Leitsatz (amtlich)

a) Das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung steht den Angehörigen nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen nur dann zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 16.1.2019 - XII ZB 489/18 FamRZ 2019, 618).

b) Allein aus der Nennung eines Angehörigen im Rubrum einer betreuungsgerichtlichen Entscheidung lässt sich nicht auf dessen (konkludente) Hinzuziehung zum erstinstanzlichen Verfahren schließen (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 27.3.2019 - XII ZB 417/18 FamRZ 2019, 1091).

 

Normenkette

FamFG § 303 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Beschluss vom 07.11.2019; Aktenzeichen 23 T 520 + 578/19)

AG Bielefeld (Beschluss vom 22.05.2019; Aktenzeichen 2 XVII 453/18 B)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des LG Bielefeld vom 7.11.2019 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Auf Anregung der Beteiligten zu 1), der getrenntlebenden Ehefrau des Betroffenen, leitete das AG zunächst ein Verfahren zur Prüfung ein, ob für den Betroffenen ein Betreuer zu bestellen ist. Nachdem der Betroffene in diesem Verfahren eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht vom 29.12.2017 zugunsten seiner Lebensgefährtin vorlegt hatte, stellte das AG das Betreuungsverfahren ein.

Rz. 2

Mit weiterem Beschluss vom 22.5.2019 hat das AG auch die Bestellung eines Kontrollbetreuers abgelehnt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 1) und des Beteiligten zu 2), des Sohnes des Betroffenen, hat das LG mangels der erforderlichen Beschwerdebefugnis verworfen.

Rz. 3

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 2) mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 4

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde daraus, dass seine Erstbeschwerde verworfen worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 16.1.2019 - XII ZB 489/18 FamRZ 2019, 618 Rz. 4 m.w.N.).

Rz. 6

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil das LG die Erstbeschwerde gegen den Beschluss des AG zu Recht mit der Begründung verworfen hat, dass dem Beteiligten zu 2) die Beschwerdebefugnis fehlt.

Rz. 7

a) Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:

Rz. 8

Dem Beteiligten zu 2) stehe als Sohn des Betroffenen kein Beschwerderecht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zu, weil er im ersten Rechtszug vom AG nicht am Verfahren beteiligt worden sei. Ihm seien weder die Stellungnahme der Betreuungsbehörde, die zur Akte gereichte General- und Vorsorgevollmacht noch das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. oder die ärztliche Stellungnahme des Dr. R. zur Kenntnis- oder Stellungnahme übersandt worden. Der Beteiligte zu 2) sei auch nicht vom Termin zur persönlichen Anhörung des Betroffenen benachrichtigt oder zu diesem geladen worden. Der Beteiligte zu 2) habe sich vielmehr erst mit Schreiben vom 16.5.2019 beim AG gemeldet, mitgeteilt, dass er sich dem Antrag der Beteiligten zu 1) anschließen möchte, und um Akteneinsicht gebeten. Diese habe er jedoch erst nach Erlass der amtsgerichtlichen Entscheidung erhalten. Auch die erfolgte Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung bewirke keine Beteiligung am Verfahren. Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis durch Hinzuziehung eines Angehörigen nach Abschluss des ersten Rechtszugs komme ebenfalls nicht in Betracht.

Rz. 9

Ein Beschwerderecht des Beteiligten zu 2) ergebe sich auch nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG, weil er durch die angegriffene betreuungsrechtliche Entscheidung nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt werde.

Rz. 10

b) Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Das LG hat zu Recht eine Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) verneint.

Rz. 11

aa) Nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sind im Interesse des Betroffenen u.a. dessen Abkömmlinge zur Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung befugt, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.

Rz. 12

Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, steht einem Angehörigen, der erstinstanzlich nicht beteiligt worden ist, kein Beschwerderecht zu, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Beteiligung unterblieben ist (BGH v. 13.3.2019 - XII ZB 523/18 FamRZ 2019, 915 Rz. 6 m.w.N.; v. 16.1.2019 - XII ZB 489/18 FamRZ 2019, 618 Rz. 7 m.w.N.). Für die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist somit entscheidend, ob der Beschwerdeführer tatsächlich im ersten Rechtszug beteiligt worden ist. Allerdings kann die Hinzuziehung eines Beteiligten auch konkludent erfolgen, beispielsweise durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen (BGH, Beschl. v. 18.10.2017 - XII ZB 213/16, FamRZ 2018, 197 Rz. 8 m.w.N.). Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis durch Hinzuziehung von Angehörigen nach Erlass der angefochtenen Entscheidung des AG - sei es in einem Zwischenverfahren, sei es im Rahmen des Abhilfeverfahrens - scheidet jedoch aus. Das auf eine Beschwerde folgende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG gehört nicht mehr zum ersten Rechtszug, sondern schließt sich an diesen an (vgl. BGH v. 25.4.2018 - XII ZB 282/17 FamRZ 2018, 1251 Rz. 16; v. 18.10.2017 - XII ZB 213/16, FamRZ 2018, 197 Rz. 12 m.w.N.).

