Leitsatz (amtlich)

a) Auch im Betreuungsverfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten und nicht an den Betroffenen selbst zu erfolgen. Eine gleichwohl an den anwaltlich vertretenen Betroffenen vorgenommene Zustellung ist wirkungslos und setzt Fristen nicht in Lauf (im Anschluss an BGH Beschl. v. 29.4.2010 - V ZB 202/09 - juris und BGH, Beschl. v. 11.5.2016 - XII ZB 582/15 FamRZ 2016, 1259).

b) Haben sich für einen Beteiligten mehrere Verfahrensbevollmächtigte mit umfassender Zustellungsvollmacht bestellt, so ist für den Beginn des Laufs von verfahrensrechtlichen Fristen die zeitlich erste Zustellung an einen von ihnen ausschlaggebend (im Anschluss an BGH, Urt. v. 12.3.2019 - VI ZR 277/18 NJW 2019, 2397).

 

Normenkette

FamFG § 17 Abs. 1, § 71 Abs. 1 S. 1; ZPO § 84 S. 1, § 85 Abs. 2, § 172 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 30.06.2020; Aktenzeichen 2 T 298/19)

AG Stuttgart (Entscheidung vom 26.11.2018; Aktenzeichen 33 XVII 1950/18)

 

Tenor

Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 30.6.2020 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den vorgenannten Beschluss wird verworfen.

Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Wert: 5.000 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Das AG hat für den Betroffenen eine Betreuung errichtet und den Beteiligten als Betreuer bestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde (vom LG unzutreffend als "sofortige Beschwerde" bezeichnet) hat das LG mit Beschluss vom 20.12.2019 zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat diese Entscheidung mit Beschluss vom 25.3.2020 (XII ZB 43/20 - juris) aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen.

Rz. 2

Nach weiteren Ermittlungen hat das LG mit Beschluss vom 30.6.2020 (in der Beschlussformel wiederum unzutreffend als "sofortige Beschwerde" bezeichnet), den beiden Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zugestellt am 17. bzw. 30.7.2020, die Beschwerde erneut zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner am 31.8.2020 (Montag) eingegangenen Rechtsbeschwerde. Auf den Hinweis des Senats, dass Bedenken gegen die Wahrung der Rechtsbeschwerdefrist bestehen, hat der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil der Betroffene die Monatsfrist des § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG versäumt hat und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Wiedereinsetzungsgrunds i.S.d. § 17 Abs. 1 FamFG nicht zu gewähren ist.

Rz. 4

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Diese Frist ist vorliegend nicht gewahrt, weil sie aufgrund der Zustellung an Rechtsanwalt K., einen der beiden Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, am 18.7.2020 zu laufen begann und mithin am 17.8.2020 endete, die Beschwerdeschrift jedoch erst am 31.8.2020 beim BGH eingegangen ist.

Rz. 5

a) Ein anfechtbarer Beschluss wie die hier angefochtene Beschwerdeentscheidung ist zum Zwecke der Bekanntgabe gem. § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG einem Beteiligten, dessen erklärtem Willen - wie hier demjenigen des Betroffenen - er nicht entspricht, nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FamFG i.V.m. §§ 166 bis 195 ZPO zuzustellen. Gemäß der mithin anwendbaren Bestimmung des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Zustellung dabei an den für den Rechtszug bestellten Verfahrensbevollmächtigten (§ 10 Abs. 2 FamFG) und nicht an den Betroffenen selbst zu erfolgen (BGH Beschl. v. 29.4.2010 - V ZB 202/09 - juris Rz. 8 m.w.N.). Eine gleichwohl an den anwaltlich vertretenen Betroffenen vorgenommene Zustellung ist wirkungslos und setzt Fristen nicht in Lauf (vgl. BGH, Beschl. v. 11.5.2016 - XII ZB 582/15 FamRZ 2016, 1259 Rz. 7 m.w.N.; BVerfG NJW 2017, 318 Rz. 15 ff.). Für Betreuungssachen gilt insoweit nichts Abweichendes.

Rz. 6

b) Die Beschwerdeentscheidung ist daher zutreffend im vorliegenden Fall Rechtsanwalt K. als Verfahrensbevollmächtigtem des Betroffenen, nicht aber dem Betroffenen selbst zugestellt worden. Rechtsanwalt K. war ausweislich der zur Akte gereichten Vollmacht zur umfassenden Vertretung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren bevollmächtigt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG).

Rz. 7

Ohne Erfolg macht der Betroffene geltend, es hätte ausnahmsweise auch ihm selbst zugestellt werden müssen, weil die beiden von ihm mandatierten Rechtsanwälte - neben Rechtsanwalt K. hatte der Betroffene auch Rechtsanwalt S. eine Verfahrensvollmacht erteilt - im Beschwerdeverfahren mit unterschiedlicher Zielrichtung agiert hätten und das LG ausweislich der Beschlussgründe nicht mit Sicherheit habe beurteilen können, welcher Rechtsanwalt die wirklichen Interessen des Betroffenen vertrete. Auch wenn die beiden Rechtsanwälte im Verfahren keine einheitliche Linie verfolgten, bleibt es jedoch dabei, dass sie vom Betroffenen bis zum Abschluss des Rechtszugs mandatiert waren und daher aufgrund der zwingenden Vorschrift des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Zustellung an den Betroffenen selbst ausgeschlossen war.

Rz. 8

c) Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist durch die am 17.7.2020 erfolgte Zustellung an Rechtsanwalt K. in Lauf gesetzt worden.

Rz. 9

Haben sich für einen Beteiligten mehrere Verfahrensbevollmächtigte mit umfassender Zustellungsvollmacht bestellt, so genügt wegen der aus § 11 Satz 5 FamFG i.V.m. § 84 Satz 1 ZPO folgenden Einzelvertretungsbefugnis die Zustellung an einen von ihnen (vgl. etwa BGH Beschl. v. 8.3.2004 - II ZB 21/03 FamRZ 2004, 865 m.w.N.). Für den Beginn des Laufs von verfahrensrechtlichen Fristen ist daher die zeitlich erste Zustellung an einen der Verfahrensbevollmächtigten ausschlaggebend (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 12.3.2019 - VI ZR 277/18 NJW 2019, 2397 Rz. 11 m.w.N.). Dies war hier diejenige vom 17.7.2020.

Rz. 10

2. Dem Betroffenen kann nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gewährt werden. Er war nicht ohne sein Verschulden i.S.d. § 17 Abs. 1 FamFG an der Einhaltung der Frist verhindert, weil er sich das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwalt K., gem. § 11 Satz 5 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Rz. 11

Daher dringt der Betroffene mit seinem - im Übrigen ohne die nach § 18 Abs. 3 Satz 1 FamFG erforderliche Glaubhaftmachung aufgestellten - Vorbringen nicht durch, er sei von Rechtsanwalt K. über die am 17.7.2020 erfolgte Zustellung der Beschwerdeentscheidung überhaupt nicht und von der an Rechtsanwalt S. am 30.7.2020 erfolgten Zustellung von diesem erst mit E-Mail vom 28.8.2020 informiert worden. Selbst wenn dies zutreffen sollte, beruht die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist nämlich auf einer Verletzung der aus dem Mandat folgenden, anwaltlichen Pflicht von Rechtsanwalt K., den Betroffenen rechtzeitig von der Zustellung und den sich daraus ergebenden Folgen für die Rechtsbeschwerdefrist in Kenntnis zu setzen (vgl. BGH Beschlüsse v. 18.7.2017 - VI ZR 52/16 NJW-RR 2017, 1210 Rz. 12 m.w.N. und vom 20.10.2020 - VIII ZA 15/20 - juris Rz. 16 m.w.N.). Dies steht einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen, ohne dass es näherer Erörterung bedarf, ob auch ein Verhalten von Rechtsanwalt S. pflichtwidrig und für die Fristversäumung ursächlich war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14325124

FuR 2021, 209

FGPrax 2021, 76

BtPrax 2021, 78

JZ 2021, 215

Rpfleger 2021, 278

ErbR 2021, 460

FF 2021, 174

FamRB 2021, 8

NZFam 2021, 327

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