Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlust einer Gerichtsentscheidung. Beschwerde. Gegenvorstellung

 

Leitsatz (amtlich)

Beschwerdeentscheidungen im Verfahren über die Ersetzung einer zerstörten oder abhanden gekommenen Gerichtsentscheidung unterliegen keiner weiteren Anfechtung. Gegen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann ein beschwerter Beteiligter mit der Anhörungsrüge (hier § 29a FGG) vorgehen; für sonstige Einwendungen bleibt ihm nur die Möglichkeit der Gegenvorstellung.

 

Normenkette

UrkErsVO § 6 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Bamberg (Beschluss vom 11.04.2006; Aktenzeichen 3 T 132/04)

AG Bamberg (Beschluss vom 13.12.2001; Aktenzeichen X 7/00)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Bamberg vom 11.4.2006 wird auf ihre Kosten verworfen.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

I.

[1] A.S. hat den Vater der Antragstellerin mit einem vom Notar J. in B. am 29.3.1940 beurkundeten Vertrag an Kindes statt angenommen. Das AG B. soll die Annahme - gemäß dem damals geltenden § 1741 BGB a.F. - in einem im April 1940 verkündeten Beschluss bestätigt haben. Die Antragstellerin begehrt die Ersetzung dieses - nicht auffindbaren - Beschlusses; sie stützt ihr Begehren auf die Verordnung über die Ersetzung zerstörter oder abhanden gekommener gerichtlicher oder notarischer Urkunden vom 18.6.1942 (RGBl. 1942, S. 395) i.d.F. vom 1.1.1964 (BGBl. III 1964, 315-4: im Folgenden: ErsVO).

[2] Das AG hat dem Antrag durch Beschluss vom 13.12.2001 stattgegeben. Den Antrag des Beteiligten K.S., des Adoptivbruders der Antragstellerin, auf erneute Einleitung des Ersetzungsverfahrens nach § 6 Abs. 2 ErsVO hat es am 24.6.2004 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beteiligten K.S. hat das LG wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses durch Beschluss vom 17.12.2004 als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung hat der Beteiligte K.S. "weitere Beschwerde" eingelegt. Das OLG hat die weitere Beschwerde als außerordentliches Rechtsmittel behandelt und wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit für zulässig und begründet erachtet; es hat das Verfahren mit Beschluss vom 25.7.2005 an das LG zurückverwiesen.

[3] Das LG hat durch Beschluss vom 11.4.2006 die Entscheidung des AG Bamberg vom 13.12.2001 aufgehoben und den Antrag auf Ersetzung des die Annahme als Kind bestätigenden Beschlusses zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der vom LG "analog §§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, 27 FGG" zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

[4] Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft.

[5] 1. Nach § 6 Abs. 4 ErsVO ist gegen Beschwerdeentscheidungen im Verfahren über die Ersetzung von Gerichtsentscheidungen ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig (vgl. BGH Beschl. v. 18.5.1961 - VII ZB 5/61, NJW 1961, 1405). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen nicht, da weder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 103 Abs. 1 GG) noch der allgemeine Justizgewährungsanspruch in Form der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) die Überprüfung von Gerichtsentscheidungen in einem Instanzenzug gebieten (vgl. BVerfG v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = FamRZ 2003, 995, 996).

[6] 2. Nach der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Ansicht steht § 6 Abs. 4 ErsVO der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Diese vorkonstitutionell ergangene Vorschrift schließe nur die weitere Beschwerde zum OLG aus, stelle aber keine bewusste Ausnahme von der grundsätzlich eröffneten Möglichkeit der Rechtsbeschwerde dar. Es gelte deshalb die "Grundregel" des § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wonach das Rechtsbeschwerdegericht an die Zulassung gebunden sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

[7] a) Für das Beschwerdeverfahren sind nach § 6 Abs. 3 Satz 1 ErsVO die Vorschriften des FGG maßgebend, denn Gegenstand des Ersetzungsverfahrens ist ein die "Annahme als Kind" bestätigender Beschluss des Vormundschaftsgerichts. Bestimmungen der Zivilprozessordnung sind im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit - soweit eine entsprechende Anwendung nicht ausdrücklich vorgesehen ist - nur dann entsprechend heranzuziehen, wenn eine Regelungslücke besteht, die eine Anwendung von Normen der Zivilprozessordnung ungeachtet der Besonderheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gebietet (BGH Beschl. v. 14.12.1989 - IX ZB 40/89, NJW 1990, 1794, 1795). Das Rechtsmittelsystem der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das eine Anrufung des BGH außerhalb des Vorlegungsverfahrens nach § 28 Abs. 2 FGG nicht vorsieht, weist eine solche Regelungslücke nicht auf. Es enthält - sieht man von der Anschlussbeschwerde ab - eine abschließende Regelung (BGH Beschl. v. 14.12.1989 - IX ZB 40/89, NJW 1990, 1794, 1795); eine Rechtsbeschwerde zum BGH ist ihm fremd (vgl. aber § 73 FamFG-E).

[8] b) Zudem ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ein "außerordentliches" Rechtsmittel zu einem höheren Gericht - z.B. wenn der Instanzenweg erschöpft ist - nicht möglich, selbst wenn die Endentscheidung gegen Verfahrensgrundrechte verstößt oder aus einem anderen Grund greifbar gesetzeswidrig ist (OLG Jena FGPrax 2006, 115 f.; KG v. 7.12.2004 - 1 W 238/04, 1 W 239/04, KGReport Berlin 2005, 246 = FamRZ 2005, 918, 919; für den Geltungsbereich der ZPO vgl. Senatsbeschlüsse v. 21.4.2004 - XII ZB 279/03, BGHZ 159, 14, 18 f. = BGHReport 2004, 1191 m. Anm. Jaspersen = MDR 2004, 1137 = FamRZ 2004, 1191, 1199; v. 20.10.2004 - XII ZB 35/04, MDR 2005, 339 = BGHReport 2005, 262 = FamRZ 2005, 191, 192). Ein solches gesetzlich nicht geregeltes Rechtsmittel widerspräche dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtsmittelklarheit (BVerfG v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = FamRZ 2003, 995, 999 unter C IV 2b).

[9] 3. Der Senat ist auch nicht an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht gebunden. Durch die Zulassung wird dem Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde zugänglich gemacht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich statthaft ist. Sie wird aber nicht in den Fällen eröffnet, in denen die Anfechtbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung des Beschwerdegerichts kann nicht durch dessen Ausspruch einer Anfechtung unterworfen werden. Eine solche Entscheidung bleibt - auch bei irriger Rechtsmittelzulassung - unanfechtbar (Senatsbeschlüsse v. 11.5.2005 - XII ZB 189/03, MDR 2005, 927 = BGHReport 2005, 1134 = FamRZ 2005, 1481; v. 20.10.2004 - XII ZB 35/04, MDR 2005, 339 = BGHReport 2005, 262 = FamRZ 2005, 191; v. 21.4.2004 - XII ZB 279/03, BGHReport 2004, 1191 m. Anm. Jaspersen = MDR 2004, 1137 = FamRZ 2004, 1191, 1192).

[10] 4. Soweit die Antragstellerin Verfahrensverstöße behauptet, hätten diese allenfalls mit der Rüge nach § 29a FGG oder mit der Gegenvorstellung ggü. dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1765443

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