Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beweislast für das Vorliegen der Kündigungsgründe liegt im Kündigungsschutzprozeß auch dann in vollem Umfang beim Arbeitgeber, wenn er sich auf mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers gemäß Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag beruft. Dem Arbeitnehmer obliegt es, die wegen Ausübung bestimmter Funktionen in der ehemaligen DDR indizierte Nichteignung durch konkreten nachprüfbaren Vortrag substantiiert zu bestreiten (im Anschluß an das Senatsurteil vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – zur Veröffentlichung bestimmt).

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; Personalvertretungsgesetz der DDR §§ 79, 82, 116b; BPersVG §§ 79, 82; ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 98); AGB-DDR § 55 Abs. 2; Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 29. November 1979 (GBl. DDR I S. 444) § 9; Bundes-Angestelltentarifvertrag-Ost § 53 Abs. 2; Bundes-Angestelltentarifvertrag-Ost § 53 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 01.12.1992; Aktenzeichen Sa 75/92 L)

KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 03.04.1992; Aktenzeichen 15 Ca 161/91)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 1. Dezember 1992 – Sa 75/92 L. – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte unter Berufung auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) ausgesprochen hat.

Die im Jahre 1944 geborene Klägerin ist seit dem 1. August 1967 als Lehrerin für Slawistik und Geschichte an einer Schule in Leipzig beschäftigt. Sie war von 1973 bis 1983 und von September 1988 bis September 1989 ehrenamtlicher Parteisekretär an ihrer Schule und bekleidete von 1977 bis 1985 das Amt des stellvertretenden Direktors für außerunterrichtliche Tätigkeit.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18. Dezember 1991 ordentlich zum 31. März 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung der Klägerin.

Mit ihrer beim Kreisgericht am 18. Dezember 1991 eingegangenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei nicht persönlich ungeeignet. Sie habe nach der Wende völlig unbeanstandet unterrichtet. Auch aus der Zeit davor gebe es keine konkreten Verhaltensverstöße. Allein die Ausübung der Funktionen eines Schulparteisekretärs und eines stellvertretenden Direktors begründe keine durchgreifenden Eignungszweifel. Sie habe das Amt des Parteisekretärs nur widerwillig übernommen und es erst 1983 abgeben können; 1988 habe sie sich dem Druck “von oben” gebeugt. In den monatlichen Anleitungssitzungen habe sie sich kritisch geäußert und Distanz zur Partei gezeigt. Bespitzelungen und Kontrollen durch monatliche Berichte seien von ihr nicht erfolgt. Die Berichte über Parteiversammlungen seien formal ohne Namensnennung abgegeben worden, so daß aus ihrer Tätigkeit in keinem Falle Nachteile für Dritte hätten entstehen können. An Repressionsmaßnahmen habe sie sich nicht beteiligt und niemandem den Weg zum Abitur versperrt. Auch habe sie christlich eingestellte Schüler, darunter Zeugen Jehovas, nicht benachteiligt, was diese bestätigen könnten.

Im übrigen sei die Kündigung auch deswegen unwirksam, weil der Beklagte den Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt habe. Bis zur Bildung von Stufenvertretungen seien die bestehenden Personalräte – Schul- und Kreisschulpersonalräte – zu beteiligen gewesen. Der Beklagte habe die Erfüllung seiner Verpflichtung, rechtzeitig die Wahl des Bezirks- und Hauptpersonalrats zu ermöglichen, versäumt. Schließlich sei die Kündigungsfrist in § 9 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 29. November 1979 nicht gewahrt.

Die Klägerin hat beantragt,

  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 1991 nicht zum 31. März 1992 aufgelöst worden sei,
  • im Falle des Obsiegens zu 1) den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin über den 31. März 1992 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, die mangelnde Eignung der Klägerin ergebe sich aus ihrer jahrelangen Tätigkeit als Parteisekretär. Als Bindeglied zwischen Partei und Schule mit Überwachungs- und Berichtspflichten habe die Klägerin eine hervorgehobene Stellung im System der Staatsüberwachung und -kontrolle der früheren DDR innegehabt. Auch als stellvertretender Direktor sei sie maßgeblich an der politischen Indoktrination der Schüler beteiligt gewesen. Ihre Angaben im Personalbogen und im Fragebogen über frühere politische Tätigkeiten, der Inhalt der Personalakte und die persönliche Anhörung hätten keine Erkenntnisse zu ihren Gunsten ergeben. Der Vortrag der Klägerin zu den Gründen der Übernahme des Parteiamtes und zu dessen liberaler Ausübung, zur Zurückhaltung bei der Berichtstätigkeit und zur Behandlung von christlich eingestellten Schülern werde bestritten.

Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen fehlender Beteiligung des Personalrats unwirksam.

Aus dem unstreitigen Sachverhalt ergebe sich nicht die Rechtfertigung der Kündigung. Eine – auch jahrelange – Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär an einer Schule sei für sich allein nicht geeignet, eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung im Sinne des Einigungsvertrages zu rechtfertigen. Das Amt sei ehrenamtlich und i.d.R. ohne Abminderungsstunden wahrgenommen worden. Es habe bei seiner Ausübung relativ weite Spielräume gelassen. Seine Bedeutung sei eingeschränkt, weil stets nur ein bestimmter Prozentsatz der Lehrer an einer Schule Parteimitglied gewesen sei.

Daher müßten zusätzliche Umstände vorgetragen und im Streitfalle bewiesen werden, die die Kündigung rechtfertigten. Der Beklagte habe dabei auf die monatliche Berichtspflicht an die SED-Kreisleitung hingewiesen, die die Klägerin im Grundsatz eingeräumt habe. Er habe aber der Einlassung der Klägerin, dieser Verpflichtung jeweils nur formal nachgekommen zu sein, nicht ausreichend widersprochen und diese Einlassung lediglich als unerhebliche Schutzbehauptung zurückgewiesen. Er habe keine Aufklärungsversuche im bisherigen personellen Umfeld der Klägerin unternommen. Auch habe er seinen eigenen Vorgaben zur Kündigung politisch belasteter Lehrkräfte nicht genügend Beachtung geschenkt.

Die Position als stellvertretender Direktor für außerunterrichtliche Tätigkeit sei im Sinne einer politischen Indoktrination nicht besonders herausgehoben. Die Behauptung der Klägerin, sie habe dieses Amt nach ihren besonderen pädagogischen Befähigungen und weniger aus parteipolitischen Gründen erhalten, sei nicht zu widerlegen. Im Hinblick auf die mangelnde Darlegung des Beklagten komme den zeitlichen Abläufen der einzelnen Funktionen der Klägerin keine Bedeutung zu.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nicht in allen Punkten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Kündigung sei nicht schon aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unwirksam.

1. Nach § 79 Abs. 1 des Personalvertretungsgesetzes der DDR vom 22. Juli 1990 (GBl. I S. 1014) – PersVG-DDR –, der nahezu wörtlich mit § 79 Abs. 1 BPersVG übereinstimmt, ist der Personalrat vor ordentlichen Kündigungen zu hören. Nach § 79 Abs. 4 beider Gesetze ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Kündigungsberechtigt war das Oberschulamt Leipzig. Die Schule, an der die Klägerin beschäftigt wurde, war nicht zur Kündigung berechtigt. Nach § 82 Abs. 1 PersVG-DDR/ BPersVG wäre die Stufenvertretung zu beteiligen gewesen. Eine solche bestand bei der Schulaufsichtsbehörde unstreitig nicht.

2. Eine andere Vertretung war nach den §§ 82 Abs. 6, 116b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR nicht zu beteiligen. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschriften auf die vorliegende Kündigung überhaupt noch anzuwenden waren oder ob nicht bereits ausschließlich das Bundespersonalvertretungsgesetz galt, das eine entsprechende Regelung nicht enthält (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 659/92 – n.v., zu B II 2a der Gründe).

a) Die Regelung des § 82 Abs. 1 und Abs. 5 PersVG-DDR ist zwingend. Ist bei der für die Entscheidung zuständigen Dienststelle eine Stufenvertretung nicht gebildet worden, ergibt sich daraus nicht eine Beteiligungszuständigkeit des Personalrates der nachgeordneten, nicht entscheidungsbefugten Dienststelle (vgl. Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, Stand März 1994, § 82 Rz 18 und 48; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 82 Rz 6 und 22; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG mit WO, 7. Aufl., § 82 Rz 27). Auch im Einverständnis der Beteiligten kann von der Zuständigkeitsregelung des § 82 Abs. 1 und 5 PersVG-DDR nicht abgewichen werden, so daß aus einer etwaigen Zusage, eine nicht zuständige Personalvertretung zu beteiligen, eine Zuständigkeit nicht hergeleitet werden kann.

b) Eine Zuständigkeit des Kreisschulpersonalrates oder des Schulpersonalrates folgt nicht aus § 82 Abs. 6 PersVG-DDR. Diese Vorschrift begründet keine neue sachliche Zuständigkeit für eine Personalvertretung. Sie betrifft, wie sich aus den dort aufgeführten Fällen der §§ 69 Abs. 3 und 4, 70, 71, 72 Abs. 4 PersVG-DDR ergibt, die Beteiligung der Stufenvertretung im “Instanzenzug”. Wesentlich ist in diesen Fällen, daß die personalvertretungsechtliche Zuständigkeit beim jeweils zuständigen örtlichen Personalrat liegt und die Stufenvertretungen erst in Aktion treten, nachdem die erste örtliche Ebene ausgeschöpft ist. Ist ein Hauptpersonalrat noch nicht gebildet, der im mehrstufigen Beteiligungsverfahren mitwirken kann, soll nach § 82 Abs. 6 PersVG-DDR die im Instanzenzug in einer vorangegangenen Stufe bereits beteiligte Personalvertretung oder, falls auch diese nicht vorhanden ist, die bereits beteiligte und zuständige Personalvertretung an seine Stelle treten, um sich nochmals an der zu treffenden Maßnahme zu beteiligen. Der Sinn des § 82 Abs. 6 PersVG-DDR liegt also allein darin, ein mehrstufiges Verfahren auch dann zu gewährleisten, wenn ein Hauptpersonalrat nicht besteht.

c) Dieselben Überlegungen wie für § 82 Abs. 6 PersVG-DDR gelten für § 116b Abs. 2 Nr. 5 Satz 4 PersVG-DDR. § 116b PersVG-DDR will die in § 82 Abs. 6 PersVG-DDR getroffene Regelung nicht inhaltlich erweitern. Die analoge Anwendung des § 82 Abs. 6 PersVG-DDR hätte eine personalvertretungsrechtliche Erstzuständigkeit des Kreisschulpersonalrates oder Schulpersonalrates zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers vorausgesetzt.

3. Die Unwirksamkeit der Kündigung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Sächsische Staatsministerium für Kultus die Einleitung der Wahl eines Hauptpersonalrates bzw. Bezirkspersonalrates in rechtswidriger Weise unterlassen haben soll. Eine Rechtsvorschrift, aus der eine solche Folge hergeleitet werden könnte, existiert nicht und kann auch nicht aus der Denkschrift zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 entnommen werden. Dem dort geäußerten Anliegen hat das PersVG-DDR bereits Rechnung getragen.

II. Soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV für unzulässig erachtet hat, tragen seine Feststellungen die Entscheidung nicht.

1. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Die Klägerin unterrichtete zum Zeitpunkt des Beitritts an einer öffentlichen Schule, sie gehörte daher dem öffentlichen Dienst an. Der Änderungsvertrag vom 29. August 1991 aktualisierte lediglich das bestehende Arbeitsverhältnis durch Umstellung auf die Bedingungen des BAT-O.

2. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 (– 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) und 4. November 1993 (– 8 AZR 127/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:

a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).

b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG).

c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Deshalb zwingt die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

d) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.

e) Wie der Senat wiederholt entschieden hat, verstößt die Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an. Sie beruht vielmehr auf der fehlenden Gewähr dafür, daß er zukünftig für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und damit aus der Sicht der ehemaligen DDR für eine revanchistische und imperialistische verfassungsmäßige Ordnung eintreten werde (u.a. Senatsurteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 1e der Gründe; Senatsurteil vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 128/93 – n.v., zu B III 2 der Gründe). Die Wahrnehmung bestimmter herausgehobener und grundlegenden Prinzipien einer freiheitlichen Demokratie widersprechender Ämter darf nicht mit einer bloßen politischen Meinung gleichgesetzt werden. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 13. Oktober 1988 – 6 AZR 144/85 – AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung).

3. Das Landesarbeitsgericht hat den unstreitigen Sachverhalt zu Unrecht als ungeeignet angesehen, eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV zu rechtfertigen. Darüber hinaus hat es keine ausreichende Einzelfallprüfung vorgenommen und den streitigen Vortrag der Klägerin nicht aufgeklärt.

a) Der Beklagte hat substantiiert Umstände dargelegt, die eine persönliche Nichteignung der Klägerin indizieren; denn die Klägerin übte das Amt des Parteisekretärs insgesamt elf Jahre lang und das des stellvertretenden Direktors acht Jahre lang aus. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts mußte der Beklagte keine zusätzlichen Umstände zur Rechtfertigung der Kündigung vortragen.

aa) Der Parteiapparat unterhalb der Ebene der SED-Kreisleitung umfaßte auch die ehrenamtlichen Parteisekretäre an Schulen. Sie waren immer Mitglied der Schulleitung, hatten Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen. Der Parteisekretär kontrollierte und überwachte den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele. Er leitete die Parteiversammlung. Er war verantwortlich für die politische Bildung der Kinder, Jugendlichen und Lehrer. Er hatte über das politische Klima der Schule an die SED-Kreisleitung zu berichten. Er war damit Repräsentant der staatstragenden Partei SED in der Schule. Wurde dieses wichtige Amt wiederholt ausgeübt, ist die besondere Identifikation des ehrenamtlichen Parteisekretärs mit den Zielen des SED-Staates indiziert (Senatsurteile vom 16. Dezember 1993 – 8 AZR 15/93 – n.v., zu B II 2 der Gründe; vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 2c aa der Gründe; vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 195/93 – n.v., zu B Ib der Gründe; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 128/93 – n.v., zu B III 3a der Gründe).

bb) Diese Indizwirkung wird verstärkt durch die Tätigkeit als stellvertretender Direktor. Dessen Amt bezog sich nicht ausschließlich auf den organisatorischen Ablauf des Schulgeschehens, war vielmehr parteinah ausgerichtet (vgl. Senatsurteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 2c bb der Gründe; – 8 AZR 613/92 – n.v., zu B II 3b bb der Gründe). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann dabei den zeitlichen Abläufen der einzelnen Funktionen der Klägerin Bedeutung zukommen.

b) Das Landesarbeitsgericht hätte dem Vortrag der Klägerin zu ihrer konkreten Amtsausübung nachgehen müssen. Es hätte im Wege einer Einzelfallprüfung würdigen müssen, ob die Klägerin Umstände dargelegt hat, die die sich aus der Wahrnehmung der Ämter ergebenden Zweifel an ihrer Verfassungstreue beseitigen können. Dies hat das Landesarbeitsgericht unterlassen und auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die dem Senat eine eigene Sachentscheidung ermöglichen würden.

Der Vortrag der Klägerin, sie habe das Parteiamt im Jahre 1973 nur widerwillig übernommen und sei dieser Tätigkeit 1983 überdrüssig gewesen, enthält allerdings keine konkreten, nachvollziehbaren und nachprüfbaren Tatsachenbehauptungen. Die Klägerin hat insbesondere nicht vorgetragen, wann, aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln sie sich bemüht habe, aus der Funktion des Schulparteisekretärs entlassen zu werden. Auch läßt ihr Vortrag bisher nicht erkennen, inwiefern im Jahre 1988 Druck gerade auf sie ausgeübt worden ist.

Die Klägerin müßte auch ihre Behauptung substantiieren, sie habe die monatlichen Berichtspflichten nur formal ohne Namensnennung erfüllt. Der Beklagte hat die pauschale Darstellung der Klägerin ausreichend bestritten. Ein substantiiertes Bestreiten ist nicht erforderlich, da der Vortrag der Klägerin weder eigene Handlungen des Beklagten betrifft noch Gegenstand seiner Wahrnehmung war (vgl. nur Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 138 Rz 12). Der Vortrag ist deshalb bisher nicht geeignet, das Indiz mangelnder Eignung zu erschüttern. Der Klägerin ist aber Gelegenheit zu geben, im einzelnen darzustellen, welcher Art ihre monatlichen Berichte waren, und hierfür die ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel zu benennen. Sie trägt insoweit die Darlegungslast. An dem Grundsatz, daß der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozeß die Kündigungsgründe zu beweisen hat (Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 1 Rz 544 ff.; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 181 ff.; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 275 ff.; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 248 ff.), ändert sich dadurch nichts. Sofern die Klägerin im erneuten Berufungsverfahren die Indizwirkung durch nachprüfbaren substantiierten Vortrag zu erschüttern vermag, kann sich der Beklagte nicht mehr mit Bestreiten begnügen. Es wäre dann seine Sache, den Beweis der mangelnden Eignung zu führen. Er kann sich dabei auf die von der Klägerin anzugebenden Beweismittel stützten und weitere Tatsachen in den Prozeß einführen, die er im Bestreitensfalle ebenfalls beweisen müßte. Eine etwaige Beweislosigkeit ginge zu seinen Lasten.

