Entscheidungsstichwort (Thema)

Schneiden von Baustahl. Subunternehmer eines Stahlhändlers schneidet Baustahl

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Betrieb, der sich überwiegend mit dem Schneiden von Baustahl beschäftigt, wird nicht vom Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes erfaßt. Der Tarifvertrag erfaßt nur solche Betriebe, die sich mit dem Biegen und Flechten von Baustahl beschäftigen.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Baugewerbe; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 16. November 1986 § 24

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 28.05.1990; Aktenzeichen 11 Sa 128/90)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 26.10.1989; Aktenzeichen 4 Ca 1313/89)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Mai 1990 – 11 Sa 128/90 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Als solche nimmt sie die Beklagten für die Monate August bis November 1987 auf Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer und für technische und kaufmännische Angestellte sowie Poliere und Schachtmeister in Anspruch.

Das von den Beklagten betriebene Unternehmen hat die Beklagte zu 2) am 6. März 1987 als Einzelfirma gegründet und wird seit 27. Juli 1987 von den beiden Beklagten als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts fortgeführt. In der Zeit vom 4. Mai 1987 bis 30. September 1987 war der Betrieb der Beklagten als Subunternehmer für die Firma F… -Stahl-Süd GmbH tätig. Er war in dieser Zeit damit befaßt, in der Lagerhalle der Firma F… -Stahl-Süd GmbH Betonstahl zu schneiden und zu biegen, der anschließend von der Firma F… -Stahl-Süd GmbH an deren Auftraggeber weiterverkauft wurde. In den Monaten Oktober und November 1987 wurde von den Arbeitnehmern der Beklagten auch Betonstahl auf einer Baustelle verlegt.

Die Klägerin hat vorgetragen, das Schneiden und Biegen von Stahl für Baustahlarmierungen sei eine bauliche Leistung im Sinne der Tarifverträge für das Baugewerbe. Unerheblich sei, ob diese Arbeiten auf Baustellen oder in einer Halle durchgeführt würden. Die von den Beklagten geschuldeten Beiträge hat die Klägerin mit 7.815,73 DM beziffert.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 7.815,73 DM zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben vorgetragen, in der Zeit vom 4. Mai 1987 bis 30. September 1987 seien ihre Arbeitnehmer bei der Firma F… -Stahl-Süd GmbH arbeitstäglich etwa zwei bis drei Stunden damit befaßt gewesen, den von Mitarbeitern der Firma F… -Stahl-Süd GmbH geschnittenen und gebogenen Betonstahl sowie Baustahlmatten, Abstandhalter und sonstiges Zubehör auf bereitstehende Lkw's zu verladen. In der verbleibenden Arbeitszeit von etwa vier bis fünf Stunden hätten ihre Arbeitnehmer Baustahl in bestimmte Längen geschnitten, indem sie den bereitstehenden vollautomatischen Schubförderer bedienten. Ferner sei auf entsprechenden Biegemaschinen auch Stahl gebogen worden, was überwiegend der Beklagte zu 1) übernommen habe.

Der Betonstahl sei auf sogenannte Standardlängen von 8 m, 10 m, 12 m, 14 m oder 20 m geschnitten worden. Diese Standardlängen würden praktisch in jedem Bauwerk verwendet. Das Schneiden des Baustahls werde nicht mit typischen Baugeräten, sondern auf Schneidemaschinen ausgeführt, die typischerweise in Nebenbetrieben des Stahlhandels verwendet würden. In den Monaten Oktober und November 1987 hätten die Beklagten mit einigen ihrer Arbeitnehmer auf einer Baustelle in G… bei Verlegearbeiten (Baustahlarmierungsarbeiten) ausgeholfen. Diese Arbeiten unterfielen zwar dem Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe, hätten aber nur 5 % der gesamtbetrieblichen Arbeitszeit des Betriebs der Beklagten im Kalenderjahr 1987 in Anspruch genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von den Beklagten nicht die Zahlung von 7.815,73 DM verlangen. Denn die Beklagten fielen im Klagezeitraum (August bis November 1987) nicht unter den Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe.

