Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsgrenze. (inhaltlich fehlerhafte) Kostensenkungsaufforderung. Bestimmtheit. Fristbeginn. Rechtsfolge. objektive Beweislast. keine "Blanko-Zusicherung" für Mietkaution. Unzumutbarkeit des Umzugs. Warmwasseraufbereitung. Beweisantrag

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 nF gilt nicht für Heizkosten. Deshalb sind für Unterkunftskosten einerseits und Heizkosten andererseits eigene Angemessenheitsgrenzen festzulegen. Dabei erfordert die Angemessenheit der Heizkosten eine Einzelfallbewertung, die sich vor allem an der vorhandenen Wohnung auszurichten hat; eine Pauschalierung oder der Rückgriff auf Durchschnittswerte ist prinzipiell unzulässig.

2. Bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze bei den Unterkunftskosten gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 ist als Vergleichswert auf den räumlichen Bereich am Wohnort abzustellen (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 2). Es ist abstrakt zu bestimmen, welche Beträge je nach Haushaltsgröße in der Bezugsregion als Unterkunftskosten angemessen sind, mit denen die konkrete Wohnung verglichen werden muss. Wird dabei Unangemessenheit festgestellt, ist zu klären, ob und inwieweit dem Hilfebedürftigen ein Umzug unzumutbar ist, wobei angemessene Wohnungsalternativen zu berücksichtigen sind.

3. Ungewöhnlich billige "Ausreißerpreise" dürfen nicht als maßgebend zur Bildung der Angemessenheitsgrenze herangezogen werden.

4. Dem Hilfebedürftigen steht kein subjektives Recht zu, dass der Grundsicherungsträger die Angemessenheitsgrenze unter Anwendung eines bestimmten Verfahrens ermittelt. Der Rechtsanspruch beschränkt sich darauf, dass Leistungen in objektiv korrekter Höhe gewährt werden.

5. Ist die Information des Grundsicherungsträgers über die unangemessene Höhe der Unterkunftskosten mit Angabe der als angemessen erachteten Miete als Anlage mit dem Leistungsbescheid verbunden, genügt dies den Bestimmtheitsanforderungen und lässt die Übergangsfrist des § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 nF beginnen. Inhaltlich ist dabei eine Differenzierung nach Angemessenheit der Unterkunftskosten und Heizkosten notwendig.

6. Zu den Rechtsfolgen einer unrichtigen bzw unvollständigen Belehrung in der Kostensenkungsaufforderung (hier: Angabe einer zu niedrigen Angemessenheitsgrenze bei den Unterkunftskosten).

7. Die Auferlegung einer Nachweisobliegenheit über ernsthafte Bemühungen der Wohnungssuche verstößt nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Kommt der Hilfebedürftige dieser Obliegenheit nicht nach, so liegt eine non-liquet-Situation vor, die sich im Rahmen der objektiven Beweislast zu Lasten des Hilfebedürftigen auswirkt (vgl BVerwG vom 30.5.1996 - 5 C 14/95 - BVerwGE 101, 194 = NJW 1996, 3427).

8. Wird der Bescheid, mit dem erstmalig eine Reduzierung der Unterkunftskosten nach erfolgter Kostensenkungsaufforderung realisiert werden sollte, aufgehoben, so ist danach kein neuer Hinweis auf die unangemessenen Unterkunftskosten erforderlich, wenn die Aufhebung evident gerade der Umsetzung der Kostensenkungsankündigung dienen sollte.

9. Eine vorherige Zusicherung für eine Kaution kann der Grundsicherungsträger erst und nur dann abgeben, wenn sich das Verfahren auf eine oder mehrere Wohnungen konkretisiert hat. Eine "Blanko-Zusage" für Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten kann nicht verlangt werden.

10. Zum Nichtvorliegen der Unzumutbarkeit eines Umzugs aufgrund behaupteter psychischer Erkrankung.

11. Zur Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeitsaspekten bei der Zumutbarkeitsprüfung des Umzugs (hier: Verhältnis der Höhe der Überschreitung der angemessenen Unterkunftskosten zu den erforderlichen Wohnungsbeschaffungs-, Umzugs- und Renovierungskosten) und dem Umfang der Prüfungsbefugnis der Sozialgerichte.

12. Zur Bemessung der angemessenen Heizkosten sind die relevanten Heizkosten in Relation zum "Flächenüberhang" der Wohnung zu berechnen. Dabei werden die konkret anfallenden tatsächlichen Heizkosten um den Faktor gemindert, den die Wohnung "zu groß" ist.

13. Der Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung von den Heizkosten in Höhe von bis zu 11,20 Euro monatlich ist zulässig (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R).

14. Für die Behandlung von Beweisanträgen (hier: Antrag auf Akteneinsicht in die Unterlagen des Grundsicherungsträgers zur Datenerhebung und Kostenberechnung) ist allein maßgeblich, welche Ermittlungsmaßnahmen nach dem Amtsermittlungsgrundsatz geboten sind; ausschließlich dieser bildet den rechtlichen Maßstab. Eine entsprechende Anwendung insbesondere von § 244 Abs 3 S 2 StPO kommt nicht in Betracht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.08.2009; Aktenzeichen B 14 AS 41/08 R)

 

Tenor

I.

Auf die Berufung der Kläger wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 6. Februar 2007 sowie des Bescheides vom 11. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2006 verurteilt, den Klägern für den Zeitraum 01.06. bis 30.09.2006 Leistungen unter Berücksicht...

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