Entscheidungsstichwort (Thema)

Reisekostenerstattung im Versicherungsaußendienst

 

Leitsatz (amtlich)

  • Anspruch auf Reisekostenerstattung nach § 20 des Manteltarifvertrags für das private Versicherungsgewerbe (MTV) besteht nur für Geschäftsfahrten, nicht dagegen für Fahrten zwischen der Wohnung des Arbeitnehmers und seiner Arbeitsstätte.
  • Befindet sich die regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers in seiner Wohnung, so fallen unter § 20 MTV auch Fahrten von der Wohnung zur Geschäftsstelle des Unternehmens.
  • Die Arbeitsvertragsparteien können die Reisekostenerstattung nach § 20 MTV nur, soweit dies zur leichteren Handhabbarkeit angemessen ist, z.B. im Wege der Pauschalabgeltung auf Beträge beschränken, die die notwendigen tatsächlichen Reisekosten unterschreiten. Dabei kann die Zahlung von Tagegeldern für Fahrten zwischen der in der Wohnung des Außendienstmitarbeiters gelegenen Arbeitsstätte und der Geschäftsstelle ausgeschlossen werden, wenn in der Geschäftsstelle die Möglichkeit zur preisgünstigen Einnahme von Mahlzeiten besteht.
 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Versicherungsgewerbe; Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe § 20

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 26.06.1992; Aktenzeichen 12 (11) Sa 172/92)

ArbG Köln (Urteil vom 04.06.1991; Aktenzeichen 17 Ca 7696/89)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 26. Juni 1992 – 12 (11) Sa 172/92 – aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 4. Juni 1991 – 17 Ca 7696/89 – wegen eines Anspruchs auf Zahlung von 19.137,51 DM für den Zeitraum vom Mai 1988 bis einschließlich Mai 1991 sowie wegen der Feststellung zurückgewiesen hat, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger auch für Fahrten von seiner Wohnung zur Geschäftsstelle der Beklagten in K…, V… Straße, die notwendigen tatsächlichen Fahrtauslagen und Spesen zu erstatten.
  • Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger seit Mai 1988 zustehenden Reisekostenerstattung.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Angestellter im Werbeaußendienst (Gruppenleiter) beschäftigt. Er hat den linksrheinischen Bezirk K…, den E… und den Kreis Eu… zu betreuen. In seiner Wohnung in B… unterhält er ein Büro. Die für ihn zuständige Geschäftsstelle der Beklagten befindet sich in K…, V… Straße. Ob der Kläger dort, wie die Beklagte behauptet, seinen regelmäßigen Arbeitsplatz mit entsprechender bürotechnischer Ausstattung hat, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Im Durchschnitt der Jahre 1985 – 1987 hat der Kläger 14.878 km auf Geschäftsfahrten zu Kunden zurückgelegt. Die Fahrten zwischen Wohnung und Geschäftsstelle ergaben im Jahresdurchschnitt weitere 9.717 km.

Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge für das private Versicherungsgewerbe anzuwenden. Zur Erstattung von Reisekosten ist im Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe (MTV) bestimmt:

III. Bestimmungen für die im Angestelltenverhältnis tätigen Mitarbeiter des Werbeaußendienstes

§ 20

Fahrtauslagen und Spesen

  • Notwendige tatsächliche Fahrtauslagen werden dem Arbeitnehmer gemäß vorheriger schriftlicher Vereinbarung ersetzt. Pauschale Abgeltung kann vereinbart werden.
  • Spesen werden je nach Art der Tätigkeit und der Arbeitsgebiete aufgrund von Erfahrungsgrundsätzen berechnet und in freier Vereinbarung schriftlich festgelegt.

Die Parteien haben 1979 zur Erstattung von Reisekosten vereinbart, daß der Kläger folgende Tagegelder erhalten soll:

“…

Tagegelder als Pauschbeträge steuerfrei, und zwar für eine Reisetätigkeit

von mehr als 12 Stunden 

 25,00 DM

von mehr als 10 Stunden

20,00 DM

von mehr als 7 Stunden

12,50 DM

von mehr als 5 Stunden

7,50 DM.

