Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung aus Rationalisierungsvereinbarung

 

Normenkette

BetrVG § 112; BGB § 242; MantelG § 30 Nr. 3; Einigungsvertrag Art. 8

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 31.05.1994; Aktenzeichen 5 Sa 5259/93)

ArbG Leipzig (Urteil vom 16.09.1993; Aktenzeichen 9 Ca 131/92)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 31. Mai 1994 – 5 Sa 5259/93 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Revision trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung. Der am 18. Juli 1940 geborene Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgänger seit dem 2. Dezember 1961 zunächst als Bäcker und zuletzt als Schichtleiter für ein Bruttomonatsentgelt von 1.640,00 DM beschäftigt.

Im Betrieb der Beklagten, der seinen Sitz im Gebiet der ehemaligen DDR hat, fanden am 15. und 16. Februar 1990 Wahlen zu einer Arbeitnehmervertretung (Betriebsgewerkschaftsrat) statt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Wahl nach demokratischen Grundsätzen durchgeführt worden ist. Der Vorsitzende dieser Arbeitnehmervertretung (Betriebsgewerkschaftsrates) traf am 28. Juni 1990 mit dem Geschäftsführer der Beklagten folgende schriftliche Vereinbarung:

„…

Der im Februar 1990 demokratisch gewählte Betriebsgewerkschaftsrat ist ermächtigt, die Aufgaben des Betriebsrates wahrzunehmen, bis dieser durch eine Wahl Ende 1990 bestätigt wird.

…”

Am 2. Januar 1991 schloß die im Februar 1990 gewählte Arbeitnehmervertretung mit der Beklagten eine „Vereinbarung zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer bei Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen” (im folgenden: Rationalisierungsvereinbarung) ab. Diese lautet – soweit vorliegend von Interesse:

„Bei der Umwandlung des Betriebes und damit verbundenen Strukturveränderungen wird es in Übereinstimmung der Unternehmensführung und der Arbeitnehmervertretung für erforderlich gehalten, zur sozialen Absicherung verbleibender und freizusetzender Mitarbeiter die nachstehenden Maßnahmen zu vereinbaren und durchzusetzen:

11.

Falls eine Freisetzung aus strukturellen Gründen von Arbeitnehmern unumgänglich ist, wird die Gewährung einer Abfindung vereinbart. Die Höhe der Abfindung ist zu berechnen

bis zum 40. Lebensjahr: 30 % des tariflichen Bruttomonatslohnes mal den Jahren der Betriebszugehörigkeit

ab dem 41. Lebensjahr: 40 % des tariflichen Bruttomonatslohnes mal den Jahren der Betriebszugehörigkeit

Diese Vereinbarung tritt am 01.01.1991 in Kraft und endet am 31.12.1991.”

Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung war die Treuhandanstalt alleinige Gesellschafterin der Beklagten.

Mit Schreiben vom 30. Juni 1991 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Dezember 1991 wegen des Wegfalls seines Arbeitsplatzes. Zusammen mit dem Kläger wurde weiteren 90 Arbeitnehmern gekündigt, nachdem bereits zuvor 68 Mitarbeiter entlassen worden waren.

Im April 1991 war im Betrieb der Beklagten ein Betriebsrat nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes gewählt worden, mit dem die Beklagte Verhandlungen über eine Änderung der Rationalisierungsvereinbarung führte. Am 16. Dezember 1991 kam es dann zum Abschluß einer Betriebsvereinbarung, die wie folgt lautet:

„…

Im Interesse des Bestandes und in Anbetracht der Verlustsituation des Unternehmens sowie mit Rücksicht auf die Erhaltung eines großen Teils der Arbeitsplätze wird die Vereinbarung vom 2.1.91 in Ziffer 11 für diejenigen Arbeitnehmer, die ab 30.9.91 aus dem Betrieb ausgeschieden sind bzw. bis 31.12.91 ausscheiden werden, wie folgt abgeändert:

  1. Die Arbeitnehmer erhalten 75 % der nach Ziffer 11 der Vereinbarung vom 2.1.91 zu errechnenden Abfindung, und zwar 50 % der Abfindung nach Ziffer 11 zum 31.1.92 und 25 % der Abfindung nach Ziffer 11 zum 30.6.92.
  2. Die restlichen 25 % der Abfindung nach Ziffer 11 erhalten die Arbeitnehmer, wenn

    1. das Unternehmen bis Ende 1995 aus einem Jahresüberschuß zur Zahlung in der Lage ist oder
    2. das Unternehmen bis Ende 1995 verkauft oder liquidiert wird oder die Gesamtvollstreckung/der Konkurs angeordnet wird.
  3. Die Vereinbarung vom 2.1.91 entfaltet keine Nachwirkung über den 31.12.91 hinaus.
  4. Diese Vereinbarung wird erst wirksam mit Zustimmung des Gesellschafters des Unternehmens. Für den Fall der Zustimmung ersetzt diese Einigung auch einen etwa erforderlichen Interessenausgleich.

Erteilt der Gesellschafter die Zustimmung nicht, verbleiben beide Betriebspartner bei ihrer jeweiligen Rechtsauffassung.

…”

Die Treuhandanstalt, als Gesellschafterin der Beklagten, versagte im Januar 1992 die Genehmigung dieser Betriebsvereinbarung.

Der Kläger verlangte von der Beklagten mit Schreiben vom 18. Februar 1992 die Zahlung einer Abfindung auf Grund der Rationalisierungsvereinbarung. Am 28. Februar 1992 fand vor der Schlichtungsstelle im Betrieb der Beklagten eine Sitzung statt, in welcher durch Beschluß festgestellt wurde, daß „der Gesamtproblematik ein für die Schiedsstelle unlösbarer Widerspruch innewohnt” und daß der Fall deshalb an das Kreisgericht überwiesen werde.

Der Kläger ist der Meinung, die Rationalisierungsvereinbarung sei wirksam zustande gekommen, da die seinerzeit bestehende vertragschließende Arbeitnehmervertretung nach demokratischen Grundsätzen gewählt worden sei und deshalb nach den Übergangsregelungen des Einigungsvertrages zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rationalisierungsvereinbarung die Rechte und Pflichten eines Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz wahrgenommen habe.

Die Betriebsvereinbarung vom 16. Dezember 1991, durch welche die Rationalisierungsvereinbarung abgeändert hätte werden sollen, sei mangels Genehmigung durch die Treuhandanstalt nicht wirksam geworden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 19.680,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie beruft sich darauf, aus der Rationalisierungsvereinbarung könne der Kläger keine Rechte herleiten, da diese nicht wirksam zustande gekommen sei. Die vertragschließende Arbeitnehmervertretung sei nämlich nicht nach demokratischen Grundsätzen gewählt worden. So seien insbesondere nicht alle Arbeitnehmer des Betriebes wahlberechtigt gewesen, sondern lediglich die Mitglieder des FDGB.

Im übrigen sei die Geschäftsgrundlage für die Rationalisierungsvereinbarung deshalb entfallen, weil die seinerzeitige Unternehmenskonzeption von der Entlassung von 50 Arbeitnehmern ausgegangen sei, während dann doch die Kündigung von 159 Beschäftigten erforderlich geworden sei. Auch habe sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens im Laufe des Jahres 1991 erheblich verschlechtert.

Weiter meint die Beklagte, die gemeinsame Erklärung der Treuhandanstalt, des DGB und der DAG vom 13. April 1991 stelle eine tarifvertragliche Abmachung dar, durch die gegenüber dieser gemeinsamen Erklärung günstigere Regelungen in Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen würden.

