Entscheidungsstichwort (Thema)

Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte

 

Orientierungssatz

Das Recht zur freien Meinungsäußerung findet in der Betriebsversammlung seine Schranken lediglich darin, daß die Kritik nicht ehrverletzend ist oder den Betriebsfrieden stört. Der Arbeitnehmer darf in diesem Forum in diesem Rahmen Kritik an allen Angelegenheiten üben, die den Betrieb berühren, und diese Kritik darf sich auch auf die Geschäftsleitung erstrecken.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 242, 1004; GG Art. 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.02.1984; Aktenzeichen 2 Sa 147/83)

ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 22.07.1983; Aktenzeichen 1 Ca 237/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, eine dem Kläger am 15. Februar 1983 erteilte schriftliche Abmahnung aus dessen Personalakten zu entfernen.

Der Kläger war seit 1966 als Feinmechaniker bei der H GmbH beschäftigt; er gehörte dort dem Betriebsrat an und war zeitweilig Betriebsratsvorsitzender. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der H GmbH; dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat gehört der Kläger nicht mehr an.

Auf einer Betriebsversammlung am 4. Februar 1983 übte der Kläger Kritik an der Unternehmensleitung und am Betriebsrat. Er nahm dabei Bezug auf eine am 20. September 1982 zwischen der H GmbH und deren Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung, die sich auf die Übernahme der H GmbH durch die Beklagte bezog und in der u. a. vereinbart war, daß vorübergehend anstatt des bisherigen Akkordlohnes auf der Basis einer Mengenleistungsprämie Prämienlohn eingeführt werde. Hierdurch ergaben sich verschiedentlich niedrigere Löhne als bei der früheren Akkordentlohnung. Die Kritik des Klägers bezog sich weiterhin auf eine Bekanntmachung der Geschäftsleitung, in der die pünktliche Einhaltung der Arbeitszeit gefordert worden war und auf ein von der Betriebsleitung ausgesprochenes Alkoholverbot im Betrieb, dem der Betriebsrat zugestimmt hatte. Aufgrund der Äußerungen des Klägers in der Betriebsversammlung am 4. Februar 1983 hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15. Februar 1983 abgemahnt und dieses Schreiben zu den Personalakten des Klägers genommen. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

"Ihre Ausführungen in der Betriebsversammlung

am 4. Februar d. J. waren teilweise unwahr,

teilweise verleumderisch, so daß wir diese

nicht hinnehmen können.

Wenn Sie hier ausgeführt haben,

- daß die Geschäftsleitung im Zusammenhang mit

dem neuen Entlohnungsverfahren gegen geltende

Gesetze verstoßen habe und Sie dabei auf die

Möglichkeit einer Leistungsverweigerung hin-

weisen

- daß bei Akkordreklamationen der Akkorddurch-

schnittsverdienst nicht bezahlt werde und

- daß der Betriebsrat "sehr einseitig die

Interessen, nämlich die der Geschäftsleitung"

vertrete,

so ist dies vom Recht auf freie Meinungsäußerung

in der Betriebsversammlung nicht mehr gedeckt und

verstößt gegen Ihre arbeitsvertragliche Pflicht,

den Betriebsfrieden nicht durch unwahre Behaup-

tungen und Anschuldigungen gegen den Betriebs-

rat zu gefährden.

Wir sprechen Ihnen deshalb hiermit eine

A b m a h n u n g

aus und fordern Sie auf, zukünftig sich korrekt

zu verhalten.

Auch wenn Sie als früheres Betriebsratsmitglied

Kündigungsschutz genießen, müssen wir arbeits-

rechtliche Konsequenzen ziehen, wenn durch Sie

der Betriebsfrieden weiterhin in dieser Form ge-

stört wird.

Der Betriebsrat ist mit dem Inhalt dieses Schrei-

bens einverstanden."

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, bei seinen Äußerungen handele es sich um eine sachlich berechtigte Kritik, die durch das Recht zur freien Meinungsäußerung und durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt sei. Er habe damit weder eine Ehrverletzung begangen noch habe er den Betriebsfrieden gestört. Die Abmahnung sei daher zu Unrecht erfolgt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom

15. Februar 1983 aus den Personalakten zu ent-

fernen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die von dem Kläger auf der Betriebsversammlung erhobenen Vorwürfe seien sachlich ungerechtfertigt. Dem Kläger sei es vielmehr darum gegangen, die Beklagte in Verruf zu bringen und im Betrieb Unruhe zu stiften; damit habe der Kläger den Betriebsinteressen zuwider gehandelt. Es könne kaum ein schwerwiegenderer Vorwurf gegen den Arbeitgeber erhoben werden als der, er zahle den geschuldeten Lohn nicht. Der Kläger habe damit das Ansehen der Beklagten bei den Arbeitnehmern herabgesetzt, das Vertrauen in die korrekte Amtsführung des Betriebsrats erschüttert und die Arbeitnehmer rechtswidrig zur Arbeitsniederlegung aufgefordert.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger kann die Entfernung der mit Schreiben vom 15. Februar 1983 ausgesprochenen Abmahnung aus seinen Personalakten verlangen; die Abmahnung war unberechtigt.

I. 1. Ein Arbeitnehmer kann die Rücknahme einer mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers dann verlangen, wenn diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Hierzu gehören auch schriftliche Rügen und Verwarnungen, die zu den Personalakten genommen werden (ständige Rechtsprechung des BAG, z. B. BAG 7, 267, 273 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG Urteil vom 19. Juli 1983 - 1 AZR 307/81 - AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 3 der Gründe).

2. Die Revision vertritt zu Unrecht die Auffassung, für den Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten gebe es keine Anspruchsgrundlage.

a) Nachdem in jüngster Zeit von den Instanzgerichten vereinzelt Bedenken geäußert worden sind, ob für das Begehren, eine Abmahnung aus den Personalakten zu entfernen, eine Anspruchsgrundlage gegeben ist, hat der erkennende Senat des Bundesarbeitsgerichts sich mit dieser Frage noch einmal ausführlich auseinandergesetzt. In seinem Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten und ausgesprochen, daß der Arbeitgeber im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht, auch soweit er Rechte ausübt, auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen hat und unter Umständen auch besondere Maßnahmen treffen muß, die die Entstehung eines Schadens und damit auch eine Beeinträchtigung des Fortkommens seines Arbeitnehmers verhindern können (vgl. BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 1 der Gründe). Dabei ist der Umfang der Fürsorgepflicht im Einzelfall aufgrund einer eingehenden Abwägung der beiderseitigen Interessen zu bestimmen (BAG 7, 267, 271 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG Urteil vom 17. März 1970 - 5 AZR 263/69 - AP Nr. 78 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu 2 der Gründe). Der Arbeitgeber muß im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dafür Sorge tragen, daß die Personalakten ein richtiges Bild des Arbeitnehmers in dienstlichen und persönlichen Beziehungen vermitteln (BAG 7, 267, 273 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; seither ständige Rechtsprechung). Die Fürsorgepflicht ist Ausfluß des in § 242 BGB niedergelegten Gedankens von Treu und Glauben, der den Inhalt der Schuldverhältnisse bestimmt. Unter Hinweis auf den Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - (vgl. ZIP 1985, 1214 ff.) hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, daß der verfassungsrechtliche Persönlichkeitsschutz für das Arbeitsverhältnis und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten Bedeutung gewinnt. Der Arbeitgeber hat daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Bezug auf Ansehen, soziale Geltung und berufliches Fortkommen zu beachten (BAG 45, 111, 114 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu I 1 der Gründe).

b) Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers wird durch unrichtige, sein berufliches Fortkommen berührende Tatsachenbehauptungen beeinträchtigt. In entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB kann der Arbeitnehmer daher bei einem objektiv rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in Form von unzutreffenden oder abwertenden Äußerungen deren Widerruf und Beseitigung verlangen (BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - aaO).

c) Zu Unrecht verweist die Revision in diesem Zusammenhang auf § 83 Abs. 2 BetrVG, der dem Arbeitnehmer das Recht einräumt, eine Gegendarstellung zu den Personalakten zu reichen. Eine solche Gegendarstellung besagt nicht mehr, als daß die Angaben des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer bestritten werden. Durch die Gegendarstellung werden unrichtige Angaben nicht neutralisiert. Das im Klagewege durchsetzbare Recht des Arbeitnehmers, die Entfernung unrichtiger Angaben aus den Personalakten zu verlangen, wird dadurch nicht berührt (vgl. BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - aaO). Hinzu kommt vorliegend, daß der Kläger nicht bestreitet, die in der Abmahnung wiedergegebenen Äußerungen in der Betriebsversammlung gemacht zu haben. Die Parteien sind nur verschiedener Meinung darüber, wie diese Äußerungen zu werten sind.

II. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Äußerungen des Klägers in der Betriebsversammlung am 4. Februar 1983 die Beklagte nicht zu einer Abmahnung berechtigten. Die Ausführungen des Klägers verstoßen nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten. Sie sind weder in der Form verletzend noch enthalten sie ihrem Inhalt nach unwahre Tatsachenbehauptungen. Sie sind daher weder beleidigend noch verleumdend; sie sind auch nicht geeignet, den Betriebsfrieden zu stören.

1. Der Kläger hat der Geschäftsleitung zunächst vorgeworfen, mit dem neuen Entlohnungsverfahren habe sie gegen das Betriebsverfassungsgesetz bzw. gegen den Tarifvertrag verstoßen. Hierbei handelt es sich um eine Kritik an der Prämienlohnregelung; diese Regelung ist in einer Betriebsvereinbarung enthalten, die noch von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der H GmbH mit dem damaligen Betriebsrat abgeschlossen worden ist; diesem Betriebsrat gehörte der Kläger selbst an. Der Kläger hat in seiner Kritik die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für die Prämienarbeit, wie sie § 13 des im Tarifgebiet Südwürttemberg--Hohenzollern gültigen Manteltarifvertrages Arbeiter vorsehe, seien nicht gegeben.

2. Wenn der Kläger weiter geäußert hat, die Beklagte zahle nicht den Akkorddurchschnitt, so steht dies, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, im Zusammenhang mit der Prämienlohnregelung, die der Kläger für tarifwidrig hält. Diese Äußerung des Klägers beruht also auf seiner möglicherweise unrichtigen Rechtsauffassung über die Tarifwidrigkeit der Prämienlohnregelung. Die Ausführungen des Klägers können daher weder als Beleidigung noch als Verleumdung gewertet werden. Der Kläger hat damit nicht behauptet, die Beklagte enthalte ihren Mitarbeitern den Lohn vor.

3. In der weiteren Äußerung des Klägers, die Mitarbeiter hätten die Möglichkeit, ihre Leistung zu verweigern, ist, entgegen der Auffassung der Beklagten, keine Aufforderung zu sehen, die Arbeit niederzulegen. Auch hier darf nicht verkannt werden, daß die Äußerungen im Zusammenhang mit der Rechtsauffassung des Klägers über die Gültigkeit der Betriebsvereinbarung und des darin vereinbarten Lohnsystems stehen. Unruhe war in dem Betrieb bereits deshalb entstanden, weil durch das neue Entlohnungssystem verschiedentlich niedrigere Löhne ausgezahlt wurden als bei der früheren Akkordentlohnung.

4. Mit all diesen Äußerungen hat der Kläger den durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Bereich der freien Meinungsäußerung nicht überschritten. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß die Äußerungen auf einer Betriebsversammlung gefallen sind. Die Betriebsversammlung ist aber gerade das Forum, in dem betriebliche Angelegenheiten frei erörtert werden können. Der Arbeitnehmer darf in diesem Forum Kritik üben an allen Angelegenheiten, die den Betrieb berühren, und diese Kritik darf sich auch auf die Geschäftsleitung erstrecken (BAG Urteil vom 22. Oktober 1964 - 2 AZR 479/63 - AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Das Recht zur freien Meinungsäußerung findet auch in der Betriebsversammlung seine Schranken lediglich darin, daß die Kritik nicht ehrverletzend ist oder den Betriebsfrieden stört. Diese Schranken hat der Kläger, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, mit seinen Äußerungen nicht überschritten.

Dr. Thomas Dr. Gehring Michels-Holl

Liebsch Werner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440177

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge