

Normenkette

BGB § 675

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 21.01.2003)

AG Quedlinburg

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Magdeburg v. 21.1.2003 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kauffrau B. M. war persönlich haftende Gesellschafterin verschiedener Kapitalanlagegesellschaften, deren Firmen sich nur durch eine fortlaufende Nummerierung unterschieden. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten sich i. H. v. 617.500,00 DM an der "S. M. -H. KG" beteiligt. Nachdem gegen die M. -Gesellschaften Konkursantrag gestellt und vom Konkursgericht die Sequestration angeordnet worden war, beantragte der verklagte Rechtsanwalt im Auftrag der Klägerin und ihres Ehemannes (im Folgenden: Mandanten) am 3.2.1998 den Erlass eines Mahnbescheides gegen die "4./6./7. M. -H. KG". Für den Fall des Widerspruchs beantragte er die Durchführung des streitigen Verfahrens. Der Mahnbescheid wurde am 27.2.1998 erlassen und am 4.3.1998 an M. zugestellt. Am 6.3.1998 legte diese Widerspruch ein, wobei sie im Anschriftenfeld "4./6./7. MHKG" anführte und im Betreff den Antragsgegner als "M. -H KG's" bezeichnete. Den Mandanten entstanden Gerichts- und Anwaltskosten von insgesamt 9.614,75 DM. Am 17.3.1998 wurden die Konkursverfahren über die Vermögen der drei erwähnten Kommanditgesellschaften eröffnet.

Der Rechtsschutzversicherer der Mandanten erstattete diesen die Kosten des Mahnverfahrens und trat die auf ihn übergegangenen Ansprüche der Mandanten an die Klägerin ab.

Diese hat den Beklagten aus dem abgetretenen Recht auf Schadensersatz von - umgerechnet - 4.915,94 Euro in Anspruch genommen. Das AG hat die Klage abgewiesen; das LG hat ihr stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils erster Instanz.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung in der geltend gemachten Höhe zu. Der Beklagte habe seine anwaltlichen Pflichten verletzt, indem er einen Mahnbescheid gegen eine nicht existente Person beantragt habe. Welche Gesellschaft in Wirklichkeit gemeint gewesen sei, habe nicht festgestellt werden können. Durch diese Pflichtverletzung sei den Mandanten ein Schaden in Höhe der für eine nutzlose Leistung aufgewandten Kosten entstanden. Eine kostenneutrale Korrektur des anwaltlichen Fehlers sei nicht möglich gewesen. Das Rubrum habe nicht berichtigt werden können. Vielmehr hätte eine Klageänderung vorgenommen werden müssen, die sich wie eine Klagerücknahme ausgewirkt hätte. Damit hätten die Mandanten in jedem Fall für die entstandenen Gerichtskosten entsprechend § 269 Abs. 3 ZPO einstehen müssen. Auch die anwaltlichen Gebühren und Kosten seien als adäquat verursachter Schaden anzusehen. Ob die durch eine Klageänderung neu entstehenden Gebühren mit den im Mahnverfahren angefallenen hätten verrechnet werden können, sei unerheblich.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Vorab ist klarzustellen, dass die Klägerin aus zweifach übergegangenem Recht vorgeht. Zunächst waren Schadensersatzforderungen der Klägerin und ihres Ehemannes aus dem Mandatsverhältnis mit dem Beklagten kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 2 S. 1 ARB, § 17 Abs. 8 ARB 94 i. V. m. § 67 Abs. 1 S. 1 VVG; vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl., § 2 ARB Rz. 27; § 20 ARB Rz. 13) auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen. Dieser gesetzliche Forderungsübergang betrifft nicht nur berechtigte Rechtsverfolgungskosten wegen eines Schadens, sondern auch solche Kosten, die zur Rechtsverfolgung nicht nützlich oder erforderlich waren, sich also im Verhältnis des Versicherungsnehmers zu dem von ihm eingeschalteten Rechtsanwalt selbst als Schaden darstellen, vom Rechtsschutzversicherer aber ausgeglichen worden sind. Die auf den Rechtsschutzversicherer übergegangenen Ansprüche hat dieser sodann an die Klägerin (zurück-)übertragen.

