Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergleichsgebühr des Rechtsanwalts als notwendige Kosten in der Zwangsvollstreckung

 

Leitsatz (amtlich)

Die vom Schuldner übernommenen Kosten eines im Zwangsvollstreckungsverfahren geschlossenen Vergleichs sind regelmäßig notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung. Das gilt auch für die durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts entstandene Vergleichs- oder Einigungsgebühr.

 

Normenkette

ZPO § 788 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Würzburg (Beschluss vom 20.05.2005; Aktenzeichen 9 T 1854/04)

AG Würzburg (Beschluss vom 28.07.2004; Aktenzeichen a M 4017/04)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Würzburg vom 20.5.2005 und der Beschluss des AG Würzburg vom 28.7.2004, mit dem der Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hinsichtlich eines Betrags von 392,42 EUR zurückgewiesen worden ist, aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG Würzburg zurückverwiesen.

Der Schuldner trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Beschwerdewert: 392,42 EUR

 

Gründe

I.

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid. Während des Zwangsvollstreckungsverfahrens schloss sie, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, im Juli 2000 mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung. Darin wurde dem Schuldner gestattet, die Forderung in monatlichen Raten von 500 DM (255,65 EUR) zu tilgen; bei einem Zahlungsrückstand sollte die gesamte Restforderung sofort fällig werden. Der Schuldner trat der Gläubigerin zur Sicherheit drei Werklohnforderungen ab und übernahm die Kosten der Vereinbarung.

Der Schuldner geriet mit seinen Ratenzahlungen in Rückstand. Die Gläubigerin beantragte den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen eines Gesamtbetrages von 4.717,13 EUR. Darin sind Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 392,42 EUR für den Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung enthalten. Der Rechtspfleger hat es abgelehnt, insoweit den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu erlassen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich ihre vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass durch die Ratenzahlungsvereinbarung eine Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO entstanden ist. Es meint jedoch, diese könne nicht gem. § 788 Abs. 1 ZPO beigetrieben werden. Kosten der Zwangsvollstreckung im Sinne dieser Vorschrift seien nur solche, die der Vorbereitung und Durchführung der Zwangsvollstreckung unmittelbar dienten. Das sei bei der Ratenzahlungsvereinbarung nicht der Fall. Diese bezwecke die freiwillige Befriedigung des Gläubigers. Fraglich erscheine zudem, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Gläubigerin als Großunternehmen für den Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung notwendig gewesen sei. Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit rechtfertige letztlich keine andere Beurteilung.

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Wesentlichen nicht stand. Der Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wurde hinsichtlich des Betrags von 392,42 EUR zu Unrecht abgelehnt.

a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass durch die Ratenzahlungsvereinbarung eine Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO angefallen ist. Es liegt ein Vergleich mit gegenseitigem Nachgeben vor. Die Gläubigerin hat sich mit Ratenzahlungen begnügt. Der Schuldner hat ihr zur Sicherheit drei Werklohnforderungen abgetreten (vgl. OLG Zweibrücken v. 2.3.1992 - 3 W 168/91, MDR 1992, 909 = Rpfleger 1992, 408; OLG Köln JurBüro 1979, 1642 [1643]; Schuschke/Walker, ZPO, 3. Aufl., § 788 Rz. 11).

b) Ob die Kosten eines im Zwangsvollstreckungsverfahren geschlossenen Vergleichs zu den nach § 788 Abs. 1 ZPO beitreibbaren notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung gehören, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zum Teil wird diese Frage verneint mit der Begründung, der Vollstreckungsvergleich diene nicht unmittelbar der Durchführung der Zwangsvollstreckung, sondern gerade der Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Die Gegenansicht verweist auf prozessökonomische Gesichtspunkte und darauf, dass der Schuldner die Kosten des Vollstreckungsvergleichs veranlasst habe. Zum Teil wird darauf abgestellt, ob der Schuldner die Kosten im Vergleich übernommen hat (vgl. die Nachweise bei: Karsten Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 788 Rz. 15; und bei: Schuschke/Walker, ZPO, 3. Aufl., § 788 Rz. 11).

c) Der Senat entscheidet die Streitfrage dahin, dass die Kosten eines Vollstreckungsvergleichs regelmäßig nach § 788 Abs. 1 ZPO beigetrieben werden können, wenn der Schuldner in dem Vergleich die Kosten übernommen hat. Ohne eine solche Vereinbarung wären die Vergleichskosten in entsprechender Anwendung von § 98 Satz 1 ZPO als gegeneinander aufgehoben anzusehen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 788 Rz. 7). Eine Kostenerstattung, auch im Wege des § 788 Abs. 1 ZPO, käme von vornherein nicht in Betracht.

aa) Der Senat muss sich nicht abschließend dazu äußern, ob Kosten der Zwangsvollstreckung i.S.v. § 788 Abs. 1 ZPO nur solche Aufwendungen sind, die unmittelbar und konkret zum Zwecke der Vorbereitung und Durchführung der Zwangsvollstreckung gemacht werden oder ob - weitergehend - alle Aufwendungen des Gläubigers erfasst werden, die anlässlich der Zwangsvollstreckung entstanden sind oder kausal auf diese zurückzuführen sind (vgl. zum Meinungsstand: BGH, Beschl. v. 14.4.2005 - V ZB 5/05 MDR 2005, 951 = BGHReport 2005, 1007 m. Anm. Schuschke = NJW 2005, 2460). Nach der zuletzt genannten Auffassung zählen die Vergleichskosten zu den Kosten der Zwangsvollstreckung. Die Anwendung des § 788 ZPO auf die Vergleichskosten ist aber auch dann sachgerecht, wenn man der engeren Auffassung folgt. § 788 Abs. 1 ZPO wird von dem Veranlassungsprinzip beherrscht (BGH, Beschl. v. 14.4.2005 - V ZB 5/05 MDR 2005, 951 = BGHReport 2005, 1007 m. Anm. Schuschke = NJW 2005, 2460; Karsten Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 788 Rz. 1); die Vergleichskosten wurden vom Schuldner, der es zum Zwangsvollstreckungsverfahren hat kommen lassen, veranlasst. Der Vergleich dient ebenso wie eine Vollstreckungsmaßnahme unmittelbar der Durchsetzung und Befriedigung der titulierten Forderung des Gläubigers. Für die Anwendbarkeit von § 788 Abs. 1 ZPO sprechen zudem prozessökonomische Erwägungen (vgl. auch: OLG Stuttgart v. 17.1.1994 - 8 W 429/92, Rpfleger 1994, 367). Mit § 788 ZPO wird dem Gläubiger ein vereinfachtes Verfahren zur Beitreibung der ihm entstandenen Vollstreckungskosten zur Verfügung gestellt. Er soll nicht darauf angewiesen sein, eine erneute Klage wegen eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs erheben zu müssen (BGH, Beschl. v. 14.4.2005 - V ZB 5/05 MDR 2005, 951 = BGHReport 2005, 1007 m. Anm. Schuschke = NJW 2005, 2460). Gerade diesen auch für den Schuldner mit weiteren Kosten verbundenen Weg müsste er aber beschreiten, wenn man ihm versagen wollte, die Vergleichskosten nach § 788 Abs. 1 ZPO beizutreiben.

Dass ggf. ein Gerichtsvollzieher im Rahmen seiner Zuständigkeit zu überprüfen hat, ob ein Vergleich vorliegt und ob eine Anwaltsgebühr entstanden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er ist auch sonst mit der Prüfung materiell-rechtlicher Fragen, etwa im Rahmen des § 775 Nr. 4 ZPO, und von Gebührentatbeständen befasst (Karsten Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 788 Rz. 15).

bb) Die Kosten eines Vollstreckungsvergleichs sind regelmäßig auch als notwendig i.S.v. § 788 Abs. 1, § 91 ZPO anzusehen. Es handelt sich um Kosten, deren Entstehung der Gläubiger bei vernünftiger Würdigung der Sachlage objektiv für erforderlich halten durfte, um die Befriedigung seines titulierten Anspruchs durchzusetzen (Karsten Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 788 Rz. 15 [22]).

Umstritten ist allerdings, ob dieser Grundsatz auch für die Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO (nunmehr Einigungsgebühr nach RVG VV Nr. 1000) gilt. Diese soll nach einem Teil der Literatur nur erstattungsfähig sein, wenn der Gläubiger wegen besonderer Umstände sich anwaltlicher Hilfe habe bedienen müssen. Denn nur für Prozesse gelte, dass die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts ohne Notwendigkeitsprüfung ersetzt würden (Karsten Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 788 Rz. 16; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 788 Rz. 8, Stichwort Vergleich).

Dem folgt der Senat nicht. Auch von den Vertretern dieser Ansicht wird nicht in Zweifel gezogen, dass in aller Regel der Gläubiger einen Rechtsanwalt mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung beauftragen darf und dass die dadurch entstandenen Kosten als notwendig anzuerkennen sind (Karsten Schmidt in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 788 Rz. 23). Es besteht kein Anlass, diesen Grundsatz auf die Tätigkeiten zu beschränken, die durch die Gebühren nach § 57 BRAGO (nunmehr RVG VV Nr. 3309, 3310) abgegolten sind, und den Abschluss eines Vergleichs auszunehmen. § 788 Abs. 1 ZPO verweist ohne Einschränkung auf § 91 ZPO, also auch auf dessen Abs. 2 Satz 1. Nach dieser Vorschrift werden die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts in allen Prozessen ohne Notwendigkeitsprüfung erstattet. Das gilt auch dann, wenn er ein Großunternehmen vertritt. Die Vorschrift ist durch die Verweisung im Zwangsvollstreckungsverfahren entsprechend anwendbar (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 788 Rz. 7 [9]; HK-ZPO/Saenger, § 788 Rz. 24; Schuschke/Walker, ZPO, 3. Aufl., § 788 Rz. 11; Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl., § 57 BRAGO Rz. 74).

Dem steht nicht entgegen, dass der Gläubiger gehalten ist, die Zwangsvollstreckungskosten möglichst niedrig zu halten (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 788 Rz. 9). Der Abschluss eines Vollstreckungsvergleichs und die damit verbundene Vermeidung weiterer Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kann sich durchaus auch für den Schuldner kostengünstig auswirken. Denn jede einzelne Vollstreckungsmaßnahme, die durch den Vergleich vermieden wird, ist eine eine Gebühr auslösende (besondere) Angelegenheit nach § 58 Abs. 1 BRAGO bzw. § 18 Nr. 3 RVG (vgl. hierzu: Schuschke/Walker, ZPO, 3. Aufl., § 788 Rz. 11). Dem Gläubiger kann zudem kaum zugemutet werden, dann, wenn sich die Möglichkeit eines Vollstreckungsvergleichs abzeichnet, die Sache seinem Anwalt zu entziehen, den Vergleich selbst zu schließen, und, falls die Durchführung des Vergleichs scheitert, die weitere Vollstreckung wiederum dem Anwalt zu übertragen (vgl. Schmidt, JurBüro 2000, 125 [126]).

d) Nach diesen Grundsätzen kann die Gläubigerin die Vergleichsgebühr nach § 788 Abs. 1 ZPO beitreiben. Anhaltspunkte dafür, dass diese Kosten ausnahmsweise nicht als notwendig anerkannt werden können, sind nicht ersichtlich. Der entsprechende Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde somit zu Unrecht nicht erlassen. Der Rechtspfleger wird über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1498703

BB 2006, 966

NJW 2006, 1598

BGHR 2006, 882

FamRZ 2006, 780

JR 2007, 116

JurBüro 2006, 327

WM 2006, 1173

InVo 2006, 251

MDR 2006, 1133

AGS 2006, 214

HRA 2008, 8

VE 2006, 91

ZVI 2006, 145

RVG prof. 2007, 2

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