Für eine Tätigkeit im Umkreis von 15 km, gerechnet von Ihrer Betriebsstätte (Wohnung), werden Tagegelder nicht gewährt.

Die Tagegelder werden auf 400,00 DM monatlich limitiert.

Für die Tage, an denen Sie nicht arbeiten, werden die vorstehenden Limitierungen für jeden Arbeitstag um 1/22 gekürzt.

…”

Außerdem soll der Kläger nach dieser Vereinbarung “für die im Geschäftsinteresse” mit seinem Pkw zurückgelegten Strecken ein Kilometergeld erhalten, das seit 1981 0,25 DM beträgt.

Nachdem die Beklagte in die Reisekostenerstattung zunächst auch die Fahrten des Klägers zwischen Wohnung und Geschäftsstelle einbezogen hatte, schlug sie dem Kläger mit Schreiben vom 20. April 1988 eine Vertragsänderung vor, die er akzeptierte. In dem Schreiben heißt es:

“…

Sehr geehrter Herr B…,

auch mit Ihnen haben wir im Rahmen ihres Anstellungsvertrages die Erstattung von Reisekosten vereinbart. Dabei sind wir bisher immer davon ausgegangen, daß die Dienstreise eines Außendienstmitarbeiters jeweils mit dem Verlassen seiner Wohnung beginnt.

Leider sind die Finanzämter in der letzten Zeit in zunehmendem Maße dazu übergegangen, die Berechtigung der von uns steuerfrei an die Angestellten des Außendienstes gezahlten Reisekosten anzuzweifeln.

Nach langen Verhandlungen ist es gelungen, die Prüfer des Finanzamtes davon zu überzeugen, daß jeder Außendienstmitarbeiter zumindest einmal wöchentlich in der Regel für mindestens 3 Stunden das Büro der Geschäftsstelle aufsucht, um am jour fixe, an Schulungen, Besprechungen usw. teilzunehmen. Unter diesen Umständen hat das Finanzamt sich bereit erklärt, das Büro der Geschäftsstelle als Arbeitsstätte in steuerlicher Hinsicht anzuerkennen.

Auswirkungen in vertraglicher Hinsicht

Als Arbeitsstätte in steuerlicher Hinsicht gilt das Büro Ihrer Geschäftsstelle. Für eine Tätigkeit im Umkreis von 15 km, gerechnet vom Büro der Geschäftsstelle und von Ihrer Wohnung, werden Tagegelder und Übernachtungskosten nicht gezahlt.

Auch Fahrten zwischen Wohnung und Geschäftsstelle gelten nicht als Geschäftsfahrten. Es können keine Kilometergelder liquidiert werden.

…”

Zum 1. Mai 1988 vereinbarten die Parteien die pauschale Abgeltung der Reisekosten durch Zahlung einer Pauschale i.H.v. 750,00 DM monatlich.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Vereinbarung über die Reisekostenpauschale sei unwirksam. Sie umfasse nämlich bei weitem nicht die Kosten, die ihm aufgrund von Geschäftsreisen entstünden und auf deren Erstattung er einen tariflichen Anspruch habe. Hierzu hat er zuletzt noch geltend gemacht, daß zum einen in die Reisekostenerstattung auch die Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Geschäftsstelle der Beklagten einzubeziehen seien. Zum anderen sei das Kilometergeld von 0,25 DM inzwischen zu niedrig. Angemessen sei im Zeitraum von Mai 1988 bis einschließlich Mai 1991 entsprechend den damaligen steuerrechtlichen Bewertungen ein Betrag von 0,42 DM pro Kilometer gewesen; tatsächlich seien bei dem von ihm benutzten Kraftfahrzeugmodell nach Angaben des ADAC sogar Kosten i.H.v. 0,44 DM pro Kilometer entstanden. Schließlich seien die Tagegelder nicht mehr ausreichend: Diese müßten bei einer Abwesenheit von mehr als 12 Stunden 33,00 DM, von mehr als 10 Stunden 27,00 DM und von mehr als 7 Stunden 17,00 DM betragen. Dies ergebe sich aus der seit 1979 eingetretenen Preissteigerung und aus den entsprechenden für Mitarbeiter im Innendienst bei der Beklagten geltenden Bestimmungen.