Die in den Vorinstanzen aufgestellte Behauptung des Beklagten, die Rückübertragung sei in Schädigungsabsicht erfolgt, hat die Revision nicht aufgegriffen. Für sie ist auch kein Anhalt ersichtlich.

2. Die Revision wendet sich nicht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe durch die fehlerhafte Angabe des Schuldners in dem Antrag auf Erlass des Mahnbescheides seine anwaltlichen Pflichten verletzt. Ob ihrer Auffassung, unter Zugrundelegung der Differenztheorie habe dieser Anwaltsfehler keinen Schaden verursacht, weil die durch das Mahnbescheidsverfahren verursachten Kosten in derselben Höhe auch bei ordnungsgemäßem Antrag entstanden wären und die Mandanten des Beklagten durch Fortsetzung eines ordnungsgemäß eingeleiteten Mahnverfahrens - wegen der Eröffnung der Konkursverfahren (§ 240 ZPO) - keinen Vollstreckungstitel mehr erlangt hätten, mag dahinstehen. Die Revision kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Beklagte - worauf die Revisionserwiderung mit Recht hinweist - zu dem Zeitpunkt, in dem er den Mahnbescheid beantragte, einen solchen Antrag nicht mehr hätte stellen dürfen, also auch nicht gegen die richtige Antragsgegnerin. Unter diesem Gesichtspunkt kann das angefochtene Urteil gehalten werden, weil die Klägerin ihn schon in den Tatsacheninstanzen vorgetragen hat.

a) Am 3.2.1998 musste der Beklagte Mandanten, die einen Anspruch gegen die Vierte, Sechste oder Siebte M. -H. KG besaßen, in jedem Falle abraten, einen Mahnbescheid gegen eine dieser Gesellschaften zu beantragen. Es lag auf der Hand, dass durch eine solche Maßnahme lediglich unnötige Kosten verursacht wurden.

Nach dem eigenen Vortrag des Beklagten waren zu diesem Zeitpunkt längst Konkursanträge gegen die genannten Gesellschaften gestellt. Es war auch bereits die Sequestration angeordnet worden. Ob die Konkursverfahren eröffnet werden würden, hing - wie der Beklagte in einem an alle "M. -Geschädigten" (auch an die Klägerin und ihren Ehemann) gerichteten Schreiben v. 19.12.1997 ausführte - davon ab, ob der Sequester genügend Geld vorfinden würde, damit die Kosten der Konkursverfahren gedeckt waren.

Bereits dieser Umstand musste einen verantwortungsbewussten Rechtsanwalt veranlassen, von einem gerichtlichen Vorgehen gegen eine der in Betracht kommenden Schuldner-Gesellschaften abzuraten. Da die Konkursverfahren bereits etwa ein halbes Jahr zuvor beantragt worden waren, war mit alsbaldigen Entscheidungen des Konkursgerichts über die Eröffnung zu rechnen. Tatsächlich ergingen diese circa 6 Wochen später. Es war schon ganz unwahrscheinlich, dass bis dahin ein Vollstreckungstitel erreichbar sein würde. Noch unwahrscheinlicher war eine erfolgreiche Vollstreckung. Die Entscheidungen über die gestellten Konkursanträge mussten sich, wie sie auch immer lauteten, für die Antragsteller der Mahnverfahren negativ auswirken. Wurden die Konkursverfahren eröffnet, führte dies zur Unterbrechung noch laufender Mahnverfahren (§ 240 ZPO); aus etwa bereits titulierten Forderungen konnte bis zum Abschluss der Konkursverfahren nicht vollstreckt werden, und danach war es höchst unsicher, ob den Forderungen noch ein wirtschaftlicher Wert beizumessen war. Ggf. war ein Auszug aus der Konkurstabelle ein geeigneter - und wesentlich billiger zu erlangender - Vollstreckungstitel. Wurden die Konkursverfahren mangels Masse nicht eröffnet, fehlte es an liquidem Vermögen. In einem solchen Fall auf angebliche Forderungen der Gesellschaften gegen ausländische Schuldner "in Millionenhöhe" zugreifen zu können, war eine durch nichts belegte vage Hoffnung.

