Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit einer vergangenheitsbezogenen Feststellungsklage

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine auf die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses gerichtete Klage kann zulässig auch nach Erlöschen des Rechtsverhältnisses fortgeführt werden, wenn sich aus der Klagebegründung gegenwärtige oder zukünftige Folgewirkungen ergeben.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 04.07.1990; Aktenzeichen 11 Sa 500/90)

ArbG Solingen (Entscheidung vom 25.01.1990; Aktenzeichen 2 Ca 1520/89)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, ob die Beklagte verpflichtet war, den Kläger nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG) zum Besuch eines Sprachkurses freizustellen.

Der Kläger, der das zweite Staatsexamen als Geodät bestanden hat, wird seit November 1988 als technischer Angestellter im Planungsamt der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 4. Juli 1989 teilte er der Beklagten mit, daß er in der Zeit vom 6. November 1989 bis 10. November 1989 beabsichtige, an einem Intensivkurs "Spanisch für Anfänger" teilzunehmen. Mit Schreiben vom 11. Juli 1989 lehnte die Beklagte eine Freistellung nach dem AWbG ab und verwies auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub. Als nach einem Mahnschreiben seiner Prozeßbevollmächtigten die Beklagte erneut eine Freistellung ablehnte, beantragte der Kläger vorsorglich Erholungsurlaub. Die Beklagte hat hierauf nicht reagiert. Der Kläger hat an der Veranstaltung teilgenommen.

Noch vor Beginn des Spanischkurses hat der Kläger beim Arbeitsgericht Klage mit dem Antrag erhoben

festzustellen, daß dem Kläger in der Zeit vom

6. November bis 10. November 1989 Weiterbildungs-

urlaub nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz

NW zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, der Kläger habe zunächst dem zuständigen Sachbearbeiter bei einem Gespräch am 25. Juli 1989 erklärt, er wolle den Spanischkurs zur Vorbereitung einer privaten Südamerikareise besuchen. Erst im Verlauf des Rechtsstreits habe der Kläger aus prozeßtaktischen Erwägungen berufliche Veränderungsabsichten vorgebracht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen.

Das Landesarbeitsgericht ist dem arbeitsgerichtlichen Urteil gefolgt und hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er begehrt nunmehr die Feststellung, daß dem Kläger zum fraglichen Zeitraum ein Weiterbildungsurlaub zustand. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist unbegründet; denn die Feststellungsklage ist nach dem Besuch der Bildungsveranstaltung unzulässig geworden.

1. Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nur zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse hat, das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald feststellen zu lassen. Wird die Klage auf Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses gerichtet, so ist sie nur dann zulässig, wenn sich aus der Feststellung noch Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben (BAGE 4, 114 = AP Nr. 1 zu § 20 MietSchG; BAGE 54, 210 = AP Nr. 3 zu § 52 BAT; Senatsurteil vom 22. September 1992 - 9 AZR 404/90 - AP Nr. 17 zu § 256 ZPO 1977; Senatsurteil vom 8. Dezember 1992 - 9 AZR 113/92 - NZA 1993, 475). Für eine Feststellungsklage, die ursprünglich auf ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis gerichtet war, gilt nichts anderes. Wird nach Erlöschen des Rechtsverhältnisses die Hauptsache nicht für erledigt erklärt, sondern die Feststellungsklage fortgeführt, bedarf es der Ableitung konkreter Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 47).

2. Im Streitfall fehlt ein schutzwürdiges Interesse für die begehrte Feststellung, ob dem Kläger für die Zeit vom 6. bis 10. November 1989 ein Anspruch auf Weiterbildungsurlaub zum Besuch des Spanischkurses zustand.

Das Landesarbeitsgericht ist ohne nähere Begründung davon ausgegangen, daß die begehrte Feststellung geeignet sei, einen etwaigen künftigen Streit über die Höhe des zustehenden Jahresurlaubs zu vermeiden. Dem kann nicht gefolgt werden. Das Landesarbeitsgericht ist zu Unrecht vom Vorliegen des Feststellungsinteresses ausgegangen.

Grundsätzlich kann zwar eine Partei aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit die ursprünglich auf die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses aufgewendeten Mühen für die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses verwerten, soweit eine für künftige Verfahren erhebliche Frage rechtskräftig geklärt wird (BAG Urteil vom 28. November 1966 - 3 AZR 203/66 - AP Nr. 1 zu § 268 ZPO). Voraussetzung ist jedoch, daß der Kläger sein fortbestehendes Interesse hinreichend begründet. Die vom Revisionsgericht vorzunehmende Prüfung des Feststellungsinteresses entbindet den Kläger nicht von der Darlegungslast. Sie hat nämlich keine Untersuchung von Amts wegen zum Inhalt (BAG Urteil vom 21. April 1966 - 5 AZR 536/65 - AP Nr. 43 zu § 256 ZPO, Gründe zu II 2; Zöller/Greger, ZPO, 18. Aufl., vor § 128 Rz 12, § 256 Rz 7; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 121).

Der Kläger hat die tatsächlichen Voraussetzungen, die für die Ableitung von gegenwärtigen oder zukünftigen Rechtswirkungen erforderlich sind, nicht dargelegt. Zwar kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß aufgrund einer besonderen Vereinbarung (vgl. Senatsurteile vom 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, und 24. August 1993 - 9 AZR 252/89 -, n. v.) die Beklagte für den Besuch der Bildungsveranstaltung Erholungsurlaub "nachzugewähren" hat. Es fehlt jeglicher Vortrag, daß der Kläger Urlaub erhalten und er mit der Beklagten eine Vereinbarung darüber getroffen hat. Ohne Abschluß der Sondervereinbarung ist der Urlaubsanspruch des Klägers spätestens mit Ablauf des Urlaubsjahres 1989 erloschen (§ 47 Abs. 7 Unterabsatz 1 BAT). Deshalb könnte das begehrte Feststellungsurteil keine urlaubsrechtlichen Auswirkungen haben.

Das Revisionsgericht ist auch nicht zur Prüfung aller sonstigen materiellrechtlich in Betracht kommenden Folgewirkungen verpflichtet, die sich gegenwärtig oder künftig daraus ergeben können, daß die Beklagte den Kläger nicht zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung für die Zeit vom 6. bis 10. November 1989 freigestellt hat. Eine derartig weitgespannte Prüfung liefe auf die Erstattung eines Gutachtens hinaus. Diese aber ist den Gerichten versagt (BAGE 46, 129, 137 = AP Nr. 3 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; Senatsurteil vom 8. Dezember 1992 - 9 AZR 113/92 -, aaO; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 32). Da der Kläger selbst nicht vorgebracht hat, den bisherigen Streitstoff für die Durchsetzung eines bestimmten Schadensersatzanspruches verwerten zu wollen, obliegt es dem Gericht nicht, sich hierzu zu äußern.

II. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Dr. Leinemann Dörner Düwell

Dr. Schwarze Hennecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 441815

BAGE 74, 201-203 (LT1)

BAGE, 201

BB 1994, 290

BB 1994, 290-291 (LT1)

DB 1994, 2352 (LT1)

EBE/BAG 1994, 32 (LT1)

NZA 1994, 859

NZA 1994, 859-860 (LT1)

AP § 256 ZPO 1977 (LT1), Nr 22

AR-Blattei, ES 130 Nr 16 (LT1)

EzA § 256 ZPO, Nr 38 (LT1)

PersV 1995, 512 (L)

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