Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg bei Streitigkeiten über die Geltendmachung rückständiger Unfallversicherungsbeiträge als Masseschulden. Nachrangigkeit der Feststellungsklage gegenüber Leistungs- oder Anfechtungsklage. Massegläubiger sind keine Konkursgläubiger

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Berufsgenossenschaft hat rückständige Beiträge für die letzten 6 Monate vor Konkurseröffnung als Masseschulden (RVO § 28 Abs 3 aF; KO § 59 Abs 1 Nr 3 aF) mit einem Beitragsbescheid gegen den Konkursverwalter geltend zu machen. Sie kann nicht auf Feststellung klagen, die Beitragsrückstände seien Masseschulden (Weiterentwicklung von BSG 1980-02-05 2 RU 33/78 = SozR 2200 § 28 Nr 3).

 

Orientierungssatz

1. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben, wenn eine Berufsgenossenschaft rückständige Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung als Masseschulden gegen den Konkursverwalter geltend macht (Festhaltung BSG 1980-02-05 2 RU 33/78 = SozR 2200 § 28 Nr 3).

2. Obwohl § 55 SGG keine dem § 43 Abs 2 VwGO entsprechende Vorschrift enthält, wonach die Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann, ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich die Feststellungsklage gegenüber der Leistungs- oder Anfechtungsklage nachrangig.

3. Werden Beitragsforderungen als Masseschulden nach RVO § 28 Abs 3 aF, KO § 59 Abs 1 Nr 3 aF geltend gemacht, sind sie in gleicher Weise zu verfolgen wie die Forderung gegen den Gemeinschuldner. Denn Massegläubiger sind keine Konkursgläubiger. Ihre Forderungen unterliegen nicht den Vorschriften über Geltendmachung und Prüfung der Konkursforderungen. Ihre Geltendmachung und Befriedigung vollzieht sich außerhalb des Konkursverfahrens. Der Streit über den Grund, die Höhe oder die Eigenschaft einer Beitragsforderung als Masseschuld ist daher verfahrensrechtlich in gleicher Weise anhängig zu machen wie wenn der Konkurs über das Vermögen des Gemeinschuldners nicht eröffnet worden wäre.

 

Normenkette

RVO § 28 Abs 1 S 1; RVO § 28 Abs 3 S 1 Fassung: 1974-07-17; KO § 1 Abs 1, § 6 Abs 2, §§ 57, 59 Abs 1 Nr 3, § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e, § 146 Abs 1 S 1; SGG § 51 Abs 1 Fassung: 1953-09-03, § 55 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 746 Abs 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 22.08.1979; Aktenzeichen L 17 U 261/77)

SG Köln (Entscheidung vom 03.11.1977; Aktenzeichen S 18 U 117/76)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Beitragsforderungen zur gesetzlichen Unfallversicherung der Klägerin für die letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkurses Masseschulden nach § 59 der Konkursordnung (KO) sind.

Durch Beschluß vom 11. Februar 1975 eröffnete das Amtsgericht B den Konkurs über das Vermögen der H - und R GmbH. Es bestellte den Beklagten zum Konkursverwalter. Die Klägerin erließt unter dem 25. April 1975 drei Beitragsbescheide gegenüber dem Beklagten. Mit Schreiben vom 30. April 1975, das bei der Klägerin am 2. Mai 1975 eingegangen ist, erklärte der Beklagte, er erkenne die geltend gemachte Forderung von 21.206,94 DM nicht als Masseschuld an. Mit Schreiben vom 15. April 1976 ermäßigte die Klägerin ihre Beitragsforderung auf 14.939,61 DM. Der Beklagte erklärte erneut mit Schreiben vom 27. April 1976, bei der Klägerin eingegangen am 29. April 1976, er erkenne auch die ermäßigte Forderung nicht als Masseschuld an.

Das Sozialgericht (SG) Köln hat entsprechend dem Antrag der Klägerin mit Urteil vom 3. November 1977 festgestellt, daß die Beitragsforderung der Klägerin für die letzten sechs Monate vor der Konkurseröffnung in Höhe von 14.939,61 DM eine Masseschuld gemäß § 59 Abs 1 Nr 3 KO sei. Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 22. August 1979).

Der Beklagte hat Revision eingelegt, mit der er weiterhin den Rechtsstandpunkt vertritt, rückständige Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die letzten sechs Monate vor der Konkurseröffnung seien keine Masseschulden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land

Nordrhein-Westfalen vom 22. August 1979 und das Urteil

des Sozialgerichts Köln vom 3. November 1977

aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben. Die Feststellungsklage der Klägerin ist unzulässig und deshalb abzuweisen.

Für Streitigkeiten über Masseschulden (§§ 57 bis 60 KO), denen Beitragsforderungen von Sozialversicherungsträgern zugrunde liegen, ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß für einen Streit über das Konkursvorrecht von Beitragsrückständen nach § 28 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, § 61 Nr 1 KO aF die Sozialgerichte zuständig sind (vgl BSGE 32, 263, 264 ff mN). Der 2. Senat des BSG hat mit Urteil vom 5. Februar 1980 - 2 RU 33/78 - entschieden, daß der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist, wenn eine Berufsgenossenschaft rückständige Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung als Masseschulden gegen den Konkursverwalter geltend macht. Hieran ist festzuhalten.

Hier handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung nach § 51 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Ob eine Beitragsforderung Masseschuld oder bevorrechtigte Konkursforderung ist, ist zwar nicht nach sozialversicherungsrechtlichen, sondern nach konkursrechtlichen Vorschriften zu beantworten. § 28 Abs 3 RVO idF des 3. Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 17. Juli 1974 (BGBl I 1481 - Konkursausfallgeldgesetz -), der hier noch anzuwenden ist, ist materiell eine konkursrechtliche Regelung. Obwohl also der Streit um die Klassifizierung einer Beitragsforderung eines Sozialversicherungsträgers als Masseschuld dem Insolvenzrecht und nicht dem Sozialversicherungsrecht angehört, ist dieser Streit dennoch eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Es besteht nämlich ein unmittelbarer Sachzusammenhang zwischen der sozialrechtlichen Beitragsforderung und der Eigenschaft dieser Forderung als Masseschuld. Auch die Prozeßwirtschaftlichkeit gebietet es, die Frage, ob die Beitragsforderung der Klägerin Masseschuld ist, im sozialgerichtlichen Verfahren zu klären, was insbesondere dann bedeutsam ist, wenn nicht nur die Eigenschaft einer Masseschuld streitig ist, sondern auch Grund und/oder Höhe der Beitragsforderung. Was insoweit für das Konkursvorrecht von Beitragsrückständen gilt (BSGE 32, 263, 264 ff), gilt ebenso für Masseforderungen.

Ist über das Vermögen eines Unternehmers das Konkursverfahren eröffnet worden und verlangt die Berufsgenossenschaft von dem Konkursverwalter die Erfüllung ihrer Forderung für rückständige Beiträge für die letzten sechs Monate vor Konkurseröffnung als Masseschulden (§ 28 Abs 3 RVO iVm § 59 Abs 1 Nr 3 KO idF des Gesetzes über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 - BGBl I 1481), steht ihr im Streitfall nicht die Feststellungsklage des § 55 SGG zur Verfügung. Zwar kann nach § 55 Abs 1 Nr 2 SGG die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Voraussetzung für eine Feststellungsklage ist jedoch auch in sozialgerichtlichen Verfahren das berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, München 1977, § 55 RdNr 3). Obwohl § 55 SGG keine dem § 43 Abs 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechende Vorschrift enthält, wonach die Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann, ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach allgemeiner Meinung grundsätzlich die Feststellungsklage gegenüber der Leistungs- oder Anfechtungsklage nachrangig (Meyer-Ladewig, aaO, RdNrn 3 und 19 mN). Auch hier gilt, daß Vorschriften über Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, insbesondere über Vorverfahren und Klagefristen nicht umgangen werden dürfen. Die Rechtsprechung hat nur in einzelnen, besonders gelagerten Fällen eine Feststellungsklage gleichrangig zugelassen (vgl im einzelnen: Meyer-Ladewig, aaO, RdNr 19). Es gilt keinesfalls der Grundsatz, daß in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, an denen Sozialversicherungsträger beteiligt sind, anstelle einer Leistungs- oder Verpflichtungsklage eine Feststellungsklage zulässig ist, weil zu erwarten ist, daß ein Sozialversicherungsträger sich an eine im Feststellungsverfahren getroffene gerichtliche Entscheidung halten wird. Auch aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 25. Oktober 1967 (BVerwGE 28, 153, 154, 155) kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Dort ist ausgeführt, das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage entfalle nicht schon dann, wenn die Möglichkeit besteht, die umstrittene Frage durch einen Verwaltungsakt zu klären, gegen den die Anfechtungsklage erhoben werden könnte, § 43 Abs 2 VwGO stehe nicht entgegen, weil er einen anderen Fall betreffe. Für die gesetzliche Unfallversicherung schreibt aber § 745 RVO ein besonderes Verfahren vor, nach dem die Berufsgenossenschaften die Beiträge ihrer Mitglieder zu berechnen haben. Nach § 746 RVO ist dem Unternehmer ein Beitragsbescheid zuzustellen, der die Angaben enthalten muß, nach denen der Beitragsschuldner die Beitragsberechnung prüfen kann. Nach dieser für das Beitragsverfahren zwingenden Regelung ist eine Berufsgenossenschaft somit nicht berechtigt, anstelle eines Beitragsbescheides (Verwaltungsaktes) eine auf die Feststellung der Beitragsschuld gerichtete Feststellungsklage zu erheben (vgl jetzt auch § 23 Abs 3 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB 4), wonach geschuldete Beiträge der Unfallversicherung am 15. des Monats fällig werden, der auf den Monat folgt, in dem der Beitragsbescheid dem Zahlungspflichtigen bekanntgegeben worden ist).

