Das Wichtigste in Kürze:

1. Das AER ist grds. auf den Verteidiger beschränkt. Dieser nimmt jedoch bei der Ausübung (nur) ein Recht des Beschuldigten wahr.
2. Hinsichtlich eines AER des Beschuldigten ist zu unterscheiden, ob dieser verteidigt ist oder nicht.
3. Der Begriff des Verteidigers i.S. des § 147 ist weit auszulegen.
4. Dem Beschuldigten selbst kann gestattet werden, ausnahmsweise im Beisein seines Verteidigers AE zu nehmen.
5. Das AER erlischt mit dem Ende des Mandatsverhältnisses.
6. Das AER kann dem Verteidiger nicht entzogen werden.
 

Rdn 286

 

Literaturhinweise:

Böse, (K)ein Akteneinsichtsrecht für den Beschuldigten? – Die Entscheidungen des EGMR und des LG Mainz, StraFo 1999, 293

Bosch, Akteneinsicht, Aussageverweigerung und U-Haft – ein in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehenes Theater, StV 1999, 333

Danckert, Das Recht des Beschuldigten auf ein unüberwachtes Anbahnungsgespräch, StV 1986, 31

Dedy, Die Neuregelung des Akteneinsichtsrechts durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts (Strafverfahrensänderungsgesetz 1999) – Fortschritt oder Stillstand?, StraFo 2001, 149

Deumeland, Das persönliche Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten, PStR 2003, 111

Haas, Zu den Auswirkungen der Entscheidung des EGMR zur Akteneinsicht von Beschuldigten am Beispiel der Entscheidung des LG Mainz, NStZ 1999, 442

Schlegel, Das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten im Strafverfahren, HRRS 2004, 411

Traut/Cunningham, Akteneinsichtsrecht des Verteidigers mit Kanzleisitz im Ausland – Theorie und Praxis, StraFo 2017, 222

s.a. die Hinw. bei → Akteneinsicht, Allgemeines, Teil A Rdn 226.

 

Rdn 287

1. Das AER ist grds. auf den Verteidiger beschränkt (zum Begriff des Verteidigers Teil A Rdn 294). Dieser nimmt jedoch bei der Ausübung – so die allg. Meinung – (nur) ein Recht des Beschuldigten wahr (KK-Willnow, § 147 Rn 2). Träger des AER ist/bleibt der Beschuldigte.

2. Hinsichtlich des AER des Beschuldigten ist zu unterscheiden:

 

Rdn 288

a) Der (verteidigte) Beschuldigte selbst hat im Strafverfahren nach h.M. keinen Anspruch auf AE (Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn 2 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 1.9.2020 – 2 StR 45/20, StV 2021, 150 [Ls.; nur ausnahmsweise (im Revisionsverfahren)]; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2001, 374 m.w.N.; a.A. Böse StraFo 1999, 293; wohl auch Schlegel HRRS 2004, 411 ff., der dies aus der Regelung des § 147 Abs. 7 a.F. abgeleitet hat), und zwar auch dann nicht, wenn er Richter oder Rechtsanwalt ist (LG Mainz NJW 1999, 1271). Eine andere Frage ist es, ob dem Beschuldigten gestattet werden kann, im Beisein seines Verteidigers AE zu nehmen (dazu u. Teil A Rdn 299). Im OWi-Verfahren hat allerdings auch der (verteidigte) Betroffene im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nach § 49 Abs. 1 OWiG selbst das Recht – unter Aufsicht – die Akten einzusehen (wegen der Einzelh. → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Akteneinsicht, Teil B Rdn 1532; zur AE des Betroffenen im OWi-Verfahren eingehend auch Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 180 ff.; Göhler/Seitz/Bauer, § 49 Rn 1 ff.).

 

Rdn 289

b)aa) Für den nicht verteidigten Beschuldigten hat sich die frühere Rechtslage (dazu 7. Aufl. Rn 205) durch die Aufhebung des § 147 Abs. 7 a.F. und die Neufassung des § 147 Abs. 4 durch das "Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs v. 5.7.2017" grundlegend geändert (dazu BT-Drucks 18/9416, S. 60). Hintergrund ist die Gewährleistung eines fairen Verfahrens (vgl. BT-Drucks, a.a.O.).

 

☆ Dem (unverteidigten) Beschuldigten ist jetzt in § 147 Abs. 4 ein generelles AER eingeräumt worden.generelles AER eingeräumt worden.

 

Rdn 290

§ 147 Abs. 4 bestimmt: Der Beschuldigte, der keinen Verteidiger hat, kann in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 3 die Akten einsehen und unter Aufsicht auch amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit der Untersuchungszweck auch in einem anderen Strafverfahren nicht gefährdet werden kann und überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt (§ 32e), können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten bereitgestellt werden. Es gelten danach also folgende

 

Rdn 291

 

Voraussetzungen für AE des Beschuldigten

Nach § 147 Abs. 4 S. 1 hat nur der unverteidigte Beschuldigte ein Recht auf AE. Hat der Beschuldigte einen Verteidiger, muss dieser sein AER geltend machen (BGH, Beschl. v. 1.9.2020 – 2 StR 45/20, StV 2021, 150 [Ls.; für Revisionsverfahren]; SSW-StPO-Beulke, § 147 Rn 47; Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn 19). In Ausnahmefällen kann aber auch dem verteidigten Beschuldigten AE gewährt werden, wenn ohne diese AE die Effektivität der Verteidigung beeinträchtigt sein könnte, z.B. dann, wenn dem Verteidiger angesichts des Umfangs des Aktenmaterials nicht genügend Zeit für die Unterrichtung des Beschuldigten/Angeklagten über den Verfahrensgegenstand verbleibt und es zudem in besonderem Maße auf dessen Kenntnis zum prozessgegenständlichen Lebenssachverhalt ankommt (BGH, a....

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