Rz. 1

Rechtsberater (Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und ihre Gesellschaften) – und andere berufliche Fachleute – haften ihren Auftraggebern für eine schuldhafte Pflichtverletzung aus dem Vertrag und/oder aus Deliktsrecht. Insoweit steht die "Dritt-, Berufs-, Expertenhaftung" auf den sicheren rechtlichen Fundamenten eines – regelmäßig vorliegenden – Dienstvertrages oder – ausnahmsweise – eines Werkvertrages, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (§ 675 Abs. 1 BGB; vgl. § 1 Rdn 5 ff., § 2 Rdn 3) bzw. der Vorschriften über unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff. BGB; vgl. § 15 Rdn 1 ff.).

 

Rz. 2

Anders ist es mit einer beruflichen Haftung der Rechtsberater – und anderer Sachkenner – wegen mangelhafter Beratung sowie fehlerhafter Auskünfte und Erklärungen gegenüber Dritten ("Dritthaftung gegenüber Nichtmandanten"), die nicht durch ein Mandatsverhältnis mit dem Fachmann verbunden sind. Erstellt z.B. ein Rechtsberater im Auftrag seines Mandanten eine falsche Expertise, die ein Dritter zur Grundlage einer ihm nachteiligen Vermögensentscheidung macht, so entstehen Probleme "im Niemandsland zwischen Vertrag und Delikt".[1]

 

Rz. 3

Zur Lösung dieses Problems hat die Rechtswissenschaft zahlreiche Wege vorgeschlagen.[2] Die Rechtsprechung hat – begleitet von Zustimmung und Kritik – insoweit ihren eigenen Weg eingeschlagen. Sie geht davon aus, dass einerseits das Deliktsrecht das Vermögen nur unzulänglich schützt (vgl. § 10 Rdn 3), es andererseits Schädigungen Dritter durch berufliche Fachleute gibt, die nach dem Gerechtigkeitsempfinden eine Haftung als unumgänglich erscheinen lassen. Für solche Fälle hat die Rechtsprechung Haftungsgrundlagen auf vertraglicher und vorvertraglicher Ebene entwickelt,[3] die dem geschädigten Dritten mehr Vorteile bieten als das Deliktsrecht (vgl. § 10 Rdn 3), insb. einen besseren Schutz bei fahrlässiger Schädigung und bei Schadenszufügung durch Gehilfen des Schädigers sowie einen erleichterten Verschuldensnachweis.

Danach kann etwa ein Rechtsberater, der für seinen Auftraggeber (Mandanten) tätig wird, einem Dritten haften, wenn dieser auf die Richtigkeit und Vollständigkeit eines Gutachtens, einer Auskunft, eines Jahresabschlusses oder einer sonstigen (z.B. Bonitäts-) Erklärung des Rechtsberaters vertraut und deswegen eine Vermögensverfügung (z.B. Kreditgewährung, Kauf, Vermögensanlage) vornimmt, die für ihn zu einem Schaden führt, weil die Expertise des Rechtsberaters falsch oder unvollständig ist (vgl. § 10 Rdn 27 ff.).

 

Rz. 4

Im Ergebnis hat diese Rechtsprechung – grob gesagt – zu einer Vertrauenshaftung der beruflichen Sachkenner ggü. Dritten auf überwiegend vertraglicher und vorvertraglicher Grundlage mit intensiver – zuweilen extensiver – Auslegung von Vertragserklärungen geführt; dabei behält die Rechtsprechung eine Haftung aus unerlaubter Handlung – insb. aus § 826 BGB – im Auge (vgl. § 15 Rdn 1 ff., 128 ff.). Ihren Weg hält die Rechtsprechung für denjenigen, der, solange der Gesetzgeber die berufliche Dritthaftung keiner geschlossenen Regelung zuführt, dem geltenden Recht am besten entspricht.

 

Rz. 5

Das Gesetz bietet mit den Vorschriften über den Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB) eine Regelung, Belange eines Dritten bei Abschluss und Abwicklung eines Vertrages zu berücksichtigen (vgl. § 9 Rdn 1 ff.). Im Bereich der Rechtsbetreuung können v.a. Treuhandverträge zugunsten eines oder mehrerer Nichtmandanten geschlossen sein (vgl. § 9 Rdn 9, § 12 Rdn 23).

 

Rz. 6

Zu einem Schwerpunkt der beruflichen Dritthaftung hat sich – in entsprechender Anwendung der §§ 328 ff. BGB – der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter entwickelt (vgl. § 10 Rdn 1 ff.). Ergibt eine Auslegung – notfalls eine ergänzende Auslegung – des Vertragsinhalts den Willen der Vertragspartner, einen Dritten in den Schutzbereich ihres Vertrages einzubeziehen, kann der Dritte aus dem fremden Vertrag einen eigenen Schadensersatzanspruch wegen einer ihn beeinträchtigenden vertraglichen Leistungsstörung erwerben. Dies erfordert eine Abgrenzung vom anerkannten Institut der Drittschadensliquidation (vgl. § 10 Rdn 80 ff.).

Die Grenzen des Ausnahmeinstituts eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter müssen eng gezogen werden, um der Gefahr vorzubeugen, dass ein fiktiver Wille der Vertragspartner zum Schutz eines Dritten angenommen und damit dem Vertragsschuldner ein unberechenbares – und damit i.d.R. unversichertes – unerträgliches Haftungsrisiko auferlegt wird (vgl. § 10 Rdn 15, 68, 70). Bedenklich ist es, bei Gutachtenverträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter – im Allgemeinen Käufer, Kreditgeber oder Kapitalanleger – die entsprechend anwendbare Vorschrift des § 334 BGB, über die ein Schadensbeitrag des Auftraggebers berücksichtigt werden könnte, insoweit regelmäßig als "stillschweigend" abbedungen anzusehen (vgl. § 10 Rdn 47 f.), um auf diese Weise grds. eine volle Haftung des Sachverständigen zu erreichen.

Die Eigenart des jeweiligen Vertragsrahmens, in dem der Fachmann tätig wird, muss auch bei ...

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