Auf dieser Grundlage und im Umfang der in den Jahren 1985 bis 1987 tatsächlich durchgeführten Fahrten hat der Kläger Ansprüche auf Kilometergeld und Tagegelder i.H.v. 1.267,23 DM im Monatsdurchschnitt errechnet. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten gezahlten Monatspauschale von 750,00 DM macht er für die Zeit vom 1. Mai 1988 bis zum 31. Mai 1991 noch Erstattungsansprüche i.H.v. 517,23 DM pro Monat geltend.

Nachdem er ursprünglich noch weitergehende Zahlungsansprüche verfolgt hatte, hat der Kläger zuletzt und nach Klarstellung des Antrags zu 2) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum vom Mai 1988 bis einschließlich Mai 1991 insgesamt 19.137,51 DM zu zahlen;
  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch für Fahrten von seiner Wohnung zur Geschäftsstelle der Beklagten in K…, V… Straße, die notwendigen tatsächlichen Fahrtauslagen und Spesen zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ergeben sich Art und Umfang des Erstattungsanspruchs nicht aus dem MTV, sondern werden von diesem der Regelung durch die Parteien des Arbeitsvertrags überlassen. Die von ihr geleisteten Zahlungen entsprächen den getroffenen Vereinbarungen. Im übrigen überstiegen die tatsächlichen Aufwendungen des Klägers für Geschäftsreisen im Monatsdurchschnitt auch nicht den Betrag von 750,00 DM, denn die Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Geschäftsstelle seien als Fahrten zum Arbeitsplatz bei der Kostenerstattung nicht zu berücksichtigen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Juni 1991, zugestellt am 14. Februar 1992, abgewiesen. Die hiergegen am 13. März 1992 eingelegte Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger einen Teil der ursprünglich geltend gemachten Ansprüche weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision ist zulässig. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von der Zulässigkeit der Berufung des Klägers ausgegangen. Die Berufung ist rechtzeitig erfolgt, da sie am 13. März 1992 und somit innerhalb eines Monats nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils (14. Februar 1992) eingelegt worden ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 516 2. Halbsatz, 1. Alt. ZPO). Zu Unrecht beruft sich die Beklagte insoweit auf § 516 ZPO, nach dem die Berufungsfrist ohne Rücksicht auf die erst später vorgenommene Zustellung des Urteils bereits nach Ablauf von fünf Monaten nach der am 4. Juni 1991 erfolgten Verkündung, also am 5. November 1991 begonnen und mit Ablauf des 4. Dezember 1991 geendet hätte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beginnt nämlich im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit Ablauf der Fünf-Monats-Frist des § 516 ZPO nicht die Berufungsfrist, sondern wegen Fehlens der vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG (BAG Urteil vom 16. August 1991 – 2 AZR 241/90 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu I 3 der Gründe; Urteil vom 14. September 1984 – 7 AZR 528/83 – AP Nr. 3 zu § 9 ArbGG 1979, zu II der Gründe).

B. Die Revision ist auch begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung trägt die klageabweisende Entscheidung nicht. An einer abschließenden Entscheidung in der Sache ist der Senat aber gehindert, da die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen hierfür nicht ausreichen.

I. Die Revision ist nicht etwa bereits nach § 551 Nr. 7 ZPO begründet, weil das angefochtene Urteil wegen verspäteter Absetzung als nicht mit Gründen versehen zu betrachten ist. Zwar ist angesichts des zwischen der Verkündung und der Zustellung des Urteils liegenden Zeitraums von über acht Monaten anzunehmen, daß es später als fünf Monate nach seiner Verkündung von den Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt ist. Ein solches Urteil gilt nach dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – als nicht mit Gründen versehen.

Hierauf kommt es jedoch im vorliegenden Fall für die Begründetheit der Revision nicht an. Der Mangel ist nämlich nicht gerügt worden und auch nicht von Amts wegen zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 27. April 1988 – 4 AZR 691/87 – AP Nr. 4 zu § 10 TV Arb Bundespost).

II. Die Klage ist nach § 256 Abs. 2 ZPO auch mit dem Feststellungsantrag zu 2) zulässig. Mit diesem Antrag wird die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, nämlich der Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung der Fahrtauslagen und Spesen für Fahrten von der Wohnung des Klägers zur Geschäftsstelle der Beklagten, begehrt, das für die Entscheidung über den Zahlungsantrag zu 1) vorgreiflich ist und über diesen hinausreicht, da es auch den Zeitraum ab Juni 1991 umfaßt.

III. Bei beiden Klageanträgen bedarf es zur abschließenden Entscheidung über die Begründetheit noch tatsächlicher Feststellungen. Die klageabweisende Entscheidung beruht nämlich sowohl für den Feststellungsantrag zu 2) als auch für den Zahlungsantrag zu 1) darauf, daß das Landesarbeitsgericht angenommen hat, Fahrten zwischen der Wohnung des Klägers und der Geschäftsstelle der Beklagten seien bei der Reisekostenerstattung nicht zu berücksichtigen. Diese Annahme ist aber zumindest teilweise unzutreffend, wenn, wie der Kläger behauptet und die Beklagte bestreitet, die Geschäftsstelle nicht zugleich Arbeitsstätte des Klägers ist.

1. Die Berücksichtigung dieser Fahrten bei der Reisekostenerstattung ist auch für die Entscheidung über den Zahlungsantrag zu 1) in dem jetzt noch vom Kläger verfolgten Umfang erheblich. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich diesen Zahlungsantrag mit der Begründung abgewiesen, daß die dem Kläger gezahlte Reisekostenpauschale von 750,00 DM monatlich seine auf der Grundlage des Durchschnitts der Jahre 1985 bis 1987 mit 749,83 DM monatlich berechneten Aufwendungen abdecke. Dabei ist es von folgenden Aufwendungen des Klägers ausgegangen: Für Geschäftsfahrten – ohne Fahrten von der Wohnung zur Geschäftsstelle – hat es aufgrund einer Strecke von 14.878 km im Jahr und unter Zugrundelegung eines Kilometergeldes von 0,42 DM einen Monatsbetrag von 520,73 DM errechnet; an Tagegeldern hat es – ebenfalls ohne Berücksichtigung der Fahrten von der Wohnung zur Geschäftsstelle – einen Betrag von 229,10 DM pro Monat ermittelt, wobei es die vom Kläger beanspruchten höheren Tagegeldsätze als Berechnungsgrundlage genommen hat, deren Berechtigung aber hat dahinstehen lassen.

Werden dagegen die Fahrten des Klägers zwischen Wohnung und Geschäftsstelle in die Reisekostenberechnung mit einbezogen, so erhöhen sich auf der Grundlage der vom Kläger im Jahresdurchschnitt 1985 bis 1987 hierbei zurückgelegten 9.717 km die Fahrtkosten von 520,73 DM auf 860,82 DM monatlich. Die Summe der Tagegelder ist in diesem Fall mit 406,41 DM statt mit 229,10 DM anzusetzen. Dies ergibt einen monatlichen Gesamtbetrag der Reisekosten von 1.267,23 DM, aus dem sich der mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 517,23 DM monatlich zusätzlich zur Pauschale von 750,00 DM errechnet.

