Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer Betriebsvereinbarung (Sozialplan)

 

Normenkette

BetrVG § 112; RVO n.F. § 165 Abs. 1 Nr. 3, §§ 1304e, 385 Abs. 2, 2a, § 393a Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 05.07.1988; Aktenzeichen 8 Sa 437/88)

ArbG Duisburg (Urteil vom 18.02.1988; Aktenzeichen 2 Ca 2043/87)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 5. Juli 1988 – 8 Sa 437/88 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, in welcher Höhe die Beklagte dem Kläger einen Zuschuß zum Altersruhegeld schuldet.

Der am 6. Dezember 1926 geborene Kläger war von 1968 bis zum 31. Dezember 1985 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Arbeitnehmer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag. Das diesem Vertrag zugrundeliegende Schreiben der Beklagten vom 28. November 1983, mit dessen Inhalt der Kläger sich durch Unterschrift einverstanden erklärte, lautet auszugsweise wie folgt:

„Sehr geehrter Herr F.!

  1. Ab 01.01.1986 vergüten wir Ihnen für die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld – längstens für 13 Monate – den Differenzbetrag zwischen Arbeitslosenunterstützung und zuletzt gezahltem Nettolohn (Durchschnitt der letzten 3 Monate) ohne Berücksichtigung von Freibeträgen.

  2. Für die fehlenden Versicherungsjahre ab Beginn Ihres Rentenbezuges bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zahlen wir Ihnen lebenslänglich pro fehlendem Versicherungsmonat mindestens einen Betrag in Höhe von DM 2,20 (bei persönlicher Bemessungsgrundlage von 100%). Ihre persönliche Bemessungsgrundlage geht aus dem Rentenbescheid hervor, den Sie uns bitte sofort nach Erhalt komplett in Kopie zusenden wollen.
  3. Darüber hinaus vergüten wir Ihnen ab Frührentenbezug bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres einen monatlichen Zuschuß, damit Sie als Endbezug Über einen Gesamtbetrag verfügen, der nicht mehr als DM 250,– unter Ihrem zum Zeitpunkt des Ausscheidens gezahlten Nettoentgelt liegt.
  4. Alle Einzelheiten können Sie der Betriebsvereinbarung der B. GmbH mit deren Nachträgen entnehmen, die beim Betriebsrat oder in der Personalabteilung zur Einsichtnahme liegt …”

In der Betriebsvereinbarung vom 1. August 1975, die nach ihrem persönlichen Geltungsbereich auf männliche Arbeitnehmer Anwendung finden soll, denen infolge der wirtschaftlichen Lage der Beklagten zu einem bestimmten Zeitpunkt gekündigt wird, heißt es u.a.:

„…

8. Sonderzahlung

Arbeitnehmer, die 20 Jahre oder länger in unserem Hause tätig waren und unter diese Regelung fallen, erhalten bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres über die vorerwähnte Leistung hinaus eine Sonderzahlung in der Höhe, daß der monatliche Endbezug nicht weniger als DM 150,– des letzten monatlichen Nettoentgelts beträgt.

Bei Arbeitnehmern, die mindestens 10 Jahre in unserem Unternehmen tätig waren, gilt die gleiche Vereinbarung, jedoch wird hier ein Differenzbetrag von DM 250,– zugrunde gelegt.

10. Beantragung des vorgezogenen Altersruhegeldes

Der vorzeitig ausgeschiedene Arbeitnehmer ist verpflichtet, seine Sozialversicherungsunterlagen zur Erfüllung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen zu vervollständigen und drei Monate vor Ablauf des Arbeitslosenjahres das vorgezogene Altersruhegeld bei dem für ihn zuständigen Versicherungsträger zu beantragen. Die zuständigen Personalabteilungen werden ihn, falls gewünscht, bei der Antragstellung unterstützen.”

Ab 1. Januar 1987 bezieht der Kläger von der Landesversicherungsanstalt ein monatliches Ruhegeld, das durch Bescheid vom 12. Mai 1987 wie folgt festgesetzt worden ist:

Rente

1.409,80 DM

zuzüglich Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 6,6 %

93,05 DM

1.502,85 DM

abzüglich Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 11,8 %

166,36 DM

zu zahlender Rentenbetrag

1.336,49 DM.

