Leitsatz (amtlich)

Grundsätze der Verfassung sind nicht verletzt, wenn Versorgungsanwartschaften, die richterrechtlich unverfallbar sind und auf verbindlichen Versorgungszusagen beruhen, in die Insolvenzsicherung einbezogen werden.

 

Normenkette

BetrAVG § 7

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 07.08.1985)

LG Köln

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 7. August 1985 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Das Oberlandesgerichts Köln hat durch Urteil vom 4. Juli 1979 – 17 U 45/78 – ein Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16. Dezember 1977 – 8 Ca 7494/77 – aufrechterhalten, durch das der Pensionssicherungsverein (PSV) als Träger der Insolvenzsicherung verurteilt worden war, dem Beklagten dieses Verfahrens ab 1. Juli 1977 eine Rente von monatlich 1340 DM zu zahlen. Dem Beklagten war die Pensionszusage am 10. Mai 1953 verbindlich und ohne Widerrufsvorbehalt erteilt worden. Er war dann zwar schon vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes (22. Dezember 1974) Unternehmer geworden und dadurch aus der arbeitnehmerähnlichen Stellung im Sinne des § 17 BetrAVG ausgeschieden, so daß er – wie unterstellt wurde – nach § 26 BetrAVG eine gemäß § 1 BetrAVG unverfallbare Anwartschaft, für die der PSV nach dem Insolvenzfall vom 10. Februar 1977 aufgrund von § 7 Abs. 2 BetrAVG hätte einstehen müssen, nicht erlangt hat; der Beklagte besaß aber, als er aus der Arbeitnehmerstellung ausschied, eine Anwartschaft, die nach den vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätzen bereits unverfallbar geworden war, und der Senat hatte in seinem, zwischen denselben Parteien ergangenen Urteil vom 16. Juni 1980 (II ZR 195/79, LM BetrAVG Nr. 2) den § 7 Abs. 2 BetrAVG auf diese Anwartschaft entsprechend angewandt.

Mit der Begründung, das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluß vom 19. Oktober 1983 (BVerfGE 65, 196 = WM 1984, 107) eine solche Auslegung des § 7 Abs. 2 BetrAVG für verfassungswidrig erklärt, hat der PSV Vollstreckungsgegenklage mit dem Ziel erhoben, die Vollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts i.V.m. dem des Oberlandesgerichts Köln für unzulässig zu erklären; er beantragt ferner, den Beklagten zu verurteilen, die vollstreckbaren Ausfertigungen der Urteile herauszugeben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das Berufungsgericht hat zu der Frage, ob es gegen Grundsätze der Verfassung verstößt, wenn kraft Richterrechts unverfallbare Versorgungsanwartschaften der Insolvenzsicherung des § 7 BetrAVG unterworfen werden, nicht Stellung genommen. Es hat der Vollstreckungsgegenklage nicht stattgegeben, weil die Voraussetzungen des § 95 Abs. 3 i.V.m. § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht vorlägen. Nach diesen Bestimmungen sei § 767 ZPO entsprechend anwendbar, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz für nichtig erkläre, nicht aber, wenn es – wie in dem von ihm entschiedenen Falle – eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende richterliche Rechtsfortbildung für unvereinbar mit der Verfassung halte und ein Urteil deshalb aufhebe. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die von der Revision gegen diese Ausführungen vorgebrachten Einwände zutreffen; denn das Urteil, dessen Vollstreckbarkeit der PSV für unzulässig erklärt haben will, ist nicht verfassungswidrig, so daß die Klage schon aus diesem Grunde keinen Erfolg haben kann.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechende Anwendung des § 7 BetrAVG in einem Falle für verfassungswidrig erklärt, der mit dem vorliegenden nicht vergleichbar ist. In dem Falle, mit dem es befaßt war, ging es um den Widerruf einer nach der Satzung einer Unterstützungskasse unverbindlichen Versorgungszusage, aus der das Bundesarbeitsgericht einen nicht mehr frei widerrufbaren Versorgungsanspruch hergeleitet und dann zusätzlich den strengen Widerrufsvoraussetzungen des Betriebsrentengesetzes (§ 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG) unterworfen hatte. Das Bundesverfassungsgericht billigt zwar, daß bei Unterstützungskassen die Klausel „Ausschluß des Rechtsanspruchs” in ein an sachliche Gründe gebundenes Widerrufsrecht umgedeutet wird, sieht aber die Verfassungsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes verletzt, wenn der Widerruf zusätzlich dadurch erschwert wird, daß für ihn triftige Gründe nicht ausreichen sollen, vielmehr die strengen, auf eine wirtschaftliche Notlage des Arbeitgebers abstellenden Widerrufsgründe des Betriebsrentengesetzes vorliegen müssen. Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Entscheidung unter anderem damit, daß die Versorgungsanwartschaft des Versorgungsempfängers allenfalls kraft Richterrechts aufgrund des sogenannten Unverfallbarkeitsurteils des Bundesarbeitsgerichts vom 10. März 1972 (3 AZR 278/71, WM 1972, 1133) unverfallbar sei und daß sich die Insolvenzregelung des Betriebsrentengesetzes für derartige Anwartschaften keine Geltung beimesse; wenn schon der Gesetzgeber des Betriebsrentengesetzes die richterrechtlich entwickelten Versorgungsanwartschaften von der von ihm eingeführten Insolvenzsicherung ausgenommen habe, könne die Rechtsprechung diese Altfälle nicht in die Neuregelung miteinbeziehen.

3. Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sind für den vorliegenden Fall nicht bindend. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entfalten gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung insofern, als die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung von den Gerichten in allen künftigen Fällen beachtet werden müssen; das gilt auch, wenn auf Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung festgestellt worden ist, daß gewisse, sonst mögliche Interpretationen des einfachen Rechts zu einer Grundrechtsverletzung führen (vgl. BVerfGE 40, 88, 93 f. = NJW 1975, 1355). Voraussetzung dieser Bindung ist jedoch, daß die Sachverhalte vergleichbar sind; das Bundesverfassungsgericht darf eine bestimmte Interpretation des Gesetzes nicht gerade wegen der Besonderheiten des Falles für verfassungswidrig erklärt haben, den es zu beurteilen hatte. Diese Voraussetzung fehlt hier. Die Bindungswirkung tritt nicht ein, weil das Bundesverfassungsgericht die Verstöße gegen die rechtsstaatlichen Gebote der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit ausschließlich darin gesehen hat, daß das Bundesarbeitsgericht den Widerruf einer ursprünglich unverbindlich erteilten Versorgungszusage nachträglich nur unter den strengen Voraussetzungen für zulässig gehalten hat, die das Betriebsrentengesetz für den Widerruf von Versorgungsrenten aufstellt. Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich die Versorgungszusage, mit der das Bundesverfassungsgericht befaßt war, von der des Beklagten. Die Möglichkeit, dessen Zusage zu widerrufen, ist nachträglich nicht eingeschränkt worden; die Zusage war vielmehr von vornherein verbindlich und konnte nur unter der strengen Voraussetzung widerrufen werden, daß der Arbeitgeber sich in einer den Bestand seines Unternehmens gefährdenden Notlage befand. Schon für das Reichsgericht (RGZ 148, 81, 95) und das Reichsarbeitsgericht (RAG 41, 196; 20, 110) war die Versorgungszusage nur in Fällen wirtschaftlicher Not widerrufbar; das Bundesarbeitsgericht (NJW 1955, 1167; WM 1972, 693, 694) und der Senat (Sen. Urt. v. 8.12.1960 – II ZR 107/59, WM 1961, 299, 300; v. 19.10.1978 – II ZR 42/77, WM 1979, 250; v. 11.2.1985, BGHZ 93, 383, 387) sind dieser Ansicht in ständiger Rechtsprechung gefolgt; hieran hat der Gesetzgeber lediglich angeknüpft, als er den wegen wirtschaftlicher Notlage erfolgten Widerruf im § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG der Insolvenzsicherung unterwarf. Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 93, 383) erfordert es allerdings deren Zweck, daß der Arbeitgeber, der eine Versorgungszusage wirksam widerrufen will, den Träger der Insolvenzsicherung einschaltet, diesem seine wirtschaftliche Notlage darlegt und ihn auf diese Weise – notfalls durch Klage – zur Übernahme der gekürzten Versorgungsbezüge veranlaßt. Hiermit wird dem Arbeitgeber aber nichts zugemutet, wozu er im Verhältnis zum Versorgungsempfänger nicht ohnehin verpflichtet wäre, wenn er sich von einer verbindlichen Versorgungszusage ganz oder teilweise lösen will; in dem Falle hat er die Notlage offenzulegen und ggf. gerichtlich nachprüfen zu lassen. Nach alledem ist die rechtliche Möglichkeit, verbindliche Versorgungszusagen zu widerrufen, durch das Betriebsrentengesetz rückwirkend nicht erschwert worden, so daß unter diesem Gesichtspunkt keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen bestehen, daß die Versorgungsansprüche des Beklagten in die Insolvenzsicherung einbezogen worden sind.

4. Diese Einbeziehung verstößt auch nicht deshalb gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, weil der Beklagte vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes aus der arbeitnehmerähnlichen Stellung ausgeschieden und – wie unterstellt wurde – seine Versorgungsanwartschaft aus diesem Grunde (§ 26 BetrAVG) nicht nach § 1 BetrAVG, sondern nur aufgrund der vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze unverfallbar geworden war. Richtig ist, daß sich die Insolvenzsicherung des Betriebsrentengesetzes nach ihrem Wortlaut für diese Art Anwartschaften keine Geltung beimißt; der § 7 Abs. 2 BetrAVG bezieht nur die nach § 1 BetrAVG unverfallbar gewordenen Versorgungsanwartschaften in die Insolvenzsicherung ein. Das schließt aber nicht aus, daß auch die richterrechtlich entwickelten Versorgungsanwartschaften in die Insolvenzsicherung einbezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Einbeziehung einen Verstoß gegen die Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nur gesehen, wenn sie dazu führt, daß die Widerrufsmöglichkeit einer ursprünglich unverbindlichen Versorgungszusage nachträglich unverhältnismäßig eingeschränkt wird. Darum geht es – wie ausgeführt worden ist – im vorliegenden Falle nicht, weil die Versorgungszusage zugunsten des Beklagten von vornherein nur unter den strengen Voraussetzungen widerrufen werden konnte, die das Betriebsrentengesetz später übernommen hat. Die Grenzen, die der richterlichen Rechtsfortbildung durch den Grundsatz der Rechts- und Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG gezogen sind, werden ebenfalls nicht verletzt, wenn richterrechtlich unverfallbare Versorgungsanwartschaften, die auf verbindlichen Versorgungsanwartschaften beruhen, in die Insolvenzsicherung einbezogen werden. Daß die Verfassung in diesem Punkt verletzt sei, hat das Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt; Gründe, die dafür sprechen könnten, sind auch nicht ersichtlich. Die Regelung des § 7 Abs. 2 BetrAVG ist – wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 16. Oktober 1980 (3 AZR 1/80, WM 1981, 368, 369) zutreffend ausgeführt hat – nicht abschließend in dem Sinne, daß ausschließlich nach § 1 BetrAVG unverfallbare Versorgungsanwartschaften insolvenzgesichert sein sollen; sie enthält vielmehr eine Regelungslücke, die es dem Richter erlaubt, auch die richterrechtlich unverfallbare Anwartschaft in sie einzubeziehen. Mit der in den § 7 Abs. 2 BetrAVG aufgenommenen Verweisung auf § 1 BetrAVG sollten nicht richterrechtlich unverfallbare Anwartschaften von der Insolvenzsicherung ausgenommen werden. Der Gesetzgeber hat sich dadurch vielmehr gegen eine gesetzliche Regelung entschieden, die in einem dem zuständigen Ausschuß des Bundestages vorliegenden Forschungsgutachten vorgeschlagen worden war und die vorsah, daß der Insolvenzsicherung auch Anwartschaften unterliegen sollten, für deren Unverfallbarkeit vertraglich günstigere Voraussetzungen geschaffen werden konnten, als der § 1 BetrAVG sie vorsieht (vgl. BAG, Urt. v. 3.8.1978 – 3 AZR 19/77, NJW 1979, 446). Anhaltspunkte, daß mit der Verweisung auf § 1 BetrAVG auch der Zweck verfolgt worden ist, den Insolvenzschutz von Anwartschaften auszuschließen, die aufgrund der Rechtsprechung unverfallbar geworden sind, enthalten die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens nicht.

Der Gesetzgeber wollte mit dem Betriebsrentengesetz die Rechtsstellung der Ruheständler und Anwartschaftsberechtigten verbessern; insbesondere sollte mit der Einführung des Insolvenzschutzes die betriebliche Altersversorgung gegen die wirtschaftlichen Wechselfälle des Unternehmens abgesichert werden, um sie auf diese Weise zusammen mit den sonstigen Maßnahmen des Gesetzes zu einem gesicherten Bestandteil der Gesamtversorgung der Arbeitnehmer zu machen (BT-Drucksache 7/2843, S. 5). In der Erkenntnis, daß ein Versorgungsberechtigter nach einer gewissen Dauer seiner Anwartschaft den Verlust dieser Rechtsposition nicht mehr ausgleichen kann, hat der Gesetzgeber deshalb im § 1 Abs. 1 BetrAVG für die Zukunft den bis dahin durch die Rechtsprechung gewährten Anwartschaftsschutz durch eine Verkürzung der Anwartschaftszeiten noch verstärkt, ohne an diesem Schutz für die Vergangenheit etwas zu ändern (BAG, Urt. v. 20.5.1976 – 3 AZR 518/75, NJW 1976, 1863). Der Zweck, die betriebliche Altersversorgung gegen die Wechselfälle des Unternehmens abzusichern, wird nur dann lückenlos erreicht, wenn auch diese vom Gesetzgeber vorgefundenen unverfallbaren Anwartschaften in den Insolvenzschutz einbezogen werden (vgl. BAG, Urt. v. 16.10.1980 – 3 AZR 1/80, a.a.O.; Sen. Urt. v. 16.6.1980 – II ZR 195/79, a.a.O.).

5. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegt in dieser Anwendung des Betriebsrentengesetzes nicht; es wird nicht an ein abgeschlossenes und abgewickeltes Dienstverhältnis eine neue Rechtsfolge geknüpft, sondern nur der eingeführte Insolvenzschutz realisiert (vgl. BAG, Urt. v. 16.6.1980 – 3 AZR 1/80, a.a.O.). Art. 14 GG ist entgegen der Ansicht der Revision ebenfalls nicht verletzt. Die erweiternde Auslegung des § 7 Abs. 2 BetrAVG enthält ebensowenig einen konfiskatorischen Eingriff in die Substanz des PSV und der hinter ihm stehenden Unternehmen wie das Betriebsrentengesetz im übrigen (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 30.1.1978 – 2 BvR 1057/75, NJW 1978, 2023).

 

Unterschriften

Dr. Kellermann, Dr. Bauer, Bundschuh, Brandes, Röhricht

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502387

BB 1987, 199

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1986, 1211

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