Als alleinige Anspruchsgrundlage für die Klageforderung kommt § 24 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 12. November 1986 in Betracht, der kraft Allgemeinverbindlichkeit für die Parteien mit unmittelbarer und zwingender Wirkung galt (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 2 TVG). Nach § 24 Abs. 1 VTV sind die Beklagten zur Zahlung der mit der Klage geltend gemachten Beiträge verpflichtet, wenn sie vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt werden. Dieser umfaßt nach § 1 Abs. 2 VTV:

“Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.

Abschnitt I

Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerbliche Bauten aller Art erstellen.

Abschnitt II

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Artder betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

Abschnitt III

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.

Abschnitt IV

Betriebe, in denen die nachstehend aufgeführten Arbeiten ausgeführt werden:

Abschnitt V

Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:

28. Stahlbiege- und -flechtarbeiten;

…”

Damit bestimmen die Tarifvertragsparteien in den fünf Abschnitten des § 1 Abs. 2 VTV erschöpfend, welche Betriebe unter dessen betrieblichen Geltungsbereich fallen sollen. Danach ist ein Betrieb dann ein Betrieb des Baugewerbes im tariflichen Sinne, wenn seine betrieblichen Tätigkeiten entweder im Katalog des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV oder V genannt sind oder, weil der Katalog des Abschnitts V nicht erschöpfend ist, sondern nur Beispiele für die Betriebe der Abschnitte I bis III aufzählt, unter die allgemeinen Bestimmungen der Abschnitte I bis III des § 1 Abs. 2 VTV fallen (BAGE 45, 11 = AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Andererseits sind vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV die Betriebe ausgenommen, die in Abschnitt VII VTV aufgeführt sind oder für die sich insoweit Einschränkungen aus den Beispielen des Abschnitts V ergeben. Solche Einschränkungen können dem Wortlaut der tariflichen Vorschriften zu entnehmen sein, z. B. in Abschnitt V Nr. 12 “Herstellen von Fertigbauteilen” mit der Einschränkung “wenn diese zum überwiegenden Teil durch den Betrieb … zusammengefügt oder eingebaut werden”. Aber auch aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Bestimmungen kann auf solche Einschränkungen geschlossen werden. Dies entspricht dem Grundsatz der Tarifauslegung, nach dem für die Auslegung der Tarifwortlaut und der tarifliche Gesamtzusammenhang in erster Linie gleichermaßen zu berücksichtigen sind (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen, daß der Betrieb der Beklagten nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fiel. Denn das Schneiden von Betonstahl wird vom VTV nicht erfaßt, auch wenn es im Betrieb nach dem Schneiden anschließend gebogen und geflochten wird. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bestand die überwiegende Arbeitszeit der Beklagten im Zeitraum vom 4. Mai bis 30. September 1987 im Schneiden von Betonstahl. In den Monaten Oktober und November 1987 waren die Arbeitnehmer der Beklagten auch mit Verlegearbeiten (Baustahlarmierungsarbeiten) befaßt, die unter das Beispiel des Abschnitts V Nr. 4 VTV (Beton- und Stahlbetonarbeiten) fallen. Die Klägerin hat aber selbst nicht behauptet, daß das Schneiden von Betonstahl im Kalenderjahr 1987, das der Bestimmung des betrieblichen Geltungsbereichs für den Klagezeitraum zugrunde zu legen ist (vgl. BAG Beschluß vom 12. Dezember 1988 – 4 AZN 613/88 – AP Nr. 106 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau), im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich nicht überwog. Sie hat nur in Abrede gestellt, daß das Schneiden von Betonstahl ohne anschließendes Biegen überwog. Darauf kommt es aber nicht an.