Letztlich beruft sich die Beklagte noch darauf, der Kläger habe einen etwa bestehenden Anspruch nicht innerhalb der Ausschlußfrist des § 15 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer in den Betrieben der Brot- und Backwarenindustrie und Großbäckereien in den fünf neuen Bundesländern, einschließlich Berlin-Ost vom 14. März 1991 (gültig ab: 1. März 1991) (im folgenden: MTV) geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Frage, ob das Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertretung am 15. und 16. Februar 1990 der gesamten Belegschaft zugestanden hat, die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine Abfindung nach der Rationalisierungsvereinbarung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 19.680,00 DM.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Rationalisierungsvereinbarung sei am 2. Januar 1991 wirksam zustande gekommen. Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme habe sich ergeben, daß die vertragschließende Arbeitnehmervertretung am 15. und 16. Februar 1990 nach demokratischen Grundsätzen gewählt worden sei und daher nach § 30 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (Mantelgesetz) die Rechte und Pflichten eines Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz wahrgenommen habe. Die Zeugenaussagen hätten ergeben, daß nicht nur ehemalige Gewerkschaftsmitglieder des FDGB, sondern sämtliche Arbeitnehmer mit Ausnahme der befristet für höchstens drei Monate beschäftigten russischen und polnischen Arbeitnehmer das Recht gehabt hätten, sich an der Wahl der Arbeitnehmervertretung zu beteiligen. Daß letztere Arbeitnehmergruppe vom Wahlrecht ausgeschlossen gewesen sei, stelle keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Allgemeinheit einer demokratischen Wahl dar, weil es auch demokratischen Grundsätzen entspreche, das Wahlrecht von einer bestimmten Dauer der Zugehörigkeit zu dem Gemeinwesen oder Verband, für den eine Wahl erfolge, abhängig zu machen.

Die Beklagte könne sich auch nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage für die Rationalisierungsvereinbarung, die einen Sozialplan darstelle, berufen, weil deren Anpassung durch die Gerichte für Arbeitssachen nicht möglich sei. Die geplante Anpassung durch die Betriebspartner sei aber gescheitert, weil die Betriebsvereinbarung vom 16. Dezember 1991 mangels Genehmigung durch die Treuhandanstalt nicht wirksam geworden sei.

Die gemeinsame Erklärung der Treuhandanstalt, des DGB und der DAG vom 13. April 1991 stelle keinen Tarifvertrag dar, welche die Rationalisierungsvereinbarung verdränge.

Letztlich meint das Landesarbeitsgericht auch, der Kläger habe seinen Abfindungsanspruch im Februar 1992 bei der betrieblichen Schiedsstelle innerhalb der Ausschlußfrist des § 15 MTV rechtzeitig geltend gemacht.

II. Dem Landesarbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung zu folgen.

1. Der Kläger hat nach Ziff. 11 der Rationalisierungsvereinbarung wegen der betriebsbedingten Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1991 Anspruch auf die begehrte Abfindung.

a) Die Rationalisierungsvereinbarung ist wirksam. Sie stellt einen Sozialplan im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dar.

Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war die im Betrieb der Beklagten am 15. und 16. Februar 1990 gewählte Arbeitnehmervertretung berechtigt, wie ein gemäß den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes gewählter Betriebsrat diesen Sozialplan mit der Beklagten abzuschließen.

Zum Zeitpunkt des Wahlvorganges im Februar 1990 war das Betriebsverfassungsgesetz in der damaligen DDR noch nicht geltendes Recht. Erst durch das Gesetz über die Inkraftsetzung von Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der DDR vom 21. Juni 1990 (Mantelgesetz) wurde das Betriebsverfassungsgesetz mit einigen Abänderungen ab dem 1. Juli 1990 in Kraft gesetzt (§§ 30, 34 MantelG). Ab dem 3. Oktober 1990 war dann das Betriebsverfassungsgesetz auf Grund des Art. 8 in Verbindung mit der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 12 a des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 im Gebiet der früheren DDR geltendes Recht.

Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rationalisierungsvereinbarung am 2. Januar 1991 galt bezüglich derjenigen Arbeitnehmervertretungen, welche vor Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes in der ehemaligen DDR gewählt worden waren, eine Übergangsregelung. Nach dieser sollten Betriebsräte und Arbeitnehmervertretungen, die vor dem 31. Oktober 1990 nach demokratischen Grundsätzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewählt worden waren, bis zur Wahl eines neuen Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz, längstens bis zum 30. Juni 1991, im Amt bleiben und die den Betriebsräten nach dem Betriebsverfassungsgesetz und anderen Gesetzen zustehenden Rechte und Pflichten wahrnehmen, Art. 8 in Verbindung mit der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 12 b des Einigungsvertrages.

b) Die Arbeitnehmervertretung im Betrieb der Beklagten war nach demokratischen Grundsätzen in geheimer Wahl von der Belegschaft der Beklagten gewählt worden und unter fiel somit dieser Übergangsregelung.

