Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG hat jeder Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Gestattung einer angemessenen baulichen Veränderung, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Anspruchsvoraussetzung nicht eine Behinderung ist. Auch der nicht behinderte Wohnungseigentümer hat einen entsprechenden Anspruch.

Anspruch besteht auf Gestattung einer angemessenen baulichen Veränderung. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der es im Einzelfall ermöglichen soll, objektiv unangemessene Forderungen zurückzuweisen. Wann eine Maßnahme unangemessen ist, kann lediglich im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände beurteilt werden. Ein Entscheidungsermessen oder eine Einschätzungsprärogative der Mehrheit besteht insoweit allerdings nicht. Die Angemessenheit ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen.

 
Praxis-Beispiel

Aufzug

Stets ist die Maßnahme der Barrierefreiheit abhängig von den baulichen Gegebenheiten. So kann insbesondere der Wunsch nach Gestattung eines Außenaufzugs wegen etwaiger Beeinträchtigung des optischen Erscheinungsbilds der Wohnanlage unangemessen sein, wenn unproblematisch ein Innenaufzug errichtet werden kann.

Beschlussgrenzen setzt § 20 Abs. 4 WEG. Hiernach darf die bauliche Veränderung nicht zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führen und auch nicht einzelne Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligen. Im Einzelfall kann daher das Begehren auf Anbau eines Außenaufzugs bereits daran scheitern, dass der Anbau zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führt, was allerdings nur im Ausnahmefall anzunehmen sein dürfte.

 
Hinweis

Beschluss ist nur anfechtbar

Selbst wenn die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG überschritten werden, ist der entsprechende Beschluss nur anfechtbar, nicht aber nichtig.

Dass einzelne Wohnungseigentümer einen Nachteil durch die Baumaßnahme erleiden, etwa weil sie meinen, die Optik der Wohnanlage sei durch die zur Beschlussfassung stehende Rollstuhlrampe optisch beeinträchtigt, ist nicht entscheidend. Ein derartiger Grund könnte die Anfechtung des entsprechenden Gestattungsbeschlusses niemals begründen. Stets muss die Benachteiligung des anfechtenden Wohnungseigentümers gegenüber anderen Wohnungseigentümern unbillig sein. Ein derartiger Nachteil ist bei Maßnahmen der Barrierefreiheit kaum denkbar.

Gesetzliche Vorgaben haben Vorrang vor DIN-Normen

Hinsichtlich des barrierefreien Zugangs zu Sondereigentumseinheiten behinderter Wohnungseigentümer haben gesetzliche Vorgaben etwa über die beidseitige Anbringung von Handläufen im Treppenhaus Vorrang vor DIN-Normen, die eine Mindesttreppenbreite regeln.[1]

 
Achtung

Mitbestimmungsrecht der übrigen Wohnungseigentümer

Bei der Gestattungsbeschlussfassung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG ist stets das "Ob" der Maßnahme vom "Wie" der Maßnahme zu unterscheiden. Bezüglich des "Ob" der Gestattung ist das Ermessen der Wohnungseigentümer regelmäßig auf Null reduziert, sodass dem Anspruch auf Gestattung einer Maßnahme der Barrierefreiheit regelmäßig zu entsprechen ist. Bezüglich des "Wie" der Maßnahme ist stets das Mitbestimmungsrecht der übrigen Wohnungseigentümer zu berücksichtigen. Kommen mehrere geeignete Maßnahmen zur Schaffung eines barrierefreien Zugangs zur Wohnanlage in Betracht, entscheidet über die Auswahl der konkreten Maßnahme die Mehrheit der übrigen Miteigentümer. Jedenfalls gibt es keinen Anspruch auf die Genehmigung der billigsten Lösung oder eine Standortwahl nach eigenem Belieben. Diesbezüglich müssen die Eigentümer für die Ausübung ihres Mitbestimmungsrechts eine ausreichende Entscheidungsgrundlage haben. Der Beschluss über eine konkrete Maßnahme der Barrierefreiheit muss also auch ausreichend bestimmt sein.[2]

Die Wohnungseigentümer können auch die Entscheidung treffen, ob die konkrete Maßnahme durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auf Kosten des bauwilligen Wohnungseigentümers umgesetzt wird oder der bauwillige Wohnungseigentümer sie auf seine Kosten umsetzt.

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