Rz. 40

Die Abhilfebefugnis des Ausgangsgerichts ist durch § 68 Abs. 1 S. 2 FamFG ausgeschlossen, wenn sich die Beschwerde gegen eine Endentscheidung im Sinn des § 38 Abs. 1 S. 1 FamFG in einer Familiensache richtet (zur einstweiligen Anordnung siehe § 7 Rdn 51). Wird dennoch abgeholfen, ist diese Entscheidung unwirksam und auf ein Rechtsmittel hin aufzuheben.[113] Lediglich bei sofortigen Beschwerden gegen Zwischen- oder Nebenentscheidungen, die sich nach der ZPO richten (siehe Rdn 10), obliegt dem Ausgangsgericht die (Abhilfe-)Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit der sofortigen Beschwerde (§ 572 Abs. 1 ZPO).

 

Rz. 41

Das Beschwerdegericht prüft neben der Statthaftigkeit des Rechtsmittels die Wahrung von Form und Frist. Bei etwaigen Mängeln ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (§ 68 Abs. 2 FamFG).

 

Rz. 42

Ist die Beschwerde zulässig, so richtet sich der Ablauf des Beschwerdeverfahrens nach den Vorschriften des ersten Rechtszuges, § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG. Allerdings hat das Beschwerdegericht gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG die Möglichkeit, von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen abzusehen, wenn diese erstinstanzlich bereits umfassend und verfahrensfehlerfrei[114] vorgenommen wurden, wie etwa Anhörungen und Beweisaufnahmen, und von einer erneuten Vornahme keine weiteren entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies entspricht den bisherigen verfassungsgerichtlichen Anforderungen an das Absehen von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren.[115] Ob weitere für die Entscheidung ausschlaggebende Erkenntnisse zu erwarten sind, hängt davon ab, ob sich aus dem Akteninhalt hierfür Anhaltspunkte entnehmen lassen. Es muss hierfür eine realistische Wahrscheinlichkeit bestehen, so dass allein die diesbezügliche Beurteilung eines Verfahrensbeteiligten nicht ausreicht.[116] Ist eine erforderliche persönliche Anhörung in erster Instanz verfahrensfehlerhaft unterblieben bzw. erfolgt, so muss sie im Beschwerdeverfahren auch dann durchgeführt werden, wenn der Anzuhörende auf eine (ggf. erneute) Anhörung verzichtet.[117]

 

Rz. 43

Auch nach der Rechtsprechung des EuGHMR kann in der Rechtsmittelinstanz von der mündlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn eine solche bereits erstinstanzlich stattgefunden hat und es in zweiter Instanz nur um eine rechtliche Überprüfung geht, weil ohne eigene Tatsachenermittlungen aufgrund der Aktenlage entschieden werden kann; anders ist es, wenn der Fall und die tatsächlichen Fragen schwierig sind und erhebliche Bedeutung haben.[118] Die Gerichte werden daher § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG konform mit der EMRK auslegen und bei ihrer Ermessenausübung die Rechtsprechung des EuGHMR beachten müssen. Denn nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind die bundesdeutschen Behörden und Gerichte verpflichtet, die EMRK in der Auslegung durch den EuGHMR bei ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.[119] Im Rahmen des den Gerichten hierbei eingeräumten Ermessens werden die Besonderheiten des Einzelfalles eine besondere Bedeutung besitzen, wie etwa die Tatsache einer bestehenden anwaltlichen Vertretung und die damit einhergehende Erwartung, dass die entscheidungsrelevanten Aspekte vorgetragen wurden. In Kindschaftssachen wird zudem zu berücksichtigen sein, welcher Zeitraum etwa seit der letzten Kindesanhörung vergangen ist.[120]

Über die Frage, ob von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen wird, entscheidet der Senat als "Beschwerdegericht", soweit nicht die Beschwerde dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen wurde (siehe dazu Rdn 7).

 

Rz. 44

Ein Hinweis des Beschwerdegerichts darauf, dass es der Beurteilung des Familiengerichts nicht folgen wird, ist nicht erforderlich, wenn der Beschwerdeführer den entsprechenden zentralen Punkt des Streitfalles selbst ausdrücklich zur Überprüfung des Beschwerdegerichts gestellt hat.[121]

[113] OLG Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2013 – 3 UF 39/13, juris.
[114] Siehe dazu etwa BGH FamRZ 2010, 1060 m. Anm. Völker; BGH FamRZ 2012, 1556.
[116] Maurer, FamRZ 2009, 465.
[117] Vgl. BGH FG Prax 2014, 39.
[118] BT-Drucks 16/6308, S. 207.
[119] Siehe nur BVerfGE 111, 307 [Görgülü].
[120] VerfG Brandenburg, Beschl. v. 19.10.2012 – 72/12, juris (6 Monate bei Umgangsabänderung betreffend ein vierjähriges Kind annähernd Obergrenze); OLG Köln FamRZ 2014, 64; siehe aber auch VerfGH Berlin, Beschl. v. 25.4.2006 – 127/05, juris (9 Monate, überwiegend höchst konträrer Sachvortrag, ersichtlich veränderte Umstände).
[121] BGH FamRZ 2014, 105; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 7.5.2015 – 6 UF 144/15 (n.v.).

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