Für die Eignungsbeurteilung kann ferner eine etwaige offene und kritische Haltung der Klägerin in den Anleitungssitzungen von Bedeutung sein. Soweit die Klägerin ausführt, ihre Vorschläge seien abgeblockt worden, wird sie deren Inhalt näher darstellen müssen. Der Beklagte mag sich dann auf die von der Klägerin genannte ehemalige Parteisekretärin M… P… als Zeugin berufen. Die vom Landesarbeitsgericht vorzunehmende Gesamtabwägung wird als weiteren Aspekt der früheren Tätigkeit der Klägerin ihre Behandlung christlich eingestellter Schüler, darunter Zeugen Jehovas, ebenso wie ihr Verhalten nach der Wende einbeziehen müssen. Der Senat sieht von weiteren Hinweisen ab, da nicht abzusehen ist, welchen Vortrag die Parteien im erneuten Berufungsverfahren im einzelnen erbringen werden.

c) Die Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen “eigene Vorgaben” des Beklagten unwirksam. Etwaige Vorgaben entfalten für sich allein keine Außenwirkung und binden auch den Beklagten nicht. Die Klägerin hat jedenfalls nicht vorgetragen, der Beklagte habe alle Kündigungen von politisch belasteten Lehrkräften nach bestimmten Richtlinien durchgeführt und sei davon nur im Falle der Klägerin ohne Grund abgewichen. Sie hat auch nicht geltend gemacht, der Beklagte habe einen Vertrauenstatbestand gesetzt und die Kündigung stelle ein widersprüchliches Verhalten dar.

III. Sofern das Berufungsgericht im erneuten Berufungsverfahren die Rechtswirksamkeit der Kündigung bejaht, kommt die Kündigungsfrist des § 55 Abs. 2 AGB-DDR zum Zuge. Die Anwendung dieser Vorschrift folgt aus Abs. 4 Satz 4 EV. Die Kündigungsfrist von drei Monaten zum Schuljahresende gemäß § 9 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 29. November 1979 (GBl. I S. 444), zuletzt geändert durch die zweite Verordnung zur Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 25. Januar 1990 (GBl. I S. 24), war nach dem 2. Oktober 1990 nicht mehr anwendbar. Diese Bestimmung gehört nicht zu dem in Anlage II zum Einigungsvertrag aufgeführten DDR-Recht, das seit dem 3. Oktober 1990 als Bundesrecht weitergilt. Dementsprechend könnte sie nur gemäß Art. 9 EV als Landesrecht weitergelten, wenn der Beklagte die Gesetzgebungskompetenz für den Erlaß dieser Kündigungsfristenregelung besäße. Die Regelung der Kündigungsfristen für Lehrkräfte gehört jedoch nicht zum Schulrecht, sondern zum materiellen Arbeitsrecht. Insofern hat der Bund von seinem konkurrierenden Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht.

Die Kündigungsfrist des § 53 Abs. 2 BAT-O findet keine Anwendung. § 53 Abs. 3 BAT-O stellt ausdrücklich klar, daß die Regelungen des Einigungsvertrages in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 vorgehen (BAG Urteil vom 25. März 1993 – 6 AZR 252/92 – BB 1993, 2162 f., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

IV. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist auch hinsichtlich der Verurteilung zur unveränderten Weiterbeschäftigung aufzuheben und zur anderweiten Verhandlung zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat in Abhängigkeit seiner erneuten Entscheidung zum Kündigungsschutzantrag über den Weiterbeschäftigungsantrag neu zu befinden.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Mikosch, Dr. Weiss, Schmidt

 

Fundstellen

Haufe-Index 856682

BAGE, 323

BB 1994, 1360

JR 1994, 528

NZA 1995, 785

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