Rz. 13

bb) Der Beteiligte zu 2) ist im ersten Rechtszug des Verfahrens über die Bestellung eines Kontrollbetreuers nicht beteiligt worden, so dass er auch nicht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zur Beschwerde befugt war.

Rz. 14

(1) Zwar wurde dem Beteiligten zu 2) die erstinstanzliche Entscheidung bekannt gegeben. Dies stellt jedoch keine Beteiligung i.S.v. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG dar. Das ergibt sich bereits aus dem Begriff der Beteiligung. Eine Beteiligung setzt die Möglichkeit voraus, dass die "beteiligte" Person - in welcher Art und Weise auch immer - auf das Verfahren Einfluss nehmen kann. Wird lediglich der die Instanz abschließende Beschluss bekannt gegeben, ist eine solche Beteiligung in derselben Instanz nicht mehr möglich (BGH, Beschl. v. 18.10.2017 - XII ZB 213/16, FamRZ 2018, 197 Rz. 11 m.w.N.).

Rz. 15

(2) Weitere Verfahrenshandlungen, aus denen auf einen Willen des AG zur Beteiligung des Beteiligten zu 2) am erstinstanzlichen Verfahren geschlossen werden kann (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 27.3.2019 - XII ZR 417/18, FamRZ 2019, 1091 Rz. 7), liegen nicht vor. So wurde ihm weder die Stellungnahme der Betreuungsbehörde noch die zur Akte gereichte General- und Vorsorgevollmacht bekannt gegeben. Das AG hat dem Beteiligten zu 2) auch das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. oder die ärztliche Stellungnahme des Dr. R. nicht zur Kenntnis- oder Stellungnahme übersandt. Zudem ist der Beteiligte zu 2) nicht vom Termin zur persönlichen Anhörung des Betroffenen benachrichtigt oder zu diesem geladen worden. Schließlich ist er auch nicht angehört oder sonst in irgendeiner Form hinzugezogen worden, bis der angefochtene Beschluss des AG ergangen ist. In der antragsgemäß bewilligten Akteneinsicht liegt ebenfalls keine Hinzuziehung des Beteiligten zu 2), wenn diese - wie hier - nach Erlass der angegriffenen Entscheidung erkennbar allein dazu dient, dessen Informationsinteresse zu befriedigen (BGH, Beschl. v. 13.3.2019 - XII ZB 523/18 FamRZ 2019, 915 Rz. 10).

Rz. 16

(3) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde lässt sich auch aus der Nennung des Beteiligten zu 2) im Rubrum der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht auf dessen (konkludente) Hinzuziehung zum erstinstanzlichen Verfahren schließen. Denn eine Beteiligung setzt notwendigerweise die Möglichkeit voraus, dass die beteiligte Person - in welcher Art und Weise auch immer - auf das Verfahren in derselben Instanz Einfluss nehmen kann. Weil zudem erforderlich ist, dass das Gericht dem Beteiligten eine solche Einflussnahme ermöglichen will und dies zumindest konkludent zum Ausdruck bringt, bedarf es immer eines vom Gericht gewollten Hinzuziehungsaktes, unabhängig davon, ob es sich um einen Muss-Beteiligten i.S.v. § 274 Abs. 1 FamFG oder - wie hier - um einen Kann-Beteiligten nach § 274 Abs. 4 FamFG handelt. Dabei muss das Gericht dem Dritten zu erkennen geben, dass es ihn am Verfahren beteiligen will (BGH, Beschl. v. 27.3.2019 - XII ZB 417/18 FamRZ 2019, 1091 Rz. 7 m.w.N.). Die bloße Benennung im Rubrum einer Entscheidung genügt hierfür nicht.

Rz. 17

(4) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt sich ein Beschwerderecht des Beteiligten zu 2) nicht mit dem verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) begründen.

Rz. 18

Insbesondere wäre dem Anliegen des Beteiligten zu 2) mit einer "verfassungskonformen" Auslegung seiner Beschwerde nicht gedient. Zwar wird teilweise vertreten, die Beschwerde eines am erstinstanzlichen Verfahren unverschuldet nicht beteiligten Angehörigen sei dahin auszulegen, dass sie zugleich einen Antrag auf Beteiligung an dem Verfahren beinhalte, über den vom AG im Rahmen eines Zwischenverfahrens gem. § 7 Abs. 5 FamFG zu entscheiden sei (vgl. dazu LG Verden BtPrax 2010, 242; LG Saarbrücken FamRZ 2010, 1371, 1372; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 3. Aufl., § 303 Rz. 11; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 6. Aufl., § 303 Rz. 9). Selbst wenn im Zwischenverfahren festgestellt werden sollte, dass der Beschwerdeführer hätte beteiligt werden müssen, bliebe es jedoch sowohl bei der amtsgerichtlichen Hauptsacheentscheidung als auch bei der Nichtbeteiligung des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren. Deshalb bliebe auch die eingelegte Beschwerde gem. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG unzulässig (vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.2014 - XII ZB 86/14 FamRZ 2015, 572 Rz. 11 m.w.N.; vgl. auch Senat, Beschl. v. 10.6.2020 - XII ZB 355/19 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Rz. 19

(5) Schließlich ist es auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, einem nicht beteiligten Angehörigen in Fällen der vorliegenden Art ein - gesetzlich nicht vorgesehenes - Beschwerderecht einzuräumen.

Rz. 20

Angehörige des Betroffenen, die nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG am Betreuungsverfahren beteiligt werden können, sind - sofern sie dem Gericht bekannt sind und nicht von Amts wegen hinzugezogen werden - gem. § 7 Abs. 4 FamFG von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen und über ihr Antragsrecht nach § 7 Abs. 3 FamFG zu belehren. Dadurch soll ihnen aus Gründen des rechtlichen Gehörs ermöglicht werden, auf eine - die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG vermittelnde - Beteiligung am Verfahren hinzuwirken (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 179 f.; BGH, Beschl. v. 11.7.2018 - XII ZB 471/17 FamRZ 2018, 1607 Rz. 23 f.).

Rz. 21

Eine solche Benachrichtigung bzw. Belehrung des Beteiligten zu 2) ist vorliegend zwar unterblieben. Dieser Verfahrensfehler führt gleichwohl nicht zu einem Beschwerderecht des Beteiligten zu 2). Zwar wird der den Angehörigen eines Betroffenen durch die §§ 303 Abs. 2 Nr. 1, 274 Abs. 4 Nr. 1, 7 FamFG eröffnete fachgerichtliche Rechtsmittelzug abgeschnitten, wenn unter Verstoß gegen § 7 Abs. 4 FamFG keine Benachrichtigung von der Verfahrenseinleitung und Belehrung über das Antragsrecht erfolgt und daher eine Beteiligung der Angehörigen unterbleibt. Mit der in § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG normierten Voraussetzung einer erstinstanzlichen Beteiligung von Angehörigen hat der Gesetzgeber den Kreis der beschwerdebefugten Personen jedoch bewusst enger gefasst als in der Vorgängerregelung des § 69g Abs. 1 FGG. Auch wenn damit vornehmlich altruistische Beschwerden solcher Angehörigen vermieden werden sollten, die am erstinstanzlichen Verfahren kein Interesse gezeigt haben (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 271 f.), ist eine dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung entgegenstehende Auslegung dahingehend, dass Angehörigen in Einzelfällen auch bei einer unterbliebenen Beteiligung eine Beschwerdebefugnis einzuräumen wäre, unabhängig vom Grund für die fehlende Beteiligung nicht geboten. Angehörige des Betroffenen sind durch eine betreuungsgerichtliche Entscheidung nicht in eigenen subjektiven Rechten verletzt. Ihre etwaige Verfahrensbeteiligung erfolgt ausschließlich im Interesse des Betroffenen und ist damit rein fremdnützig ausgestaltet. Auch ihr Tätigwerden dient nicht einem eigenen, sondern ausschließlich dem Interesse des Betroffenen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.7.2018 - XII ZB 471/17 FamRZ 2018, 1607 Rz. 25 f.).

Rz. 22

Im Übrigen müssen Rechtsbehelfe mit ihren Voraussetzungen in der Verfahrensordnung geregelt sein. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit verbietet der Rechtsprechung, Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts zu schaffen, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 995, 998 f.; BGH, Beschl. v. 11.7.2018 - XII ZB 471/17 FamRZ 2018, 1607 Rz. 27 m.w.N.).

Rz. 23

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Fundstellen

FuR 2020, 648

BtPrax 2020, 183

JZ 2020, 572

MDR 2020, 1204

FamRB 2020, 6

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