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger Anspruch auf Kilometergeld auch für Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Geschäftsstelle der Beklagten, wenn diese nicht zugleich seine Arbeitsstätte ist. Dies folgt aus Regelungszusammenhang und Zweck von § 20 Abs. 1 des Manteltarifvertrages, dem kraft beiderseitiger Tarifbindung das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, über die hier zwischen den Parteien Streit besteht, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. Senatsurteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2a der Gründe, m.w.N.).

b)aa) Der Erstattungsanspruch des Klägers ergibt sich nicht bereits daraus, daß in § 20 Abs. 1 MTV nur von “notwendigen … Fahrtauslagen” die Rede ist, ohne daß dabei ausdrücklich zwischen Geschäftsfahrten und Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unterschieden würde. Nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen hat nämlich der Arbeitnehmer seine Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte selbst zu tragen (Senatsurteil vom 19. Januar 1977 – 4 AZR 595/75 – AP Nr. 5 zu § 42 BAT). Es ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien mit einer Bestimmung wie § 20 Abs. 1 MTV, die lediglich für Mitarbeiter des Werbeaußendienstes einen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung enthält, entsprechend diesem Grundsatz nur für Geschäftsreisen die Fahrtkostenerstattung regeln und nicht etwa für diese Außendienstmitarbeiter im Unterschied zu den für die anderen Arbeitnehmer des Versicherungsunternehmens geltenden Bestimmungen auch einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begründen wollten.

bb) Die Fahrten zwischen der Wohnung und der Geschäftsstelle fallen aber dann unter § 20 Abs. 1 MTV, wenn der Kläger seine regelmäßige Arbeitsstätte in seiner Wohnung und nicht in der Geschäftsstelle der Beklagten hat. In diesem Fall sind dies nämlich Fahrten, die der Kläger im geschäftlichen Interesse von seiner Arbeitsstätte aus unternimmt. Damit unterscheiden sie sich insoweit nicht von Fahrten, die er von seiner Wohnung aus zum Besuch von Kunden antritt. Solche Fahrten zur Geschäftsstelle sind nicht wie die Fahrt eines Arbeitnehmers zu seiner Arbeitsstätte dem privat-persönlichen Lebensbereich des Klägers zuzuordnen. § 20 Abs. 1 MTV enthält auch keine Anhaltspunkte dafür, daß hinsichtlich der Kostenerstattung zwischen diesen im Geschäftsinteresse erfolgenden Fahrten zur Geschäftsstelle und anderen, z.B. Kundenbesuchen, zu unterscheiden wäre.

cc) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts läßt sich nicht beurteilen, ob der Kläger in der Geschäftsstelle der Beklagten eine regelmäßige Arbeitsstätte hat oder nicht.

(1) Einerseits hat der Kläger behauptet, er habe seine Arbeitsstätte in seiner Wohnung. In der Geschäftsstelle der Beklagten habe er mangels eines Büros keine Arbeitsmöglichkeiten. Für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht das Schreiben der Beklagten vom 20. April 1988 an den Kläger, nach dem es der Beklagten erst “nach langen Verhandlungen gelungen” ist, die Prüfer des Finanzamts davon zu überzeugen, daß die Außendienstmitarbeiter wenigstens einmal wöchentlich für drei Stunden in der Geschäftsstelle zur Teilnahme an Besprechungen u.ä. anwesend sind.

(2) Andererseits hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe in K… einen Arbeitsplatz mit entsprechender bürotechnischer Ausstattung. Für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht, daß der Kläger seinem Klageantrag für die Fahrten von der Wohnung zur Geschäftsstelle eine durchschnittliche Jahresfahrleistung von über 9.700 km zugrunde legt, die angesichts einer Straßenentfernung zwischen B… und der V… Straße in K… in der Größenordnung von 20 bis 25 km bei einer Fahrt zur Geschäftsstelle pro Woche bei weitem nicht erreicht werden kann.

(3) Es ist auch nicht völlig auszuschließen, wenn auch wenig wahrscheinlich, daß der Kläger sowohl zuhause als auch in der Geschäftsstelle der Beklagten eine regelmäßige Arbeitsstätte hat. Dies würde indessen den Ausnahmefall voraussetzen, daß an beiden Orten die technischen und räumlichen Voraussetzungen für seine Bürotätigkeit vorhanden sind, daß er tatsächlich an jedem der beiden Orte einen erheblichen Teil dieser Bürotätigkeit ausübt und daß er schließlich von jedem der beiden Orte aus jeweils einen Teil seiner Außendiensttätigkeit organisiert und durchführt.

c) Der tarifliche Anspruch des Klägers auf Fahrtkostenerstattung ist nicht durch die Vereinbarung der Parteien vom 20. April 1988 abbedungen worden. Nach § 4 Abs. 3 TVG konnten die Parteien nicht zum Nachteil des Klägers vom MTV abweichen. Eine solche Vereinbarung ist auch nicht in § 20 Abs. 1 MTV zugelassen.

aa) Zwar ist der Beklagten zuzugeben, daß in § 20 Abs. 1 MTV durch die Verweisung auf eine zwischen den Parteien zu treffende Vereinbarung und die ausdrücklich eröffnete Möglichkeit pauschaler Abgeltung den Arbeitsvertragsparteien ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, der auch solche Vereinbarungen umfaßt, nach denen dem Arbeitnehmer die notwendigen Fahrtauslagen nicht in voller Höhe erstattet werden. Es liegt nämlich in der Natur von Pauschalregelungen, daß sie im Interesse der Praktikabilität von Schätz– oder Durchschnittswerten ausgehen, die mit den entsprechenden exakt berechneten Werten meist nicht übereinstimmen, sei es, daß sie höher, sei es, daß sie niedriger sind als diese.

bb) Dieser Gestaltungsspielraum der Parteien des Arbeitsvertrags ist aber, was die Höhe des Erstattungsanspruchs angeht, auf Bestimmungen begrenzt, die die Erstattungsregelung unter angemessener Berücksichtigung der Interessen beider Seiten leichter handhabbar machen. So kann beispielsweise, wie es der Kläger im vorliegenden Fall – von der Beklagten unbeanstandet – getan hat, zur Berechnung des Erstattungsanspruchs auf die Verhältnisse in einem abgelaufenen Drei-Jahres-Zeitraum zurückgegriffen werden. Dagegen liegt es nach § 20 Abs. 1 MTV nicht in der Regelungsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien, die Grundlagen des Erstattungsanspruchs abweichend vom MTV zu bestimmen, z.B. dadurch, daß einzelne Kostenelemente – hier die Fahrten zwischen Wohnung und Geschäftsstelle – völlig von der im MTV vorgesehenen Erstattung ausgenommen werden. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, daß im Zweifel der Tarifauslegung der Vorrang gebührt, die zu einem sachgerechten und zweckorientierten Ergebnis führt. Dieser Grundsatz steht einer Auslegung entgegen, welche die Tarifbestimmung ihres Regelungsgehaltes und damit ihres Normcharakters berauben würde. Könnten die Arbeitsvertragsparteien die Grundlagen des Erstattungsanspruchs abweichend von § 20 Abs. 1 MTV festlegen, so wäre diese Tarifbestimmung praktisch inhaltsleer. Ihre Bedeutung würde sich nämlich darauf beschränken, unter Verzicht auf eine eigene zwingende materielle Regelung überflüssigerweise auf die diesbezügliche Regelungsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien zu verweisen. Dies kann nicht gewollt sein.

cc) Da die in § 20 Abs. 1 MTV geregelten Voraussetzungen des Anspruchs auf Fahrtkostenerstattung, wie ausgeführt, im wesentlichen der Verfügung der Arbeitsvertragsparteien entzogen sind, konnten die Parteien auch nicht wirksam vereinbaren, daß für diesen Tarifanspruch unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten die Geschäftsstelle der Beklagten als Arbeitsstätte des Klägers anzusehen ist.

dd) Fehlt demnach im vorliegenden Fall eine § 20 Abs. 1 MTV entsprechende wirksame Vereinbarung über die Erstattung der Fahrtauslagen, so ergibt sich der Umfang des Erstattungsanspruchs unmittelbar aus dem Tarifvertrag. Das Fehlen einer Vereinbarung würde nämlich andernfalls dazu führen, daß der Erstattungsanspruch nicht verwirklicht werden kann. Dies liefe aber dem Grundsatz zuwider, daß die Auslegung des Tarifvertrags zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führen soll.

d) Zu folgen ist dem Landesarbeitsgericht darin, daß bei der Erstattung der Fahrtkosten nach § 20 Abs. 1 MTV der Anspruch des Klägers auf der Grundlage eines Kilometergeldes von 0,42 DM zu berechnen ist.

aa) Die Beklagte hat die auf eine entsprechende Auskunft des ADAC gestützte Behauptung des Klägers, daß die tatsächlichen Kosten des von ihm im streitbefangenen Zeitraum gefahrenen Pkw 0,44 DM pro Kilometer betragen hätten, nicht bestritten. Sie hat sich insoweit nur auf die Vereinbarung aus dem Jahre 1981 berufen, wonach das Kilometergeld 0,25 DM betragen soll. Damit gilt das tatsächliche Vorbringen des Klägers insoweit nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

bb) Wenn aber die notwendigen tatsächlichen Fahrtauslagen des Klägers 0,44 DM pro Kilometer betragen haben, konnte der tarifliche Erstattungsanspruch nicht durch Vereinbarung wirksam auf 0,25 DM pro Kilometer vermindert werden. Dieser Betrag liegt nämlich so weit unterhalb der tatsächlichen Kosten, daß seine Vereinbarung auch von der Pauschalierungsbefugnis der Parteien nicht mehr gedeckt ist. Mangels einer wirksamen Parteivereinbarung ergibt sich daher die Höhe des Kilometergeldes, wie oben (2c,dd) ausgeführt, unmittelbar aus § 20 Abs. 1 MTV und umfaßt die tatsächlichen Kosten, also 0,44 DM pro Kilometer.

cc) Da der Kläger zuletzt nur noch Kilometergeld i.H.v. 0,42 DM verlangt hat, ist nach § 308 Abs. 1 ZPO dieser Betrag der Berechnung seines Erstattungsanspruchs zugrunde zu legen.

3. Auch hinsichtlich des Tagegeldes bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen.

a) Dies gilt zum einen für die Frage, ob der Kläger auch für Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Geschäftsstelle der Beklagten Tagegeld beanspruchen kann.

aa) Diese Fahrten fallen unter der Voraussetzung, daß sich seine regelmäßige Arbeitsstätte nicht in der Geschäftsstelle befindet, nach den oben (2b, cc, (2)) dargestellten Grundsätzen auch unter die Bestimmung des § 20 Abs. 2 MTV und sind daher zur Begründung eines Anspruchs auf Tagegelder nach dieser Vorschrift geeignet. Wegen des inneren Zusammenhangs der Absätze 1 und 2 des § 20 MTV ist nämlich davon auszugehen, daß beiden Absätzen eine einheitliche Vorstellung von den hierdurch erfaßten Geschäftsreisen zugrunde liegt.

bb) Allerdings folgt hieraus nicht zwingend, daß bei den Tagegeldern nach dem MTV Fahrten zwischen Wohnung und Geschäftsstelle in gleicher Weise zu berücksichtigen sind wie beim Kilometergeld. Vielmehr haben die Arbeitsvertragsparteien nach § 20 Abs. 2 MTV für die Festlegung der Spesensätze – und damit der Tage- und Übernachtungsgelder – einen weiteren Gestaltungsspielraum als nach § 20 Abs. 1 MTV für die Festlegung der Kilometergelder. Dies ergibt sich schon daraus, daß in § 20 Abs. 2 anders als in § 20 Abs. 1 MTV nicht auf notwendige tatsächliche Auslagen, sondern auf Erfahrungssätze abgestellt und damit ein grob pauschalierendes Element zum Maßstab erhoben wird, das von den Gegebenheiten des Einzelfalles möglicherweise erheblich abweicht. Hinzu kommt, daß die Verwendung des Adjektivs “frei” im Zusammenhang mit der Parteivereinbarung den Gestaltungsspielraum der Arbeitsvertragsparteien noch hervorhebt. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß die durch Spesen abzudeckenden Mehraufwendungen, insbesondere für Verpflegung, sehr unterschiedlicher Art sein und daher in ihrem Umfang schwerer abgeschätzt werden können als Fahrtkosten.

cc) Danach kann der Ausschluß des Anspruchs auf Tagegelder für Fahrten zwischen Wohnung und Geschäftsstelle auch dann, wenn die Geschäftsstelle nicht regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers ist, nach § 20 Abs. 2 MTV von der Pauschalierungsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien gedeckt sein. Dies gilt dann, wenn in diesem Betrieb Vorkehrungen dafür getroffen sind, daß die Arbeitnehmer eine preisgünstige Möglichkeit zur Einnahme von Mahlzeiten haben. Damit sind nämlich Zusatzaufwendungen für Verpflegung – diese stellen in der Regel neben den hier nicht in Betracht kommenden Übernachtungskosten den wichtigsten Posten unter den Spesen dar – nicht in nennenswertem Maße erforderlich. Angesichts der geringen Entfernung zwischen Wohnung und Geschäftsstelle können im übrigen mögliche Spesen, die während der Fahrt anfallen könnten, vernachlässigt werden.

b) Auch hinsichtlich der Höhe der Tagegelder bedarf es noch zusätzlicher Feststellungen. Sind nämlich die Fahrten des Klägers zwischen Wohnung und Geschäftsstelle bei der Erstattung der Fahrtkosten in dem vom Kläger geltend gemachten Umfang zu berücksichtigen, so beläuft sich allein schon das Kilometergeld auf 860,82 DM monatlich und liegt damit deutlich über dem für die gesamten Reisekosten vereinbarten Pauschalbetrag von 750,00 DM pro Monat. Damit kann es nicht, wie es das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – getan hat, dahingestellt bleiben, ob der Berechnung die Tagegelder in der von den Parteien 1979 vereinbarten oder in der vom Kläger wegen der seitdem erfolgten Preissteigerungen für richtig gehaltenen Höhe zugrunde zu legen sind.

Vielmehr folgt aus der in § 20 Abs. 2 MTV enthaltenen ausdrücklichen Verweisung auf Erfahrungssätze und die Art der Tätigkeit und des Arbeitsgebiets, daß die von den Parteien vereinbarten Tagegelder sich in der Größenordnung bewegen müssen, in der erfahrungsgemäß Mehraufwand bei Geschäftsreisen anfällt. Dafür, daß die Vereinbarung im vorliegenden Fall trotz des weiten Gestaltungsspielraums der Arbeitsvertragsparteien diesen Erfordernissen nicht entspricht, spricht die seit der vertraglichen Festlegung der Tagessätze im Jahre 1979 eingetretene Preissteigerung. Auch insoweit bedarf es aber noch weiterer Aufklärung.

IV. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revisionsinstanz mit zu entscheiden haben.

 

Unterschriften

Schaub, Bepler, Dr. Wißmann, Dr. Kiefer, Hauk

 

Fundstellen

Haufe-Index 848138

BB 1994, 75

NZA 1994, 663

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge