Rz. 24

Besondere Schwierigkeiten bereitet die Feststellung von Erwerbsschäden bei schwer verletzten Kindern und Jugendlichen, da über deren berufliche Zukunft im Zeitpunkt des Schadeneintritts noch nichts, jedenfalls aber nicht viel, gesagt werden kann. Man kann aber nicht ohne konkrete Anhaltspunkte[21] unterstellen, dass ein verletztes Kind oder Jugendlicher auf Dauer die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten für eine gewinnbringende Erwerbstätigkeit nicht nutzen und ohne Einkünfte bleiben würde.[22]

 

Rz. 25

Die Rechtsprechung neigt dazu, dem Verletzten einen "Schätzungsbonus" zuzubilligen:

Grundsätzlich hat der Schädiger die Prognoseschwierigkeiten zu tragen, vor die ein Verletzter gestellt wird, wenn er ex ante beurteilen soll, ob die Verletzungen ihm die Weiterverfolgung seiner ursprünglichen Pläne erlaubt haben würden.[23]
Verbleibenden Risiken in der Einschätzung ist mit gewissen Abschlägen Rechnung zu tragen.[24] Der BGH[25] hat einen 20%-igen Abschlag wegen Arbeitsplatzrisiken ausdrücklich nicht beanstandet. Es ist Aufgabe des Geschädigten, substantiiert vorzutragen, dass er in dem angestrebten Beruf keinesfalls von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen wäre.
 

Rz. 26

Für die Einschätzung, welchem Erwerb das Kind (hypothetisch zu einem meist noch weit in der Zukunft gelegenen Zeitpunkt oder nach Ausbildungsende) nachgegangen wäre, kann man auf u.a. folgende Faktoren zurückgreifen:[26]

bereits erkennbare Fähigkeiten, Begabungen und Neigungen des Kindes vor dem Unfall,
unfallfremde Gebrechen,[27]
schon begonnene schulische oder berufliche Ausbildungen,[28]
bereits in Gang gesetzte berufliche Pläne für das Kind,
schulische und berufliche Entwicklung von Geschwistern[29] und Kindern (Mitschülern) vergleichbarer familiärer und sozialer Verhältnisse,
Ausbildung, Fortbildung und Beruf der Eltern,[30] eher im Ausnahmefall die Familientradition,
Entwicklung des Kindes nach (und insbesondere trotz[31]) der Verletzung.
 

Rz. 27

Je weiter der schulische und berufliche Vorlauf des Verletzten im Unfallzeitpunkt bereits fortgeschritten war, desto konkreter und besser werden die Grundlagen für die Einschätzung des Erwerbsschadens. In der Regulierungspraxis ähnelt die Festlegung eines Schadenbetrages trotzdem eher einer Weissagung denn einer Prognose. Hier ist das allseitige Bemühen um eine einvernehmliche, alle Seiten befriedende und befriedigende Lösung gefragt.

 

Rz. 28

Der Geschädigte hat darzulegen und zu beweisen, welchen beruflichen Weg seine älteren Geschwister gegangen sind Der Ersatzpflichtige wird darlegen und beweisen müssen, ob besondere berufliche Erfolge nur auf individueller Chancennutzung beruhen oder dem gewöhnlich zu erwartenden Verlauf entsprechen.[32]

 

Rz. 29

Statistische Erkenntnisse können nur mit Zurückhaltung berücksichtigt werden.[33] Dieses gilt umso mehr, wenn dieses Zahlenmaterial nicht auf regionale Besonderheiten abstellen kann.

[21] Zur Darlegungslast BGH v. 10.7.2007 – VI ZR 192/06 – BGHReport 2007, 1123 = BGHZ 173, 169 = DAR 2007, 639 (nur Ls.) = MDR 2007, 1370 (nur Ls.) = r+s 2007, 478 = SP 2007, 353 (nur Ls.) = VersR 2007, 1536 = VRS 113, 267 = zfs 2007, 681 (Anm. Diehl).
[22] BGH v. 6.6.2000 – VI ZR 172/99 – DAR 2000, 527 = MDR 2000, 1334 = NJW 2000, 3287 = NZV 2001, 34 = r+s 2000, 415 = SP 2000, 394 = VersR 2000, 1521 = VRS 99, 343 = zfs 2000, 483; BGH v. 3.3.1998 – VI ZR 385/96 – DAR 1998, 231 = DB 1998, 1561 = EWiR 1998, 393 (Anm. Grunsky) = MDR 1998, 595 = NJW 1998, 1634 = NZV 1998, 279 = r+s 1998, 196 = SP 1998, 241 = VersR 1998, 772 = VRS 95, 1 = zfs 1998, 210; BGH v. 14.1.1997 – VI ZR 366/95 – DAR 1997, 153 = MDR 1997, 347 = NJW 1997, 937 = NZV 1997, 222 = r+s 1997, 158 = SP 1997, 157 = VersR 1997, 366 = VRS 93, 87 = zfs 1997, 131.
[23] BGH v. 5.10.2010 – VI ZR 186/08 – FamRZ 2010, 1977 (nur Ls.) = GesR 2010, 685 = MDR 2010, 1381 = NJW-Spezial 2010, 715 = r+s 2010, 528 = VersR 2010, 1607; BGH v. 6.6.2000 – VI ZR 172/99 – DAR 2000, 527 = MDR 2000, 1334 = NJW 2000, 3287 = NZV 2001, 34 = r+s 2000, 415 = SP 2000, 394 = VersR 2000, 1521 = VRS 99, 343 = zfs 2000, 483; BGH v. 20.4.1999 – VI ZR 65/98 – DAR 1999, 401 = NJW-RR 1999, 1039 = VersR 2000, 233; KG v. 23.7.2001 – 12 U 980/00 – NZV 2002, 95 = KGR 2002, 7 (Revision – VI ZR 338/01 – nicht durchgeführt); OLG Celle v. 15.5.2007 – 14 U 56/06 – OLGR 2007, 505 = SVR 2008, 219 (Anm. Jokisch) = VRR 2007, 322 (nur Ls.); OLG Köln v. 17.12.1999 – 3 U 211/97 – SP 2000, 229; OLG München v. 29.11.2011 – 10 U 4359/10 – SP 2012, 146; OLG Stuttgart v. 25.11.1997 – 14 U 20/97 – VersR 1999, 630.
[24] BGH v. 5.10.2010 – VI ZR 186/08 – FamRZ 2010, 1977 (nur Ls.) = GesR 2010, 685 = MDR 2010, 1381 = NJW-Spezial 2010, 715 = r+s 2010, 528 = VersR 2010, 1607; BGH v. 8.11.2001 – IX ZR 404/99 – BGHReport 2002, 373 = NZV 2002, 268; BGH v. 6.6.2000 – VI ZR 172/99 – DAR 2000, 527 = MDR 2000, 1334 = NJW 2000, 3287 = NZV 2001, 34 = r+s 2000, 415 = SP 2000, 394 = VersR 2000, 1521 = VRS 99, 343 = zfs 2000, 483; OLG Köln v. 27.2.2002 – 11 U 116/01 – DAR 2002, 353.

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