Rdn 35

 

Literaturhinweise:

S.a. die Hinw. bei → Ablehnung eines Richters, Allgemeines, Teil A Rdn 2, und bei → Ablehnungsgründe, Befangenheit, Allgemeines, Teil A Rdn 17.

 

Rdn 36

1. Das (bisherige) Verhalten des Richters oder (früher gemachte) Äußerungen können die Ablehnung begründen, wenn deshalb die Besorgnis begründet ist, dass er nicht unvoreingenommen an die Sache herangehen wird (Meyer-Goßner/Schmitt, § 24 Rn 15 m.w.N.), wobei ggf. eine Gesamtschau vorzunehmen ist (BGH StV 2013, 372; NStZ-RR 2013, 168 [für Spannungen im Verhältnis zur StA]; KG NJW 2009, 96; OLG Düsseldorf NJW 2010, 1158 [Ls.]).

 

Rdn 37

2. Auch in diesem Bereich gibt es eine umfangreiche Kasuistik. Hinzuweisen ist hier auf folgende Rechtsprechungsbeispiele:

 

Rdn 38

 

Allgemeine Befangenheitsgründe bejaht

wenn der Richter die Schriftsätze des Verteidigers (und Entscheidungen des ihm übergeordneten Gerichts) mit Fragezeichen, Kommentierungen und Unterstreichungen versehen hat (AG Tiergarten StV 1988, 248),
wenn der Richter nach der Religionszugehörigkeit der zur Prüfung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten beauftragten SV fragt und diese Frage in keinem sachlichen Zusammenhang zu anhängigen Verfahren steht (LG Berlin StV 2014, 331),

insbesondere dann, wenn der Richter von der Schuld des Beschuldigten bereits endgültig überzeugt zu sein scheint, was angenommen worden ist, wenn er entsprechende Äußerungen gegenüber dem Verteidiger abgegeben hat (BGHSt 26, 298) wie z.B.:

Bezeichnung der Einlassung als "schwachsinnig" (OLG Schleswig StV 2008, 290) und Mitteilung über Rat an die SV, "sich für die HV warm anzuziehen", in einem Telefonat mit dem Verteidiger (LG Mainz StV 2004, 531),
wenn geäußert wird, zu bestimmten rechtlichen Fragen könne ja in der Rechtsbeschwerde vorgetragen werden (AG Frankfurt zfs 2004, 187),
Äußerung nach Zulassung der Nebenklage an den Verteidiger "Ihre erste Niederlage, Herr Verteidiger" (s.a. OLG Brandenburg StV 1997, 455 f.), OLG Koblenz StraFo 2004, 186 [Äußerung: "Ich werde das Fahrverbot nicht entfallen lassen", und, ob der Betroffene bei einer Prostituierten gewesen sei und aus diesem Grund die Aussage verweigere]),
Beginn mit der Urteilsabsetzung schon während des Plädoyers des Verteidigers (AG Wildeshausen DAR 2017, 405; AG Wildeshausen DAR 2017, 405; s. aber BGHSt 11, 74, 89; OLG Köln NStZ 2005, 710),
wenn der Richter die dem Beschuldigten zur Last gelegten Vorgänge der Presse als schon feststehend mitgeteilt hat (BGHSt 4, 264; BGH NJW 2006, 3290 [nicht allein für Kontakte zur Presse zwecks Wiedergutmachung nach einer negativen Presseberichterstattung]; dazu Ziegler StraFo 1995, 70 ff.; zur Medienarbeit der Strafjustiz und sich daraus ggf. ergebenden Folgen für das Verfahren ­Boehme-Neßler StraFo 2010, 456, insbesondere 459 ff., und Türg NJW 2011, 1040),
wenn sonst (in der HV) erkennbar wird, dass der Richter bereits von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, so z.B., wenn der Richter nach Unterbrechung zur Beratung über Beweisanträge auf die Beanstandung, die Unterbrechung sei zu kurz, antwortet: "Meinen Sie, wir könnten die Anträge noch schneller ablehnen?" (BGH NStZ 2006, 49, in einem Mordverfahren, in dem fünf Beweisanträge auf Einholung eines SV-Gutachtens gestellt worden waren; ähnlich BGH NStZ-RR 2016, 66 [Ci/Zi]),
ggf. aufgrund von Äußerungen, die der Richter in wissenschaftlichen Fachpublikationen/Festschrift gemacht hat, wobei es nicht darauf ankommt, ob er die Folge seiner Äußerungen hätte erkennen müssen und ob ihm der Vorwurf einer Verletzung seiner Dienstpflichten zu machen ist (BVerfG NJW 1996, 3333; s. zur Befangenheit infolge einer veröffentlichten wissenschaftlichen Meinung auch BVerfG NJW 1999, 413; dazu auch BGH, Beschl. v. 4.2.2014 – 3 StR 243/13 und BGH, Beschl. v. 7.11.2018 – IX ZA 16/17, NJW 2019, 308 [Mitwirkung des abgelehnten Richters an einer juristischen Festschrift zu Ehren des Beklagten im Zivilverfahren]),
bei außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen mit einzelnen Angeklagten unter Ausschluss von Mitangeklagten, wenn nicht die notwendige Transparenz für die übrigen Verfahrensbeteiligten eingehalten wird, etwa indem das Gericht diese in der nachfolgenden HV über die Gespräche informiert und Fragen zu den Gesprächen zulässt (ähnlich BGH, Beschl. v. 10.1.2019 – 5 StR 648/18, NStZ 2019, 223; s.a. auch LG Hamburg, Beschl. v. 13.6.2019 – 617 KLs 35/18 jug., StV 2020, 159),
ggf., wenn der Richter nicht willens ist, den Sachverhalt aufzuklären (Fromm zfs 2020, 368, 370 für das Bußgeldverfahren).
 

Rdn 39

 

Allgemeine Befangenheitsgründe verneint

allein wegen Einzelgesprächen mit allen Verfahrensbeteiligten außerhalb der HV über Verfahrensabsprachen (BGH NStZ 2008, 229; 2016, 357; s. aber NStZ 2009, 701; zur Informationspflicht BGH StV 2011, 72 und NStZ 2012, 519 mit. Anm. Burhoff StRR 2012, 221 [Verständigungsgespräche in Verfahren mit mehreren Angeklagten]; s. aber a. LG Schwerin StV 2018, 153 [Ls.]; Isfen ZStW 2013, 325 ff.; → Absprachen/Verständigung, Zus...

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