Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerhinterziehung

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 15.11.1982)

 

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 15. November 1982 mit den Feststellungen aufgehoben,

  1. soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, sowie
  2. im gesamten Strafausspruch.

In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen (Verkürzung von Umsatzsteuern und von Lohnsteuern) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Von den weiteren dem Angeklagten in der zugelassenen Anklage zur Last gelegten Vorwürfen der Beitragsverkürzung nach §§ 529, 1428 RVO und § 225 AFG sowie des Betruges zum Nachteil der Sozialversicherungsträger hat es ihn freigesprochen.

Die Revision der Staatsanwaltschaft erhebt die Sachbeschwerde; sie wendet sich dagegen, daß der Angeklagte vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen worden ist, sowie gegen den gesamten Strafausspruch. Das Rechtsmittel ist begründet.

I. 1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte in der Zeit von Ende 1976 bis Oktober 1978 Geschäftsführer oder wirtschaftlicher Mitinhaber eines Subunternehmens, das sich im wesentlichen mit dem entgeltlichen Verleih von Arbeitskräften an Baufirmen (Hauptunternehmer) beschäftigte, ohne daß hierfür eine Erlaubnis gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG vorlag. Eine derartige Erlaubnis hatte der Angeklagte gar nicht erst beantragt, da er von anderen illegalen Subunternehmern wußte, daß eine solche nicht erteilt werden würde. Der Angeklagte bot die Arbeitskräfte zu besonders günstigen Stundenverrechnungssätzen an, weil er die Arbeitnehmer auf Nettolohnbasis bezahlte. Um die Unbedenklichkeitsbescheinigungen des zuständigen Finanzamtes und der zuständigen Krankenkasse zu erhalten, die Voraussetzung für den Abschluß der Subunternehmerverträge mit den Drittunternehmern waren, führte er in den Lohnsteuererklärungen und Beitragsnachweisungen jeweils weniger Arbeitnehmer als tatsächlich vorhanden auf, für die er ordnungsgemäß Lohnsteuern und Versicherungsbeiträge bezahlte. Die übrigen Leiharbeitnehmer, die gegen Nettolohnzahlung in seinem Betrieb beschäftigt waren, meldete er nicht bei den Sozialversicherungsträgern an und führte insoweit weder Umsatz- noch Lohnsteuern ab. Die auf den Baustellen der Hauptunternehmer eingesetzten Arbeitskräfte wurden von den Baufirmen eingewiesen und beaufsichtigt. Die Entleiherfirmen rechneten mit dem Angeklagten auf der Grundlage der von diesem angebotenen Stundenverrechnungssätze ab, und der Angeklagte zahlte dann die Nettolöhne an die Arbeitnehmer aus (UA 4). Der erzielte Gewinn wurde zwischen dem Angeklagten und seinen Partnern aufgeteilt; jeder erhielt wöchentlich mindestens zwischen 2.000,– DM und 3.000,– DM (UA 6). Die im Tatzeitraum verkürzte Umsatzsteuer belief sich auf etwa 98.000,– DM, die verkürzte Lohnsteuer auf mindestens 122.000,– DM (UA 9).

2. Die Strafkammer ist der Auffassung, der Angeklagte habe zwar als Unternehmer gegen seine Verpflichtungen, Umsatz- und Lohnsteueranmeldungen abzugeben (§ 18 Abs. 1 UStG und § 41 c EStG), verstoßen und sich zweier Steuerhinterziehungen schuldig gemacht, jedoch sei er von den Vorwürfen der Beitragsverkürzungen nach §§ 529 und 1428 RVO und § 225 AFG und des Betrugs zum Nachteil der Innungskrankenkasse Gelsenkirchen, der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg und der zuständigen Landesversicherungsanstalt aus Rechtsgründen freizusprechen, da der Angeklagte nicht Arbeitgeber im Sinne des Beitragsrechts gewesen, nach Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG vielmehr insoweit ein Arbeitsverhältnis ausschließlich zwischen den Leiharbeitnehmern und den Entleihfirmen zustande gekommen sei (UA 15/16).

