Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von “Kur-Tagen” auf Tarifurlaub. Parallelsache zu – 9 AZR 430/99 –

 

Leitsatz (redaktionell)

Arbeitgeber sind berechtigt, auch gegenüber tariflichen Urlaubsbestimmungen in Tarifverträgen, die vor Inkrafttreten des § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG a.F. abgeschlossen wurden, Tage der Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation auf den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaub anzurechnen. Eine Anrechnungserklärung ist nicht erforderlich.

 

Normenkette

Bundesurlaubsgesetz i.d.F. des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1476; BUrlG i.d.F. ArbBeschFG) § 10 Abs. 1 S. 1; BUrlG § 13; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG vom 23. Dezember 1993 § 10; Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) vom 1. November 1960 § 27; Tarifvertrag über die Sicherung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für die zur Bahn AG übergeleiteten Arbeitnehmer (ÜTV) vom 23. Dezember 1993 § 2; Tarifvertrag über die Sicherung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für die zur Bahn AG übergeleiteten Arbeitnehmer (ÜTV) vom 23. Dezember 1993 § 11; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 15.12.1998; Aktenzeichen 7 Sa 152/98)

ArbG Nürnberg (Urteil vom 26.11.1997; Aktenzeichen 2 Ca 5073/97)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 15. Dezember 1998 – 7 Sa 152/98 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 26. November 1997 – 2 Ca 5073/97 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Anrechnung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation auf den Urlaub des Klägers.

Der 1946 geborene Kläger war seit November 1973 zunächst bei der Deutschen Bundesbahn (DB) als Arbeiter beschäftigt und ist nunmehr für deren Rechtsnachfolgerin tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind kraft Tarifbindung die für den Arbeitgeber jeweils geltenden Tarifverträge anzuwenden. Bis zum 31. Dezember 1993 war das der Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) vom 1. November 1960. Seit dem 1. Januar 1994 ist der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG (MTV) vom 23. Dezember 1993 anzuwenden. Zur Sicherung des Besitzstandes haben die Tarifvertragsparteien vereinbart, daß die am 31. Dezember 1993 gültigen Bestimmungen des LTV maßgeblich sind, sofern in dem Tarifvertrag über die Sicherung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für die zur Beklagten übergeleiteten Arbeitnehmer (ÜTV) vom 23. Dezember 1993 auf sie Bezug genommen wird (§ 2 ÜTV).

In § 11 ÜTV ist unter der Überschrift “Dauer des Erholungsurlaubs in besonderen Fällen/Abgeltung” bestimmt:

“Hat der Arbeitnehmer nach den in § 2 genannten Tarifverträgen einen über den nach § 10 Abs. 2 oder 3 MTV hinausgehenden Anspruch auf Erholungsurlaub, richtet sich dieser und ein evtl. Abgeltungsanspruch nach den Regelungen der in § 2 genannten Tarifverträge.”

Mit Wirkung zum 1. Juli 1998 ist diese Vorschrift ergänzt worden. Danach können gemäß den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen Tage auf den Erholungsurlaub angerechnet werden, an denen der Arbeitnehmer infolge eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation (§ 9 Abs. 1 EFZG) an seiner Arbeitsleistung verhindert ist.

In § 10 Abs. 2 und Abs. 3 MTV ist die nach dem Alter des Arbeitnehmers gestaffelte und an die Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in der Kalenderwoche gebundene Dauer des Erholungsurlaubs geregelt.

Im ÜTV ist weiter ua. geregelt:

“§ 15

Krankenbezüge

Sofern in den in § 2 genannten Tarifverträgen für den Arbeitnehmer ein über den gesetzlichen Anspruch hinausgehender Entgeltfortzahlungsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit vereinbart ist, bleibt dieser Anspruch gewahrt.

§ 16

Krankengeldzuschuß

Hat der Arbeitnehmer nach den in § 2 genannten Tarifverträgen Anspruch auf Zahlung eines Krankengeldzuschusses, bleibt dieser Anspruch gewahrt.”