Zunächst ist zwischen den Parteien unstreitig, daß am 15. und 16. Februar 1990 eine geheime Wahl stattgefunden hat.

Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf Grund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, daß alle Belegschaftsmitglieder mit Ausnahme der nur kurzfristig für höchstens drei Monate befristet beschäftigten russischen und polnischen Arbeitnehmer wahlberechtigt gewesen sind.

Der Ausschluß dieser nur befristet eingestellten Arbeitnehmer führt nicht dazu, daß bei der Wahl gegen die Grundsätze einer demokratischen Wahl, insbesondere gegen das Prinzip der Allgemeinheit einer Wahl verstoßen worden ist.

Eine Wahl entspricht den demokratischen Grundsätzen im Sinne der Übergangsregelung des Einigungsvertrages, wenn sie geheim, unmittelbar, frei und gleich gewesen ist (vgl. BAG Urteil vom 12. November 1992 – 8 AZR 232/92 – AP Nr. 1 zu § 30 MantelG DDR zur entsprechenden Übergangsregelung des § 30 Nr. 3 MantelG).

Für allgemeine politische Wahlen, wie z.B. Bundestagswahlen, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, wie er in Art. 38 Abs. 1 GG niedergelegt ist, dann verletzt ist, wenn Staatsbürger unberechtigterweise von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen werden. Danach ist es unzulässig, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen. Eine Begrenzung der Allgemeinheit der Wahl wird vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich zulässig angesehen, sofern dafür ein zwingender Grund besteht. Als einen solchen Grund hat es u.a. den Ausschluß von Minderjährigen, Entmündigten, unter vorläufige Vormundschaft oder Pflegschaft Stehenden sowie von denjenigen angesehen, die nicht im Geltungsbereich des Wahlgebietes ansässig sind (vgl. BVerfGE 36, 139, 141 ff.). Diese Grundsätze über die Allgemeinheit von Wahlen im politischen Bereich hat das Bundesverfassungsgericht auch grundsätzlich auf Wahlen für Personalvertretungsorgane ausgedehnt (vgl. BVerfGE 60, 162, 169); dabei hat das Bundesverfassungsgericht jedoch ausdrücklich anerkannt, daß ein bestimmter mit einer Personalratswahl verfolgter Zweck grundsätzlich eine Einschränkung der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl rechtfertigen kann (vgl. BVerfGE 60, 162, 172).

Der Ausschluß der nur für höchstens drei Monate befristet beschäftigten Arbeitnehmer von der Wahl zur Arbeitnehmervertretung im Februar 1990 bewegt sich noch im Rahmen dieser vom Bundesverfassungsgericht auch für Wahlen im Rahmen der Arbeitnehmermitbestimmung aufgestellten Grundsätze.

Der Wahlvorstand durfte diese Beschäftigten von der Wahl ausschließen, weil es nach Sinn und Zweck dieser Arbeitnehmervertreterwahl für diesen Ausschluß billigenswerte Gründe gab. Die Kurzzeitbeschäftigten waren auf Grund ihrer befristeten Tätigkeit nicht in der gleichen Weise wie die übrigen Beschäftigten in den Betrieb eingegliedert. Es fehlte an vergleichbaren sozialen und betrieblichen Bindungen. So durfte der Wahlvorstand insbesondere davon ausgehen, daß diese Kurzzeitbeschäftigten auf Grund ihrer nur vorübergehenden Betriebszugehörigkeit von höchstens drei Monaten zum Zeitpunkt der Wahl zum einen noch keine ausreichenden Kenntnisse von den innerbetrieblichen Vorgängen und Problemen sowie von der Person der Wahlbewerber hatten und zum anderen wegen ihres bald bevorstehenden Ausscheidens auch kein nennenswertes Interesse an der künftigen Entwicklung des Betriebes und damit an der künftigen Arbeit der zu wählenden Arbeitnehmervertretung haben würden.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß § 13 Abs. 2 Satz 1 BPersVG an andere Dienststellen abgeordneten Beschäftigten das aktive Wahlrecht für die Personalratswahl nur dann gewährt, wenn diese Abordnung am Wahltag länger als drei Monate gedauert hat. Damit geht auch das Bundespersonalvertretungsgesetz erkennbar davon aus, daß erst eine Beschäftigungszeit von drei Monaten bei einer anderen Dienststelle es erforderlich macht, dem Beschäftigten das aktive Wahlrecht zur Personalvertretungswahl bei dieser Dienststelle einzuräumen.

Auch Richter, die an ein anderes Gericht abgeordnet sind, dürfen dort an den Präsidiumswahlen nur dann teilnehmen, wenn die Abordnung mindestens drei Monate dauert, § 21 b Abs. 1 Satz 1 GVG.

c) Daß das Verfahren der am 15. und 16. Februar 1990 durchgeführten Wahl nicht den Grundsätzen des Betriebsverfassungsgesetzes und der dazu ergangenen Wahlordnung entsprochen hat, weil nach § 7 BetrVG alle Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, wahlberechtigt sind, führt nicht dazu, diese Wahl als nicht demokratischen Grundsätzen entsprechend im Sinne der Übergangsvorschrift der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 12 b zum Einigungsvertrag zu betrachten.

Diese Übergangsvorschrift stellt ausdrücklich nicht darauf ab, ob die Wahl einer vor dem 31. Oktober 1990 gewählten Arbeitnehmervertretung nach den Grundsätzen des Betriebsverfassungsgesetzes erfolgt ist. Vielmehr läßt sie es ganz allgemein ausreichen, daß die Wahl nach demokratischen Grundsätzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung durchgeführt worden ist. Damit werden an die Wirksamkeit solcher Wahlen im Interesse eines Weiterwirkens vor dem 31. Oktober 1990 gewählter Arbeitnehmervertretungen nicht dieselben strengen Anforderungen gestellt wie an die Rechtmäßigkeit einer Betriebsratswahl nach dem Betriebsverfassungsgesetz.

Es soll lediglich sichergestellt sein, daß diese längstens bis 30. Juni 1991 im Amt verbleibenden Arbeitnehmervertretungen zumindest eine demokratischen Grundprinzipien entsprechende Legitimation besitzen.

Die aus der Wahl am 15. und 16. Februar 1990 hervorgegangene Arbeitnehmervertretung war demnach legitimiert, die einem Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegenden Aufgaben wahrzunehmen, zu denen auch der Abschluß eines Sozialplanes nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gehört. Die Rationalisierungsvereinbarung, die inhaltlich einen Sozialplan darstellt, war somit wirksam zustande gekommen.

d) Da die Arbeitnehmervertretung wie ein nach dem Betriebsverfassungsgesetz gewählter Betriebsrat im Amt war, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob der Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Arbeitnehmervertretung (Betriebsgewerkschaftsrat) vom 28. Juni 1990, daß diese als ermächtigt angesehen wird, die Aufgaben des Betriebsrates wahrzunehmen, bis dieser durch eine Wahl Ende 1990 bestätigt wird, eine rechtliche Bedeutung zukommt.

e) Da die Wahl schon den in § 30 Nr. 3 MantelG normierten Anforderungen an eine demokratische Wahl genügt, kommt es entgegen der Ansicht der Revision nicht darauf an, ob die Verordnung zu Übergangsregelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Juli 1990 (GBl. DDR I S. 715) wirksam ist, die unter bestimmten Voraussetzungen auch den gewählten Betriebsgewerkschaftsleitungen die Rechtsstellung eines Betriebsrates zukommen läßt.

2. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Geschäftsgrundlage der Rationalisierungsvereinbarung sei weggefallen, weil anstelle der zunächst angenommenen 50 Arbeitnehmer letztlich 159 hätten entlassen werden müssen und weil ihr Betrieb im Jahre 1991 einen unerwarteten Verlust zu verzeichnen gehabt habe. Es ist nicht ersichtlich, daß Geschäftsgrundlage der Rationalisierungsvereinbarung die Annahme war, es müßten lediglich 50 Arbeitnehmer entlassen werden.

Die Rationalisierungsvereinbarung betrifft ausweislich ihres Vorwortes die Umwandlung des Betriebes und damit verbundene Strukturveränderungen. Die Regelung ist auf die Dauer eines Jahres begrenzt. Sie bezieht sich nicht nur auf die Entlassung von Arbeitnehmern, sondern auf eine Vielzahl von Maßnahmen, die im Rahmen der Umwandlung des Betriebes und der damit verbundenen Strukturveränderungen notwendig werden können. Sie geht zwar davon aus, daß Freisetzungen nur erfolgen, wenn dies „unumgänglich” ist, läßt aber an keiner Stelle erkennen, daß diese Freisetzungen zahlenmäßig beschränkt sein sollen.

Auch die Beklagte ist offensichtlich zunächst von einer solchen Beschränkung nicht ausgegangen. Sie hat am 30. Juni gekündigten Arbeitnehmern, als nach ihrem Vorbringen schon 50 Arbeitnehmer entlassen waren, noch im August in der Arbeitsbescheinigung für das Arbeitsamt einen Abfindungsanspruch in der nach der Rationalisierungsvereinbarung berechneten Höhe bescheinigt. Sie hat erst im Oktober 1991 mit dem Betriebsrat Verhandlungen über eine Abänderung der Rationalisierungsvereinbarung aufgenommen, obwohl nach ihrem Vorbringen spätestens im Juni feststand, daß weitaus mehr Arbeitnehmer entlassen werden müßten, als sie zunächst angenommen haben mag.

Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, ihr sei es bei Abschluß der Rationalisierungsvereinbarung in erster Linie darum gegangen, eine Abfindungsregelung zu erhalten, an der sie die Abfindungen für ihre leitenden Mitarbeiter ausrichten könne. Sie war daher offensichtlich selbst an hohen Abfindungen interessiert. Dabei mag es durchaus sein, daß die Beklagte der Annahme war, es würden allenfalls 50 Arbeitnehmer entlassen werden müssen, so daß sich die Summe der Abfindungen noch in Grenzen halten würde. Eine solche einseitige Vorstellung der Beklagten stellt aber noch keine Geschäftsgrundlage der Rationalisierungsvereinbarung dar mit der Folge, daß diese den veränderten Verhältnissen anzupassen gewesen wäre, als sich die Annahme der Beklagten als irrig herausstellte.

Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, Geschäftsgrundlage der Rationalisierungsvereinbarung sei eine Entlassung von höchstens 50 Arbeitnehmern gewesen, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Rationalisierungsvereinbarung. Fällt die Geschäftsgrundlage eines Sozialplanes weg und ist einem der Betriebspartner ein Festhalten am Sozialplan mit dem bisherigen Inhalt nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten, so hat dieser Betriebspartner lediglich einen Anspruch gegenüber dem anderen Betriebspartner, daß der Sozialplan den geänderten tatsächlichen Verhältnissen angepaßt wird. Er kann diesen Anspruch auch durch Anrufung der Einigungsstelle durchsetzen (BAG Beschluß vom 10. August 1994 – 10 ABR 61/93 – AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

Solche Verhandlungen über eine Änderung der Rationalisierungsvereinbarung hat die Beklagte mit dem im April 1991 neu gewählten Betriebsrat zwar geführt. Sie haben auch zur Vereinbarung vom 16. Dezember 1991 geführt. Diese Vereinbarung ist jedoch mangels der erforderlichen Zustimmung der Treuhandanstalt nicht wirksam geworden. Die Beklagte hat daraufhin weitere Schritte zur Anpassung der Rationalisierungsvereinbarung an die geänderten Verhältnisse nicht unternommen. Die Rationalisierungsvereinbarung ist daher mit ihrem ungeänderten Inhalt weiterhin verbindlich.