Das Schneiden von Betonstahl wird in den Beispielsfällen des Abschnitts V VTV nicht erwähnt. Es wird auch nicht von dem Begriff “Stahlbiege- und -flechtarbeiten” erfaßt. Denn nach dem Berufsbild für das Beton- und Stahlbetonbauerhandwerk (Erlaß des Bundesministers für Wirtschaft II B 1 – 3917/57 – vom 23. November 1957) wird zwischen “Schneiden, Biegen, Verlegen und Flechten” von Stahlbetonbewehrungen unterschieden. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien vom jeweiligen Berufsbild ausgehen, wenn sie fachspezifische Begriffe des Baugewerbes verwenden. Wenn sie daher in Abschnitt V Nr. 28 nur “Stahlbiege- und -flechtarbeiten” erfassen, fällt darunter nicht das “Schneiden” von Betonstahl, selbst wenn es sich um eine notwendige Vorarbeit zu Stahlbiege- und -flechtarbeiten handeln sollte. Wenn das Schneiden von Betonstahl eine notwendige Vorarbeit des Stahlbiegens sein sollte, muß diese Vorarbeit nicht zwingend von dem Stahlbieger ausgeführt werden. Vielmehr können diese Arbeiten von verschiedenen Personen übernommen werden, wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Dann aber wird das Schneiden von Betonstahl nicht von dem Begriff Stahlbiegearbeiten umfaßt.

Wenn aber das Berufsbild für das Beton- und Stahlbetonbauerhandwerk auch das Schneiden von Betonstahl umfaßt (vgl. auch Blätter zur Berufskunde, Bd. 1-II C 109, S. 4 f.), die Tarifvertragsparteien aber nur “Stahlbiege- und -flechtarbeiten” erfassen, muß daraus geschlossen werden, daß sie das bloße Schneiden von Betonstahl aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV herausnehmen wollten. Eine solche Regelung ergibt auch einen vernünftigen Sinn. Mit den “Stahlbiege- und -flechtarbeiten” in Abschnitt V Nr. 28 haben die Tarifvertragsparteien des VTV auch solche Arbeiten erfaßt, die nicht mit baulichen Leistungen zusammenhängen, z. B. Stahlbiege- und -flechtarbeiten für Pflanzkübel (BAG Urteil vom 26. April 1989 – 4 AZR 610/88 – AP Nr. 114 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Damit haben die Tarifvertragsparteien den betrieblichen Geltungsbereich insoweit weit gefaßt. Dann liegt es nahe, das Schneiden von Betonstahl als Vorarbeit zum Biegen und Flechten, weil es – für sich betrachtet – von unmittelbaren baulichen Leistungen noch weiter entfernt ist, nicht vom Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe zu erfassen. Dies gilt unabhängig davon, ob in einem Betrieb nur das Schneiden von Betonstahl vorgenommen wird oder daß Stahl im Anschluß an das Schneiden gebogen wird. Denn auch in letzterem Fall lassen sich das Schneiden und Biegen tatsächlich trennen. Es besteht insoweit kein untrennbarer Zusammenhang, sondern es handelt sich um zwei verschiedene Arbeitsvorgänge, wie auch der vorliegende Fall zeigt. Dann sind auch das Schneiden und Biegen von Betonstahl einer getrennten rechtlichen Bewertung zugänglich. Wenn unter diesen Umständen die Tarifvertragsparteien nur das Biegen und Flechten erfassen, haben sie damit das Schneiden von Betonstahl vom Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe ausgenommen. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob das Schneiden von Betonstahl die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III des § 1 Abs. 2 VTV erfüllen könnte.

Im übrigen haben die Tarifvertragsparteien seit 1. Januar 1990 den Geltungsbereich des Abschnitts V Nr. 28 weiter eingeschränkt, weil nunmehr Stahlbiege- und -flechtarbeiten nur noch insoweit erfaßt werden, als sie “in unmittelbarem Zusammenhang mit anderen baulichen Leistungen ausgeführt werden”. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn das bloße Schneiden von Betonstahl nach den allgemeinen Merkmalen des Abschnitts III dem Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe unterfiele, während das dem Baugewerbe viel sachnähere Biegen und Flechten von Betonstahl nur dann erfaßt wird, wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit anderen baulichen Leistungen ausgeführt wird.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Unterschriften

Schaub, Dr. Etzel, Wiese, Pahle

zugleich für den Richter am BAG Schneider, der sich in Urlaub befindet

Schaub

 

Fundstellen

Haufe-Index 839209

RdA 1991, 320

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