Der LTV enthält ua. folgende Regelungen zur Entgeltfortzahlung:

“§ 27

Arbeitsversäumnis, Krankenbezüge

  • Krankenbezüge, Fortzahlung des Lohns, Krankengeldzuschuß
    • Hat ein Träger der Sozialversicherung, eine Versorgungsbehörde oder ein sonstiger Sozialleistungsträger eine Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur verordnet, gelten die Abs. 6 und 7 entsprechend. Eine solche Kur steht einer Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung gleich.

      Die Bestimmungen des Abs. 7 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, daß bei der Bemessung des Krankengeldzuschusses von den Barleistungen der gesetzlichen Krankenkasse entsprechenden Leistungen des Kurträgers auszugehen ist, wenn die gesetzliche Krankenkasse Barleistungen nicht erbringt.”

Nach § 27 Abs. 7 Nr. 6 LTV beträgt der Krankengeldzuschuß 100 vH des Nettoarbeitsentgelts, vermindert um die Barleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. In § 27 Abs. 7 Nr. 7 wird der Begriff des Nettoarbeitsentgelts definiert. In den Ausführungsbestimmungen zu Abs. 8 Nr. 1 wird unter 11. näher bestimmt, wann eine Kur im Sinne der Tarifbestimmung vorliegt.

Der Kläger nahm vom 30. April bis 21. Mai 1997 an einer von der Bahnversicherungsanstalt durchgeführten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation teil. Hierauf rechnete die Beklagte unter Hinweis auf § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 BUrlG (BUrlG BeschFG) in der vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998 geltenden Fassung sechs Urlaubstage an. Der dem Kläger zum Stichtag 6. Juni 1997 zustehende Urlaub minderte sich nach Auffassung der Beklagten deshalb von 22 auf 16 Urlaubstage. Damit war der Kläger nicht einverstanden.

Mit seiner im Juni 1997 erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, die Anrechnung von “Kur-Tagen” sei nach dem Inhalt der im Jahr 1997 geltenden Fassung des § 11 ÜTV unzulässig. Anzuwenden seien die ihm günstigeren Bestimmungen des LTV.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß der Kläger zum Stichtag 6. Juni 1997 einen Urlaubsanspruch von 22 Tagen hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Der Kläger beantragt deren Zurückweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

I. Die Klage ist zulässig.

Zwischen den Parteien ist ein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO im Streit, nämlich der Umfang des dem Kläger für das Jahr 1997 zustehenden Resturlaubsanspruchs. Hierfür hat er auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Die Klage betrifft keinen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt, aus dem sich keine Rechtsfolgen für die Gegenwart oder die Zukunft ergäben (vgl. Senat 21. September 1993 – 9 AZR 580/90 – BAGE 74, 201). Sie dient vielmehr der Durchsetzung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf ersatzweise bezahlte Freistellung für den mit Ende des Urlaubsjahres oder spätestens des Übertragungszeitraums untergegangenen Urlaubsanspruchs (BAG 8. Mai 2001 – 9 AZR 240/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Blumenbinder Nr. 1 = EzA BurlG § 3 Nr. 22).

Unschädlich ist, daß die Klage auf die Feststellung von “22 Urlaubstagen” statt auf die von der Beklagten angerechneten sechs Urlaubstage gerichtet ist. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, erklärt sich die Antragsfassung aus dem ebenfalls genannten Stichtag 6. Juni 1997. Zu diesem Stichtag hatte der Kläger für das Jahr 1997 einen nicht strittigen Anspruch auf 16 Urlaubstage.

II. Die Klage ist unbegründet.

Mit Beginn des Jahres 1997 war zwar nach § 10 MTV ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf 30 Tage Urlaub entstanden. Der geltend gemachte Anspruch auf sechs Tage Resturlaub ist jedoch in Folge der im Juni 1997 erklärten Anrechnung von sechs Tagen der vom 30. April bis 21. Mai 1997 durchgeführten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).

Ersatzansprüche für den 1997 erloschenen Anspruch kommen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.

1. Rechtsgrundlage für die Anrechnungserklärung der Beklagten war § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG in der Fassung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I S 1476; künftig: BUrlG idF ArbBeschFG), das zum 1. Oktober 1996 in Kraft getreten und durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S 3843) zum 31. Dezember 1998 aufgehoben worden ist. Die Vorschrift lautete auszugsweise:

“Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation

2. Verfassungsrechtliche Bedenken können gegen die Wirksamkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden.

a) Nach dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (– 1 BvL 32/97 – BVerfGE 103, 293) war die Vorschrift für die Dauer ihrer Geltung mit dem Grundgesetz vereinbar. Die dem Arbeitgeber eingeräumte Anrechnungsbefugnis griff zwar in die den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie ein. Die Regelung war aber durch die mit ihr verfolgten Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geeignet und verhältnismäßig. Das hat das Bundesverfassungsgericht für alle Gerichte verbindlich (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) festgestellt.

b) Nach dieser Entscheidung ist auch kein Raum für die von einem Teil der Rechtsprechung geforderte und auch vom Landesarbeitsgericht angenommene verfassungsrechtlich gebotene einschränkende Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG (LAG Brandenburg 20. Februar 1998 – 4 Sa 817/97 – LAGE BUrlG § 10 Nr. 3). Das Gesetz ist deshalb auch auf Tarifverträge anzuwenden, die zur Zeit des Inkrafttretens des ArbBeschFG zum 1. Oktober 1996 bereits bestanden.

3. Die Anrechnung der Beklagten erfüllt die gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen.

a) Die Anwendungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG sind erfüllt. Der Kläger hat an einer von einem Sozialversicherungsträger durchgeführten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation teilgenommen. Die Beklagte hat nicht mehr als die jeweils ersten zwei Wochentage der insgesamt dreiwöchigen Rehabilitation angerechnet.

b) Es lag keiner der Ausschlußtatbestände des § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 4 BUrlG idF ArbBeschFG vor. Der Kläger war weder arbeitsunfähig erkrankt noch nahm er an einer der besonderen Rehabilitationsmaßnahmen teil, die eine Anrechnung nicht zulassen.

c) Der Tarifurlaub hatte eine Dauer von 30 Arbeitstagen (in der 5-Tage-Woche). Die Anrechnung der ersten zwei Wochentage der dreiwöchigen Rehabilitation auf sechs Urlaubstage hat den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen (§ 3 Abs. 1 BUrlG) nicht berührt.

d) Die Beklagte hat auch von ihrer Berechtigung zur Anrechnung zulässig Gebrauch gemacht. Sie hat gegenüber dem Kläger die Anrechnung erklärt. Diese Erklärung hat nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BUrlG idF ArbBeschFG bewirkt, daß die jeweils ersten zwei Tage der dreiwöchigen medizinischen Rehabilitation als Urlaubstage gelten. Dabei ist unerheblich, daß die Beklagte ihre Anrechnungserklärung erst abgegeben hat, nachdem der Kläger die Rehabilitationsmaßnahme bereits angetreten hatte.

Das ist mit der Rechtsprechung des Senats zur rückwirkenden Freistellung vereinbar. Der Senat vertritt zwar die Auffassung, ein Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer für die Dauer einer nicht von einem Sozialversicherungsträger angeordneten Kurmaßnahme Urlaub iSv. § 7 Abs. 1 BUrlG erteilen wolle, müsse den Urlaub vor Kurantritt gewähren (BAG 1. Oktober 1991 – 9 AZR 290/90 – BAGE 68, 309 mwN). Für die Anrechnungsbefugnis des Arbeitgebers nach § 10 Abs. 1 BUrlG idF ArbBeschFG gilt das aber nicht (vgl. Senat 30. April 2002 – 9 AZR 434/97 – zVv.).

Im Unterschied zur Freistellungserklärung bewirkte eine Anrechnungserklärung iSv. § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG nicht, daß der Arbeitnehmer für die jeweils ersten zwei Tage der Woche einer Rehabilitationsmaßnahme von seiner Arbeitspflicht befreit wurde. Dem Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubs und zugleich Schuldner der Entgeltfortzahlung wurde vielmehr eine Ersetzungsbefugnis eingeräumt. Das Gesetz berechtigte ihn, Tage der Arbeitsverhinderung, für die er an sich Entgeltfortzahlung nach § 9 Abs. 1 iVm. § 3 Abs. 1 EFZG schuldete, auf den Urlaubsanspruch erfüllungshalber anzurechnen (Leinemann BB 1996, 1381). Zur Anrechnung war deshalb lediglich eine hierauf gerichtete Erklärung über die Inanspruchnahme der gesetzlichen Berechtigung erforderlich. Diese Erklärung war keine Urlaubserteilung nach § 7 Abs. 1 BUrlG. An den so angerechneten Tagen wurde der Arbeitnehmer nicht zum Erholungsurlaub freigestellt. Die angerechneten Tage “galten” nur als Urlaubstage. Der Arbeitnehmer war bereits kraft Gesetzes, nämlich “infolge einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation … an seiner Arbeitsleistung verhindert”.

