Rz. 249

Bei einer Totalschadensabrechnung ergibt sich die Entschädigungsleistung regelmäßig aus der Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und dem Restwert des beschädigten Fahrzeuges. Der Restwert wird entweder aufgrund eines konkret erzielten Betrages oder einer Schätzung des Restwertes durch einen Sachverständigen bestimmt.

 

Rz. 250

 

Die Definition des Begriffes "Restwert" lautet:

Restwert eines Unfallfahrzeugs ist der Betrag, den der Geschädigte im Rahmen der Ersatzbeschaffung nach § 249 S. 2 BGB a.F. (nunmehr § 249 Abs. 2 S. 1 BGB) bei einem seriösen Gebrauchtwagenhändler ohne weitere Anstrengung auf dem für ihn zugänglichen, örtlichen Bereich oder bei dem Kraftfahrzeughändler seines Vertrauens bei Inzahlunggabe des beschädigten Fahrzeugs, also auf dem sog. allgemeinen Markt noch erzielen könnte (BGH DAR 2000, 159; AG Homburg/Saar zfs 2004, 212 ff.).

(1) Voller Schadensersatz ohne Restwertanrechnung

 

Rz. 251

In der Praxis wohl immer seltener wird problematisiert, inwieweit der Geschädigte auch das Recht hat, den ungekürzten Wiederbeschaffungswert geltend zu machen und im Gegenzug dem Schädiger bzw. seinem Versicherer das Unfallfahrzeug zu überlassen. Diese Möglichkeit soll trotz § 115 Abs. 1 S. 3 VVG auch im Verhältnis zum Haftpflichtversicherer (BGH NJW 1983, 2694) jedenfalls dann bestehen, wenn der Schädiger dem Grunde nach im vollen Umfang haftet (BGH VersR 1965, 901; VersR 1976, 732; VersR 1983, 758; OLG Köln VersR 1993, 374; OLG Köln v. 19.6.2009 – 19 U 8/09; OLG Düsseldorf v. 1.4.2014 – 1 U 87/13 – r+s 2015, 470; LG Stuttgart NJW-RR 1993, 672).

Diese Abwicklungsvariante erscheint bereits in Anbetracht der für einen Geschädigten durchaus bestehenden rechtlichen Risiken eines Fahrzeugverkaufs (zutreffende Regelungen zu Gewährleistungsausschluss, Fahrzeugübergabe, Barzahlung, Ummeldung etc.) durchaus vorteilhaft. Insoweit ist nicht einzusehen, warum ein schuldlos in einen Unfall verwickelter Geschädigter diese Risiken selbst tragen soll. Hinzu kommt die immer häufiger erfolgende Benennung konkreter Restwertangebote durch den Versicherer. Da derartige Restwertangebote nach der Rechtsprechung des BGH durchaus für den Geschädigten zu beachten sein können (vgl. dazu Rdn 259 ff.), erscheint es als konsequent, den Restwertverkauf dann auch gleich dem Versicherer zu überlassen, der die Restwertangebote eingeholt hat.

 

Rz. 252

Hat der Versicherer zu Unrecht verweigert, dem Geschädigten die Verwertung des Unfallfahrzeugs abzunehmen, gerät er in Annahmeverzug gem. §§ 293, 295 BGB, sodass er auch die in der Folge entstehenden längeren Standgebühren zu erstatten hat (BGH VersR 1983, 758; OLG Köln v. 19.6.2009 – 19 U 8/09 – Rn 55; OLG Düsseldorf v. 1.4.2014 – 1 U 87/13 – r+s 2015, 470).

(2) Ermittlung des Restwerts

 

Rz. 253

Der gegnerische Versicherer wendet oft ein, der Sachverständige habe den Restwert zu niedrig eingeschätzt und es lägen höhere Restwertangebote spezieller Restwertaufkäufer vor.

 

Rz. 254

Nach der Rechtsprechung des BGH, der die Rechtsprechung seitdem nahezu einhellig folgt, kann der Schädiger den Geschädigten nicht auf einen höheren Restwerterlös verweisen, der nur auf einem erst durch den Schädiger eröffneten Sondermarkt, etwa durch Einschaltung spezieller Restwertaufkäufer oder Nutzung einer Internetbörse, zu erzielen wäre (BGH NJW 1992, 903 ff. = zfs 1992, 116 = DAR 1992, 172; VersR 1993, 769 = NZV 1993, 305; NJW 2005, 357 = NZV 2005, 140; OLG Hamm DAR 1992, 431 f.; OLG München DAR 1992, 344; OLG Dresden DAR 2000, 566; LG Koblenz zfs 2005, 17 f.). In einer jüngeren Entscheidung hat der BGH (VersR 2010, 130 = r+s 2010, 36) insoweit konkretisiert, dass eine korrekte Restwertermittlung durch den Sachverständigen im Regelfall als Schätzgrundlage die Ermittlung und konkrete Benennung dreier Restwertangebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt voraussetzt.

 

Rz. 255

Der Geschädigte darf bei der Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Veräußerung seines beschädigten Fahrzeuges grundsätzlich zu dem Preis vornehmen, den ein von ihm beauftragter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH v. 13.10.2009 – VI ZR 318/08 – VersR 2010, 130; BGH v. 1.6.2010 – VI ZR 316/09 – VersR 2010, 963; BGH v. 15.6.2010 – VI ZR 332/09 – VersR 2010, 1197; 27.9.2016 – VI ZR 673/15 – VersR 2017, 56; BGH v. 25.6.2019 – VI ZR 358/18 – VersR 2019, 1235 = NZV 2020, 84 m. Anm. Huber; OLG Düsseldorf zfs 1993, 338; LG Kleve zfs 1996, 451; OLG Hamm zfs 1997, 371; LG Hildesheim zfs 1998, 462; LG Hannover zfs 1999, 195; LG Köln zfs 1999, 238; LG Wuppertal zfs 1999, 518; AG Flensburg zfs 2001, 210).

Allerdings hat der BGH (v. 25.6.2019 – VI ZR 358/18 – VersR 2019, 1235 = zfs 2019, 562 = NZV 2020, 84 m. Anm. Huber) jüngst eine Ausnahme für Unternehmen angenommen, welche sich jedenfalls auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen (im entschiedenen Fall Autohaus) befassen. Diesen sei aufgrund subjektbezogener Schadensbetrachtung die Inanspruchnahme des Restwertmarkts im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote zuzumuten.

Das O...

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