Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug. Verjährung von Lohnansprüchen

 

Leitsatz (redaktionell)

Hemmung der Verjährung aufgrund höherer Gewalt bei irrtümlicher Löschung der Gemeinschuldnerin im Handelsregister

 

Normenkette

BGB §§ 202-203, 615; KO §§ 57, 59, 61, 146, 166 Abs. 2, § 204; AFG § 117 Abs. 4; SGB X § 115

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 15.01.1990; Aktenzeichen 19 Sa 1519/89)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 22.08.1989; Aktenzeichen 1 Ca 437/89)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Januar 1990 – 19 Sa 1519/89 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung von Lohn- und Gehaltsforderungen in unstreitiger Höhe von 124.306,68 DM zur Konkurstabelle. Hierbei handelt es sich um Forderungen, die auf die Klägerin übergegangen sind, weil diese an ehemalige Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin, der L GmbH, Arbeitslosengeld gezahlt hat.

Die Gemeinschuldnerin hatte am 2. März 1983 ihre Zahlungen eingestellt. Am 3. März 1983 kündigte sie die Arbeitsverhältnisse mit ihren Arbeitnehmern fristgerecht und stellte diese von der Arbeitsleistung frei. Für den Zeitraum der Kündigungsfristen gewährte die Klägerin Arbeitslosengeld. Am 4. März 1983 wurde durch das Amtsgericht Gütersloh das Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet. Der Beschluß ging der Klägerin am 31. März 1983 zu. Am gleichen Tage wurde das Konkursverfahren bereits mangels Masse eingestellt. Die Klägerin machte die Forderung über 124.306,68 DM zu einem nicht näher angegebenen Zeitpunkt nach Verfahrenseinstellung als Masseschuld gegenüber dem Konkursverwalter geltend. Dieser war in seinem Bericht von der Masselosigkeit des Konkurses ausgegangen, allerdings war in diesem Bericht eine Forderung in Höhe von mehreren Millionen DM gegenüber den Gründungsgesellschaftern und dem Erstgeschäftsführer erwähnt. Dazu heißt es im Bericht, es sei ein Gründungsschwindel oder zumindest eine unzulässige Rückführung des Stammkapitals an die alleinige Gesellschafterin der Gemeinschuldnerin, die D. GmbH erfolgt. Der Gemeinschuldnerin stehe, da die notariell beurkundete Sacheinlage wegen der entgegenstehenden Grundpfandrechtshaftung rechtlich nicht habe erbracht werden können, noch der volle Anspruch auf Erbringung der Stammeinlage in Höhe von 6 Mio. DM zu. Am 15. November 1983 wurde die Gemeinschuldnerin wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen aus dem Handelsregister gelöscht. Dabei übersah das Registergericht, daß die vorgenannte Forderung möglicherweise zu realisieren war.

Am 27. Juli 1987 beantragten ehemalige Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin aufgrund einer Information von dritter Seite beim Registergericht die Anordnung der Nachtragsliquidation über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, weil sich herausgestellt habe, daß der Gemeinschuldnerin noch eine Forderung in Höhe von 6.000.000 DM gegen ihre Alleingesellschafterin, die D. GmbH, und ihren früheren Geschäftsführer auf Schadenersatz wegen Gründungsschwindel oder unterlassener Erbringung der Sacheinlage zustehe. Mit Beschluß vom 29. Juli 1987 hob das Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück die Löschung der Gemeinschuldnerin aus dem Handelsregister auf und ordnete die Nachtragsliquidation der Gesellschaft an. Die entsprechende Bekanntgabe im Bundesanzeiger wurde den Beziehern am 25. August 1987 zugestellt.

Am 7. Oktober 1987 erhob der Nachtragsliquidator vor dem Landgericht Bielefeld Klage auf Schadenersatz gegen die Alleingesellschafterin der Gemeinschuldnerin und den früheren Geschäftsführer. Das Landgericht Bielefeld gab der Klage durch noch nicht rechtskräftiges Teilurteil vom 30. August 1989 teilweise dem Grunde nach statt; der Rechtsstreit ist derzeit beim Oberlandesgericht anhängig. Auf Antrag des Nachtragsliquidators eröffnete das Amtsgericht Gütersloh am 31. Dezember 1987 zum zweiten Mal den Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestimmte am 5. Januar 1988 den Beklagten zum Konkursverwalter. Am 6. Januar 1988 wurde die Klägerin hiervon in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 15. Januar 1988 meldete sie ihre Forderung in Höhe von 124.306,68 DM als sonstige Konkursforderung zur Konkurstabelle an. Der Beklagte bestritt die Forderung „vorläufig” wegen Verjährung.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Feststellung ihrer Forderung (sowie einer weiteren Forderung wegen überzahlten Kurzarbeitergeldes) zur Konkurstabelle begehrt. Sie hat geltend gemacht, es sei ihr nicht möglich gewesen, ihre Forderung bis zur Einstellung des ersten Konkursverfahrens am 31. März 1983 zur Konkurstabelle anzumelden. Während des Zeitraums der Löschung der Gemeinschuldnerin im Handelsregister sei die Verjährung gehemmt gewesen. Der Durchsetzung des Anspruchs habe ein rechtliches Hindernis gem. § 202 Abs. 1 BGB sowie höhere Gewalt gem. § 203 Abs. 2 BGB entgegengestanden. Sie habe auch keine Nachtragsliquidation der Gemeinschuldnerin herbeiführen können, weil hierfür die Darlegung erforderlich gewesen wäre, daß die Gesellschaft noch Vermögen habe. Sie habe aber davon ausgehen dürfen, das evtl. vorhandene Gesellschaftsvermögen sei vom damaligen Konkursverwalter im Jahre 1983 verwertet worden. Jedenfalls habe sie sich auf die Ermittlungen des Registergerichts zur Vermögenslosigkeit der Gemeinschuldnerin verlassen. Zudem sei es geradezu treuwidrig, wenn sich die Gemeinschuldnerin auf Weisung ihrer Alleingesellschafterin ihren Zahlungsverpflichtungen entziehe, nachdem sie sich die Eintragung im Handelsregister durch vorsätzlich falsche Angaben erschlichen habe.

Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt,

die Forderung in Höhe von 124.306,68 DM zur Konkurstabelle – Amtsgericht Gütersloh, Aktenzeichen: 11 N 33/83 – festzustellen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und sich auf Verjährung berufen. Es handele sich nämlich ausnahmslos um Lohn- und Gehaltsansprüche, die im Jahre 1983 fällig geworden und deshalb mit Ablauf des Jahres 1985 verjährt seien. Die Klägerin habe die Verjährung durch Anmeldung ihrer Forderung bis zur Einstellung des Konkurses am 31. März 1983 unterbrechen können. Auch die Löschung der Gemeinschuldnerin im Handelsregister habe kein Hindernis dargestellt, um den Anspruch geltend zu machen. Die Klägerin habe eine Nachtragsliquidation der Gesellschaft herbeiführen und anschließend einen Rechtsstreit zur Verjährungsunterbrechung einleiten können. Eine Nachtragsliquidation könne analog § 273 Abs. 4 AktG jedenfalls dann beantragt werden, wenn noch Abwicklungsmaßnahmen durchzuführen seien. Es sei in diesem Fall unerheblich, ob die gelöschte Gesellschaft noch Vermögen besitze. Selbst wenn man aber für die Nachtragsliquidation das Vorhandensein von Vermögen verlange, so könne sich nur der Gläubiger auf § 203 Abs. 2 BGB berufen, der sich um die Aufklärung der Vermögensverhältnisse bemüht habe. Wenn es sechs Arbeitnehmern der Gemeinschuldnerin gelungen sei, die notwendigen Erkenntnisse für die Einleitung der Nachtragsliquidation zu gewinnen, so müsse sich die Klägerin entgegenhalten lassen, nicht in gleicher Weise Nachforschungen angestellt zu haben. Der Vorwurf, die Gemeinschuldnerin habe sich einen Gründungsschwindel zuschulden kommen lassen, sei keineswegs erwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die angemeldete Forderung in Höhe von 124.306,68 DM zur Konkurstabelle festgestellt (sowie den Rechtsstreit hinsichtlich der weiter geltend gemachten Forderung an das Sozialgericht Detmold verwiesen). Mit seiner Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, soweit das Landesarbeitsgericht über die angemeldete Forderung in Höhe von 124.306,68 DM entschieden hat. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zurecht die von der Klägerin geltend gemachte Forderung zur Konkurstabelle festgestellt (§ 146 KO). Der vom Beklagten erhobene Verjährungseinwand greift nicht durch.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die vom Beklagten auf Weisung der Alleingesellschafterin erhobene Einrede der Verjährung sei unbegründet, weil bei Anmeldung der Forderung zur Konkurstabelle am 15. Januar 1988 die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Denn der Lauf der Verjährungsfrist sei von der Löschung der Gemeinschuldnerin an bis sechs Monate nach Bekanntmachung der Aufhebung der Löschung durch höhere Gewalt gehemmt (§ 203 BGB). In der Rechtsprechung werde es auch als Fall höherer Gewalt angesehen, wenn der Berechtigte sich ohne eigenes Verschulden auf eine der wahren Sachlage nicht entsprechende amtliche Behandlung einer Rechtsangelegenheit verlassen habe. Die Klägerin habe sich auf die Prüfung des Registergerichts verlassen können, das als Voraussetzung für die Löschung der Gemeinschuldnerin deren Vermögenslosigkeit festgestellt habe. Das Registergericht habe jedoch eine sich aus dem Bericht des Konkursverwalters ergebende Forderung der Gemeinschuldnerin in Höhe von mehreren Mio. DM gegenüber den Gründungsgesellschaftern und dem Erstgeschäftsführer übersehen. Angesichts dieser Umstände stelle es eine Überspannung der Sorgfaltspflicht dar, wenn von der Klägerin verlangt würde, ihre Forderung auch nach Einstellung des Konkursverfahrens gerichtlich geltend zu machen. Einer solchen Klage wäre das Rechtsschutzinteresse abgesprochen worden. Die Klägerin sei erst Anfang 1988 auf ein etwaiges Restvermögen hingewiesen worden.

Sie habe auch keine Nachtragsabwicklung herbeiführen können. Denn hierzu habe sie substantiiert Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich die Existenz von Vermögenswerten ergeben könne. Ausnahmen seien entsprechend § 273 Abs. 4 AktG nur zugelassen, soweit die Gesellschaft durch Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen oder notwendiger Prozeßhandlungen noch an irgendwelchen unumgänglichen Abwicklungsmaßnahmen teilnehmen müsse. Um einen solchen Fall handele es sich aber vorliegend nicht. Angesichts der vom Registergericht festgestellten Vermögenslosigkeit der Gemeinschuldnerin habe kein Bedürfnis für eine gerichtliche Klärung bestanden, ob der Anspruch der Klägerin bestehe. Allein wegen der vagen Hoffnung, daß später einmal Restvermögen entdeckt werden könnte, habe die Klägerin ihren Anspruch nicht vorsorglich gerichtlich geltend machen müssen.

II. Dieser Würdigung stimmt der Senat zu.

1. Die erhobene Klage auf Feststellung der streitbefangenen Forderung zur Konkurstabelle ist zulässig, § 146 KO. Zwar finden die Vorschriften über die Anmeldung der Forderungen und die Verteilung des Vermögens auf Masseansprüche keine Anwendung (Kilger, KO, 15. Aufl., § 57 Anm. 3; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl., § 57 Rz 3; Hess/Kropshofer, KO. 3. Aufl., § 57 Rz 4; Heilmann/Klopp in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch § 58 Rz 3; BSG Urteil vom 30. Oktober 1980 – 8 a RU 96/79BSGE 50, 262 für den Fall des Masseanspruchs eines Sozialversicherungsträgers), weil Masseforderungen formlos gegenüber dem Konkursverwalter geltend zu machen sind. Die der Höhe nach unstreitige und auf § 615 BGB beruhende Forderung der Klägerin stellte sich jedoch nur im ersten Konkursverfahren als Masseschuld dar. Dieses Verfahren (– 11 N 33/83 – Amtsgericht Gütersloh) ist jedoch unter dem 31. März 1983 mangels Masse eingestellt worden (§ 204 KO) und hat damit sein Ende gefunden. An dem zweiten, durch Beschluß vom 31. Dezember 1987 eröffneten Konkursverfahren (– 11 N 121/87 – Amtsgericht Gütersloh) nimmt diese Forderung nur noch als Konkursforderung nach § 61 KO teil, weil es sich nicht (mehr) – dies ist auch unter den Parteien nicht streitig – um Ansprüche aus zweiseitigen Verträgen handelt, deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des (zweiten) Konkursverfahrens geschuldet wird (§ 59 Abs. 1 Ziff. 2 KO). Daran ändert sich auch dadurch nichts, daß das erste Konkursverfahren eingestellt wurde, obwohl möglicherweise noch eine Forderung von 6 Mio. DM bestand. Wie die Sondervorschrift des § 166 Abs. 2 KO für die Nachtragsverteilung in demselben Konkursverfahren zeigt – eine entsprechende Vorschrift enthält § 204 KO nicht –, muß es nach rechtskräftiger Einstellung eines Konkursverfahrens dabei verbleiben, daß eine Vorwegbefriedigung von „Altforderungen” wie sie § 57 KO vorsieht, in einem neuen weiteren Konkursverfahren nicht in Betracht kommt. Das würde nämlich zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen Vorwegbefriedigung der Altgläubiger verbunden mit der Bildung einer neuen Rangfolge „alter” gegenüber „neuen” Massegläubigern führen, wozu die Gerichte nicht berufen sind (vgl. ähnlich BVerfG Beschluß vom 19. Oktober 1983 – 2 BvR 485/80 u. 486/80 – AP Nr. 22 zu § 112 BetrVG 1972 und BAGE 45, 357 = AP Nr. 23 zu § 112 BetrVG 1972). Masseforderungen aus einem Erstkonkurs sind daher in einem späteren Konkurs einfache Konkursforderungen (ebenso Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O., Vorbem. D, § 207 Rz 17 d).

2. Die Klage ist auch begründet. Wie das Landesarbeitsgericht zurecht entschieden hat, sind die nach §§ 117 Abs. 4 AFG, 115 SGB X auf die Klägerin übergegangen, dem Grund und der Höhe nach unstreitigen Ansprüche nicht verjährt.

a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Hemmung der Verjährung schon gemäß § 202 BGB in Betracht kommt, wenn nämlich davon auszugehen wäre, der Durchsetzung der Ansprüche habe vorübergehend ein rechtliches Hindernis entgegengestanden (vgl. etwa BAGE 12, 97 = AP Nr. 1 zu § 202 BGB; Urteil vom 17. Dezember 1964 – 5 AZR 90/64 – AP Nr. 2 zu § 196 BGB; BGH Urteil vom 20. Juni 1969 – VI ZR 14/88 – NJW 1969, 1661).

b) Die Verjährung der Ansprüche, die gemäß §§ 194, 196 Abs. 1 Ziff. 8, 9, 201 BGB Ende 1985 eingetreten wäre, war nach § 203 Abs. 2 BGB gehemmt, weil die Klägerin innerhalb dieser Zeit in anderer Weise durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung verhindert war.