Dieses Ergebnis wird im Umkehrschluß durch die Regelung des § 4a Abs. 1 Satz 1 EFZG in der Fassung des BeschFG 1996 bestätigt (vgl. ErfK/Dörner 1. Aufl. § 10 BUrlG Rn. 11). Danach konnte der Arbeitnehmer bis zum dritten Arbeitstag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit sein Wahlrecht ausüben und zur Vermeidung einer auf 80 % des Entgelts abgesenkten Fortzahlung die Anrechnung von Urlaub verlangen. Dagegen enthielt § 10 Abs. 1 BUrlG für die Anrechnungsbefugnis des Arbeitgebers keine entsprechende zeitliche Begrenzung.

4. Die Anrechnung war auch nicht tarifvertraglich ausgeschlossen.

a) § 10 BUrlG idF ArbBeschFG enthielt kein sog. zweiseitig zwingendes Recht. Das ergibt sich aus § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, der von der Änderung des BUrlG nicht betroffen war. Die Tarifvertragsparteien konnten daher abweichend von der gesetzlichen Regelung des ArbBeschFG dem Arbeitgeber verbieten, Tage der Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation auf den Tarifurlaub anzurechnen.

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, daß es weder nach dem Manteltarifvertrag noch nach dem Lohntarifvertrag der Beklagten verboten war, von der Anrechnungsbefugnis Gebrauch zu machen.

aa) Für die vergleichbaren Berechtigungen des Arbeitgebers zur Kürzung des Jahresurlaubs nach § 8d MuSchG in der Fassung vom 25. Januar 1979 bei Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub sowie nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ArbPlSchG bei Einberufung zum Grundwehrdienst hat das Bundesarbeitsgericht ein ausdrückliches tarifliches Verbot verlangt, wenn die Tarifvertragsparteien die Kürzung des Urlaubs ausschließen wollten (15. Februar 1984 – 5 AZR 192/82 – BAGE 45, 155; 14. November 1963 – 5 AZR 498/62 – BAGE 15, 116). Gleiches wird im Schrifttum für den Ausschluß der Anrechnungsbefugnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG vertreten (Schwedes BB 1996 Beilage 17 S 2, 7; Heise/Lessenich/Merten Arbeitgeber 1997, 251; aA ArbG Heilbronn Vorlagebeschluß zum Bundesverfassungsgericht 26. September 1997 – 3 Ca 489/97 – AuR 1998, 217; Buschmann AuR 1996, 285, 290; Giesen RdA 1997, 193, 199).

Wem zuzustimmen ist, kann offen bleiben. Auch wenn zugunsten des Klägers angenommen wird, der Ausschluß der Anrechnung könne sich aus dem Gesamtzusammenhang eines Tarifvertrags ergeben, verhilft ihm das nicht zum Erfolg. Mit der Änderung des § 10 BUrlG durch das BeschFG 1996 sollte in den über den Mindesturlaub des § 3 BUrlG hinausgehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers eingegriffen werden. Die Arbeitgeber sollten, wie es einleitend in der Begründung zum Gesetzentwurf heißt (BT-Drucks. 13/4612 S 1), von “beschäftigungsfeindlichen” hohen Lohnzusatzkosten entlastet werden. Gegenstand der Anrechnung sollte nicht nur ein arbeitsvertraglich vereinbarter übergesetzlicher Urlaub sein, sondern auch der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Tarifurlaub. Dem Zusammenhang eines Tarifvertrags läßt sich deshalb ein Anrechnungsverbot nur entnehmen, wenn hinreichend deutlich wird, daß die Tarifvertragsparteien eine Regelung treffen wollten, die dem gesetzlichen Eingriff entgegen wirken sollte.