3. Diese Erwägungen können den Freispruch des Angeklagten nicht rechtfertigen.

a) Es ist zwar richtig, daß in Fällen unerlaubter Überlassung von Leiharbeitnehmern die zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträge gemäß Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam sind und stattdessen nach Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmern als zustande gekommen gilt. Dadurch soll dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Sozialversicherung Rechnung getragen werden (Begründung Reg, Entwurf BT-Drucks, IV/2303 S. 13). Die eindeutige gesetzliche Regelung hat zur Folge, daß der unerlaubt handelnde Verleiher wegen seiner Unterlassung, Arbeitnehmerbeitragsanteile an die berechtigte Kasse abzuführen, nicht nach §§ 529, 1428 RVO, § 225 AFG bestraft werden kann (BGHSt 31, 32), auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Annahme eines sogenannten faktischen Arbeitsverhältnisses zwischen Verleiher und Arbeitnehmer. Dies kann jedoch nur für den Fall des Nichtabführens von Beitragsanteilen gelten, denn nur insoweit ist diese Sonderregelung von Bedeutung. Soweit Handlungen zu beurteilen sind, auf die sich diese Regelung nicht erstreckt, weil das Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer dies nicht erfordert, bestehen keine Bedenken, aus dem tatsächlichen Bestehen eines einem Arbeitsvertrag entsprechenden Verhältnisses die rechtlichen Folgerungen zu ziehen.

Das gilt beispielsweise für Steuerhinterziehungen des Verleihers (BFH, Urteil vom 2. April 1982 – VI R 34/79; vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 1983 – 4 StR 578/82 zum Abdruck in der amtlichen Sammlung vorgesehen) und Betrugshandlungen der vorliegenden Art. in denen ein Verleiher weniger Arbeitskräfte als tatsächlich vorhanden anmeldet, um in den Besitz der Unbedenklichkeitsbescheinigungen zu kommen, und damit zum Ausdruck bringt, keine weiteren Arbeitskräfte eingestellt zu haben. Wenn er diese Arbeitskräfte von Fall zu Fall an interessierte Haupt- oder Drittunternehmen verleiht, von diesen das Entgelt für die Arbeitskräfte entgegennimmt und die Leiharbeitnehmer entlohnt, betätigt er sich unbeschadet der Fiktion des Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG als Arbeitgeber und hat für sein Handeln rechtlich einzustehen (vgl. dazu auch Franzheim JR 1982, 89; NStZ 1982, 383 t; Schäfer Wistra 1982, 96, 97 f). Der Bundesgerichtshof hat in solchen Fällen bisher stets die Möglichkeit eines Betruges bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1976 – 1 StR 45/76 – und Urteil vom 13. Januar 1983 – 4 StR 578/82 – zum Abdruck in der amtlichen Sammlung vorgesehen).

b) Auch soweit die Strafkammer hinsichtlich der dem Angeklagten zum Vorwurf gemachten Beitragsverkürzung nach §§ 529, 1428 RVO und § 225 AFG ein tatbestandsmäßiges Verhalten verneint hat, ist der Freispruch nicht gerechtfertigt. Wie unter a) dargelegt, ist zwar eine Verurteilung des Angeklagten als Täter rechtlich ausgeschlossen (BGHSt 31, 32), da ihm insoweit die Unwirksamkeit der zwischen ihm und den Leiharbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträge (Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG) zustatten kommt. Das Tatgericht hätte jedoch prüfen müssen, ob sich nicht die Entleiherfirmen (als Täter) einer Beitrags Verkürzung strafbar gemacht haben, und der Angeklagte hierzu Beihilfe geleistet hat. Die Strafkammer hat diese Frage überhaupt nicht erörtert, obwohl nach der von ihr selbst zitierten Entscheidung BGHSt 31, 32 Anlaß dazu bestanden hätte. Dies stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, der zur Aufhebung des Urteils auch insoweit zwingt. Daß die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel im Schuldspruch auf den Freispruch vom Vorwurf des Betrugs beschränkt hat, steht dem nicht entgegen. Hierbei handelt es sich nämlich um eine unwirksame Beschränkung, da die Beihilfe zur Beitragsverkürzung darin liegen kann, daß der Angeklagte es unterlassen hat, alle Arbeitnehmer bei den Sozialversicherungsträgern anzumelden, zwischen ihr und dem Betrug also Tateinheit besteht.

II. Das Urteil unterliegt auch der Aufhebung in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Einzelstrafen. Mit Recht weist die Beschwerdeführerin darauf hin, daß das Ausmaß der vom Angeklagten hinterzogenen Steuern die Prüfung nahegelegt hätte, ob ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO anzunehmen war.

 

Unterschriften

Salger, Hürxthal, Knoblich, Ruß, Goydke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1372855

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