Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsvollstreckung. Einstweilige Einstellung. Vollstreckungsschutzantrag

 

Leitsatz (redaktionell)

Stellt der Schuldner in der Berufungsinstanz keinen Vollstreckungsschutzantrag und bringt ihm die Zwangsvollstreckung keinen nicht zu ersetzenden Nachteil, so kann der im Revisionsverfahren gestellte Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung abgelehnt werden, selbst wenn im Berufungsverfahren die Anordnung der Abwendungsbefugnis rechtsfehlerhaft unterblieben ist und der Schuldner es daraufhin versäumt hat, eine Ergänzung des Berufungsurteils zu beantragen.

 

Normenkette

ZPO § 719

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 12.05.2004)

 

Tenor

Der Antrag des Beklagten, die Zwangsvollstreckung des Klägers aus dem Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 12. Mai 2004 einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Der Beklagte ist vom Amtsgericht zur Räumung und Herausgabe des von ihm gemieteten Hauses des Klägers verurteilt worden. Das Landgericht hat seine Berufung zurückgewiesen und ihm eine Räumungsfrist bis zum 30. August 2004 gewährt. Die Revision hat das Landgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Zu-gleich beantragt er, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvoll-streckung ist nicht begründet.

Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil einge-legt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, daß die Zwangsvollstrek-kung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes In-teresse des Gläubigers entgegensteht, § 719 Abs. 2 ZPO. Bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist § 719 Abs. 2 ZPO gemäß § 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO entsprechend anzuwenden. Der Beklagte hat die Voraussetzungen des § 719 Abs. 2 ZPO nicht dargetan.

1. Nicht unersetzlich sind Nachteile, die der Schuldner selbst vermeiden kann. Deswegen kann sich der Schuldner nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nur dann darauf berufen, die Zwangs-vollstreckung bringe ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil, wenn er in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der Zwangsvoll-streckung nach § 719 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise dann in Betracht, wenn es dem Schuldner im Berufungsverfahren aus besonderen Gründen nicht möglich oder zumutbar war, einen Vollstreckungsschutzantrag zu stellen (zuletzt z. B. Senatsbeschluß vom 19. August 2003 – VIII ZR 188/03, WuM 2003, 637; Se-natsbeschluß vom 14. Oktober 2003 – VIII ZR 121/03, WuM 2003, 710; Be-schluß vom 6. Mai 2004 – V ZA 4/04, NJW-RR 2004, 936 unter II 2 b; Senats-beschluß vom 9. Juni 2004 – VIII ZR 145/04, n. v., unter II 2).

Hier hat der Beklagte in der Berufungsinstanz keinen Vollstreckungs-schutzantrag nach § 712 ZPO gestellt. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann in seinem Antrag vom 1. März 2004 auf Einstellung der Zwangsvollstrek-kung nach § 719 Abs. 1 ZPO, dem das Berufungsgericht durch Beschluß vom 30. März 2004 für die Zeit bis zur Entscheidung über die Berufung entsprochen hat, schon wegen der unterschiedlichen Zielrichtung ein Vollstreckungsschutz-antrag nach § 712 ZPO nicht gesehen werden (vgl. Senatsbeschluß vom 3. September 2003 – VIII ZR 188/03, n. v.). Das gilt umso mehr, als der Beklag-te diesen Antrag weder in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2004 ge-stellt noch anschließend im Zusammenhang mit dem Widerruf des in der münd-lichen Verhandlung geschlossenen Vergleichs wieder aufgegriffen hat. Vielmehr hat der Beklagte lediglich eine Verlängerung der Räumungsfrist beantragt. Auch dieser Antrag vermag einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO nicht zu ersetzen (vgl. Senatsbeschluß vom 14. Oktober 2003 aaO). Dafür, daß dem Beklagten die Stellung eines solchen Antrags nicht möglich oder zumutbar war, ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die von dem Beklagten im Schriftsatz vom 28. April 2004 geltend gemachte Schwangerschaft seiner Ehe-frau hat das Berufungsgericht ausweislich seines Beschlusses vom 6. Juli 2004 bereits bei der in dem Berufungsurteil gewährten Räumungsfrist berücksichtigt.

2. Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, die Versäumung eines Voll-streckungschutzantrages nach § 712 ZPO stehe seinem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO deswegen nicht entgegen, weil ihm das Berufungsgericht, das das Berufungsurteil in entspre-chender Anwendung des § 708 Nr. 10 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläu-fig vollstreckbar erklärt hat, rechtsfehlerhaft keine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO eingeräumt habe.

Richtig ist, daß das Gericht gemäß der zuletzt genannten Vorschrift unter anderem in dem Fall des § 708 Nr. 10 ZPO von Amts wegen auszusprechen hat, daß der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinter-legung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicher-heit leistet. Die in § 711 ZPO zugunsten des Schuldners vorgesehene Anord-nung soll gemäß § 713 ZPO zwar dann nicht ergehen, wenn die Voraussetzun-gen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen. Das trifft hier jedoch wegen der nach § 544 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO zulässigen Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu (vgl. Musielak/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 713 Rn. 2).

a) Obwohl das Berufungsgericht danach rechtsfehlerhaft keine Abwen-dungsbefugnis nach § 711 ZPO angeordnet hat, kann dem Antrag des Beklag-ten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO schon deswegen nicht stattgegeben werden, weil der Beklagte es ver-säumt hat, gemäß §§ 716, 321 ZPO eine entsprechende Ergänzung des Beru-fungsurteils zu beantragen (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Februar 1984 – III ZR 87/83, NJW 1984, 1240; Beschluß vom 24. März 2003 – IX ZR 243/02, ZVI 2003, 279 unter II 1 b, jew. m. weit. Nachw.). Dieser Antrag war entgegen der Auffassung des Beklagten nicht ausgeschlossen.

Nach §§ 716, 321 ZPO ist das Urteil auf Antrag zu ergänzen, wenn das Gericht über die vorläufige Vollstreckbarkeit ganz oder teilweise nicht entschie-den hat. Das gilt allerdings nur dann, wenn die Entscheidung versehentlich un-terblieben ist. Die Urteilsergänzung ist dagegen ausgeschlossen, wenn das Ge-richt eine Schutzanordnung in Anwendung von § 713 ZPO unterlassen hat, weil es zu Unrecht angenommen hat, das Urteil sei unanfechtbar. Denn die Urteils-ergänzung setzt eine Entscheidungslücke voraus; sie dient nicht der Richtigstel-lung eines falschen Urteils (BGH, Beschluß vom 24. März 2003 aaO). Hier ist entgegen der Annahme des Beklagten nichts dafür ersichtlich, daß das Beru-fungsgericht die Anordnung der Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bewußt gemäß § 713 ZPO unterlassen hat, weil es von der Unanfechtbarkeit des Urteils ausgegangen ist. Vielmehr liegt ein Versehen des Berufungsgerichts nahe. An-ders als in dem dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. März 2003 (aaO) zugrunde liegenden Berufungsurteil werden § 711 und § 713 ZPO in dem vorliegenden Berufungsurteil weder erwähnt noch gar erörtert. Aus dem Um-stand, daß das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat, ergibt sich nichts anderes. Es erscheint ausgeschlossen, daß das Berufungsgericht des-wegen in Verkennung der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde von der Unanfechtbarkeit des Urteils ausgegangen ist.

b) Davon abgesehen wäre ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO selbst bei Anordnung der Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO nicht völ-lig entbehrlich gewesen, weil diese entfällt, wenn der Gläubiger seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit leistet (Senatsbeschluß vom 19. August 2003 aaO).

 

Unterschriften

Dr. Deppert, Dr. Beyer, Ball, Wiechers, Richterin am Bundesgerichtshof, Hermanns ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung verhindert 12. August 2004 Dr. Deppert

 

Fundstellen

Haufe-Index 2055388

FamRZ 2004, 1638

NJOZ 2005, 248

www.judicialis.de 2004

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