Auf einen solchen Willen der Tarifvertragsparteien kann nicht schon dann geschlossen werden, wenn die Urlaubsdauer oder die Bedingungen zur “Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Kuren” eigenständig ausgestaltet sind. Die Eigenständigkeit bewirkt zwar, daß nicht jede spätere Änderung der gesetzlich bestimmten Ansprüche zum Nachteil des Arbeitnehmers auf die tariflichen Leistungen “durchschlägt”. Diese Wirkung beschränkt sich aber auf den in der Norm geregelten Gegenstand (vgl. hierzu nur BAG 16. Juni 1999 – 5 AZR 297/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 7; 16. Juni 1999 – 5 AZR 67/97 – BAGE 89, 95). Aus einer tarifvertraglich festgelegten Dauer des Erholungsurlaubs oder aus Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und Vorsorge läßt sich daher nicht ohne weiteren Anhalt herleiten, die Tarifvertragsparteien hätten auch einen gesetzlichen Eingriff in den Tarifurlaub abwehren wollen, der darin besteht, den Arbeitgeber zu berechtigen, tarifliche Ansprüche durch Anrechnung anderer Leistungen zu mindern.

bb) Aus dem für den Kläger geltenden Tarifrecht sind keine Anhalte für einen Ausschluß der Anrechnungsbefugnis zu entnehmen.

§ 10 MTV enthält ausschließlich Regeln über die Dauer des Urlaubs, seiner Berechnung, die Urlaubsvergütung und das Urlaubsgeld. Die Vorschriften des LTV haben keinen weitergehenden Inhalt. Dieses frühere Tarifrecht gilt nach § 11 ÜTV ohnehin nur insoweit weiter, als der Erholungsurlaub nach dem früheren Tarifrecht länger war als nach § 10 MTV. Nur in diesem Umfang war der Besitzstand der Arbeitnehmer gesichert (BAG 16. September 1997 – 9 AZR 532/96 – AP TVG § 1 Deutsche Bahn Nr. 2 = EzA TVG § 4 Bundesbahn Nr. 5).

Eine andere Auslegung ist auch nicht deshalb geboten, weil die Tarifvertragsparteien mit Wirkung zum 1. Juli 1998 § 11 ÜTV um einen zweiten Absatz ergänzt haben. Nach dieser Fassung ist nunmehr die jeweils gesetzliche Regelung über die Anrechnung von Kurzeiten auf den Erholungsurlaub anzuwenden. Ob die Tarifvertragsparteien damit die ohnehin bestehende Tarifsituation bestätigen oder statt dessen erstmals die Anrechnung ausdrücklich von der jeweiligen Gesetzeslage abhängig machen wollten, kann weder dem Tariftext noch dem Zusammenhang der Tarifwerke entnommen werden. Beide Alternativen sind möglich. Weder der einen noch der anderen kann ein Anrechnungsverbot entnommen werden.

Ein Anrechnungsverbot ergibt sich nicht im Zusammenhang mit den Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Rehabilitationsmaßnahmen nach § 27B Abs. 8 LTV. Die Vorschrift betrifft Höhe und Dauer der Entgeltfortzahlung bei den von einem Sozialversicherungsträger durchgeführten Kur-Maßnahmen. Daß die Tarifvertragsparteien nach § 27B Abs. 8 Nr. 1 Satz 2 LTV die Teilnahme an einer Kur einer Arbeitsunfähigkeit gleich gestellt haben, führt zu keiner anderen Beurteilung. Daraus ergibt sich allein, daß die Tarifvertragsparteien Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation als einen Fall der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und nicht als Urlaub behandeln wollten. Die Tarifvorschrift regelt nicht, wie sich dieser Anspruch zum Urlaubsanspruch verhält, insbesondere nicht, ob Tage der Arbeitsverhinderung wegen der Teilnahme an einer medizinischen Rehabilitation Urlaubsansprüche ersetzen oder vermindern können.

III. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Düwell, Zwanziger, Reinecke, Fox, Gaber

 

Fundstellen

Dokument-Index HI848028

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