Etwas anderes gilt nicht, wenn über das Vermögen des Beitragsschuldners (Unternehmers) der Konkurs eröffnet worden ist. Die Eröffnung des Konkurses bewirkt, daß der Gemeinschuldner die Befugnis verliert, sein zur Konkursmasse (§ 1 KO) gehörendes Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen. Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht wird durch einen Konkursverwalter ausgeübt (§ 6 KO). Der Konkursverwalter tritt an die Stelle des Gemeinschuldners, sei es als Partei kraft Amtes gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners oder Treuhänder (vgl Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 9. Aufl 1979, § 6 Anm 17). Träger der Konkursmasse bleibt jedoch der Gemeinschuldner (BGHZ 49, 11, 13). Den Konkursverwalter treffen die Rechte und Pflichten, die sich aus der Arbeitgeberstellung des Gemeinschuldners ergeben (Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck aaO Anm 23). Er hat also ebenso wie der Gemeinschuldner die Beitragsforderungen einer Berufsgenossenschaft zur gesetzlichen Unfallversicherung zu erfüllen. Daher sind ihm, wie zuvor dem Gemeinschuldner, die Beitragsbescheide nach § 746 RVO zuzustellen. Da er in die Rechte und Pflichten des Gemeinschuldners eintritt (RGZ 52, 405, 407), besteht auch ihm gegenüber die gleiche Interessenlage wie gegenüber dem Gemeinschuldner (Unternehmer), dem gegenüber der Beitragsbescheid die Angaben enthalten muß, nach denen der Beitragsschuldner die Beitragsberechnung prüfen kann (§ 746 Abs 2 RVO). Bereits das Reichsgericht (RGZ 56, 396, 398 ff) hat entschieden, daß Heranziehungsbescheide zu Gemeindeabgaben (Straßenanliegerbeiträge), soweit sie zur Konkursmasse gehörende Beitragsschuldner die Beitragsberechnung prüfen kann (§ 746 ergehen können.

Bestreitet der Konkursverwalter die Berechtigung der mit dem Beitragsbescheid geltend gemachten Forderung, ist er im Streitverfahren Partei kraft Amtes. Er führt den Prozeß im eigenen Namen für fremde Rechnung. Werden - wie hier - Beitragsforderungen als Masseschulden nach § 28 Abs 3 RVO aF, § 59 Abs 1 Nr 3 KO aF geltend gemacht, sind sie in gleicher Weise zu verfolgen wie die Forderung gegen den Gemeinschuldner. Denn Massegläubiger sind keine Konkursgläubiger. Ihre Forderungen unterliegen nicht den Vorschriften über Geltendmachung und Prüfung der Konkursforderungen (Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, aaO, § 57 RdNr 4). Ihre Geltendmachung und Befriedigung vollzieht sich außerhalb des Konkursverfahrens. Das gilt für Beitragsforderungen einer Berufsgenossenschaft ebenso wie für privat- oder arbeitsrechtliche Forderungen. Der Streit über den Grund, die Höhe oder - wie hier - die Eigenschaft einer Beitragsforderung als Masseschuld ist daher verfahrensrechtlich in gleicher Weise anhängig zu machen wie wenn der Konkurs über das Vermögen des Gemeinschuldners nicht eröffnet worden wäre.

Die BG hat gegenüber dem Konkursverwalter einen Beitragsbescheid zu erlassen, aus dem sie gegebenenfalls vollstrecken kann (§§ 28 Abs 1, 748 RVO), den der Konkursverwalter sodann mit dem Widerspruch und nötigenfalls mit der Anfechtungsklage anfechten kann. Wegen ihrer Verpflichtung, Beitragsforderungen auch gegenüber dem Konkursverwalter mit einem Beitragsbescheid geltend zu machen und der damit verbundenen Möglichkeit der Vollstreckung, steht ihr nicht wahlweise die Feststellungsklage zur Verfügung. Entgegen der Auffassung der Klägerin gibt § 146 KO kein Recht zur Feststellungsklage. Diese Vorschrift betrifft nur die Geltendmachung von Konkursforderungen und ist auf Masseschulden nicht anwendbar. Sie regelt, wie Forderungen, die nach §§ 138 ff KO zur Konkurstabelle angemeldet, jedoch im Prüfungsverfahren streitig geblieben sind, von den Gläubigern oder im Falle des § 146 Abs 6 KO von dem Widersprechenden verfolgt werden können. Die Massegläubiger hingegen sind diesen Vorschriften nicht unterworfen. Die von dem Beklagten gegen die Beitragsbescheide erhobenen Einwendungen sind daher materiell als Widersprüche nach dem SGG anzusehen, nicht dagegen als Bestreiten einer Konkursforderung iS von § 146 KO. Hierüber hat die Beklagte bisher nicht entschieden.

Da die Feststellungsklage der Klägerin als unzulässig abgewiesen werden muß und ein Widerspruchsbescheid bisher nicht ergangen ist, ist es dem Senat verwehrt, in der Sache selbst und damit über die Rechtsnatur der streitigen Forderung zu entscheiden, wenngleich er es für angezeigt hält, insoweit auf das Urteil des 2. Senats (aaO) zu verweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 262

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