Entscheidungsstichwort (Thema)

Dauer der Überprüfungsfrist für angeordnete Betreuung

 

Leitsatz (amtlich)

Die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen über die voraussichtliche Dauer der Maßnahme (§ 280 Abs. 3 Nr. 5 FamFG) ist wesentlicher Anhaltspunkt für die Bestimmung der Überprüfungsfrist für die angeordnete Betreuung (§ 286 Abs. 3 FamFG). Weicht der Tatrichter von der gutachterlichen Stellungnahme ab, indem er die Überprüfungsfrist zum Nachteil des Betroffenen über die vom Sachverständigen als erforderlich bezeichnete Dauer der Maßnahme hinaus ausdehnt, muss er die hierfür tragenden Gründe in dem Beschluss darlegen.

 

Normenkette

FamFG §§ 26, 280 Abs. 3 Nr. 5, § 286 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Beschluss vom 18.05.2012; Aktenzeichen 4 T 9/12)

AG Bonn (Beschluss vom 07.09.2011; Aktenzeichen 37 XVII O 277)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bonn vom 18.5.2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das LG zurückverwiesen.

Verfahrenswert: 3.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der 74 Jahre alte Betroffene leidet an einer langjährig bestehenden schizoaffektiven Störung, wegen derer das AG eine rechtliche Betreuung eingerichtet hat. Mit Beschluss vom 7.9.2011 hat das AG den bisherigen Betreuer entlassen, unter Erweiterung der Aufgabenkreise und Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einen neuen Betreuer bestellt und die erneute Überprüfung der Notwendigkeit der Betreuung spätestens bis zum 7.9.2018 angeordnet.

Rz. 2

Der Betroffene hat dagegen Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdegericht hat den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung sowie die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge entfallen lassen und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

Rz. 3

Die nach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Rz. 4

1. Soweit es um die Aufrechterhaltung der angeordneten Betreuung in den vom LG bestätigten Aufgabenkreisen geht, ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden und hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Der Senat hat auch die gerügten Verfahrensmängel geprüft, die Rügen aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 564 ZPO). Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Rz. 5

2. Die angefochtene Entscheidung des LG hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde jedoch nicht stand, soweit mit ihr die vom AG weiter getroffene Anordnung bestätigt wird, dass eine erneute Überprüfung der Notwendigkeit der Betreuung erst zum 7.9.2018 vorzunehmen sei.

Rz. 6

a) Gemäß § 286 Abs. 3 FamFG ist der Zeitpunkt, bis zu dem das Gericht über die Aufhebung oder Verlängerung einer Maßnahme nach Abs. 1 oder Abs. 2 zu entscheiden hat, in der Beschlussformel zu bezeichnen.

Rz. 7

aa) Durch die Bezeichnung der Frist wird festgelegt, wann eine erneute Überprüfung der Notwendigkeit von Amts wegen erfolgt. Dies begründet einen Anspruch des Betroffenen, mit Ablauf der Frist über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung von Amts wegen unter erneuter Durchführung tatsächlicher Ermittlungen (§ 26 FamFG) zu entscheiden.

Rz. 8

bb) Die Anordnung einer zu lang bemessenen Überprüfungsfrist beeinträchtigt den Betroffenen in seinen Rechten.

Rz. 9

Zwar steht es dem Betroffenen frei, jederzeit vor Ablauf der Überprüfungsfrist eine Aufhebung der Betreuung zu beantragen (§ 1908d Abs. 1 BGB). Für die Durchführung tatsächlicher Ermittlungen in einem solchen Aufhebungsverfahren bedarf es jedoch greifbarer Anhaltspunkte für eine Veränderung der der Betreuerbestellung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände, die - wenn sie dem Gericht nicht bereits auf anderem Wege bekannt gemacht worden sind - namentlich vom Betroffenen vorzubringen sind (BGH v. 2.2.2011 - XII ZB 467/10, FamRZ 2011, 556). Daher vermittelt die Möglichkeit, einen Aufhebungsantrag nach § 1908d Abs. 1 BGB zu stellen, keine Rechtsposition, die mit der von Amts wegen nach Fristablauf vorzunehmenden Überprüfung gleichwertig wäre.

Rz. 10

cc) Die konkrete Bemessung der Überprüfungsfrist wird von der Erforderlichkeit der Maßnahme (§ 1896 Abs. 2 BGB) nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt (Keidel/Budde FamFG 17. Aufl., § 286 Rz. 8). Diese Umstände hat der Tatrichter von Amts wegen zu ermitteln (§ 26 FamFG). Gemäß § 280 Abs. 3 Nr. 5 FamFG hat sich das über die Notwendigkeit der Betreuung einzuholende Gutachten auch auf die voraussichtliche Dauer der Maßnahme zu erstrecken. Die gutachterliche Stellungnahme über die voraussichtliche Dauer der Maßnahme ist wesentlicher Anhaltspunkt für die Bestimmung der Überprüfungsfrist (Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 3. Aufl., § 286 Rz. 8; Helms/Prütting/Fröschle FamFG 2. Aufl., § 286 Rz. 19). Will der Tatrichter von der gutachterlichen Stellungnahme abweichen, indem er die nach § 286 Abs. 3 FamFG festzusetzende Überprüfungsfrist zum Nachteil des Betroffenen über die vom Sachverständigen als erforderlich bezeichnete Dauer der Maßnahme hinaus ausdehnt, muss er die hierfür tragenden Gründe in dem Beschluss darlegen.

Rz. 11

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht verhält sich zu den Voraussetzungen, unter denen es die vom AG angeordnete siebenjährige Überprüfungsfrist bestätigt hat, nicht.

Rz. 12

Zwar hatte der Sachverständige in seinem ersten, vom AG eingeholten Gutachten eine Verlängerung der Betreuung für den längst möglichen Zeitraum empfohlen. Darauf fußend hat das AG die gesetzliche Höchstdauer der Überprüfungsfrist ausgeschöpft. Mit seinem weiteren, im Beschwerdeverfahren eingeholten Gutachten vom 29.3.2012 hat der Sachverständige jedoch eine Besserung sowohl des körperlichen als auch des psychischen Zustands des Betroffenen attestiert und - in Abweichung von seiner früheren Stellungnahme - eine Fortführung der Betreuung nunmehr für einen Zeitraum von zunächst zwei Jahren für erforderlich gehalten. Mit dieser Neubewertung der erforderlichen Dauer der Maßnahme durch den Sachverständigen waren die tatsächlichen Grundlagen, auf die das AG seine Anordnung der siebenjährigen Überprüfungsfrist gestützt hat, überholt oder wenigstens in Frage gestellt. Das LG hätte deshalb die vom AG angeordnete siebenjährige Überprüfungsfrist nicht bestätigen dürfen, ohne sich mit der veränderten Einschätzung des Sachverständigen über die erforderliche Dauer der Maßnahme in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen.

Rz. 13

Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an das LG zurückzuverweisen, da der Senat die tatrichterliche Ermessensentscheidung über die anzuordnende Überprüfungsfrist nicht ersetzen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3527755

EBE/BGH 2013

FamRZ 2013, 284

NJW-RR 2013, 194

FGPrax 2013, 27

ZAP 2013, 120

BtPrax 2013, 28

JZ 2013, 100

MDR 2013, 93

FF 2013, 42

FamRB 2013, 5

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge