Rz. 116

 

Praxistipp

Zu unterscheiden ist bei der praktischen Behandlung der Fälle zwischen den Gesichtspunkten

der Dauer der Ehe,
der konkreten Dauer einer Berufsunterbrechung bzw. beruflichen Einschränkung durch Teilzeitarbeit und
dem Alter des Unterhaltsberechtigten.

Diesen Unterschieden sollte auch beim Sachvortrag und bei der Argumentation Rechnung getragen werden.

 

Rz. 117

Die Dauer der Ehe[224] – diese umfasst den Zeitraum von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages[225] – als solche hat vor allem Bedeutung für den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes.[226] Das Zeitmoment versteht der BGH daher in ständiger Rspr. lediglich als Hilfsargument verstanden, um den Umfang der wirtschaftlichen Dispositionen der Ehegatten zu erfassen. Je länger die Ehe gedauert hat, desto schwieriger wird die zeitliche Begrenzung sein, weil im Regelfall die wirtschaftliche Verflechtung der Eheleute[227] und die Abhängigkeit normalerweise mit zunehmender Dauer stärker ausgeprägt sind. Die wirtschaftliche Verflechtung tritt insbesondere durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung ein.[228] Entscheidend ist daher nicht der abstrakte Zeitraum der Ehedauer, sondern die Zeit der gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtungen und die Intensität der konkreten wirtschaftlichen Abhängigkeiten, die insbesondere durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit eingetreten ist.[229]

Die lange Ehedauer war regelmäßig ein Indiz für eine enge wirtschaftliche Verflechtung und Abhängigkeit.[230]

Zitat

OLG Hamm v. 13.3.2017 – 13 UF 190/16[231]

Eine in einer Hausfrauenehe gelebte Rollenverteilung führte zu einem hohen Maß an wirtschaftlicher Verflechtung der Beteiligten, die im Rahmen der Billigkeitsüberlegungen zu berücksichtigen ist.

OLG Hamm v. 19.2.2014 – 8 UF 105/12[232]

Der Antragsgegner hat während der Ehe die Meisterschule besucht und erfolgreich abgeschlossen, die Antragstellerin hat ihm insofern den Rücken freigehalten. Die Beteiligten sind gemeinsam Eigentümer einer – vom Antragsgegner teilweise in Eigenarbeit errichteten – Immobilie, die noch nicht auseinandergesetzt ist. Insofern ist von einer fortdauernden wirtschaftlichen Verflechtung der Eheleute auszugehen.

 

Rz. 118

Das Vertrauen konnte sich auch aus besonderen Verhaltensweisen des Unterhaltspflichtigen ergeben, so z.B. einer Erklärung des Unterhaltspflichtigen, die die Unterhaltsberechtigte veranlasst hat, eine Erwerbstätigkeit aufzugeben[233] oder aus der langjährigen Zahlung von Unterhalt.

 

Rz. 119

Auf der Rechtsfolgenseite ist die Befristung im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeits-Gesamtabwägung nicht schematisch an die Dauer der Ehe anzuknüpfen.[234] Die Befristung muss so bemessen sein, dass sich der Berechtigte auf die neue Lebenssituation einstellen kann. Die Ehedauer ist nur ein Anhaltspunkt im Rahmen der nachehelichen Solidarität.

 

Rz. 120

 

Praxistipp

Bei der konkreten Bemessung einer Befristung kommt es weder allein auf die abstrakte Dauer der Ehe noch auf den abstrakten Zeitraum Dauer der Kindesbetreuung an.

Abzustellen ist konkret darauf,

  • wie lange und wie intensiv die Eheleute

    • ihre Lebenspositionen aufeinander eingestellt haben[235]
    • auf ein gemeinsames Lebensziel ausgerichtet haben[236]

wie nachhaltig

  • die gegenseitige Verflechtung und Abhängigkeit der Lebensverhältnisse gewesen ist und
  • sich diese auf die Erwerbsbiografie ausgewirkt hat.[237]
Konkret ist dabei u.a. von Bedeutung
die Vermittelbarkeit des Unterhaltsgläubigers auf dem Arbeitsmarkt
sein Alter und Gesundheitszustand
Art und Dauer der früheren Berufstätigkeit
ungünstige Erwerbsbiografie
Dauer der Unterbrechung der Berufstätigkeit
fehlender oder aktuell nicht mehr einsetzbarer beruflicher Abschluss[238]
Zeitaufwand für erforderliche Re-Integrationsmaßnahmen.
 

Rz. 121

Je weniger eine wirtschaftliche Verflechtung beider Ehepartner und das schützenswerte Bedürfnis eines Ehepartners nach Absicherung durch den Unterhalt festzustellen ist, desto weniger Gewicht hat die Ehedauer.[239]

[224] Dazu Schnitzler, FF 2015, 50–58.
[225] BGH NJW 2013, 144 m. Anm. Born; BGH NJW 2012, 1506 = FamRZ 2012, 776; BGH NJW 2010, 2349 m. Anm. Born = FamRZ 2010, 1238 m. Anm. Borth, FamRZ 2010, 1316 und Anm. Bömelburg, FF 2010, 457–459.
[226] Vgl. Maurer, FamRZ 2008, 2157, 2162, OLG Zweibrücken NJW Spezial 2008, 388; Langheim, FamRZ 2010, 409, 413.
[227] Dazu siehe BGH NJW 2013, 2434 = FamRZ 2013, 1291 m. Anm. Born, BGH FamRZ 2007, 2049 m. Anm. Hoppenz, FamRZ 2007, 2054, 2055; BGH Urt. v. 26.11.2008 – XII ZR 131/07, FamRZ 2009, 406 m. Anm. Schürmann = FPR 2009, 128 m. Anm. Kemper = NJW 2009, 989 = FuR 2009, 204; OLG Köln v. 16.3.2021 – 14 UF 196/19, FF 2021, 326.

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