Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenz bei richterrechtlich unverfallbarer Versorgung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der gesetzliche Insolvenzschutz erstreckt sich auf unverfallbare Versorgungsanwartschaften, soweit deren Unverfallbarkeit nicht nur auf einer vertraglichen Zusage, sondern auf zwingenden Rechtsgrundsätzen beruht. Auch die kraft Richterrechts unverfallbaren Anwartschaften sind nach § 7 Abs 2 Satz 1 BetrAVG insolvenzgeschützt (Bestätigung von BAG Urteil vom 16.10.1980, 3 AZR 1/80 = BAGE 34, 227 = AP Nr 8 zu § 7 BetrAVG und BGH Urteil vom 16. Juni 1980 , II ZR 195/79 = AP Nr 7 zu § 7 BetrAVG).

2. Diese Auslegung des Betriebsrentengesetzes verstößt nicht gegen Grundsätze der Verfassung und ist mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (BVerfG - 19.10.1983, 2 BvR 298/81 = BVerfGE 65, 196 = AP Nr 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) vereinbar.

 

Orientierungssatz

Das BVerfG hat durch Beschluß vom 10.3.1988, 1 BvR 915/87 = AP Nr 38a zu § 7 BetrAVG, die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerde hat - ihre Zulässigkeit unterstellt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

 

Normenkette

BGB § 242; BetrAVG §§ 1, 26; BVerfGG § 31 Abs. 1; BetrAVG § 7 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 21.06.1985; Aktenzeichen 9 Sa 371/85)

ArbG Köln (Entscheidung vom 17.01.1985; Aktenzeichen 5 Ca 10682/84)

 

Nachgehend

BVerfG (Entscheidung vom 10.03.1988; Aktenzeichen 1 BvR 915/87)

 

Tatbestand

Die Kläger waren bei der M GmbH beschäftigt. Ihre Arbeitgeberin hatte ihnen in den Jahren 1959 und 1960 Versorgungszusagen nach der Leistungsordnung des Essener Verbands erteilt und einen Rechtsanspruch auf die vorgesehenen Leistungen eingeräumt. Sie schieden am 30. Juni 1972 nach einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren aus ihren Arbeitsverhältnissen aus. Durch Urteil des Senats vom 20. Februar 1975 (BAGE 27, 59 = AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unverfallbarkeit mit Anmerkung von Canaris) wurde festgestellt, daß den Klägern eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zusteht.

Am 18. August 1981 wurde über das Vermögen der M GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Der beklagte PSV erteilte den Klägern zunächst sog. Anwartschaftsausweise nach § 9 Abs. 1 BetrAVG, widerrief seine Eintrittszusagen aber mit Schreiben vom 31. Juli 1984 und bezog sich zur Begründung auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (2 BvR 298/81 - BVerfGE 65, 196 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen). Aus den Gründen dieses Beschlusses gehe hervor, daß die lediglich kraft Richterrechts unverfallbaren Versorgungsanwartschaften nicht insolvenzgeschützt seien.

Die Kläger haben geltend gemacht, das Bundesverfassungsgericht habe sich nur beiläufig zum Umfang des Insolvenzschutzes geäußert; die Auffassung, richterrechtlich unverfallbare Versorgungsanwartschaften seien nicht insolvenzgeschützt, könne daher die Fachgerichte nicht binden. Der gesetzliche Insolvenzschutz greife auch in den sog. Altfällen ein, in denen das Arbeitsverhältnis schon vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes beendet wurde.

Die Kläger haben beantragt

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet

sei, ihnen mit Vollendung des 65. Lebens-

jahres bzw. mit Eintritt der Dienstunfähig-

keit Ruhegeld und Witwenrente gemäß der

Leistungsordnung des Essener Verbandes nach

dem Stand vom 31. März 1972 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat seine Auffassung wiederholt, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei davon auszugehen, daß gemäß § 7 Abs. 2 BetrAVG nur die nach § 1 Abs. 1 BetrAVG, nicht aber die kraft richterlicher Rechtsfortbildung unverfallbaren Versorgungsanwartschaften insolvenzgesichert seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Kläger. Der Beklagte hat beantragt, das Revisionsverfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 1986 (II ZR 238/85 - ZIP 1986, 1211), das die gleiche Frage betrifft, entschieden ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

A. Es besteht kein hinreichender Grund, den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde des Beklagten gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 1986 (aaO) entschieden ist. Zwar betrifft die Entscheidung des Bundesgerichtshofs dieselbe Rechtsfrage wie die vorliegende Streitsache; es geht darum, ob Versorgungsanwartschaften auf der Grundlage von Direktzusagen auch dann in den gesetzlichen Insolvenzschutz nach §§ 7 ff. BetrAVG einbezogen sind, wenn die Arbeitsverhältnisse schon vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes beendet waren und die Anwartschaften damit lediglich kraft richterlicher Rechtsfortbildung unverfallbar werden konnten (§ 26 BetrAVG). Der Senat teilt die Auffassung des Bundesgerichtshofs, daß es nicht gegen Grundsätze der Verfassung verstößt, auch solche Versorgungsanwartschaften als insolvenzgeschützt anzusehen (vgl. nachfolgend B III). Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dieser Sachlage eine Aussetzung des Verfahrens überhaupt zulässig wäre, sie ist jedenfalls nicht angebracht.

Es wären erhebliche praktische Schwierigkeiten, insbesondere lange Verzögerungen zu erwarten, wenn eine Verfassungsbeschwerde gegen ein höchstrichterliches Urteil stets zur Aussetzung aller anschließenden Verfahren führte, in denen die gleiche Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Die Parteien eines Rechtsstreits können verlangen, daß ihr Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluß gebracht wird und die staatlichen Gerichte effektiven Rechtsschutz gewährleisten. Demgegenüber hat das Interesse an einer einheitlichen Rechtsanwendung nach § 148 ZPO nicht stets Vorrang. Eine Aussetzung erschiene dann vertretbar, wenn Aussicht auf eine baldige Entscheidung des vorgreiflichen Verfahrens bestünde. Davon kann jedoch erfahrungsgemäß nicht ausgegangen werden. Die gemäß § 148 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung über die Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit muß das berücksichtigen (zur Aussetzung bei vorgreiflichem Normenkontrollverfahren vgl. Skouris, NJW 1975, 713 ff.).

B. Die Kläger haben bei ihrer früheren Arbeitgeberin Versorgungsanwartschaften erworben, die unverfallbar sind und am gesetzlichen Insolvenzschutz teilnehmen.

I. Die Unverfallbarkeit der Anwartschaften der Kläger steht in dem vorliegenden Verfahren außer Streit. Die Kläger sind zwar aus ihren Arbeitsverhältnissen ausgeschieden, bevor sie das nach der Versorgungsordnung maßgebliche Ruhestandsalter erreicht hatten. Ihre Versorgungsanwartschaften waren aber bei Beendigung der Arbeitsverhältnisse bereits unverfallbar. Das ergibt sich im Streitfall zwar nicht aus der erst später in Kraft getretenen Regelung des § 1 BetrAVG. Der Senat hatte aber schon vorher entschieden, daß ein Arbeitnehmer seine erdiente Versorgungsanwartschaft behält, wenn er einem Betrieb mindestens 20 Jahre lang angehört hat und nach dem 10. März 1972 bzw. 1. Januar 1969, aber vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes ausgeschieden ist (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Die Unverfallbarkeit der Anwartschaften der Kläger ist zudem durch das Urteil des Senats vom 20. Februar 1975 (BAGE 27, 59 = AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unverfallbarkeit) rechtskräftig festgestellt.

II. Der Beklagte muß auch für die Anwartschaften der Kläger einstehen.

1. Der Senat und der Bundesgerichtshof stimmen darin überein, daß Versorgungsanwartschaften, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 von der Rechtsprechung als unverfallbar anerkannt wurden, an der gesetzlichen Insolvenzsicherung gemäß §§ 7 ff. BetrAVG teilnehmen, sofern sich der Sicherungsfall nach dem 1. Januar 1975 ereignet hat (BAG Urteil vom 16. Oktober 1980, BAGE 34, 227 = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG; BGH Urteil vom 16. Juni 1980 - II ZR 195/79 - AP Nr. 7 zu § 7 BetrAVG). Die Versorgungsanwartschaften der Kläger erfüllen diese Voraussetzungen. Der Konkurs der früheren Arbeitgeberin der Kläger ist am 18. August 1981 eingetreten.

2. Das Berufungsgericht hält diese Rechtsprechung nicht für überzeugend. Es hat die Auffassung vertreten, nur die nach der gesetzlichen Regelung des § 1 BetrAVG unverfallbaren Anwartschaften seien insolvenzgesichert, nicht aber auch die lediglich kraft Richterrechts unverfallbaren Anwartschaften. Entscheidend sei der Wortlaut des § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG, nach dem nur die Inhaber einer "nach § 1 BetrAVG unverfallbaren Versorgungsanwartschaft" im Sicherungsfall einen Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung haben. Der Zusammenhang mit § 26 BetrAVG, der die Anwendung des § 1 BetrAVG ausschließt, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geendet hat, ergebe, daß früher ausgeschiedene Arbeitnehmer keinen Insolvenzschutz beanspruchen könnten. Auch Sinn und Zweck des Gesetzes, wie sie sich aus dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte ergäben, ließen keine erweiternde Auslegung zu (ebenso Ortlepp, BB 1980, 1426 und Anm. zu BAG AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG). Diese Kritik vermag nicht zu überzeugen.

a) Richtig ist, daß § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG auf die in § 1 BetrAVG geregelten Voraussetzungen der Unverfallbarkeit verweist. Dem Berufungsgericht ist daher zuzugeben, daß der Insolvenzschutz einer Versorgungsanwartschaft nicht allein von deren Unverfallbarkeit abhängt. Hätte jede unverfallbare Anwartschaft geschützt werden sollen, hätte die Verweisung auf § 1 BetrAVG unterbleiben können oder der Zusatz folgen müssen, daß auch lediglich kraft Vereinbarung unverfallbare Anwartschaften insolvenzgeschützt seien (BAGE 31, 45, 49 f. = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG, zu I 1 a der Gründe).

Der Wortlaut des § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG ist jedoch ungenau. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah zunächst keinen Insolvenzschutz vor (BT-Drucks. 7/1281). Im Laufe der Beratungen wurden dann unterschiedliche Lösungen erörtert. In einem vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eingeholten Gutachten wurde vorgeschlagen, die fälligen Versorgungsansprüche sowie sämtliche unverfallbaren Versorgungsanwartschaften in den Insolvenzschutz einzubeziehen. Das Gutachten wies darauf hin, daß der Arbeitgeber die Möglichkeit habe, kürzere Fristen für die Unverfallbarkeit vorzusehen oder ganz auf Unverfallbarkeitsfristen zu verzichten (dazu näher BAGE 31, 45, 50 = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG, zu I 1 b der Gründe). Der Gesetzgeber ist diesem Vorschlag nicht gefolgt, sondern hat die Verweisung auf § 1 BetrAVG beschlossen. Damit sollte klargestellt werden, daß nicht jede vertraglich unverfallbare Versorgungsanwartschaft Insolvenzschutz genießt. Hingegen ging es nicht darum, die nach der Rechtsprechung unverfallbaren Anwartschaften vom Insolvenzschutz auszuschließen. Der Gesetzgeber wollte es zwar nicht der Privatautonomie überlassen, ob und inwieweit der Träger der Insolvenzsicherung für Versorgungsanwartschaften einzustehen hat; aber diejenigen Anwartschaften, die nach der vom Gesetzgeber vorgefundenen Rechtsprechung schon auf der Grundlage allgemeiner zivilrechtlicher Grundsätze als unverfallbar anerkannt wurden, weniger zu schützen, bestand keine Veranlassung. Das Gesetz sollte die Rechtsstellung der Ruheständler und Anwartschaftsberechtigten verbessern; die betriebliche Altersversorgung war gegen die wirtschaftlichen Wechselfälle des Unternehmens abzusichern, "um sie damit im Zusammenhang mit den sonstigen Maßnahmen des Gesetzentwurfes zu einem gesicherten Bestandteil der Gesamtversorgung der Arbeitnehmer zu machen" (BT-Drucks. 7/2843, S. 5). Das Ziel, die betriebliche Altersversorgung insgesamt sicherer zu machen, war nur zu erreichen, wenn die nach § 242 BGB unverfallbaren Anwartschaften genauso geschützt wurden wie die nach § 1 BetrAVG unverfallbaren Anwartschaften (BAGE 34, 227, 229 = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG, zu 2 a der Gründe).

b) Das Landesarbeitsgericht hält dieser Begründung entgegen, daß den Motiven nicht die Absicht entnommen werden könne, "auch die kraft Richterrechts unverfallbaren Anwartschaften einzubeziehen". Dem liegt die irrige Vorstellung zugrunde, "Richterrecht" sei eine Rechtsquelle eigener Art, deren ausdrückliche Erwähnung erwartet werden könne, wenn eine gesetzliche Regelung nach den rechtlichen Grundlagen der Ansprüche und Anwartschaften differenziert. In Wahrheit geht es bei der Entwicklung von Richterrecht nur um die Anwendung und Fortentwicklung gesetzlicher Normen. Auch die Unverfallbarkeitsrechtsprechung des Senats beruhte auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen des BGB. Sie war im übrigen nicht an geringere, sondern an weitaus schärfere Voraussetzungen gebunden, als sie in § 1 BetrAVG normiert sind. Deshalb erlaubt die Verweisung in § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG auf § 1 BetrAVG nicht den Umkehrschluß, daß selbst 20-jährige Anwartschaften ohne Insolvenzschutz bleiben sollten, soweit das Arbeitsverhältnis bei Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes schon geendet hatte.

c) Daß ein solcher Umkehrschluß zu sinnwidrigen Ergebnissen führt, zeigt auch die Systematik des Gesetzes. Fällige Rentenansprüche werden stets vom gesetzlichen Insolvenzschutz erfaßt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). Wenn der Versorgungsfall bereits vor dem Sicherungsfall lag und der Sicherungsfall erst nach dem 1. Januar 1975 eingetreten ist, kommt es nicht darauf an, warum die Versorgungsanwartschaft zum Vollrecht erstarken konnte (§§ 30, 32 BetrAVG). Auch kraft Richterrechts unverfallbare Versorgungsanwartschaften werden auf diese Weise ohne weiteres in den Insolvenzschutz einbezogen. Warum die noch nicht zum Rentenanspruch erstarkte Anwartschaft von dem gesetzlichen Insolvenzschutz ausgenommen bleiben sollte, obwohl sie nach allgemeinen Grundsätzen unentziehbar geworden war, ließe sich nicht erklären (BAGE 34, 227, 229 = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG, zu 2 b der Gründe).

Derartiges ergibt sich auch nicht aus den Übergangsvorschriften der §§ 26 ff. BetrAVG, wie der Senat bereits näher begründet hat (BAGE 34, 227, 229 f. = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG, zu 3 der Gründe).

III. Durch die Einbeziehung richterrechtlich unverfallbarer Versorgungsanwartschaften in den gesetzlichen Insolvenzschutz sind Grundsätze der Verfassung nicht verletzt. Dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (BVerfGE 65, 196 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) läßt sich insoweit keine verfassungsrechtliche Beanstandung entnehmen.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei nach § 31 BVerfGG für die Gerichte bindend, soweit darin für freiwillig gewährte Ruhegeldzusagen ein Widerruf bereits aus triftigen Gründen zugelassen werde. Jedenfalls für die sog. Altfälle stehe fest, daß ein Widerruf auch dann möglich sei, wenn die Voraussetzungen des Insolvenzschutzes nicht gegeben seien. In diesem Sinne habe der Senat im Urteil vom 5. Juni 1984 (BAGE 46, 80 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) bereits entschieden, daß es aufgrund der durch das Bundesverfassungsgericht gestalteten Rechtslage unzulässig sei, richterrechtlich unverfallbare Versorgungsanwartschaften beim Insolvenzschutz den nach § 1 BetrAVG gesicherten Rechtspositionen gleichzustellen. Auch insoweit kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden.

2. Eine Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (aaO) für die Frage der Einbeziehung richterrechtlich unverfallbarer Versorgungsanwartschaften in den gesetzlichen Insolvenzschutz besteht nicht.

a) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG über den Einzelfall hinaus bindend, soweit sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung Grundsätze für die Auslegung der Verfassung ergeben, die von den Gerichten in allen künftigen Fällen beachtet werden müssen. Nichts anderes gilt, wenn auf eine Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung festgestellt wird, daß bestimmte nach einfachem Recht mögliche Interpretationen zu einer Grundrechtsverletzung führen (BVerfGE 40, 88, 93 f. = NJW 1975, 1355 sowie BGH Urteil vom 7. Juli 1986, zu 3 der Gründe). Diese Bindung setzt jedoch voraus, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Sachverhalt betrifft, dessen Problematik mit derjenigen der anstehenden Entscheidung vergleichbar ist. Der zu beurteilende Streitfall muß unter die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Rechtssätze subsumiert werden können. Daran fehlt es, wenn das Bundesverfassungsgericht die Interpretation des Gesetzes gerade wegen der Besonderheiten seines Falles für verfassungswidrig erklärt hat.

Im Streitfall ist eine Bindungswirkung aus zwei Gründen zu verneinen: Das Bundesverfassungsgericht hat über die Voraussetzungen des Widerrufs von Versorgungszusagen entschieden, nicht über die davon zu unterscheidende Frage, ob in Altfällen (Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 22. Dezember 1974) Insolvenzschutz besteht (dazu unter b). Das Bundesverfassungsgericht hatte ferner den Sonderfall zu beurteilen, daß die widerrufene Versorgungszusage unter Ausschluß des Rechtsanspruchs erteilt war; Zusagen, die den Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch auf die im Leistungsplan vorgesehene Versorgung einräumen, wurden nicht erörtert (dazu unter c).

b) Dem Berufungsgericht ist einzuräumen, daß das Bundesverfassungsgericht unter C III 2 und 3 der Gründe ausgeführt hat, "die Anwendung der Insolvenzregelung des betrieblichen Altersversorgungsgesetzes auf den Versorgungsanspruch des Klägers" und "die Einbeziehung der Versorgungszusage des Beschwerdeführers in die Insolvenzsicherung des BetrAVG" bedeute einen Eingriff in die Verfassungsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Löst man die zitierten Satzteile aus dem Begründungszusammenhang, so scheint das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig anzusehen, unter Ausschluß eines Rechtsanspruchs erteilte Versorgungszusagen bei Altfällen in den Insolvenzschutz einzubeziehen. Die weiteren Ausführungen der Entscheidung ergeben jedoch, daß das Bundesverfassungsgericht nicht über den Umfang und die zeitliche Ausdehnung des Insolvenzschutzes von Versorgungsanwartschaften entschieden hat. Gerügt wurde, daß der Senat und der Bundesgerichtshof den Widerruf einer ohne Rechtsanspruch erteilten Versorgungszusage von so strengen Voraussetzungen abhängig gemacht hatten, wie sie für den Sicherungsfall und damit die Eintrittspflicht des Trägers der Insolvenzsicherung in § 7 BetrAVG vorgesehen sind. Nicht die Insolvenzsicherung, sondern die Erschwerung der Widerrufsvoraussetzungen hat das Bundesverfassungsgericht zu der Aussage veranlaßt, der Arbeitgeber werde in der Freiheit seines unternehmerischen Handelns zu sehr eingeschränkt und sein Vertrauen auf die Wirksamkeit des satzungsmäßigen Ausschlusses eines Rechtsanspruchs auf die Versorgung durch die Unterstützungskasse werde enttäuscht, wenn man die gesetzliche Insolvenzregelung als Maßstab anwende.

Demgemäß wäre der Senat durch Grundsätze der Verfassung nicht gehindert, ein Eingreifen des Insolvenzschutzes selbst in solchen Fällen zu bejahen, in denen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Widerruf aus triftigen Gründen zulässig ist, ohne daß einer der Sicherungsfälle des § 7 Abs. 1 BetrAVG vorliegt. Für eine ähnliche Fallgestaltung hat das Bundesverfassungsgericht sogar eine verfassungskonforme Erweiterung des Insolvenzschutzes gefordert (Urteil vom 14. Januar 1987 - 1 BvR 1052/79 -). Hier geht es lediglich darum, ob den Fachgerichten durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verboten ist, § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG entsprechend auszulegen.

Dem Senat ist in seinem Urteil vom 5. Juni 1984 (BAGE 46, 80 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) bei der Zitierung des Bundesverfassungsgerichts eine sprachliche Ungenauigkeit unterlaufen (zu V 1 der Gründe des Urteils des Senats). Dort heißt es, die Einbeziehung von Altfällen in den Insolvenzschutz des Betriebsrentengesetzes und die entsprechende Erschwerung des Widerrufs von Unterstützungskassenleistungen sei nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. An dieser Stelle ging es nur um eine -naturgemäß verkürzte- Darstellung der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Senat keineswegs seine Rechtsprechung zum Insolvenzschutz bei richterrechtlich unverfallbaren Anwartschaften aufgegeben. Ohne Billigung des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs oder eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes wäre das gar nicht möglich gewesen.

c) Der weitere Unterschied des vorliegenden Rechtsstreits zu dem vom Bundesverfassungsgericht beurteilten Sachverhalt besteht darin, daß hier eine Versorgungszusage mit Rechtsanspruch erteilt worden ist, während das Bundesverfassungsgericht über den Widerruf einer ursprünglich unverbindlich erteilten Versorgungszusage zu entscheiden hatte. Auch wegen dieses Unterschieds verbietet sich eine Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze im Streitfall.

Wer als Arbeitgeber eine Versorgungszusage erteilt und dem Versorgungsberechtigten einen Rechtsanspruch auf die zugesagten Leistungen einräumt, kann schon nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen die Zusage nur widerrufen, wenn die Geschäftsgrundlage des Versorgungsvertrags erschüttert ist. Das ist anzunehmen, wenn das Unternehmen in eine schwere wirtschaftliche Notlage geraten ist, die es als nicht mehr zumutbar erscheinen läßt, den Arbeitgeber an seiner Zusage festzuhalten (so zutreffend das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 1986 - II ZR 238/85 - zu 3 der Gründe mit zahlreichen Nachweisen, ferner BAGE 2, 18 = AP Nr. 4 zu § 242 BGB Ruhegehalt mit Anm. von Beitzke sowie BAGE 2, 23 = AP Nr. 2 zu § 242 BGB Ruhegehalt mit Anm. von A. Hueck). Hieran haben weder die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs noch das Betriebsrentengesetz etwas geändert.

Eine Änderung der Rechtslage ist jedoch insofern eingetreten, als das Betriebsrentengesetz den Versorgungsberechtigten das Risiko der Insolvenz des Arbeitgebers abgenommen hat. Wird ein Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage erklärt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG), so fordern Bundesarbeitsgericht und Bundesgerichtshof, daß der Träger der Insolvenzsicherung eingeschaltet und damit auch die Effektivität des Insolvenzschutzes gewährleistet wird (ständige Rechtsprechung des Senats, erstmals im Urteil vom 6. Dezember 1979 - 3 AZR 274/78 - BAGE 32, 220 = AP Nr. 4 zu § 7 BetrAVG; zuletzt im Urteil vom 23. April 1985 - 3 AZR 194/83 - BAGE 48, 258, 267; ebenso BGHZ 93, 383). Aber hierdurch kann weder die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers unverhältnismäßig eingeschränkt noch sein Vertrauen auf die Zulässigkeit des satzungsmäßigen Widerrufs enttäuscht werden. Zu Recht weist der Bundesgerichtshof im Urteil vom 7. Juli 1986 (aaO, zu 3 der Gründe) darauf hin, daß dem Arbeitgeber damit nicht mehr zugemutet wird, als er gegenüber dem Versorgungsberechtigten ohnehin darlegen muß. Dann aber kann auch die Einbeziehung von Versorgungsansprüchen in den Insolvenzschutz die Grundrechte des Arbeitgebers nicht beeinträchtigen, und zwar auch dann nicht, wenn die entsprechende Versorgungsanwartschaft ohne die Unverfallbarkeitsrechtsprechung des Senats erloschen wäre.

Dr. Dieterich Ascheid Griebeling

Hoechst Zieglwalner

 

Fundstellen

Haufe-Index 438641

BAGE 54, 96-105 (LT1-2)

BAGE, 96

BB 1987, 1465

BB 1987, 1465-1467 (T)

DB 1987, 1793-1795 (LT1-2)

NJW 1988, 1044

NJW 1988, 1044-1045 (LT1-2)

BetrAV 1987, 222-224 (LT1-2)

JR 1987, 484

KTS 1987, 708-713 (LT1-2)

RdA 1987, 253

SAE 1989, 54-57 (LT1-2)

WM IV 1987, 1112-1114 (LT1-2)

ZIP 1987, 1076

ZIP 1987, 1076-1079 (LT1-2)

AP § 7 BetrAVG (LT1-2), Nr 38

AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung VI Entsch 45 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 460.6 Nr 45 (LT1-2)

EzA § 7 BetrAVG, Nr 22 (LT1-2)

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