3. Die Rationalisierungsvereinbarung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Tarifrecht unwirksam.

Insbesondere stellt die gemeinsame Erklärung von Treuhandanstalt, DGB und DAG vom 13. April 1991, in der u.a. Erklärungen bezüglich Höchstbeträgen von Sozialplanabfindungen enthalten sind, keinen Tarifvertrag dar.

So fehlt es bereits an einer Bezeichnung dieser „gemeinsamen Erklärung” als Tarifvertrag durch die Treuhandanstalt und die Gewerkschaften. Des weiteren enthält diese „Erklärung” keine Regelung der Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien, was nach § 1 Abs. 1 TVG aber typischerweise Bestandteil von Tarifverträgen ist. Die „gemeinsame Erklärung” beinhaltet nur gemeinsame politische Zielvorstellungen und Absichtserklärungen, nicht aber gegenseitig einklagbare Verpflichtungen.

Außerdem enthält diese „gemeinsame Erklärung” auch keine Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen. Auch das Fehlen dieser Tarifverträge kennzeichnenden Rechtsnormen spricht gegen die Rechtsnatur der „gemeinsamen Erklärung” als Tarifvertrag.

Auch die die Sozialpläne behandelnde Nr. IV. der „gemeinsamen Erklärung” vermeidet eine schuldrechtliche tarifvertragliche Verpflichtung. In Nr. IV.2. heißt es lediglich:

„Die Treuhandanstalt wird sicherstellen …” Hieraus kann allenfalls auf eine Selbstbindung der Treuhandanstalt geschlossen werden, Mittel zur Verfügung zu stellen, wenn ein Sozialplan den vorgegebenen Volumenkriterien entspricht und die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zur Erfüllung des Sozialplanes nicht oder nicht hinreichend besteht (vgl. Schaub, Die Rahmenvereinbarung der Treuhandanstalt mit den Gewerkschaften und ihre Richtlinien, NZA 1993, 673).

Selbst wenn die genannte „gemeinsame Erklärung” ein Tarifvertrag wäre, würde dies der Rationalisierungsvereinbarung nicht entgegenstehen. Wie sich aus § 112 Abs. 1 BetrVG ergibt, schließen tarifvertragliche Regelungen über Rationalisierungsmaßnahmen weitergehende Sozialpläne über den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile der Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen nicht aus.

4. Der Kläger hat seinen Abfindungsanspruch auch innerhalb der Ausschlußfrist des § 15 Nr. 1 MTV geltend gemacht.

Danach sind gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten seit Entstehen des Anspruches schriftlich geltend zu machen. Solche, allgemein Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis erfassende Ausschlußfristen gelten nach der Rechtsprechung des Senats auch für Abfindungsansprüche aus Sozialplänen (BAG Urteil vom 30. November 1994 – 10 AZR 79/94 – AP Nr. 88 zu § 112 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 10. Mai 1995 – 10 AZR 589/94 – n. v.; BAG Urteil vom 24. Januar 1996 – 10 AZR 279/95 – n. v.).

Der Abfindungsanspruch des Klägers ist erst mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 1991 entstanden. Mit Schreiben vom 18. Februar 1992, das der Beklagten noch im Laufe des Monats Februar 1992 zugegangen ist, hat der Kläger seine Ansprüche innerhalb der dreimonatigen Ausschlußfrist schriftlich geltend gemacht. Daß er die Höhe seines Abfindungsanspruches nicht beziffert hat, ist dabei unschädlich. Er hat seinen geltend gemachten Anspruch für die Beklagte hinreichend deutlich spezifiziert. Sie wußte, daß er von ihr die Zahlung der ihm auf Grund der Rationalisierungsvereinbarung zustehenden und unschwer der Höhe nach zu berechnenden Abfindung wegen des Verlustes seines Arbeitsplatzes verlangte.

Die Vorinstanzen haben demnach der Klage zu Recht stattgegeben, so daß die Revision der Beklagten zurückzuweisen war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Böck, Staedtler, Großmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1092986

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