1. Anfall der Geschäftsgebühr

Nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV entsteht die Geschäftsgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Vorliegend hatte der Kläger für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Rechtsanwalts eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV geltend gemacht, deren gesetzlicher Rahmen von 0,5 bis 2,5 reicht. Nach der Anm. zu Nr. 2300 VV in der hier anwendbaren bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung des RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Voraussetzungen hat der Kläger hier als erfüllt angesehen und eine 2,0-Geschäftsgebühr verlangt.

2. Bestimmung der Gebührenhöhe im Einzelfall

Bei einer Rahmengebühr wie hier in Nr. 2300 VV vorgesehen, bestimmt der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Dieses Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts gilt jedoch nicht unbeschränkt. Nach der Anm. zu Nr. 2300 VV kann eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 nämlich nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (BGH AGS 2012, 373 m. Anm. Schons = zfs 2012, 584 m. Anm. Hansens = RVGreport 2012, 375 [Hansens]; BGH AGS 2007, 28 m. Anm. Schons = zfs 2007, 102 m. Anm. Hansens = RVGreport 2007, 21 [Ders.]).

Ist die Geschäftsgebühr – wie es vorliegend der Fall war – von einem Dritten zu ersetzen, trägt der ersatzpflichtige Dritte (hier die beklagte Volkswagen AG) gem. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG die Darlegungs- und Beweislast für die Unbilligkeit der getroffenen Bestimmung (BGH RVGreport 2011, 145 [Hansens]). Dies gilt grds. auch dann, wenn das Bestimmungsrecht nach der Anm. zu Nr. 2300 VV eingeschränkt ist.

3. Die Argumentation des OLG Stuttgart

In seinem dem Revisionsurteil des BGH vorangegangenen Berufungsurt. v. 20.12.2019 (5 U 202/18) hat das OLG Stuttgart die Auffassung vertreten, dem Rechtsanwalt des Klägers stehe lediglich die Geschäftsgebühr i.H.d. Schwellengebühr mit einem Gebührensatz von 1,3 zu. Die Angelegenheit sei nämlich weder in zeitlicher noch in qualitativer Hinsicht überdurchschnittlich.

a) Umfang der anwaltlichen Tätigkeit

Das OLG Stuttgart hat darauf hingewiesen, dass bei dem Umfang der zeitliche Aufwand zu berücksichtigen ist, den der Rechtsanwalt auf die Sache habe verwenden müssen. Das OLG hat dem Kläger zugestanden, dass die vorgerichtliche Tätigkeit seiner Rechtsanwälte Kenntnisse der technischen Grundfunktionen eines Dieselmotors voraussetzt und diese den Alltag des durchschnittlichen Anwalts nicht betreffen und somit eine erhebliche Einarbeitungszeit erforderten. Hierbei hat das OLG Stuttgart jedoch berücksichtigt, dass die Einarbeitungszeit, wie dem Senat aus einer Vielzahl von im Wesentlichen gleich gelagerten Fällen, die die Rechtsanwälte des Klägers betreut hätten, nicht auf den vorliegenden Fall bezogen sei, sondern sich auf eine erhebliche Vielzahl von Fällen ausgewirkt habe. Folglich sei die tatsächliche Einarbeitungszeit auf diese Vielzahl von Fällen umzurechnen und zu beschränken. Das OLG Stuttgart hat den Rechtsanwälten zugestanden, dass diese durchaus eine nicht unerhebliche Einarbeitungszeit aufgewandt hätten, allerdings nicht (allein) für den vorliegenden Fall. Folglich habe sich die auf gerade diesen Fall bezogene Einarbeitungszeit nicht in der Weise ausgewirkt, dass durch sie der konkrete Fall selbst überdurchschnittlich zeitaufwendig geworden wäre.

Gleiches gilt nach Auffassung des OLG Stuttgart für die rechtliche Einarbeitung in diesen Fall. Infolge der Vorlage einer Vielzahl von Gerichtsurteilen durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst sei dem Senat bekannt, dass die rechtlichen Fragestellungen für alle Fälle nahezu identisch seien. Deshalb greife der Aspekt der Rationalisierung ein. Die rechtliche Einarbeitung in die Besonderheiten der Fälle zum sogenannten Dieselskandal möge erheblichen zeitlichen Aufwand in Anspruch genommen haben. Umgerechnet auf den einzelnen und damit auch auf den hier vorliegenden Fall falle der erforderliche Aufwand bei der rechtlichen Bearbeitung jedoch nicht entscheidend ins Gewicht.

b) Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit

Nach den weiteren Ausführungen des OLG Stuttgart betrifft die Schwierigkeit die inhaltliche anwaltliche Tätigkeit. Als Maßstab seien die Kenntnisse eines durchschnittlichen, nicht spezialisierten Rechtsanwalts anzulegen. Die anwaltliche Tätigkeit sei dann schwierig, wenn erhebliche, im Normalfall nicht auftretende Fragestellungen zu bearbeiten seien. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese Fragestellungen auf nichtjuristischem, tatsächlichem Gebiet (z.B. technische Fragestellungen) oder juristischem Gebiet (z.B. Fragen auf entlegenen Spezialgebieten, die noch wenig geklärt sind) liegen würden.

Unter Berücksichtigung dieser beiden Aspekte hat das OLG Stuttgart vorliegend die anwaltliche Tätigkeit der Rechtsanwälte des Klägers als nicht schwierig bewertet. Bezüglich der nichtjuristischen, tatsächlichen Fragestellungen erschöpfe sich der Bearb...

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