Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Lehrer über längere Zeit eine Funktion wahrgenommen, die aufgrund ihrer Exponiertheit oder Aufgabenzuweisung in der gesellschaftlichen Realität der DDR regelmäßig eine Mitwirkung an der Umsetzung der SED-Ideologie bedingte (hier: wiederholt gewählter ehrenamtlicher Parteisekretär), so läßt dies den Schluß auf seine mangelnde persönliche Eignung im Sinne des Einigungsvertrages Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziffer 1 zu. Trägt der Lehrer demgegenüber konkrete Tatsachen vor, die geeignet sind, die Annahme einer besonderen Identifikation mit den grundgesetzfeindlichen Zielen der SED zu erschüttern, so hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten Entlastungstatsachen nicht vorliegen oder daß aus weiteren Tatsachen auf mangelnde persönliche Eignung des Lehrers zu schließen ist. Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber (im Anschluß an BAG Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – NJ 1994, 483, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, m.w.N.).

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. . 98); PersVG-DDR §§ 82, 116b; BPersVG § 82; AGB-DDR i.d.F.d. Gesetzes vom 22. Juni 1990 (GBl. der DDR I S. 371) § 55 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 26.01.1993; Aktenzeichen 1 Sa 4/92)

KreisG Chemnitz-Stadt (Urteil vom 18.06.1992; Aktenzeichen 4 Ca 8516/91)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 26. Januar 1993 – 1 Sa 4/92 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der am 4. Oktober 1941 geborene Kläger ist geschieden und hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Seit dem 1. August 1965 ist er zunächst bei der Volksbildung in G…, dann ab 1. August 1972 in R… und ab 1. August 1973 an der Schule … in R… als Lehrer mit den Fächern Deutsch und Geschichte tätig gewesen. Sein Gehalt betrug zuletzt 3.988,-- DM. Von 1983 bis 1990 war der Kläger an der Schule ehrenamtlicher Parteisekretär der SED; die Parteigruppe umfaßte zwischen 11 und 14 SED-Mitglieder.

Mit Schreiben vom 27. November 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers. Ein Bezirkspersonalrat bestand damals bei dem kündigenden Oberschulamt nicht.

Der Kläger hat sich mit seiner am 10. Dezember 1991 beim Kreisgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigung gewandt und geltend gemacht, die Kündigung sei sozialwidrig und zudem nicht fristgerecht erfolgt. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Personalratsbeteiligung. Ein Kündigungsgrund nach dem Einigungsvertrag liege nicht vor. Zahlreiche dem Amt des Parteisekretärs zugeschriebene Aufgaben habe er nicht bzw. nur zurückhaltend ausgeübt. Er habe als “kritischer Genosse” gegolten und nie jemandem geschadet. Ihm sei es nicht um eine Repräsentation der SED und des Staates DDR, sondern um das Erreichen besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Schule und im unmittelbaren schulischen Umfeld gegangen. Abgesehen davon, daß er nicht als Klassenleiter eingesetzt worden sei, habe er aus seiner Tätigkeit als Parteisekretär keinerlei Vorteil gezogen. Nach der Wende und seinem Parteiaustritt im Januar 1990 habe er sich an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen beteiligt und im Unterricht dargelegt, daß die “sozialistische Demokratie” keine wirkliche Demokratie und Freiheit gewesen sei. Die bloße Bekleidung der Funktion des Parteisekretärs in der Vergangenheit könne die Kündigung nach dem Einigungsvertrag nicht rechtfertigen; einer anderen Interpretation des Einigungsvertrages stehe auch das Übereinkommen Nr. 111 der ILO entgegen.

  • Der Kläger hat beantragt:
  • Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 27. November 1991, zugestellt am 27. November 1991, zum 31. März 1992 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 31. März 1992 fortbesteht.
  • Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger über den 31. März 1992 weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, als langjähriger SED-Parteisekretär sei der Kläger für eine weitere Tätigkeit als Lehrer persönlich nicht geeignet. Der Kläger sei in dieser Funktion damit betraut gewesen, die Ziele der SED im schulischen Bereich durchzusetzen. Der Parteisekretär sei immer Mitglied der Schulleitung gewesen und habe ein Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen gehabt. Er habe den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele kontrolliert und überwacht. Er habe ferner die Parteiversammlungen geleitet, in denen ständig das politische Klima der Schule besprochen worden sei, auch ein einheitliches Handeln gegen oppositionelle Lehrer. Der Parteisekretär sei verantwortlich gewesen für die politische Bildung der Kinder, Jugendlichen und Lehrer und habe den Pionierleiter überwacht. Er habe der SED-Kreisleitung über das politische Klima der Schule, gegebenenfalls unter Namensnennung bei nichtlinientreuen Äußerungen, zu berichten gehabt. Ferner sei er an der Werbung für militärischen Berufsnachwuchs beteiligt gewesen und habe die Werbung für die Teilnahme an der Jugendweihe sicherstellen müssen. Indem der Kläger das Amt des Parteisekretärs wahrgenommen habe, habe er sich mit den Zielen der SED in hohem Maße identifiziert. Deshalb könne er nun nicht den Schülern die Werte des Grundgesetzes glaubwürdig vermitteln. Die allein maßgebliche Kündigungsfrist des AGB sei eingehalten. Mangels Existenz eines Bezirkspersonalrats könne die Wirksamkeit der Kündigung auch nicht an der fehlenden bzw. an einer unzureichenden Personalratsbeteiligung scheitern.

Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß der Kläger für die Tätigkeit eines Lehrers im öffentlichen Dienst nicht ausreichend persönlich geeignet ist.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere nicht an der Personalratsanhörung, weil weder bei der kündigenden Stelle, noch beim Ministerium eine Personalvertretung bestanden habe. § 82 Abs. 5, 6 PersVG-DDR sei nicht entsprechend anwendbar.

Die Kündigungsfrist bemesse sich zutreffend nach § 55 AGB.

Gemäß Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4, wonach die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung für einen befristeten Zeitraum auch dann zulässig sei, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspreche, sei die Kündigung begründet. Zwar fehle dem Kläger nicht die fachliche Eignung für den Lehrerberuf, er sei jedoch persönlich nicht ausreichend geeignet. Die persönliche Eignung betreffe die Erwartung, daß sich ein Lehrer den Anforderungen an eine Erziehung der Schüler im Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung i. S. von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT gewachsen zeige. Die Glaubwürdigkeit bei der Vermittlung der Grundwerte der Verfassung müsse nicht nur gegenüber den Schülern, sondern auch gegenüber anderen Beteiligten, vor allem den Eltern, gewährleistet sein. Ein Lehrer, der sich in der Vergangenheit besonders mit dem SED-Staat identifiziert bzw. diesen Staat, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehnte und bekämpfte, besonders unterstützt habe, wecke Zweifel, die Grundwerte der Verfassung glaubwürdig zu vermitteln. Dies mache ihn für die Aufgaben als Lehrer persönlich ungeeignet. Bei der insoweit gebotenen umfassenden persönlichen Würdigung komme es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Aufgrund der Aufgabe und Stellung eines Parteisekretärs und der Dauer der Bekleidung dieses Amtes durch den Kläger sei davon auszugehen, daß dieser die freiheitlich-demokratische Grundordnung im öffentlichen Dienst nicht glaubwürdig vertrete. Auch wenn der Kläger keine besonders hervorragende Stellung gehabt, sondern politische Arbeit auf der untersten Ebene verrichtet habe und wenn alles mehr für Mitläufertum zeuge, sei doch zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, daß schon dieses Mitmachen und das undifferenzierte Teilnehmen am Vorgehen des SED-Staates diesen solange habe gewähren lassen. Wenn auch auf unterster Ebene, habe der Kläger doch lange Zeit ohne Beanstandung und ohne Abstand den Zielen des SED-Staates gedient.

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Der Kläger hat in der Revisionsverhandlung klargestellt daß sein Feststellungsantrag allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG umfaßt. Auf das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO für einen weitergehenden Antrag kommt es daher nicht an.

2. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts der neuen Länder die in der Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Regelungen. Der Kläger unterrichtete damals an einer öffentlichen Schule und gehörte deshalb dem öffentlichen Dienst an.

3. Nach Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Wie bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung gemäß § 1 KSchG handelt es sich bei der entsprechenden Eignungsfeststellung, die nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung zu treffen ist (vgl. BAG Urteile vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 – n. v.; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 68 und 128/93 – n. v.), um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht die Rechtsbegriffe selbst verkannt, ob es bei der Subsumtion Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (vgl. BAGE 48, 314, 319 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B I 1 der Gründe; BAGE 65, 61 = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Dieser eingeschränkten Überprüfung hält das angefochtene Urteil stand.

4. Der bisher für Kündigungen nach der genannten Vorschrift des Einigungsvertrages allein zuständige Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat für die gebotene Einzelfallprüfung folgende Grundsätze entwickelt (vgl. die zuletzt genannten Urteile des Achten Senats m.w.N.):

Die mangelnde persönliche Eignung i. S. von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht.

Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und ggf. zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu erschüttern. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige, die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt.

5. Dieser Rechtsprechung des Achten Senats schließt sich der erkennende Senat an. Die Rechtsprechung steht, den Besonderheiten des Einigungsvertrages Rechnung tragend, in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des Zweiten Senats zur Kündigung von Lehrern im öffentlichen Dienst wegen Nichteignung aufgrund Zugehörigkeit zu einer als verfassungsfeindlich einzustufenden Partei (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1989 – 2 AZR 317/86 – BAGE 63, 72 = AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, m.w.N.).

In der Sache ist danach von einer abgestuften Darlegungslast auszugehen: Legt der Arbeitgeber substantiiert dar, der Arbeitnehmer habe für längere Zeit eine Funktion wahrgenommen, die unbestritten in der gesellschaftlichen Realität des SED-Staates aufgrund ihrer Exponiertheit oder konkreten Aufgabenzuweisung regelmäßig eine Mitwirkung an der ideologischen Umsetzung der die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfenden Ziele der SED bedingte, so ist weiteres Vorbringen des Arbeitgebers zum konkreten Verhalten des Arbeitnehmers zunächst entbehrlich; eine solche Funktionsausübung ist an sich geeignet, den Schluß auf eine besondere Identifikation des Arbeitnehmers mit dem SED-Staat, auf eine sich hieraus ergebende mangelnde Glaubwürdigkeit bei der geschuldeten Vermittlung der Grundwerte unserer Verfassung und deshalb auf mangelnde persönliche Eignung für die Aufgabe eines Lehrers im öffentlichen Dienst zuzulassen. Es ist sodann Sache des Arbeitnehmers, sich durch substantiiertes und damit einer Beweisaufnahme zugängliches Tatsachenvorbringen zu entlasten.

Trotz eindeutiger gesetzlicher Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast an eine Partei wird eine vergleichbare Abstufung der Darlegungslast in der Rechtsprechung auch sonst vorgenommen, wenn die beweisbelastete Partei nicht oder nur unter erheblich größeren Schwierigkeiten zu einer weitergehenden Substantiierung ihres Vorbringens in der Lage ist als die nichtbeweisbelastete bestreitende Partei. Dies rechtfertigt sich aus der prozessualen Mitwirkungspflicht gemäß § 138 Abs. 2 ZPO. Als Beispiel sei nur die Verteilung der Darlegungslast bei der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG (vgl. insbesondere BAGE 62, 116, 125 f. = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B II 3b aa der Gründe, m.w.N.) oder bei der Arbeitgeberkündigung wegen unentschuldigten Fehlens bzw. wegen der Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit (vgl. Senatsurteil vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – AP Nr. 112 zu § 626 BGB, zu B I 1c cc der Gründe) genannt. Auch in Fällen wie dem vorliegenden ist diese Abstufung der Darlegungslast gerechtfertigt. Angesichts einer allenfalls partiellen Verwaltungskontinuität nach der Wiedervereinigung und angesichts des Umstandes, daß unter der Regierung Modrow zahlreiche Personalakten “gesäubert” wurden, würden die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers überspannt, wenn man von ihm ohne konkretes Gegenvorbringen die detaillierte Darlegung verlangen würde, der mit der Umsetzung der grundgesetzfeindlichen SED-Ideologie beauftragte Funktionsträger habe im konkreten Fall die Funktion der Aufgabenstellung gemäß ausgeübt. Wie er im Einzelfall die Funktion tatsächlich ausübte, weiß der belastete Arbeitnehmer in aller Regel weitaus besser. Daher ist es ihm zumutbar, sich durch eigenen Tatsachenvortrag zu entlasten. Das Maß der gebotenen Substantiierung des Entlastungsvorbringens hängt dabei davon ab, ob der Beklagte dieses Vorbringen bestreitet. Wird es bestritten, so bedarf es des Vortrags konkreter, einer Beweisaufnahme zugänglicher Entlastungstatsachen. Der Arbeitgeber kann dann seine Ermittlungen auf die vorprozessual oder im Prozeß konkretisierten Tatsachen konzentrieren. Die Beweislast bleibt aber auch in diesen Fällen bei ihm.

6. Entgegen der Ansicht der Revision verstößt eine solche Anwendung von Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl 1961 II, S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch seine in der ehemaligen DDR wahrgenommenen Funktionen begründete mangelnde persönliche Eignung, als Lehrer gemäß seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung die Grundwerte unserer Verfassung den Schülern glaubwürdig zu vermitteln. Wer über längere Zeit aufgrund seiner Funktion eine verfassungsmäßige Ordnung als revanchistisch und imperialistisch zu bekämpfen hatte, kann nun nicht glaubhaft eine gegenteilige Auffassung vertreten, wenn er sich nicht schon früher durch konkretes Verhalten von dem ideologischen Auftrag distanziert hatte. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93  – NJ 1994, 483, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B II 2e der Gründe, m.w.N.).

7. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß die mehr als sieben Jahre währende Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlicher Parteisekretär an der Schule den Schluß zuläßt, der Kläger sei für die weitere Verwendung als Lehrer im öffentlichen Dienst persönlich nicht geeignet. Die Bedeutung der Funktion des ehrenamtlichen Parteisekretärs für die Durchsetzung der SED-Ideologie an den Schulen hat der Beklagte näher dargelegt (vgl. im Tatbestand S. 4 Abs. 1). Der Kläger hat dieses Vorbringen in den Tatsacheninstanzen nicht bestritten, weshalb von dem Beklagten keine weitergehende Sustantiierung zu fordern war. Der Senat ist diesbezüglich an das gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehende Vorbringen des Beklagten gebunden (§ 561 ZPO). Unbeachtlich ist es deshalb, wenn die Revision nun mit dem Bestreiten der Wahrnehmung diverser Aufgaben eines Parteisekretärs durch den Kläger auch Aufgaben und Bedeutung dieser Funktion im SED-Staat bestreiten will. Die insoweit erhobene Rüge mangelnder Aufklärung gemäß § 139 ZPO ist unzulässig, weil der Kläger nicht dargelegt hat, was er auf entsprechende Hinweise oder Fragen des Landesarbeitsgerichts zur Funktion des Parteisekretärs vorgetragen hätte (vgl. BAGE 32, 56 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen, m.w.N.). Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen des Beklagten kann davon ausgegangen werden, daß die Parteisekretäre als Repräsentanten der staatstragenden Partei in den Schulen der DDR an der ideologischen Umsetzung der grundgesetzfeindlichen Ziele der SED mitzuwirken hatten. Da der Kläger wiederholt in dieses wichtige Parteiamt gewählt wurde, kann weiter davon ausgegangen werden, daß er sich mit den Zielen des SED-Staates besonders identifiziert hat, was ihn nun für die Tätigkeit als Lehrer ungeeignet macht (vgl. BAG Urteile vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 – n.v.; vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 –, aaO, m.w.N.; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 128 und 174/93 – n.v.).