Die Beklagte gewährt dem Kläger ab 1. Januar 1987 einen monatlichen Zuschuß von 256,80 DM. Bei dessen Berechnung hat sie die von der Landesversicherungsanstalt festgesetzte Rente in voller Höhe (1.409,80 DM) zugrundegelegt. Das hält der Kläger für nicht gerechtfertigt. Er hat geltend gemacht, es müsse von der tatsächlich ausgezahlten Rente von 1.336,49 DM ausgegangen werden. Danach stehe ihm ein Anspruch auf die Differenz in Höhe von 73,31 DM monatlich zu. Diesen Betrag verlangt er mit seiner Klage für die Zeit von Januar bis Dezember 1987 sowie für die Zeit ab Januar 1988.

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 879,72 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Oktober 1987 zu zahlen;
  2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn monatlich ab Januar 1988 330,11 DM netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, für die Berechnung des Zuschusses sei die Rente maßgebend, wie sie im Rentenbescheid festgelegt worden sei. Der Krankenversicherungsbeitrag für Rentner sei erst nach Abschluß der Betriebsvereinbarung eingeführt worden und habe daher bei den Verhandlungen keine Rolle gespielt. Nach den Begleitumständen sowie dem Sinn und Zweck der Vereinbarung hätten die Betriebspartner lediglich zwei feste Größen zugrundegelegt: das zuletzt bezogene Nettoentgelt des Arbeitnehmers und die von der Rentenversicherungsanstalt erstmals festgesetzte Rente. Diese Bezugspunkte hätten die Gewähr für eine unkomplizierte Feststellung der Höhe des Zuschusses geboten. Entsprechend sei bei der Zuschußermittlung immer verfahren worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte dem Kläger den Betrag von 330,11 DM netto monatlich ab Januar 1988 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu zahlen hat. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Abweisung der Klage weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der von der Beklagten zu gewährende Zuschuß zum Altersruhegeld des Klägers ist nach dem tatsächlich ausgezahlten und nicht nach dem im Rentenbescheid festgesetzten Betrag zu ermitteln.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei der Berechnung des Zuschusses der Beklagten müsse die Netto- und nicht die Bruttorente des Klägers zugrundegelegt werden. Zu diesem Ergebnis ist das Landesarbeitsgericht gekommen unter Berücksichtigung von Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung vom 1. August 1975. Wenn Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung den monatlichen Endbezug an das letzte monatliche Nettoentgelt knüpfe, so bedeute dies, daß der Arbeitnehmer mit dem Zuschuß so gestellt werden solle, als erhielte er sein letztes monatliches Nettoentgelt, gekürzt um 250,– DM, weiter. Bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kenne der Arbeitnehmer die Höhe seines letzten Nettoverdienstes genau, während ihm die Höhe der erst noch festzusetzenden Rente regelmäßig unbekannt sei. Daher sei für die Entscheidung des Arbeitnehmers, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen, in erster Linie von Bedeutung, welcher Nettobetrag ihm künftig zum Bestreiten seines Lebensunterhalts tatsächlich zur Verfügung stehe.

Selbst wenn, wie die Beklagte behaupte, die Betriebspartner sich geeinigt hätten, nach der Bruttorente abzurechnen, so besage dies lediglich, daß sie die Betriebsvereinbarung anders auslegten. Eine gegenteilige tatsächliche Handhabung könne jedoch nur dann bei der Auslegung der Betriebsvereinbarung mit herangezogen werden, wenn der Wortlaut selbst zweifelhaft sei. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall.

Diesem Ergebnis ist beizupflichten.

II. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf den verlangten Zuschuß ist die Betriebsvereinbarung vom 1. August 1975 in Verbindung mit dem Schreiben der Beklagten vom 28. November 1983. Zwar stellt das Schreiben gegenüber der Betriebsvereinbarung keine selbständige Rechtsgrundlage dar, weil es im wesentlichen nur deren Inhalt wiedergibt, es ist aber von Bedeutung für deren Auslegung.

Die Betriebsvereinbarung regelt nicht, ob der Zuschuß vom festgesetzten Rentenbetrag oder von demjenigen Betrag zu berechnen ist, der – unter Berücksichtigung des vom Rentenversicherungsträger gezahlten Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag – nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrages tatsächlich ausgezahlt wird. Die Auslegung der Betriebsvereinbarung ergibt jedoch, daß von dem tatsächlich ausgezahlten Betrag ausgegangen werden muß.

1. Betriebsvereinbarungen sind entsprechend einer tariflichen oder gesetzlichen Norm auszulegen (BAGE 27, 187, 191 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung). Zunächst ist der Wortlaut heranzuziehen. Über den reinen Wortlaut hinaus sind der wirkliche Wille der Betriebspartner und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der betrieblichen Norm mitzuberücksichtigen, allerdings nur insoweit, wie dies im Wortlaut zum Ausdruck kommt. Dabei ist auch auf den Gesamtzusammenhang abzustellen, weil oft nur daraus auf den wirklichen Willen der Betriebspartner geschlossen werden kann (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Neumann, Zur Auslegung von Tarifverträgen, AuR 1985, 320, 321).

Bei den normativen Bestimmungen eines Tarifvertrages ist das Schließen bewußter Regelungslücken nicht zulässig (BAGE 36, 218, 225 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; Neumann, a.a.O.). Bei unbewußten Regelungslücken kommt eine gerichtliche Lückenausfüllung dagegen in Betracht (BAGE 47, 61, 67 = AP Nr. 95 zu §§ 22, 23 BAT 1975; wegen der Einschränkung bei verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten vgl. BAGE 54, 30, 35 = AP Nr. 1 zu § 42 MTB II, zu I 3 der Gründe). Entsprechendes gilt bei einer Betriebsvereinbarung, wenn sie eine echte Lücke über einen regelungsbedürftigen Tatbestand enthält (vgl. BAG Beschluß vom 13. Juli 1962 – 1 ABR 2/61 – AP Nr. 3 zu § 57 BetrVG 1952, zu 3 c der Gründe; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 77 Rz 33, m.w.N.).

2. Nach Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung erhalten Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – mindestens 10 Jahre im Unternehmen der Beklagten tätig waren, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres „eine Sonderzahlung in der Höhe, daß der monatliche Endbezug nicht weniger als DM 250,– des letzten monatlichen Nettoentgelts beträgt.” Legt man diese Bestimmung nach den dargestellten Grundsätzen aus, so führt dies nicht zu einer unbewußten Regelungslücke, sondern zu dem Ergebnis, daß die Sonderzahlung nach der tatsächlich ausgezahlten Rente aus der Sozialversicherung zu berechnen ist. Wortlaut wie Sinn und Zweck der Regelung sprechen dafür, daß die 59jährigen Arbeitnehmer, die aus betrieblichen Gründen aus dem Unternehmen ausscheiden, durch die Sonderzahlung so abgesichert werden sollen, daß ihr tatsächliches monatliches Einkommen nicht mehr als 250,– DM unter ihrem letzten monatlichen Nettoentgelt liegt.

a) Wenn im Text von einem „monatlichen Endbezug” die Rede ist, so muß hierunter der Betrag verstanden werden, den der Arbeitnehmer am Ende des Monats tatsächlich erhält. Allerding werden die Substantive „Einkommen”, „Arbeitsentgelt” und „Bezüge” oft gleichlautend verwendet, wobei dann nicht ohne weiteres ersichtlich ist, ob damit das Brutto- oder Nettoeinkommen gemeint ist. Die vorliegende Betriebsvereinbarung spricht jedoch nicht allgemein von „Bezügen”, sondern von einem monatlichen „Endbezug”. Durch die Vorsilbe „End” kommt zum Ausdruck, daß das Einkommen gemeint ist, das am Ende bezogen wird, über das der ausscheidende Arbeitnehmer also tatsächlich verfügen kann. Weiter zielt die Formulierung „nicht weniger als 250,– DM des letzten Nettoentgelts” auf einen Mindestbetrag, der nicht unterschritten werden darf.

b) Als die Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, entsprach der festgesetzte Betrag der Rente aus der Sozialversicherung dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Betrag. Durch das Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl. I 1981, 1205) ist die Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner neu geregelt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Rentner von der Pflicht, Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen, befreit. Diese wurden von den Trägern der Rentenversicherung aufgebracht und als pauschale Beiträge an die Kranken- und Ersatzkassen abgeführt (§§ 380, 381 Abs. 2, 385 Abs. 2, 393 a Abs. 1 RVO a. F.). Ab 1. Januar 1983 sind die Rentenversicherungsträger nicht mehr Schuldner der Beiträge in der Krankenversicherung (§ 380 RVO in der Fassung von Artikel 2 Nr. 10 des Rentenanpassungsgesetzes vom 1. Dezember 1981). An ihre Stelle sind die pflichtversicherten Rentner (§ 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO n. F.) getreten, die nunmehr selbst die Krankenversicherungsbeiträge an die Kranken- und Ersatzkassen zu leisten haben. Der Beitragssatz beträgt nach wie vor 11,8 % der Rente (§ 385 Abs. 2 und Abs. 2 a RVO n. F.), allerdings erhalten die Rentner zum Ausgleich einen Zuschuß durch den Träger der Rentenversicherung (§ 1304 e RVO n. F.).