Höhere Gewalt im Sinne des § 203 Abs. 2 BGB liegt nur vor, wenn die Verhinderung auf Ereignissen beruht, die auch durch die äußerste, vernünftigerweise noch zu erwartende Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können. Schon das geringste Verschulden schließt höhere Gewalt aus (BGHZ 81, 353, 355; MünchKomm. von Feldmann, BGB, 2. Aufl., § 203 Rz 3; Soergel/Walter, BGB, 12. Aufl., § 203 Rz 3; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 203 Rz 2). Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht insoweit darauf hin, aus dieser Definition folge nicht, daß nur ein von außen einwirkendes objektives Hindernis einen Fall höherer Gewalt darstellen könne. Auch dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (seit RG Urteil vom 5. Juli 1926 – 76/26 IV – JW 1927, 1195, 1196; siehe auch die angegebene Kommentarliteratur). Allerdings ist ebenso anerkannt, daß die Unkenntnis des Gläubigers von der Entstehung seines Rechts im allgemeinen Beginn und Lauf der Verjährung nicht hindert (BGH Urteil vom 10. April 1968 – V ZR 13/65 – NJW 1968, 1381; BGH Urteil vom 7. Mai 1975 – IV ZR 60/74 – NJW 1975, 1466, 1467). Hier geht es indessen nicht um die Kenntnis der Klägerin vom Bestehen ihres Anspruchs, sondern – Grund und Höhe des Anspruchs sind unstreitig – um dessen Durchsetzbarkeit. Angesichts der Massenunzulänglichkeit und der Löschung der Gemeinschuldnerin im Handelsregister ist die Klägerin irrtümlich davon ausgegangen, der möglichen Realisierung ihres Anspruchs stehe ein unüberwindliches Hindernis entgegen. Dieser Irrtum ist auf ein fehlerhaftes Handeln amtlicher Stellen zurückzuführen und deswegen im Rahmen des § 203 BGB erheblich.

aa) Insoweit ist in der einschlägigen Rechtsprechung anerkannt, daß auch Fehler amtlicher Stellen sich als höhere Gewalt gegenüber einer rechtzeitigen Rechtsverfolgung darstellen können (vgl. die Darstellung bei Staudinger/Dilcher, a.a.O., § 203 Rz 10). So hat das Reichsgericht im Fall der Ehelichkeitsanfechtung eines Kindes höhere Gewalt bejaht, weil der Kläger auf eine unrichtige Geburtsurkunde vertraute, obwohl er durch Einholung von Rechtsrat hätte in Erfahrung bringen können, daß das Kind kraft Gesetzes als ehelich galt (RGZ 160, 92). Der BGH (Urteil vom 29. Juni 1989 – III ZR 92/87 – LM Nr. 25 zu § 203 BGB) hat entschieden, der Gläubiger müsse sich nicht durch Rückfrage bei Gericht vergewissern, ob die gerichtlich bewirkte Zustellung des Vollstreckungsbefehls wirksam erfolgt sei. Nach Auffassung des Kammergerichts (Beschluß vom 20. Oktober 1958 – 1 W 1606/58 – NJW 1959, 295) darf sich der Bürger ohne weiteres auf die Richtigkeit einer Rechtsbelehrung durch den Notar verlassen, daß nämlich der Notar seiner Amtspflicht sorgfältig und gewissenhaft nachkomme. Das Bundessozialgericht hat dahingehend entschieden, auf allgemein gehaltene, unverbindliche Auskünfte dürfe sich der Bürger nicht verlassen, wenn er die Möglichkeit habe, eine verbindliche Entscheidung herbeizuführen (Urteil vom 29. März 1960 – 7 RAr 50/58 – BB 1960, 907). Einen Sonderfall (wegen der Rechtsvermutung des § 2365 BGB) hat das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden (Beschluß vom 5. April 1989 – BReg 1a Z 26/88 – NJW – RR 1989, 1090). Danach kann von einem vermeintlichen Erben nicht erwartet werden, ein vorhandenes Testament anzufechten, solange er darauf vertrauen durfte, daß dieses keine Bedeutung für die Erbfolge habe, weil das Amtsgericht, obwohl ihm das Testament vorlag, einen Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilt hatte.

bb) Wie diese Beispiele belegen, gewährt die Rechtsprechung der amtlichen Sachbehandlung eine weitgehende Richtigkeitsvermutung, sofern es sich nicht nur um allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Auskünfte oder Belehrungen handelt. Im Streitfall fällt besonders ins Gewicht, daß sich gleich drei amtliche Stellen über die wirklichen Vermögensverhältnisse der Gemeinschuldnerin geirrt haben. Zum einen der Konkursverwalter, der die Masselosigkeit des Konkurses trotz der von ihm erwähnten Forderung der Gemeinschuldnerin bescheinigte, zum zweiten das Konkursgericht, das vor Einstellung des Verfahrens die Masseunzulänglichkeit von Amts wegen (vgl. § 75 KO) festzustellen hatte, und zum dritten das Registergericht, das ebenfalls eine Amtsermittlungspflicht hinsichtlich der Vermögenslosigkeit der Gemeinschuldnerin traf (vgl. Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 15, Aufl., Anh. § 60, § 2 LöschG Rz 6, m.w.N.). Das Registergericht hatte u.a. nach Anhörung der IHK (§ 1 Abs. 1 LöschG) die Löschungsvoraussetzungen, nämlich Vermögenslosigkeit der Gesellschaft, besonders genau zu prüfen (BayObLG Beschluß vom 16. August 1982 – BReg. 3748/82 – BB 1982, 1590; OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 20. Dezember 1982 – 20 W 147/82 – BB 1983, 420; Fischer/Lutter/Hommelhoff, GmbH Gesetz, 12. Aufl., § 60 Rz 15; Scholz-Schmidt, GmbHG, 7. Aufl., Anh. § 60 Rz 16).

Selbst wenn man davon ausgeht, daß nicht schon aufgrund des Berichtsergebnisses der Konkursverwalter B. oder der gerichtlichen Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse (§ 204 KO) für die Klägerin eine durch amtliches Handeln bestätigte Gewißheit über die Vermögenslosigkeit der Gemeinschuldnerin begründet wurde, weil sie etwa selbst weitere Nachforschungen aufgrund des im einzelnen auszuwertenden Berichts des Konkursverwalters hätte anstellen können, so durfte sie sich jedenfalls auf die Feststellungen des Registergerichts verlassen, das seinerseits die Vermögenslosigkeit der Gemeinschuldnerin trotz der bestehenden Amtsermittlungspflicht festgestellt hatte. Den einschlägigen Entscheidungen (siehe oben) kann entnommen werden, daß die umsichtige Sachbehandlung durch die amtliche Stelle auf einen vorwerfbaren Fehlverhalten der jeweiligen Amtsperson beruhte (z.B. Verkennung der Rechtslage zur Frage der Ehelichkeit eines Kindes; für die zuständige Urkundsbeamtin erkennbar unwirksame Zustellung eines Vollstreckungsbefehls; unrichtige Rechtsbelehrung und Nichtweiterleitung der Gütertrennungserklärung). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) hat im Streitfall das Registergericht eine sich aus dem Bericht des Konkursverwalters zum Vermögens Status der Gemeinschuldnerin ergebende Forderung übersehen. Das Registergericht hat damit die ihm obliegende äußerste Sorgfaltspflicht nicht gewahrt. Im übrigen ist nicht die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens einer amtlichen Stelle der tragende Grund dafür, daß in den zitierten Entscheidungen höhere Gewalt angenommen wurde, sondern die amtliche Sachbehandlung, die gleichsam den Stempel der Richtigkeit verbrieft, gleichgültig, ob dies schuldhaft geschah oder nur objektiv unrichtig war. Es stellt deshalb in der Tat eine Überspannung der zu fordernden Sorgfaltspflicht dar, wenn der Beklagte geltend macht, auch nach der Amtslöschung hätte die Klägerin bis Ende 1985 ihre Forderung allein zum Zwecke der Unterbrechung der Verjährung gerichtlich geltend machen müssen. Abgesehen davon, daß einer solchen Klage gegen eine im Handelsregister gelöschte Gesellschaft möglicherweise das Rechtsschutzinteresse abgesprochen worden wäre (vgl. dazu BGHZ 74, 212, 213; BGH Urteil vom 29. September 1981 – VI ZR 21/80 – NJW 1982, 238; siehe andererseits BAGE 36, 125 = AP Nr. 4 zu § 50 ZPO, mit ablehnender Anm. von Stumpf, m.w.N.), kann jedenfalls von der Klägerin nicht verlangt werden, eine – aufgrund amtlich bestätigter Undurchsetzbarkeit – wirtschaftlich unsinnige Klage zu erheben. Jeder Anwalt hätte in Wahrung des Sprichworts, daß man „schlechtem Geld nicht noch gutes hinterherwerfen” solle, von einem solchen Prozeß abgeraten. Deshalb ist es auch unerheblich, ob eine Abwicklungsmaßnahme analog § 273 Abs. 4 AktG theoretisch möglich gewesen wäre. Angesichts der gegebenen Sachlage kann es der Klägerin nicht zum Vorwurf gemacht werden, wegen der aus ihrer Sicht völlig unwahrscheinlichen Möglichkeit, daß später einmal ein Restvermögen entdeckt werden könnte, ihre Forderung zwecks Verjährungsunterbrechung nicht vorsorglich gerichtlich geltend gemacht zu haben.

cc) Infolge der fehlerhaften Sachbehandlung durch das Registergericht war daher der Lauf der Verjährung gehemmt. Die Hemmung dauerte solange, wie das Hindernis bestand, denn eine zeitliche Begrenzung gibt es hierfür nicht (BGHZ 37, 113, 118; BGH Urteile vom 16. Juni 1982 – IV b ZR 720/80 – und vom 29. Juni 1989 – III ZR 92/87 – LM Nr. 21, 25 zu § 203 BGB). Das bedeutet im Streitfall, worauf das Landesarbeitsgericht zutreffend abstellt, daß der gesetzliche Zeitraum von sechs Monaten (§ 203 BGB), während dessen die Verhinderung voll bestand, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird und diese sich ab Wegfall des Hindernisses um sechs Monate verlängert. Seit Bekanntmachung der Aufhebung der Löschungsmaßnahme im Bundesanzeiger am 25. August 1987 hat die Klägerin ihre Forderung binnen 6 Monaten, nämlich am 15. und 20. Januar 1988 zur Konkurstabelle angemeldet. Infolgedessen ist gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 214 BGB die Verjährung bis zur Beendigung des Konkursverfahrens unterbrochen.

dd) Höhere Gewalt wäre allerdings dann zu verneinen gewesen, wenn die Klägerin ihre Forderung bereits bis zur Einstellung des ersten Konkursverfahrens am 31. März 1983 durch Anmeldung zur Konkurstabelle hätte geltend machen können und dies z.B. aufgrund verzögerlicher Sachbehandlung zu vertreten hätte. Dies war der Klägerin jedoch nicht möglich, weil nach dem unstreitigen Tatbestand ihr der Beschluß über die Eröffnung des Konkursverfahrens erst am selben Tag zuging. Deshalb war eine frühere Verjährungsunterbrechung nicht möglich.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Bitter, Schulze, Dr. Kirchner

 

Fundstellen

Haufe-Index 1074018

RdA 1992, 58

ZIP 1991, 381

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