Selbst wenn es der Klägerin und ihrem Ehemann gelungen wäre, bis zur Eröffnung der Konkursverfahren einen Vollstreckungstitel zu erwirken und erfolgreich daraus zu vollstrecken, musste der Beklagte damit rechnen, dass nach einer Verfahrenseröffnung der Konkursverwalter diesen Erwerb wirksam anfechten würde. Die Voraussetzungen der Konkursanfechtung nach § 30 Nr. 2 KO hätten offensichtlich vorgelegen (vgl. BGH v. 9.9.1997 - IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309 [311] = MDR 1997, 1140).

Da der Erwerb, so er denn überhaupt erreichbar erschien, mit größter Wahrscheinlichkeit nicht von Bestand sein würde, hätte der Beklagte davon abraten müssen, jetzt noch Kosten aus einem Streitwert von 617.500 DM in ein gerichtliches Verfahren zu investieren.

b) Den allein sinnvollen Rat, bis zur Entscheidung über die Anträge auf Eröffnung der Konkursverfahren kein Geld mehr für gerichtliche Verfahren - und seien es auch nur Mahnverfahren - auszugeben, hat der Beklagte den Mandanten nicht erteilt. Das Schreiben v. 19.12.1997, in dem der Beklagte den Mitgliedern der Interessengemeinschaft der "M. -Geschädigten" nahe legte, mit Mahnbescheidsanträgen vorzugehen, und sich für die Ausführung empfahl, stellte die Vorteile und Risiken dieses Vorgehens schon damals nicht zutreffend dar. Erst recht gilt dies für den späteren Zeitpunkt, als der Beklagte den Auftrag der Klägerin und ihres Ehemannes erhielt, nunmehr für sie einen Mahnbescheid zu beantragen.

c) Dieses Verhalten stellt, falls bereits ein Mandatsverhältnis bestanden haben sollte, eine - schuldhafte - positive Vertragsverletzung dar, andernfalls ein Verschulden bei der Vertragsanbahnung.

d) Das Verhalten des Beklagten war für den Schaden kausal. Die Klägerin hat behauptet, wären sie und ihr Ehemann ordnungsgemäß aufgeklärt worden, hätten sie von einer Beauftragung des Beklagten abgesehen. Dieser Vortrag ist dahin zu verstehen, dass sie auch einen bereits erteilten Auftrag zurückgenommen hätten, wenn der Beklagte sie über dessen Zweckmäßigkeit zutreffend beraten hätte. Dem Vortrag der Klägerin ist der Beklagte - soweit ersichtlich - nicht entgegengetreten. Davon abgesehen wird er nach den Regeln des Anscheinsbeweises erhärtet. Für ihn spricht die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens (BGH v. 30.9.1993 - IX ZR 73/93, BGHZ 123, 311 [315 ff.] = MDR 1994, 211; Urt. v. 22.2.2001 - IX ZR 293/99, BGHReport 2001, 434 = WM 2001, 741 [744]).

e) Gegen die Höhe des Schadens sind keine Bedenken vorgebracht worden. Schadensmindernd hätte es sich auswirken können, falls dem Beklagten eine Gebühr für die Beratung der Klägerin und ihres Ehemannes zugestanden hätte. Dazu fehlt es an hinreichendem Vortrag.

 

Fundstellen

DB 2004, 1612

Inf 2004, 252

BGHR 2004, 564

EBE/BGH 2004, 3

EBE/BGH 2004, 75

IBR 2004, 203

JurBüro 2004, 513

WM 2004, 481

ZAP 2004, 531

AnwBl 2004, 661

MDR 2004, 572

VersR 2004, 738

ZVI 2004, 83

BRAK-Mitt. 2004, 74

JWO-VerbrR 2004, 81

KammerForum 2004, 142

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge