Leitsatz (amtlich)

a) Im Rahmen von § 80 Satz 1 FamFG sind Aufwendungen der Beteiligten als notwendig anzusehen, wenn ein verständiger und wirtschaftlich vernünftiger Beteiligter die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Vornahme als sachdienlich ansehen durfte, wobei der Grundsatz sparsamer Verfahrensführung gilt.

b) Erstattungsfähige Kosten i.S.v. § 80 Satz 1 FamFG sind auch solche, die der Antrags- oder Rechtsmittelgegner in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der Rücknahme des Antrags oder Rechtsmittels verursacht hat (Abgrenzung zu BGHZ 209, 120 = FamRZ 2016, 900).

 

Normenkette

FamFG § 80; ZPO § 91

 

Verfahrensgang

OLG München (Beschluss vom 30.08.2016; Aktenzeichen 11 WF 733/16)

AG Pfaffenhofen a.d. Ilm (Entscheidung vom 05.04.2016; Aktenzeichen 2 F 443/15 eA)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats - zugleich Familiensenat - des OLG München vom 30.8.2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.

Wert: 202 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Antragsgegner begehrt die Festsetzung von Anwaltskosten gegen die Antragstellerin.

Rz. 2

Die miteinander verheirateten Beteiligten leben getrennt. Mitte Juli 2015 beantragte die Antragstellerin beim AG, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind zu übertragen. Das AG bestimmte am 9.9.2015 Termin zur Anhörung auf den 29.9.2015 und verfügte die Zustellung der Antragsschrift an den Antragsgegner, der die Ladung und die Antragsschrift am 12.9.2015 erhielt. Mit am 14.9.2015 beim AG eingegangenem Rechtsanwaltsschriftsatz nahm die Antragstellerin den Antrag zurück. In Unkenntnis hiervon beauftragte der Antragsgegner einen Rechtsanwalt mit der Vertretung in dem Verfahren. Dieser reichte - ohne Kenntnis von der Antragsrücknahme zu haben - am 23.9.2015 beim AG einen Schriftsatz ein, mit dem dem Antrag entgegengetreten und dessen Zurückweisung beantragt wurde. Mit Beschluss vom 16.12.2015 erlegte das AG der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auf.

Rz. 3

Mit Antrag vom 20.1.2016 hat der Antragsgegner um Festsetzung seiner Rechtsanwaltskosten i.H.v. 201,71 EUR ersucht. Dem hat das AG entsprochen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das OLG zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr auf Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags gerichtetes Begehren weiter.

II.

Rz. 4

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 85 FamFG, 104 Abs. 3 Satz 1, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihrer Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass dem angefochtenen Beschluss ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugrunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch § 70 Abs. 4 FamFG begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist. Diese Begrenzung gilt nicht für das Kostenfestsetzungsverfahren, das als selbständige Folgesache mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestattet ist (vgl. BGH Beschl. v. 20.11.2012 - VI ZB 1/12, NJW 2013, 1369 Rz. 5 m.w.N.; Keidel/Meyer-Holz FamFG 19. Aufl., § 70 Rz. 48a; vgl. auch BGH v. 30.9.2015 - XII ZB 635/14, FamRZ 2015, 2147 Rz. 6 m.w.N.; v. 11.9.2013 - XII ZA 54/13, FamRZ 2013, 1878 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 6

2. Das OLG hat seine in FamRZ 2017, 138 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:

Rz. 7

Nach der Kostengrundentscheidung im Beschluss des AG habe die Antragstellerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Festzusetzen seien die i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendigen Aufwendungen. Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO seien dabei die Gebühren des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei grundsätzlich zu erstatten und damit einer Überprüfung auf Notwendigkeit entzogen.

Rz. 8

Zwar habe der BGH mit Beschluss vom 25.2.2016 (BGHZ 209, 120 = FamRZ 2016, 900) ausgesprochen, entscheidend sei darauf abzustellen, ob die kostenauslösende Maßnahme objektiv erforderlich sei, so dass es auf eine Unkenntnis des Rechtsmittelgegners von einer Berufungsrücknahme nicht ankomme. Folgte man dem auch in der vorliegenden Konstellation und stellte daher auf die Rücknahme des Antrags ab, hätte der Antragsgegner die zweifelsfrei angefallenen Anwaltskosten selbst zu tragen.

Rz. 9

Diese einer Mindermeinung entsprechende Rechtsansicht sei jedoch von der Begründung wie auch insb. von der Wertung her nicht einleuchtend bzw. tragbar. Sie widerspreche der Rechtsprechung des BAG und der ganz herrschenden Meinung, nach der die Aufwendungen für einen in derartigen Fällen zur Rechtsverteidigung eingeschalteten Anwalt erstattungsfähig seien, wenn bei dessen Beauftragung bzw. Tätigkeit weder der Beklagte noch der Anwalt Kenntnis von einer zwischenzeitlich erfolgten Rücknahme der Klage oder des Rechtsmittels gehabt hätten. Der Ausgangspunkt des BGH sei bereits sprachlich unklar. Entscheidend sei aber, dass nach der Wertung des BGH die mit einer Klage oder einem Rechtsmittel überzogene Partei das volle Kostenrisiko tragen solle für den Fall, dass diese Prozesshandlungen zu einem von ihr nicht beeinflussbaren Zeitpunkt zurückgenommen würden. Die vom BGH vertretene Ansicht, eine bestehende Ungewissheit könne durch eine (telefonische) Nachfrage bei Gericht rasch und problemlos geklärt werden, erscheine bedenklich und praxisfremd.

Rz. 10

Richtig sei demnach, mit dem BAG nur auf die Sichtweise einer wirtschaftlich denkenden und das Gebot der Kostengeringhaltung beachtenden Partei abzustellen. Wisse diese unverschuldet nichts von einer zwischenzeitlichen Rücknahme, sei Erstattungsfähigkeit anzunehmen.

Rz. 11

3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 12

Bereits der rechtliche Ausgangspunkt des OLG ist unzutreffend. Denn dieses hat die Erstattungsfähigkeit der vom Antragsgegner geltend gemachten Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage von § 91 ZPO geprüft, der im vorliegenden Fall jedoch nicht anwendbar ist.

Rz. 13

Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist mit der elterlichen Sorge eine Kindschaftssache nach § 151 Nr. 1 FamFG. Anders als in Ehesachen und Familienstreitsachen, für die § 113 Abs. 1 ZPO anstelle der §§ 80 ff. FamFG die entsprechende Geltung der Kostenbestimmungen in §§ 91 ff. ZPO anordnet, richten sich in Kindschaftssachen als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Kosten nach den §§ 80 ff. FamFG. Der - auch vom OLG zitierte - § 85 FamFG ordnet lediglich für die Kostenfestsetzung die entsprechende Anwendung der §§ 103 bis 107 ZPO an.

Rz. 14

Ob die streitgegenständlichen Kosten von der Kostengrundentscheidung des AG, nach der die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, erfasst sind, bestimmt sich vorliegend gem. § 80 Satz 1 FamFG, wonach Kosten - neben den Gerichtskosten - die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten sind. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO, den das OLG zur Begründung der Notwendigkeit der Rechtsanwaltskosten herangezogen hat, ist nicht einschlägig, weil § 80 Satz 2 FamFG nicht auf ihn verweist. Vielmehr erfordert die Bejahung der Notwendigkeit die auf einer einzelfallbezogenen Prüfung beruhende Feststellung, dass die Hinzuziehung eines Anwalts notwendig war (vgl. Schneider NZFam 2016, 1198). An einer solchen Feststellung fehlt es bislang.

Rz. 15

4. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das OLG zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

Rz. 16

a) Die vom Antragsgegner begehrte Festsetzung der Rechtsanwaltskosten ist vorliegend nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die kostenauslösenden Maßnahmen erst erfolgten, als der für die begehrte Übertragung der elterlichen Sorge nach §§ 1671 Abs. 1 Satz 1 BGB, 51 Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderliche Antrag bereits wirksam (§ 22 Abs. 1 FamFG) und nach § 22 Abs. 2 FamFG mit verfahrensbeendender Wirkung zurückgenommen war.

Rz. 17

aa) Die vom OLG kritisierte Rechtsprechung des BGH ist zum Umfang der Kostenerstattungspflicht im Rahmen des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergangen. Nach dieser Norm hat die unterliegende Partei - und gem. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO im Falle der Berufungsrücknahme der Berufungskläger - dem Gegner die diesem erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Notwendig in diesem Sinne sind danach nur Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen. Das ist vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen ist (BGHZ 209, 120 = FamRZ 2016, 900 Rz. 8 m.w.N.; vgl. auch BGH Beschl. v. 23.11.2006 - I ZB 39/06, NJW-RR 2007, 1575 Rz. 17 m.w.N.).

Rz. 18

Auf dieser Grundlage hat der BGH entschieden, dass im Berufungsverfahren die Kosten für die Einreichung eines Schriftsatzes, mit dem die Zurückweisung des - bereits begründeten - Rechtsmittels beantragt wird, dann nicht erstattungsfähig sind, wenn dieser erst nach Rücknahme der Berufung bei Gericht eingeht. Denn die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Rücknahme des Rechtsmittels stellt keine zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO objektiv erforderliche Maßnahme dar. Auf die (verschuldete oder unverschuldete) Unkenntnis des Rechtsmittelbeklagten von der Berufungsrücknahme kommt es nicht an. Die subjektive Unkenntnis des Rechtsmittelgegners ist nämlich nicht geeignet, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine objektiv nicht erforderliche Handlung wie die Stellung eines Zurückweisungsantrags nach Rücknahme der Berufung zu begründen. Die Frage, ob dem Rechtsmittelgegner ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch zusteht, bleibt davon unberührt (BGHZ 209, 120 = FamRZ 2016, 900 Rz. 9 f. m.w.N.; vgl. auch BGH Beschl. v. 23.11.2006 - I ZB 39/06, NJW-RR 2007, 1575 Rz. 17 zur Einreichung einer Schutzschrift nach Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung).

Rz. 19

bb) Dies wird von Teilen der Rechtsprechung und der Literatur anders gesehen (vgl. etwa BAG AGS 2013, 98, 100; OLG Saarbrücken JurBüro 2015, 190 f.; OLG Frankfurt FamRZ 2015, 1227, 1228; OLG Hamburg AGS 2013, 441, 442; OLG Hamm FamRZ 2013, 1159; Fölsch MDR 2016, 503 f.; Hansens ZfS 2016, 287 f.; vgl. auch Schneider NZFam 2016, 1198; Mayer FD-RVG 2016, 381533; Hk-ZPO/Wöstmann 7. Aufl., § 516 Rz. 11). Die Kostenerstattung richte sich nämlich grundsätzlich nicht nach einem streng objektiven Maßstab, sondern danach, ob eine verständig und kostenbewusst handelnde Partei die konkrete Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Vornahme als sachdienlich ansehen dürfe. Neben einem Hinweis auf die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO, nach der die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in allen Prozessen zu erstatten sind, wird u.a. auch darauf verwiesen, dass nur durch Annahme der Erstattungsfähigkeit den berechtigten Interessen des Gegners an einer adäquaten Rechtsverteidigung Rechnung getragen werden könne. Zudem habe es der Kläger bzw. Rechtsmittelführer selbst in der Hand, den Gegner durch frühzeitige Mitteilung der Rücknahme bösgläubig zu machen.

Rz. 20

cc) Welcher dieser zu § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO vertretenen Auffassungen zu folgen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls im Rahmen des § 80 Satz 1 FamFG können auch nach Antrags- oder Rechtsmittelrücknahme entstandene Kosten des Antrags- oder Rechtsmittelgegners erstattungsfähig sein.

Rz. 21

(1) Erstattungsfähige Kosten sind nach § 80 Satz 1 FamFG neben den Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. § 80 Satz 2 FamFG verweist für letztere auf § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO (notwendige Reisen und Zeitversäumnis durch notwendige Terminswahrnehmung), nicht aber auf die Regelung des § 91 Abs. 2 ZPO zu Rechtsanwaltskosten. Der Wortlaut der Vorschrift unterscheidet sich von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, gibt aber ebenso wie dieser auf die Frage, inwieweit für die Notwendigkeit von Kosten ein objektiver Maßstab anzulegen ist, keine eindeutige Antwort.

Rz. 22

(2) Die Vorschrift des § 80 Satz 1 FamFG ist nicht § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern § 162 Abs. 1 VwGO nachgebildet (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 215). Dieser regelt, dass Kosten die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens sind. Ob Aufwendungen der Beteiligten notwendig i.S.d. § 162 Abs. 1 VwGO sind, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung der Beteiligten, sondern danach, ob ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Weise seine Interessen wahrgenommen hätte. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist, ob sich die Handlung im Prozessverlauf nachträglich als unnötig herausstellt (BVerwG Rpfleger 2008, 666, 667; NJW 2000, 2832; NJW 1964, 686; BeckOK VwGO/Kunze [Stand: 1.10.2016] § 162 Rz. 51 m.w.N.; Kopp/Schenke VwGO 22. Aufl., § 162 Rz. 3; Kugele VwGO § 162 Rz. 4; Neumann in Sodan/Ziekow VwGO 4. Aufl., § 162 Rz. 11). Maßgeblich ist mithin die "verobjektivierte" Sicht eines verständigen Beteiligten (Wysk in Wysk VwGO 2. Aufl., § 162 Rz. 11), nicht ein rein objektiver Maßstab (BVerwG NJW 1964, 686; Eyermann/Schmidt VwGO 14. Aufl., § 162 Rz. 3). Folgerichtig wird - soweit ersichtlich - die Frage, ob Rechtsanwaltsgebühren nach § 162 VwGO auch dann erstattungsfähig sein können, wenn der Rechtsanwalt einen Schriftsatz einreicht, ohne die bereits erfolgte Rücknahme zu kennen oder kennen zu müssen, bejaht (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 1998, 342 f.; Olbertz in Schoch/Schneider/Bier VwGO [Stand: Juni 2016] § 162 Rz. 46).

Rz. 23

(3) Nichts anderes gilt für § 80 Satz 1 FamFG. Auch im Rahmen dieser Vorschrift sind Aufwendungen der Beteiligten als notwendig anzusehen, wenn ein verständiger und wirtschaftlich vernünftiger Beteiligter die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Vornahme als sachdienlich ansehen durfte, wobei der Grundsatz sparsamer Verfahrensführung gilt (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2015, 1743 f.; BeckOK/FamFG/Nickel [Stand: 1.12.2016] § 80 Rz. 7; Horndasch/Viefhues FamFG 3. Aufl., § 80 Rz. 21; Kemper/Schreiber Familienverfahrensrecht 3. Aufl., § 80 FamFG Rz. 35; Prütting/Helms/Feskorn FamFG 3. Aufl., § 80 Rz. 3a; Hk-ZPO/Kemper 7. Aufl., § 80 FamFG Rz. 5; Wittenstein in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl., § 80 Rz. 9; Zöller/Feskorn ZPO, 31. Aufl., § 80 FamFG Rz. 3; so zu § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch BGHZ 166, 117 = NJW 2006, 2260 Rz. 20 und BGH Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, FamRZ 2003, 441, 443). Soweit in Rechtsprechung und Literatur sprachlich hiervon abweichend darauf abgestellt wird, dass die Kosten nach der allgemeinen Verkehrsauffassung objektiv aufzuwenden sein müssten (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2012, 735; Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl., § 80 Rz. 5; MünchKommFamFG/Schindler 2. Aufl., § 80 Rz. 10; Müther in Bork/Jacoby/Schwab FamFG 2. Aufl., § 80 Rz. 6), begründet dies keinen sachlichen Unterschied. Denn die allgemeine Verkehrsauffassung steht insoweit für den "verobjektivierten" Standpunkt des verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Beteiligten. Maßstab für die Erstattungsfähigkeit nach § 80 Satz 1 FamFG ist mithin kein rein objektiver. Die Frage, ob vom Antrags- oder Rechtsmittelgegner trotz bereits erfolgter Rücknahme verursachte Kosten notwendige Aufwendungen i.S.d. § 80 Satz 1 FamFG sind, ist nicht aufgrund der objektiven Verfahrenssituation, sondern von diesem "verobjektivierten" Standpunkt aus zu beantworten.

Rz. 24

(a) Den Kostenbestimmungen der §§ 80 ff. FamFG liegt ein anderes Regelungskonzept als den §§ 91 ff. ZPO zugrunde. Während nach der Zivilprozessordnung die Kostenlast regelmäßig dem jeweiligen Obsiegen oder Unterliegen folgt, haben die §§ 80 ff. FamFG in viel stärkerem Maße den Einzelfall und dabei, wie § 81 Abs. 2 FamFG belegt, subjektive Elemente der schuldhaften Kostenverursachung im Blick. Dies gewinnt nicht nur für die Kostengrundentscheidung, sondern auch für das Verständnis des Begriffs der Notwendigkeit in § 80 Satz 1 FamFG Bedeutung. Darf ein Beteiligter nach den Informationen, die ihm zur Verfügung stehen oder zumindest stehen müssten, bei verständiger und wirtschaftlich vernünftiger, eine sparsame Verfahrensführung berücksichtigenden Herangehensweise davon ausgehen, dass eine Maßnahme sachdienlich ist, so erwächst ihm aus der Vornahme der Maßnahme kein Vorwurf. So aber verhält es sich, wenn er als Antrags- oder Rechtsmittelgegner davon ausgeht und ausgehen darf, sich in einem Verfahren zur Wehr setzen zu müssen. Eine Rücknahme, die er weder kennt noch kennen muss, hat hierauf keinen Einfluss. Veranlasser ist vielmehr letztlich allein der Antragsteller oder Rechtsmittelführer.

Rz. 25

Jedenfalls im Rahmen des § 80 FamFG wäre es im Gegenteil systemfremd und auch unbillig, dem Antrags- oder Rechtsmittelgegner, der auf den Rücknahmezeitpunkt keinen Einfluss hat, einen verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu versagen, wenn er bei Verursachung der Kosten auch vom Standpunkt eines verständigen und wirtschaftlich vernünftigen, auf Kostengeringhaltung bedachten Beteiligten von der Notwendigkeit dieser Kosten ausgehen durfte.

Rz. 26

(b) Zu keinem anderen Ergebnis führt bei § 80 FamFG die Überlegung, bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Maßnahme im Kostenfestsetzungsverfahren, das auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und auf die Klärung einfacher Rechtsfragen des Kostenrechts zugeschnitten ist, sei eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Vor diesem Hintergrund sei es wenig sinnvoll, das Verfahren durch eine übermäßige Differenzierung der Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit und insb. durch die - unter Umständen aufwendige - Prüfung subjektiver Kriterien ("unverschuldete Unkenntnis" von Beteiligtem und Verfahrensbevollmächtigtem) zu belasten (vgl. BGHZ 209, 120 = FamRZ 2016, 900 Rz. 11; BGH Beschl. v. 23.11.2006 - I ZB 39/06, NJW-RR 2007, 1575 Rz. 17). Im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 85 FamFG, §§ 103 bis 107 ZPO muss ohnehin stets eine Einzelfallprüfung danach erfolgen, ob notwendige Aufwendungen i.S.d. § 80 FamFG vorliegen. Dies gilt auch für Rechtsanwaltskosten, weil es an einer § 91 Abs. 2 ZPO entsprechenden Norm fehlt. Die für den Ausnahmefall der vor Kostenverursachung erfolgten Rücknahme erforderliche Prüfung, ob eine unverschuldete Unkenntnis des Antrags- oder Rechtsmittelgegners vorliegt, bedeutet in diesem Zusammenhang keine Überfrachtung des Kostenfestsetzungsverfahrens.

Rz. 27

b) Der Senat kann die Notwendigkeit der vom Antragsgegner geltend gemachten Rechtsanwaltskosten nicht selbst beurteilen. Insoweit fehlt es bereits an ausreichenden Feststellungen zur Schwierigkeit der Sache (vgl. etwa OLG Nürnberg FamRZ 2012, 735; Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl., § 80 Rz. 28; MünchKommFamFG/Schindler 2. Aufl., § 80 Rz. 11; Schulte-Bunert/Weinreich/Keske FamFG 5. Aufl., § 80 Rz. 50). Diese wird das OLG nun zu treffen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 10395897

NJW 2017, 10

FamRZ 2017, 643

FuR 2017, 263

FuR 2017, 3

FGPrax 2017, 91

AnwBl 2017, 447

JZ 2017, 295

MDR 2017, 365

Rpfleger 2017, 340

AGS 2017, 248

ErbR 2017, 478

FF 2017, 176

FamRB 2017, 221

NJW-Spezial 2017, 443

RVGreport 2017, 143

NZFam 2017, 626

RENO 2017, 15

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