Leitsatz (amtlich)

1. Vollständige Erblindung im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments ist ein Fall der Leseunfähigkeit nach § 2247 Abs. 4 BGB.

2. Neues tatsächliches Vorbringen in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist grundsätzlich unbeachtlich. Der neue Vortrag kann nur unter dem Gesichtspunkt überprüft werden, ob das Beschwerdegericht insoweit Verfahrensfehler begangen, etwa seine Amtsermittlungspflicht oder das rechtliche Gehör verletzt hat.

 

Normenkette

BGB § 2247 Abs. 4; FGG § 27 Abs. 1 S. 2; ZPO § 561

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Beschluss vom 15.05.1997; Aktenzeichen 5 T 327/97)

AG Regensburg (Aktenzeichen VI 2328/96)

 

Tenor

I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Landgerichts Regensburg vom 15. Mai 1997 wird zurückgewiesen.

II. Der Beteiligte zu 2 hat den Beteiligten zu 3 bis 6 die ihnen im Verfahren der weiteren Beschwerde entstanden Kosten zu erstatten.

III. Der Antrag des Beteiligten zu 2, ihm für das Verfahren der weiteren Beschwerde Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Der Erblasser hinterließ vier Kinder aus seiner ersten, geschiedenen Ehe, die Beteiligten zu 3 bis 6, und zwei Kinder aus seiner zweiten Ehe mit der Beteiligten zu 1, die Beteiligten zu 2 und 7. Mit der Beteiligten zu 1 lebte er im Güterstand der Zugewinngemeinschaft.

Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragten unter Berufung auf ein handschriftliches Testament des Erblassers vom 1.6.1995 einen Erbschein, der den Beteiligten zu 2 als Alleinerben ausweisen sollte.

Die Beteiligten zu 3, 4 und 6 beantragten dagegen einen gemeinschaftlichen Erbschein gemäß der gesetzlichen Erbfolge dahingehend, daß der Erblasser von der Beteiligten zu 1 zu 1/2, von den Beteiligten zu 2 bis 7 zu je 1/12 beerbt worden sei. Sie halten das Testament vom 1.6.1995 für unwirksam, weil der Erblasser zum Zeitpunkt seiner Errichtung vollständig erblindet, im übrigen auch testierunfähig gewesen sei.

Das Nachlaßgericht erließ am 5.3.1997 eine Vorbescheid, mit dem es ankündigte, einen Erbschein zu erlassen, der die Beteiligte zu 1 als Erbin zu 1/2 und die Beteiligten zu 2 bis 7 als Erben zu je 1/12 ausweist. Da der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments Geschriebenes nicht mehr habe lesen können, habe er ein eigenhändiges Testament nach § 2247 Abs. 4 BGB nicht wirksam errichten können.

Dagegen legten die Beteiligten zu 1 bis 6 Beschwerde ein, die Beteiligten zu 3 bis 6 mit dem Vorbringen von Gründen, die nach ihrer Ansicht zur Erbunwürdigkeit der Beteiligten zu 1 und 2 führen.

Das Landgericht Regensburg verwarf mit Beschluß vom 15.5.1997 die Beschwerden der Beteiligten zu 1, 3 bis 6 mangels Beschwerdefugnis als unzulässig und wies die Beschwerde des Beteiligten zu 2 als unbegründet zurück.

Am 29.8.1997 erteilte das Nachlaßgericht den angekündigten Erbschein.

Gegen den Beschluß des Landgerichts vom 15.5.1997 und gegen die Erteilung des Erbscheins durch das Nachlaßgericht legte der Beteiligte zu 2 zunächst mit eigenen Schreiben vom 10.6. und 25.11.1997, auf Belehrung über die Formerfordernisse zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Regensburg am 15.4.1998, ergänzt am 12.5.1998, weitere Beschwerde ein. Er beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Ferner beantragt er, ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und einen Anwalt beizuordnen. Zur Begründung beruft er sich auf ein Schreiben des Erblassers an den Beteiligten zu 5, das nur mit dem Jahr 1983 datiert ist, und ein weiteres Schreiben des Erblassers vom 12.9.1984 an den Beteiligten zu 6. Diese vom Landgericht nicht beachteten Schreiben enthielten weitere letztwillige Verfügungen des Erblassers, durch die die Beteiligten zu 5 und 6 „enterbt”, also von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen worden seien.

Die Beteiligten zu 5 und 6 beantragen, die weitere Beschwerde zurückzuweisen. Sie haben vorgebracht, diese Briefe, deren Echtheit bis zur Vorlage der Originale bestritten werde, nicht erhalten zu haben. Offensichtlich habe sie der Erblasser in großer Erregung geschrieben, aber nicht abgeschickt, weswegen sie der Beteiligte zu 2 in der Hinterlassenschaft habe finden können. Daraus ergebe sich, daß der Erblasser die Enterbung nicht ernsthaft habe aussprechen wollen. Daß er die Briefe aufbewahrt habe, sei seiner Sammelwut zuzuschreiben. Hilfsweise haben die Beteiligten zu 5 und 6 die Anfechtung der etwa in diesen Schreiben enthaltenen letztwilligen Verfügungen erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 ist zulässig, aber unbegründet. Prozeßkostenhilfe kann ihm nicht bewilligt werden, da die weitere Beschwerde von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg war (§ 14 FGG i.V.m. § 114 ZPO).

1. Die nicht fristgebundene weitere Beschwerde wurde in der erforderlichen Form (§ 29 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 21 Abs. 2 FGG) eingelegt. Der Beteiligte zu 2 ist beschwerdeberechtigt, weil seine Erstbeschwerde zurückgewiesen wurde (Bassenge/Herbst FGG/RPflG 7. Aufl. § 27 FGG Rn. 7). Daß...

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