Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. Verlängerungsgesetz

 

Leitsatz (redaktionell)

vgl. Urteil vom 11. Mai 1995 – 2 AZR 683/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt.

 

Normenkette

GG Art. 12, 3; KdgVerlÖVG; Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 06.05.1994; Aktenzeichen 3 Sa 243/93)

ArbG Dresden (Urteil vom 14.06.1993; Aktenzeichen 9 Ca 10688/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 6. Mai 1994 – 3 Sa 243/93 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die 2. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die 1940 geborene, verheiratete Klägerin hat im Jahre 1958 nach einem Studium am Institut für Lehrerbildung die Lehrbefähigung für den Unterricht in unteren Klassen erworben und ist seither als Lehrerin tätig. 1960 trat sie in die SED ein. 1966 bis 1968 unterrichtete sie an der Schule des Generalkonsulats der DDR in Leningrad. 1970 bis 1972 besuchte sie die Bezirksparteischule. Dieser Besuch war Teil ihrer Zusatzausbildung als Lehrerin für Staatsbürgerkunde, die sie 1976 abschloß. Von 1972 bis 1977 war sie stellvertretende Direktorin an einer Oberschule, von 1977 bis 1978 Schulinspektorin. 1978 bis 1980 unterbrach sie ihre Tätigkeit als Lehrerin, um als mitreisende Ehefrau mit ihrem Ehemann nach Moskau zu gehen. Von 1981 bis 1988 war sie stellvertretende Direktorin an einer POS in S., von 1988 bis 1989 stellvertretende Direktorin an der … POS in Dresden, ab September 1989 bis 1991 Direktorin an der … POS in Dresden.

Nach Anhörung der Klägerin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13. November 1992 zum 31. März 1993 wegen mangelnder persönlicher Eignung. Nach Einwendungen des Bezirkspersonalrats hielt im Stufenverfahren der Hauptpersonalrat die Einwendungen aufrecht und widersprach der Kündigung insbesondere mit der Begründung, die Klägerin sei aus Altersgründen am Arbeitsmarkt schwer bzw. nicht zu vermitteln.

Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie hat behauptet, an der … POS Dresden sei sie als Direktorin nicht eingesetzt worden, um „aufzuräumen”, sie habe für diese Tätigkeit keine Vorgaben erhalten. Wenn behauptet werde, sie habe von den Klassenlehrern verlangt, diese müßten die Schüler von den Herbstdemonstrationen 1989 in Dresden fernhalten, so sei dies eine böswillige Unterstellung und eine Lüge. Sie sei weiterhin geeignet für den Schuldienst. Sie habe nicht im Sinne des DDR-Regimes auf die Schüler eingewirkt, sondern z.B. die fehlende FDJ-Mitgliedschaft von Schülern ohne weiteres akzeptiert. Die Teilnahme von Schülern an Demonstrationen habe sie 1990 sogar ausdrücklich genehmigt. Als Schulinspektorin sei sie nur kurze Zeit tätig gewesen und auch als stellvertretende Direktorin habe sie sich im wesentlichen mit Planungsfragen befaßt. Die Diplomprüfung im Fach Staatsbürgerkunde habe sie nur abgelegt, weil in dem von ihr gewünschten Unterrichtsfach Biologie kein Lehrerbedarf vorgelegen habe.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 13. November 1992 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat zur Stützung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, die Klägerin sei persönlich ungeeignet für den Schuldienst. Sie habe sich an der … POS in Dresden auf Anweisung des damaligen Kreisschulrats massiv dafür eingesetzt, daß an dieser Schule die aufkeimende Unruhe nicht spürbar würde. Sie habe von den Klassenlehrern gefordert, den Schülern klar zu machen, diese hätten nicht zu den Demonstrationen zu gehen. Die Gesamtschau des beruflichen Werdegangs der Klägerin zeige, daß diese sich über 18 Jahre mit dem SED-Staat identifiziert habe. Als stellvertretende Direktorin habe sie eng mit den gesellschaftlichen Kräften an der Schule zusammenarbeiten müssen und zu ihren Aufgaben habe z.B. auch die Hospitation im Unterricht von Kollegen gehört. Im Vordergrund der Tätigkeit als Schulinspektorin habe die Aufgabe als Kontrollorgan gestanden. Als Schulinspektorin habe die Klägerin ein Weisungsrecht gegenüber den Schuldirektoren gehabt. Als Direktorin habe sie die Schule in politischer Hinsicht repräsentiert.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 ZPO), wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin fehle nicht die persönliche Eignung zum Lehrerberuf. Die Beweisaufnahme habe zwar ergeben, daß die Klägerin eines Morgens die anwesenden Lehrer zusammengerufen und gebeten bzw. aufgefordert habe, die Schüler von der Teilnahme an Demonstrationen abzuhalten. Aus den Aussagen der Zeugen sei auch deutlich geworden, daß dies nach den Demonstrationen am Hauptbahnhof D. geschehen sei, die zu den Zeiten stattgefunden hätten, als die Züge mit den Botschaftsflüchtlingen aus Prag Dresden passiert hätten. Bei diesen Demonstrationen sei es zu einem gewalttätigen Vorgehen der „Sicherheitskräfte” gegen die Demonstranten gekommen. Da möglicherweise bei der Klägerin die Sorge um die Schüler im Vordergrund gestanden habe und sie als überzeugtes SED-Mitglied in der „Wendezeit” mit einer Verarbeitung der sich überstürzenden Ereignisse überfordert gewesen sein dürfte, könnten jedoch ihre Reaktionen auf die heftigen Ereignisse am Hauptbahnhof D. für die Prüfung ihrer Eignung nicht den Ausschlag geben. Auch die übrigen von der Klägerin bekleideten Funktionen rechtfertigten kein anderes Bild. In eine Einzelfallprüfung sei u.a. einzubeziehen die Stellungnahme des Schulpersonalrats, wonach die Klägerin zwar als überzeugte Genossin konsequent und ehrgeizig die alte Staatsordnung vertreten, nach der politischen Wende sich jedoch einsichtig gezeigt und versucht habe, der neuen Zeit Sympathie abzugewinnen.

II. Da die Klägerin als Lehrerin dem öffentlichen Dienst in den Beitrittsländern angehörte (Art. 20 Abs. 1 EV), wäre die Kündigung wirksam, wenn die Klägerin wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 EV (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) den Anforderungen nicht entspräche.

1. Dazu sind in der einschlägigen Rechtsprechung des Achten und Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, m.w.N.; vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 – n.v.; vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 201/93 – NJ 1995, 161 und – 2 AZR 261/93 – beide auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; vgl. dazu neuerdings auch BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 –) zum Nachweis einer solchen mangelnden Eignung aufgrund besonderer Identifikation des Lehrers mit den grundgesetzfeindlichen Zielen der SED bzw. von Entlastungstatsachen – kurz zusammengefaßt – folgende Grundsätze entwickelt worden:

Die mangelnde persönliche Eignung i.S.v. Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die dann indiziert ist, wenn z.B. ein in der früheren DDR tätig gewesener Lehrer sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Positionen in Staat und Partei, die ein Lehrer seinerzeit innegehabt hat, können Anhaltspunkte für eine mangelnde Eignung sein. Allerdings erfordern Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 Abs. 1 GG) und im öffentlichen Dienst ergänzend Art. 33 Abs. 2 GG eine konkrete, einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, die sein Verhalten nach dem Beitritt der neuen Bundesländer unter Prüfung der Fähigkeit und inneren Bereitschaft einbezieht, seine dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung glaubwürdig wahrzunehmen (BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 –). Die Beweislast für den Nachweis der mangelnden persönlichen Eignung obliegt dem Arbeitgeber, wobei allerdings die Darlegungslast für be- und entlastendes Vorbringen abgestuft ist: Schon angesichts der Tatsache, daß zahlreiche Personalakten nach der sog. Wende „gesäubert” wurden, würden die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers überspannt, wenn von ihm ohne konkretes Gegenvorbringen die detaillierte Darlegung verlangt würde, der mit der Umsetzung der grundgesetzfeindlichen SED-Ideologie beauftragte Funktionsträger habe im konkreten Fall die Funktion auch tatsächlich entsprechend diesen Zielen ausgeübt. Wie er im Einzelfall die Funktion tatsächlich ausübte, weiß der belastete Arbeitnehmer in aller Regel weitaus besser. Er hat sich deshalb zu der allgemeinen Funktionsbeschreibung konkret zu äußern. Das Maß der gebotenen Substantiierung von Entlastungsvorbringen hängt ebenfalls davon ab, wie sich die andere Seite darauf einläßt (§ 138 Abs. 2 ZPO). Es bedarf des Vortrages konkreter Entlastungstatsachen unter Benennung geeigneter Beweismittel. Der Arbeitgeber kann dann seine Ermittlungen auf die vorprozessual oder im Prozeß konkretisierten Tatsachen konzentrieren, wobei die Beweislast auch insoweit bei ihm verbleibt.

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zunächst zutreffend darauf abgestellt, daß die Übernahme des Amts als Schuldirektor mit der sich daraus ergebenden Zuständigkeit für die politische Leitung der Schule (§ 10 der Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinen politechnischen Oberschulen – Schulordnung vom 29. November 1979 (GBl I S. 430)) jedenfalls dann Zweifel an der Geeignetheit eines Lehrers für den weiteren Schuldienst rechtfertigt, wenn dieses Amt nicht lediglich sachbezogen ausgeübt wurde, sondern sich aus dem Verhalten des ehemaligen Direktors ergibt, daß er nicht bereit war, das Recht seiner Schüler auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit zu respektieren. Dem Vorbringen des Beklagten zu dem Verhalten der Klägerin anläßlich der Demonstrationen am Hauptbahnhof D. mußte deshalb, wovon auch das Landesarbeitsgericht im Ansatz ausgeht, entscheidende Bedeutung beigemessen werden.

Es ist von diesem Ausgangspunkt her aber, wie die Revision zu Recht rügt, widersprüchlich, wenn das Landesarbeitsgericht als Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellt hat, der Sachvortrag des Beklagten über die anläßlich der Demonstrationen im Herbst 1989 durch die Klägerin einberufene Lehrerkonferenz habe sich bestätigt, ohne daraus die erforderlichen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin unmittelbar nach den Demonstrationen am Hauptbahnhof D., also ohne daß eine entsprechende Weisung der vorgesetzten Behörden vorliegen konnte, versucht, durch Beeinflussung der Lehrer eine Teilnahme der Schüler der Schule an den Demonstrationen zu verhindern. Als neu ernannte Direktorin der Schule trat sie damit auch angesichts des gewalttätigen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten nachhaltig für die Ziele der SED ein. Das Landesarbeitsgericht übernimmt die Einschätzung des Schulpersonalrats, die Klägerin habe als überzeugte Genossin konsequent und ehrgeizig die alte Staatsordnung vertreten. Dies kann aber nicht, wie das Landesarbeitsgericht meint, zu ihren Gunsten ausgelegt werden. Wer zu diesem Zeitpunkt noch derart konsequent die Ziele der SED durchzusetzen versuchte, bei dem bestehen ernste Zweifel, ob er nach der Wende glaubwürdig als Lehrer für die Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit eintreten kann, die er zuvor bekämpft hat. Wenn das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang auf die Vermutung eines Zeugen hinweist, die Klägerin habe möglicherweise nicht nur aus politischen Motiven gehandelt, sondern auch die Schüler vor den Sicherheitskräften schützen wollen, so vermag dies die Klägerin nicht zu entlasten. Die Klägerin selbst hat sich nicht darauf berufen, auch aus solchen Motiven heraus gehandelt zu haben, sie hat vielmehr seit Beginn des Prozesses bis kurz vor der vor dem Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme mit harten Worten bestritten, daß eine solche Lehrerkonferenz anläßlich der Demonstrationen überhaupt stattgefunden hat, und hat Erklärungen von Lehrern vorgelegt, mit denen sie beweisen wollte, die Behauptungen des Beklagten über diese Lehrerkonferenz stellten böswillige Unterstellungen und Lügen dar. Das Landesarbeitsgericht hat damit rechtsfehlerhaft einen Umstand als entlastend berücksichtigt, den die Klägerin selbst in den Tatsacheninstanzen nicht geltend gemacht hat.

3. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, damit das Landesarbeitsgericht die in erster Linie der Tatsacheninstanz obligende Würdigung der Persönlichkeit der Klägerin auf der Grundlage ihres gesamten Verhaltens vor und nach dem Beitritt nunmehr in rechtsfehlerfreier Weise nachholen kann. Dabei wird folgendes zu beachten sein:

Welches Gewicht dem durch die Beweisaufnahme festgestellten Verhalten der Klägerin bei der Lehrerkonferenz für die Würdigung ihrer Gesamtpersönlichkeit zukommt, wird wesentlich davon abhängen, ob diese Konferenz eine gezielte Maßnahme der Klägerin darstellte, durch massiven Druck auf die Lehrer die Parteilinie der SED durchzusetzen, wie es der Beklagte darstellt, oder ob es sich mehr um eine spontane Reaktion der Klägerin auf das Tagesgeschehen handelte, die, weil sie nur in Anwesenheit weniger Lehrer stattfand, im Schulalltag keine entscheidende Bedeutung gewinnen konnte. In diesem Zusammenhang wird auch das Vorbringen der Klägerin zu werten sein, sie habe im Jahr 1990 sogar ausdrücklich Schülern während des Unterrichts die Teilnahme an Demonstrationen gestattet.

4. Eine Gesamtbetrachtung der Funktionen der Klägerin ist allerdings geeignet, aus deren kurzer Direktorentätigkeit verbleibende Zweifel an ihrer persönlichen Eignung zu verstärken. Berücksichtigt man, daß die Klägerin als Direktorin gerade nicht, wie sie geltend gemacht hat, keine Zeit hatte, politisch auf Lehrer und Schüler einzuwirken, sondern nach der von ihr angeforderten Stellungnahme des Personalrats konsequent und ehrgeizig vor Eltern, Lehrern, Horterziehern und Schülern die alte Staatsordnung vertreten hat, durfte es das Landesarbeitsgericht nicht unberücksichtigt lassen, daß die Klägerin zumindest ab 1981 als stellvertretende Direktorin nach der Schulordnung entsprechende politische Einflußmöglichkeiten hatte. Die Revision rügt auch zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht es unterlassen hat, den Besuch der Bezirksparteischule und das darauf aufbauende Diplomstudium in Staatsbürgerkunde mit der Folge der entsprechenden Unterrichtserteilung zu berücksichtigen. Jedenfalls im Zusammenhang mit den bereits dargelegten Indizien sind auch diese Umstände bei der Prüfung der persönlichen Eignung mitzuberücksichtigen, ohne daß es zunächst darauf ankäme, ob die Tätigkeit der Klägerin als Schulinspektorin mangels entsprechender Feststellungen, ob hierzu der Bezirkspersonalrat unterrichtet worden ist, als Kündigungsgrund überhaupt verwertet werden darf. Die Klägerin hat jedenfalls nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über viele Jahre hinweg als überzeugte Genossin Funktionen ausgeübt, die auf eine besondere Identifikation mit den Zielen der SED schließen lassen.

5. Das Entlastungsvorbringen der Klägerin ist demgegenüber bisher nicht geeignet, Zweifel an ihrer persönlichen Eignung zu erschüttern. Ihre Behauptung, sie habe sich auch für religiös gebundene Schüler eingesetzt, ist unsubstantiiert. Was den Staatsbürgerkundeunterricht anbelangt, so hat der Beklagte selbst darauf nicht entscheidend die Kündigung gestützt. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Klägerin neben dem Staatsbürgerkundeunterricht auch ohne entsprechendes Fachdiplom Geographie unterrichtet hat.

5. Das Verhalten der Klägerin nach der Wende wird, wovon das Landesarbeitsgericht auch zutreffend ausgegangen ist, entscheidend mitzuberücksichtigen sein. Dies gilt um so mehr, weil der Beklagte die Klägerin zunächst als Direktorin und später als Lehrerin weiterbeschäftigt hat und die Kündigung nicht einmal innerhalb der im Einigungsvertrag vorgesehenen Frist von zwei Jahren nach dem Beitritt ausgesprochen worden ist. Auch insoweit ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts aber nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat dabei auf die Stellungnahme des Schulpersonalrats vom 2. April 1992 abgestellt. Gerade diese spricht aber nicht für, sondern eher gegen die Klägerin. Das Landesarbeitsgericht zitiert insoweit unvollständig: Wenn der Personalrat der Klägerin bestätigt, sie habe sich tatkräftig um die Neugestaltung der Schule bemüht und dies sei ihr „durch die Unterstützung der anderen Leitungsmitglieder und des gesamten Lehrerkollegiums” gelungen, im Zuge der weiteren Demokratisierung des Schulwesens sei sie zu der Erkenntnis gekommen, sich nicht wieder als Schulleiterin zu bewerben, so weist diese Stellungnahme, betrachtet man ihren vollen Wortlaut, eher auf ein skeptisches Urteil des Personalrats über die politische Eignung der Klägerin hin: Die Bemühungen der Klägerin, deren Verhalten als überzeugte Genossin vor der Wende bekannt war, gelangen danach während des Jahres ihrer Direktorentätigkeit nach der Wende vor allem durch die Unterstützung der anderen Leitungsmitglieder und des Lehrerkollegiums. Nach diesem einen Jahr sah sie die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen ein und räumte den Direktorenposten. Geht man mit dem Landesarbeitsgericht von der Stellungnahme des Schulpersonalrats aus, so ist auch die Wiederwahl der Klägerin durch die Schulkonferenz nicht geeignet, die Zweifel an ihrer persönlichen Eignung zu zerstreuen: Man hat der Klägerin – nicht ohne Gegenstimmen – für ein Jahr eine Chance gegeben, einer erneuten Abstimmung nach Ablauf dieses Jahres hat sich die Klägerin nicht mehr gestellt. Die von der Klägerin vorgelegten Schreiben beziehen sich demgegenüber im wesentlichen nur auf ihre fachliche Eignung, auf die es hier nicht ankommt.

III. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus einem anderen Grunde als richtig (§ 563 ZPO). Die Kündigung ist nicht etwa deshalb unwirksam, weil der Beklagte sie erst mit Schreiben vom 23. Dezember 1992 ausgesprochen hat.

1. Zwar waren die Sonderkündigungsregelungen des Einigungsvertrages zunächst bis 2. Oktober 1992 befristet. Durch das Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20. August 1992 (BGBl I, 1546) ist diese Frist jedoch bis zum 31. Dezember 1993 verlängert worden, wozu der Bundesgesetzgeber nach Art. 45 Abs. 2 EV grundsätzlich befugt war.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Anwendung des Verlängerungsgesetzes auf die Kündigung des Beklagten bestehen nicht. Die in der Literatur geäußerten verfassungsrechtlichen Einwände gegen das Verlängerungsgesetz (Däubler, ZTR 1993, 135; Battis/Schulte-Trux, ZTR 1993, 180, 182; vgl. BVerfG Beschluß vom 3. Februar 1993 – 1 BvR 107/93 und 152/93 – AP Nr. 7 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX) schlagen zumindest in Fällen wie dem vorliegenden nicht durch. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Nichtannahmebeschluß vom 3. Februar 1993 (a.a.O.) darauf ab, die rechtliche Tragweite der Sonderkündigungstatbestände und damit auch des Verlängerungsgesetzes bedürfe noch einer Klärung durch die Fachgerichte, insbesondere das Bundesarbeitsgericht. Erst die einfachrechtliche Auslegung des Abs. 4 Ziff. 1 EV in den Fällen, in denen nach dem 2. Oktober 1992 gekündigt worden sei, könne ergeben, ob eine Verfassungswidrigkeit des Verlängerungsgesetzes in Betracht komme. Eine solche könne allenfalls dann zu erwägen sein, wenn die Gruppe der Arbeitnehmer, denen bis 2. Oktober 1992 nicht nach Abs. 4 Ziff. 1 EV gekündigt worden sei, gegenüber der Gruppe der anderen Arbeitnehmer, die Kündigungsschutz genießen, ohne hinreichend sachlich rechtfertigenden Grund schlechter behandelt würde.

a) Der vorliegende Fall erfordert lediglich eine eingeschränkte Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Verlängerungsgesetzes. Bezogen auf Fälle, in denen – wie hier – der öffentliche Arbeitgeber das Kündigungsverfahren rechtzeitig vor Ablauf des 2. Oktober 1992 eingeleitet hat und sich dieses Verfahren nur ohne sein Verschulden verzögert hat (z.B. Stufenverfahren in der Personalvertretung bzw. Beteiligung von Personalkommissionen im Hochschulbereich), so daß sich zugunsten des betroffenen Arbeitnehmers kein Vertrauensschutz bilden konnte, ist das Verlängerungsgesetz jedenfalls als verfassungskonform anzusehen. Der Senat hatte deshalb nicht zu entscheiden, ob das Verlängerungsgesetz auch insoweit verfassungskonform ist, als davon Fälle erfaßt werden, in denen sich z.B. der öffentliche Arbeitgeber erst nach dem 2. Oktober 1992 zur Kündigung entschlossen hat.

b) Das Verlängerungsgesetz vom 20. August 1992 beruht auf einem Antrag des beklagten Freistaats Sachsen (BR-Drucks. 210/92), der geltend machte, die bisher erreichten Ergebnisse im Personalabbau nach der Wende seien trotz großer Anstrengungen nicht zufriedenstellend. Dies liege zum Teil daran, daß die Verwaltung selbst erst im Aufbau begriffen sei und außerdem die zum Personalabbau erforderlichen Strukturen nicht hätten rechtzeitig geschaffen werden können. Verdeutlichen läßt sich diese Problematik am Hochschulbereich. Dort hat erst das mit seiner Verkündung am 31. Juli 1991 in Kraft getretene Sächsische Hochschulerneuerungsgesetz im einzelnen die Rechtsgrundlagen für eine Überprüfung der Eignung des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals geschaffen (§§ 75 ff. HEG, Sächs. GVBl 1991, 261). Es wurden an den Hochschulen Personalkommissionen gebildet, die ihre Überprüfungen binnen neun Monaten, also bis 30. April 1992 abzuschließen hatten (§ 78 Abs. 4 HEG). Wollte der Minister von dem Vorschlag der Personalkommission abweichen, so war die Landespersonalkommission einzuschalten. Die Überprüfung aller Fälle sollte insgesamt binnen 18 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes, also bis Ende Januar 1993 abgeschlossen sein (§ 81 HEG). Schon dieses Beispiel zeigt, daß es etwa im Hochschulbereich je nach Fortgang des Erneuerungsverfahrens in Einzelfällen gar nicht möglich war, die Kündigung bis zum 2. Oktober 1992 auszusprechen, wobei der Beklagte auf das Verfahren der unabhängigen Kommissionen keinen entscheidenden Einfluß hatte. Die Gesetzesmaterialien zum Verlängerungsgesetz (BR, Plenarprotokoll 12/643, S. 274; BT-Drucks. 12/2794 und 12/2915; BT, Plenarprotokoll 12/100, S. 8566; BR, Plenarprotokoll 12/645, S. 406) zeigen, daß der Gesetzgeber genau diesen Problemen Rechnung getragen hat, als er die Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag bis 31. Dezember 1993 verlängert hat.

c) Geltend gemacht wird insbesondere, das Verlängerungsgesetz verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 GG, weil durch die erleichterten Kündigungsmöglichkeiten nach Abs. 4 EV die betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren könnten, ohne daß die Voraussetzungen des § 1 KSchG zu prüfen seien und dies in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Wahl des Arbeitsplatzes eingreife. Unterstellt man in Fällen wie dem vorliegenden einen Eingriff des Verlängerungsgesetzes in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG, so führt dies noch nicht zur Verfassungswidrigkeit. Wenn eine Regelung in die freie Wahl des Arbeitsplatzes mit ähnlicher Wirkung eingreift wie eine objektive Zulassungsschranke in die Freiheit der Berufswahl, ist sie nur zur Sicherung eines entsprechend wichtigen Gemeinschaftsguts und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig (BVerfG Urteil vom 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aber gerade die Schaffung einer modernen, effektiven und nach rechtsstaatlichen Maßstäben arbeitenden Verwaltung in den neuen Bundesländern sowie der Abbau eines Personalüberhangs als ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut bzw. -ziel anzusehen (BVerfGE 84, 133, 151 f.). Wenn die Lage nach dem Beitritt der neuen Bundesländer danach grundsätzlich Eingriffe in das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes rechtfertigte, so verstößt es bei verfassungskonformer Auslegung auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn der Gesetzgeber in Fällen, in denen die Kündigung rechtzeitig vor Ablauf des 2. Oktober 1992 eingeleitet worden ist, die Kündigungsmöglichkeiten nach Abs. 4 EV auch dann für anwendbar erklärt hat, wenn die Kündigung wegen einer unverschuldeten Verzögerung des Verfahrens tatsächlich erst nach dem 2. Oktober 1992 ausgesprochen werden konnte. Insbesondere ist die Regelung bei Abwägung zwischen dem Gemeinschaftsgut, dem sie dient, und der Schwere des Eingriffs angemessen. Es gelten hier im wesentlichen die gleichen Überlegungen, wie sie das Bundesverfassungsgericht zu dem erheblich stärkeren Eingriff der Warteschleifenregelung angestellt hat (a.a.O., C III 3 cc). Das Verlängerungsgesetz schafft in Fällen wie dem vorliegenden die Möglichkeit, die Arbeitnehmer, bei denen sich aufgrund der frühzeitigen Mitteilung der Kündigungsabsicht kein Vertrauensschutz bilden konnte, gleich zu behandeln mit den Arbeitnehmern, denen die Kündigungsabsicht zum gleichen Zeitpunkt mitgeteilt worden ist, bei denen sich aber das Kündigungsverfahren nicht derart verzögert hat.

d) Damit steht auch fest, daß die angegriffene Regelung den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Danach darf der Gesetzgeber, wenn er die Rechtsverhältnisse verschiedener Personengruppen differenzierend regelt, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten nur dann anders behandeln, wenn zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72, 88; 82, 126, 146). Die Arbeitnehmer, für die auch bei Kündigungen nach dem 2. Oktober 1992 die Kündigungsregelungen des Einigungsvertrages Anwendung finden, werden zwar schlechter behandelt als die anderen Arbeitnehmer, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt. Diese Regelung wird in Fällen wie dem vorliegenden aber gerade durch den Zweck gerechtfertigt, eine Ungleichbehandlung mit der Gruppe von Arbeitnehmern, denen bei ebenfalls rechtzeitiger Einleitung des Kündigungsverfahrens noch vor dem 2. Oktober 1992 gekündigt werden konnte, zu vermeiden.

e) Im vorliegenden Fall reicht eine solch eingeschränkte Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Verlängerungsgesetzes aus. Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt steht fest, daß es jedenfalls nicht dem Beklagten anzulasten ist, daß die Kündigung erst nach dem 3. Oktober 1992 ausgesprochen worden ist. Der Beklagte hat das Kündigungsverfahren bereits im März 1992 eingeleitet, denn unter dem 25. März 1992 ist die Klägerin zu der Kündigungsabsicht angehört worden. Der Anhörungstermin ist dann unverzüglich durchgeführt worden und es hat sich lediglich ohne Zutun des Beklagten durch die Einwendungen des Bezirkspersonalrats das Mitbestimmungsverfahren verzögert. Im Stufenverfahren hat dann der Hauptpersonalrat erst kurz vor dem 3. Oktober 1992 mit Schreiben vom 30. September 1992 Stellung genommen. Es steht nicht einmal fest, daß dieses Schreiben dem Beklagten noch vor dem 3. Oktober 1992 zugegangen ist. Unter Berücksichtigung einer angemessenen Überlegungsfrist konnte deshalb selbst bei unverzüglicher Kündigung diese Kündigung nicht mehr während der ursprünglichen Geltungsdauer der Kündigungsvorschriften des Einigungsvertrages erfolgen.

f) Noch aus einem anderen Grund ergeben sich – bezogen auf Fälle wie den vorliegenden – keine durchschlagenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Verlängerungsgesetz: Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Achten Senats und des erkennenden Senats ist das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Wende bei der Prüfung seiner persönlichen Eignung entscheidend mitzuberücksichtigen. Dies bedeutet, daß mit zunehmendem Zeitablauf nach der Wende die aus der Ausübung bestimmter parteinaher Funktionen in der DDR herzuleitenden Zweifel an der persönlichen Eignung eines Arbeitnehmers an Gewicht verlieren. Wenn der Einigungsvertrag ursprünglich eine Frist von zwei Jahren nach dem Beitritt für eine Eignungsprüfung vorsah, so ist eine besonders sorgfältige Einzelfallprüfung geboten, wenn die Kündigung erst nach Ablauf dieser Zwei-Jahres-Frist erfolgt. Nimmt man nicht, wie dies teilweise vertreten wird, überhaupt an, bei der Prüfung einer nach dem 2. Oktober 1992 ausgesprochenen Kündigung müßten die Grundsätze des Kündigungsschutzrechts herangezogen werden, so ist jedenfalls auch nach der Senatsrechtsprechung davon auszugehen, daß mit zunehmendem Zeitablauf sich der Prüfungsmaßstab des Abs. 4 Ziff. 1 EV dem des § 1 KSchG weitgehend annähert, da nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Beitritt der neuen Bundesländer der Gesichtspunkt nicht mehr unberücksichtigt bleiben darf, daß der öffentliche Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hinweg die Möglichkeit hatte, die persönliche Eignung des Arbeitnehmers für eine Weiterbeschäftigung selbst zu erproben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch nach § 1 KSchG die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers einen Grund für eine personenbedingte Kündigung darstellen kann. Der Senat hat stets betont, daß die Rechtsprechung zum Einigungsvertrag in Übereinstimmung mit der früheren Senatsrechtsprechung zur Kündigung von Lehrern im öffentlichen Dienst wegen Nichteignung aufgrund Zugehörigkeit zu einer als verfassungsfeindlich einzustufenden Partei steht.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Rupprecht, Engelmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1092949

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