Die Anhörungsrüge ist bereits unzulässig. Die Voraussetzung des § 321a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, da der Kläger gegen das Urteil Berufung einlegen kann. Er ist mit mehr als 600,00 EUR beschwert, da seine auf Zahlung von 1.869,70 EUR nebst vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage gegen den Beklagten zu 1) komplett abgewiesen worden ist. Daher ist trotz Abweichung von der Rspr. des BGH (siehe unten) auch eine Zulassung der Berufung gemäß Nr. 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO nicht erforderlich. Wäre aber die Berufung nicht bereits wegen der kompletten Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 1) zulässig, hätte das Gericht gem. § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO wegen Abweichung von der BGH-Rechtsprechung (siehe unten) selbstverständlich die Berufung zugelassen.

Dies kann aber dahinstehen, da die Anhörungsrüge auch unbegründet ist. Es ist unerheblich, ob die Beklagten sich gegen die Höhe der vorgerichtlichen Anwaltskosten gewendet haben, denn die Schlüssigkeit der Klage (hier: die Höhe der als Schadensersatz verlangten vorgerichtlichen Anwaltskosten) hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen. Da nur eine Nebenforderung betroffen war, musste das Gericht gem. § 139 Abs. 2 ZPO auf seine Rechtsansicht nicht hinweisen. Art. 103 Abs. 1 GG begründet insoweit keine strengeren Anforderungen. Dass § 139 Abs. 2 ZPO, soweit es das Gericht von Hinweispflichten freistellt, wenn nur eine Nebenforderung betroffen ist, verfassungswidrig sei, ist nicht erkennbar und, soweit ersichtlich, auch noch niemals behauptet worden.

Kostennachteile sind dem Kläger aus der geringfügigen Teilabweisung der Klage gegen die Beklagte zu 2) nicht entstanden. Im Übrigen räumt der Kläger in seiner Anhörungsrüge selbst ein, dass es seinem Prozessbevollmächtigten bekannt ist, dass der zuständige Abteilungsrichter vorgerichtliche Anwaltskosten regelmäßig nur in Höhe einer 1,3-Gebühr gem. Nr. 2300 VV zuspricht. Die vorliegende Entscheidung konnte daher für ihn nicht überraschend kommen, vielmehr hätte er seinen Vortrag hierauf ausrichten können.

Unerheblich ist, dass im Vollstreckungsbescheid gegen den Halter des unfallverursachenden Pkw) eine 1,5-Gebühr gemäß Nr. 2300 VV tituliert worden ist. Der Kläger ist bereits darauf hingewiesen worden, dass dieser Vollstreckungsbescheid keine Bindungswirkung gegen die Beklagten des vorliegenden Rechtsstreits entfaltet.

Die behauptete inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung, insbesondere eine Abweichung von der BGH-Rspr., kann mit der Anhörungsrüge nicht geltend gemacht werden. Zudem trägt der Kläger ausdrücklich vor, seinem Prozessbevollmächtigten sei die "regelmäßige" – also sich über eine längere Zeit erstreckende – Praxis des zuständigen Abteilungsrichters bekannt, nur eine 1,3-Gebühr gem. Nr. 2300 VV zuzusprechen. Er hätte also lange genug Zeit und Anlass gehabt, auf das Urteil des BGH v. 13.1.2011 hinzuweisen.

Im Übrigen beruht die Entscheidung auch nicht auf der behaupteten Gehörsverletzung. Das Gericht hätte genauso entschieden, wenn der Kläger alles das, was er jetzt in der Anhörungsrüge vorgetragen hat, schon vor Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte. Das Gericht bleibt dabei, dass vorliegend nur eine 1,3-Gebühr gemäß Nr. 2300 VV zugesprochen werden kann. Es handelt sich um einen durchschnittlich schwierigen Verkehrsunfall. Es gab – anders als bei vielen anderen Verkehrsunfällen – weder Streit um die Haftungsquote noch um die Schadenshöhe. Einziger Streitpunkt war, ob es den Unfall überhaupt gegeben hat bzw. ob er fingiert war und wer Fahrer des unfallverursachenden Fahrzeuges war. Dies war eine eher einfache tatsächliche Frage ohne rechtliche Probleme. Dass es um einen "bedeutenden Vermögenswert" geht, ist bei Verkehrsunfällen die Regel.

Zum Urteil des BGH v. 13.1.2011 (IX ZR 110/10 [= AGS 2011, 120]) gilt Folgendes: Grundsätzlich ist es aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung aller Rechtsunterworfenen anzustreben, der Rechtsprechung des BGH, die ja zumeist auch überzeugend und juristisch gut begründet ist, zu folgen. Dies ändert aber nichts daran, dass es in Nr. 2300 VV ausdrücklich heißt: "Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war." Der eindeutige Gesetzeswortlaut ist insoweit bindend und kann auch nicht mit einer "Toleranzrechtsprechung" umgangen werden. Die Rspr. des BGH würde dazu führen, dass in durchschnittlichen Fällen jeder Rechtsanwalt unter Berufung auf einen gerichtlich nicht nachprüfbaren Spielraum innerhalb der Toleranzgrenze von 20 % entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut eine 1,5-Gebühr gemäß Nr. 2300 VV verlangen könnte. Der Aufgabe und Befugnis zur "schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung" sind mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung jedoch Grenzen gesetzt. Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grunde...

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