Bis zum Inkrafttreten des Rentenanpassungsgesetzes vom 1. Dezember 1981 hatten die ausgeschiedenen Arbeitnehmer die Summe von Zuschuß gemäß Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung und Altersruhegeld aus der Sozialversicherung zur Verfügung. Deshalb bestand für die Betriebspartner bei Abschluß der Betriebsvereinbarung kein Anlaß, den Begriff „monatlicher Endbezug” näher zu definieren. Andererseits bringt Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung Sinn und Zweck der Regelung klar dahin zum Ausdruck, daß die ausgeschiedenen Arbeitnehmer einen Betrag zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts zur Verfügung haben sollten, dessen Höhe ihnen bekannt war und auf den sie sich einstellen konnten.

c) Der Erste Senat hat bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt, in dem es ebenfalls um die Höhe einer Ausgleichszahlung ging – hier waren 90 % der Nettobezüge durch einen Sozialplan zugesichert –, den Umstand besonders hervorgehoben, daß für einen Arbeitnehmer, der mit einem Aufhebungsvertrag ein Arbeitsverhältnis aufgebe, für seine Entscheidung in erster Linie von Bedeutung sei, welcher Betrag ihm künftig zum Bestreiten seines Lebensunterhalts tatsächlich zur Verfügung stehe. Die genaue Höhe seiner späteren Rente aus der Sozialversicherung sei ihm bei Abschluß des Aufhebungsvertrages regelmäßig noch nicht bekannt, seinen Nettoverdienst hingegen kenne er zumindest annähernd. Jedenfalls wisse er, welchen Lebensstandard ihm sein bisheriger Nettoverdienst ermögliche. Er könne übersehen, welche Einschränkungen durch eine Kürzung dieses Verdienstes erforderlich würden. Diesen naheliegenden und notwendigen Überlegungen werde weitgehend der Boden entzogen, wenn die schließlich tatsächlich zur Verfügung stehenden Geldmittel doch nicht 90 % seines bisherigen Nettoverdienstes betrügen, weil die anderen Leistungen nicht mit ihrem Auszahlungsbetrag, sondern mit einem unbekannten Rechnungsbetrag berücksichtigt worden seien (BAG Urteil vom 27. Oktober 1987 – 1 AZR 165/86 –, zu 2 b aa der Gründe, nicht veröffentlicht).

Diese Überlegungen gelten auch für den Streitfall. Wenn Arbeitgeber und Betriebsrat die sozialen Folgen eines Abbaues der Belegschaft durch einen Sozialplan abzumildern versuchen, sind sie regelmäßig bemüht, den älteren Arbeitnehmern das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu erleichtern. Durch Einkommenssicherung soll ein Anreiz geschaffen werden, freiwillig Arbeitsplätze zugunsten der jüngeren Arbeitnehmer freizumachen. Eine derartige Maßnahme liegt auch im Interesse des Betriebes. Einen entsprechenden Anreiz bildet vorliegend der Zuschuß nach Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung. Dabei ist für den Arbeitnehmer, der das Angebot zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages annehmen soll, wichtig zu wissen, in welchem Umfang er materielle Nachteile in Kauf nehmen muß. Von der Möglichkeit, einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, werden die Arbeitnehmer daher um so eher Gebrauch machen, wie die Folgen des Vertragsabschlusses für sie überschaubar sind und nicht zu einem Risiko werden. Dieses ist aber nur dann der Fall, wenn den Arbeitnehmern zugesichert wird, daß eine bestimmte, bereits feststehende Einkommensgrenze nicht unterschritten wird. Sinn und Zweck der Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung lagen mithin darin, den ausscheidenden Arbeitnehmern auch zukünftig ein Einkommen zu garantieren, das um nicht weniger als 150,– DM bzw. 250,– DM unter dem letzten Nettoarbeitsentgelt liegen sollte.

d) Auch die Beklagte muß, bevor der Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien geschlossen wurde, die Betriebsvereinbarung in diesem Sinne verstanden haben. Denn im Schreiben vom 28. November 1983 hat sie dem Kläger zunächst den Differenzbetrag zwischen Arbeitslosengeld und letztem Nettolohn sowie weiter für die fehlenden Versicherungsjahre lebenslänglich für jeden fehlenden Versicherungsmonat mindestens einen Betrag von 2,20 DM zugesagt; „darüber hinaus” hat sie ihm bis zum 65. Lebensjahr einen monatlichen Zuschuß zugesagt, damit der Kläger als „Endbezug” über einen Gesamtbetrag „verfügen” kann, der nicht mehr als 250,– DM unter seinem zum Zeitpunkt des Ausscheidens gezahlten Nettoentgelt liegt, „Verfügen” kann der Kläger aber nur über einen Betrag, den er tatsächlich erhält. Die Krankenversicherungsbeiträge werden aus den Renten vom Rentenversicherungsträger einbehalten und an die Kranken- und Ersatzkassen abgeführt (§ 393 a Abs. 1 RVO n. F.), so daß der Kläger nicht über diesen Teil seiner Rente verfügen kann. Das im Schreiben der Beklagten vom 28. November 1983 zum Ausdruck kommende Verständnis der Betriebsvereinbarung hat besonderes Gewicht, weil zu dieser Zeit das neue Rentenanpassungsgesetz bereits ergangen und allgemein bekannt war, daß die Rentner den Krankenversicherungsbeitrag nunmehr selbst zahlen müssen.

III. Dieser Begründung steht die Rechtsprechung des Dritten Senats nicht entgegen.

1. Der Dritte Senat hat wiederholt die Auffassung vertreten, der dem Rentner vom Gesetzgeber auferlegte Beitrag zur Krankenversicherung lasse die Höhe des Rentenanspruchs unberührt. Daher sei es nicht geboten, bei der Anrechnung von Altersrenten aus der Sozialversicherung die Beiträge des Rentners zur Krankenversicherung anzurechnen. Der Arbeitgeber brauche diesen Beitrag auch bei der Anpassung betrieblicher Ruhegelder nicht zu berücksichtigen. Es handele sich um eine eigene Beteiligung der Rentner an den Kosten der Krankenversicherung, daher sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dem Rentner diese Belastung abzunehmen (BAG Urteil vom 23. Februar 1988 – 3 AZR 100/86 – DB 1988, 1274, 1276, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 14. Februar 1989 – 3 AZR 313/87 –, zu II 3 b der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Auch der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, der aus den Renten der gesetzlichen Rentenversicherung abzuführende Krankenversicherungsbeitrag mindere nicht den zur Ermittlung der Versorgungsrente auf die Gesamtversorgung anzurechnenden Betrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (BGH Urteil vom 8. Juni 1988 – IV a ZR 281/86 – ZTR 1988, 434).

3. Allerdings handelt es sich bei dem den Ruheständlern auferlegten Beitrag – was übrigens zwischen den Parteien auch nicht umstritten ist – um deren eigene Beteiligung an den Kosten der Krankenversicherung. Das bedeutet jedoch nicht, daß auch für die Berechnung der Sonderzahlung gemäß Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung vom 1. August 1975 auf den festgesetzten Rentenbetrag abzustellen ist. Fallgestaltung und Interessenlage der vom Dritten Senat entschiedenen Fälle unterscheiden sich grundlegend vom Streitfall. Hier muß sich die Einführung des Krankenversicherungsbeitrags deshalb unmittelbar auf die Höhe der Sonderzahlung auswirken, weil die Beklagte in Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung die Festschreibung eines „monatlichen Endbetrags” zugesichert hat und weil es gerade Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung war, den vorzeitig ausscheidenden Arbeitnehmern die genaue Höhe des auszuzahlenden Betrages in verläßlicher Weise bekanntzugeben, bevor sie von der Möglichkeit eines Aufhebungsvertrages Gebrauch machten. Von den oben genannten Entscheidungen des Dritten Senats und des Bundesgerichtshofs, bei denen zwar der Berechnungsmodus, nicht aber der tatsächlich auszuzahlende Betrag bekannt war, unterscheidet sich Ziff. 8 der Betriebsvereinbarung dadurch, daß der auszuzahlende Betrag bindend festgelegt wird.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Bitter, Liebsch, Buschmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1015672

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