8. Das Entlastungsvorbringen des Klägers ist demgegenüber nicht ausreichend substantiiert. Daß dem Kläger nicht konkret vorgeworfen wird, er habe das Parteiamt zum Nachteil bestimmter Kollegen, Eltern oder Kinder ausgeübt, stellt keinen entlastenden Umstand dar. Gleiches gilt für den Vortrag des Klägers, er habe manche mit diesem Amt verbundene Aufgaben nicht oder nur zurückhaltend ausgeübt. Entscheidend ist, daß der Kläger über längere Zeit nach außen den SED-Staat mit den entsprechenden Merkmalen des Amtes des Parteisekretärs repräsentierte (vgl. BAG Urteile vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 –, zu B II 2d der Gründe; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 128 und 174/93 –, zu B III 4 bzw. zu B II 2 der Gründe). Offenbar hat dies an der Schule des Klägers dafür ausgereicht, um den Primat der Partei zu sichern und die Umsetzung der SED-Ideologie in der Schule hinreichend zu gewährleisten. Auch das Vorbringen des Klägers, er habe als “kritischer Genosse” gegolten und nach der Wende im Unterricht dargelegt, daß die “sozialistische Demokratie” keine wirkliche Demokratie und Freiheit gewesen sei, ist inhaltlich und nach Zeit und Umständen nicht konkret genug, um von dem Beklagten konkretes Gegenvorbringen und Beweisantritt für das Gegenteil verlangen zu können.

9. Soweit die Revision meint, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Der erkennende Senat schließt sich auch zu dieser Problematik der ständigen Rechtsprechung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts an (vgl. eingehend Urteile vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93  –; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 68 und 128/93 –, zu B V bzw. B IV der Gründe, m.w.N.). Danach gilt folgendes:

a) Kündigungsberechtigt war das zuständige Oberschulamt, hier das Oberschulamt Chemnitz. Die Schule, an der der Kläger zuletzt beschäftigt war, war nicht zur Kündigung berechtigt. Nach § 82 Abs. 1 PersVG-DDR/BPersVG wäre die Stufenvertretung zu beteiligen gewesen. Eine solche bestand bei der Schulaufsichtsbehörde nicht. Daher entfiel eine personalvertretungsrechtliche Beteiligung.

b) Aus den §§ 82 Abs. 6, 116b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR ergab sich keine Notwendigkeit, einen bestehenden Schul- oder Kreisschulpersonalrat zu beteiligen. Diese Vorschriften sicherten lediglich ein mehrstufiges Beteiligungsverfahren und setzten das Vorhandensein einer erstzuständigen Personalvertretung voraus.

c) Die Unwirksamkeit der Kündigung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Sächsische Staatsministerium für Kultus die Einleitung der Wahl eines Hauptpersonalrats bzw. Bezirkspersonalrats in rechtswidriger Weise unterlassen haben soll. Eine Rechtsvorschrift, aus der eine solche Folge hergeleitet werden könnte, existiert nicht.

10. Die Kündigung erfolgte fristgerecht gemäß § 55 Abs. 2 AGB-DDR (vgl. BAG Urteil vom 25. März 1993 – 6 AZR 252/92 – AP Nr. 14 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt; Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 658/92 – n.v.). Die Revision hat insoweit auch keine Rügen erhoben.

11. Da die Klage im Feststellungsantrag erfolglos bleibt, besteht auch keine Verpflichtung des Beklagten zur Weiterbeschäftigung des Klägers.

 

Unterschriften

Etzel, Bröhl, Fischermeier, Thelen, Engelmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 856750

BAGE, 119

NZA 1995, 577

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