Entscheidungsstichwort (Thema)

Restwertanrechnung des unfallbeschädigten Kfz bei Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts. Veräußerung des Kfz zum sachverständig ermittelten Restwert

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der Geschädigte leistet dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.

b) Um seiner sich aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen, kann der Geschädigte im Einzelfall jedoch gehalten sein, von einer danach grundsätzlich zulässigen Verwertung des Unfallfahrzeugs Abstand zu nehmen und im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen.

 

Normenkette

BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 254 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 28.10.2009; Aktenzeichen 13 S 1761/09)

AG Landshut (Entscheidung vom 29.05.2009; Aktenzeichen 3 C 154/09)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Landshut vom 28.10.2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt den Beklagten, das Deutsche Büro "Grüne Karte", auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem sein Pkw beschädigt wurde. Die volle Haftung des Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten nur noch darum, in welcher Höhe sich der Kläger bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungsaufwandes den Restwert seines unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges anrechnen lassen muss. Der vom Kläger mit der Schadensermittlung beauftragte Sachverständige ermittelte für das Fahrzeug Reparaturkosten i.H.v. 4.924,97 EUR brutto, einen Wiederbeschaffungswert von 4.200 EUR brutto und einen Restwert von 800 EUR. Mit Schreiben vom 9.4.2008 unterbreitete der Beklagte dem Kläger neun Restwertangebote, an die die Bieter bis 29.4.2008 gebunden waren und die die kostenlose Abholung des Unfallfahrzeugs gegen Barzahlung ("auf Wunsch des Geschädigten") vorsahen. Das höchste Gebot belief sich auf 1.730 EUR. Der Kläger veräußerte sein Fahrzeug am 10.5.2008 für 800 EUR an einen von ihm ausgewählten Käufer.

Rz. 2

Der Beklagte legte der Schadensregulierung einen Restwert i.H.v. 1.730 EUR zugrunde. Mit der Klage begehrt der Kläger, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, den Differenzbetrag i.H.v. 930 EUR zu dem von ihm erzielten Verkaufserlös.

Rz. 3

Beide Vorinstanzen haben die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe kein weitergehender Schadensersatzanspruch zu. Der Kläger habe durch die Nichtannahme des Restwertangebots i.H.v. 1.730 EUR und den Verkauf seines Fahrzeugs für 800 EUR gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, weshalb im Rahmen der Schadensberechnung von einem Restwert i.H.v. 1.730 EUR auszugehen sei. Entgegen der Rechtsprechung des BGH, wonach sich der Geschädigte grundsätzlich nicht auf Angebote aus dem Sondermarkt für Restwertaufkäufer verweisen lassen müsse und das Fahrzeug zu dem Wert verkaufen könne, den der Sachverständige als Restwert festgesetzt habe, habe sich der Kläger hier auf das Restwertangebot aus dem Internet verweisen lassen müssen. Aus dem Wirtschaftlichkeitspostulat folge, dass der Kläger sein Fahrzeug so verkaufen müsse, wie er es für sich selber verkauft hätte. Dabei stehe außer Zweifel, dass sich der Kläger in diesem Fall für das höhere Angebot i.H.v. 1.730 EUR entschieden hätte. Es sei für den Kläger auch nicht unzumutbar, sich auf ein höheres Restwertangebot verweisen zu lassen. Für ihn hätte keinerlei Risiko bestanden, da er nur den Bieter hätte anrufen müssen und dieser dann das Fahrzeug gegen Barzahlung abgeholt hätte. Der Vortrag des Klägers, dass Restwertangebote aus dem Internet unseriös seien, sei unsubstantiiert. Dass der Geschädigte sich auf ein Restwertangebot verweisen lassen müsse, stelle auch weder eine Verletzung des Grundsatzes, dass der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens sei, noch eine Verletzung seiner Dispositionsfreiheit dar.

II.

Rz. 5

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Das Berufungsgericht hat der Schadensberechnung zu Recht einen Restwert des Unfallfahrzeugs von 1.730 EUR brutto zugrunde gelegt.

Rz. 6

1. Das Berufungsgericht ist im Ansatz zu Recht davon ausgegangen, dass der Geschädigte, wenn er von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Gebrauch macht und den Schaden wie im Streitfall nicht im Wege der Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, nur Ersatz des Wiederbeschaffungswerts abzgl. des Restwerts verlangen kann (vgl. BGH BGHZ 115, 364, 372; 143, 189, 193; 163, 362, 365; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, VersR 1992, 457; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92, VersR 1993, 769; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, VersR 2005, 381; v. 7.6.2005 - VI ZR 192/04, VersR 2005, 1257, 1258 f.). Das Berufungsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit steht. Dies bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage den wirtschaftlichsten Weg zu wählen hat (vgl. BGH BGHZ 132, 373, 376 f.; 143, 189, 193; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91 -, a.a.O.; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92 -, a.a.O., S. 769 f.; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04 -, a.a.O., S. 381 f.). Das Wirtschaftlichkeitspostulat gilt auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeuges bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss (BGH BGHZ 143, 189, 193; 163, 362, 365; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91 -, a.a.O.; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92 -, a.a.O., S. 770). Denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeuges muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten.

Rz. 7

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts leistet der Geschädigte dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit indessen im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH BGHZ 143, 189, 193; 163, 362, 366; 171, 287, 290 f.; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91 -, a.a.O., S. 458; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92 -, a.a.O.; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04 -, a.a.O.; v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, VersR 2005, 1448, 1449; v. 10.7.2007 - VI ZR 217/06, VersR 2007, 1243 f.; v. 13.10.2009 - VI ZR 318/08, VersR 2010, 130, 131). Anders als das Berufungsgericht meint, ist der Geschädigte insb. grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Will der Geschädigte das Fahrzeug der ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzwagens in Zahlung geben, so kann der Schädiger gegenüber deren Ankaufsangebot grundsätzlich nicht auf ein höheres Angebot verweisen, das vom Geschädigten nur auf einem Sondermarkt, etwa durch Einschaltung spezialisierter Restwertaufkäufer über das Internet, zu erzielen wäre. Andernfalls würde die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen und dem Geschädigten die vom Schädiger gewünschte Verwertungsmodalität aufgezwungen (vgl. BGH BGHZ 163, 362, 367; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91 -, a.a.O., S. 457; v. 6.4.1993 - VI ZR 181/92 -, a.a.O., S. 770; v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04 -, a.a.O.; v. 13.1.2009 - VI ZR 205/08, VersR 2009, 413, 414).

Rz. 8

3. Auf die unter Ziff. 2 dargestellten Fragen kommt es im Streitfall indes nicht an. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Kläger durch den Verkauf des Unfallfahrzeugs für 800 EUR seine Pflicht zur Geringhaltung des Schadens gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB verletzt hat.

Rz. 9

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen, um seiner sich aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen. Unter diesem Blickpunkt kann er gehalten sein, von einer grundsätzlich zulässigen Verwertung des Unfallfahrzeugs Abstand zu nehmen und im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen (vgl. BGH BGHZ 143, 189, 194; 163, 362, 367; v. 6.3.2007 - VI ZR 120/06, VersR 2007, 1145, 1146). Derartige Ausnahmen stehen nach allgemeinen Grundsätzen zur Beweislast des Schädigers (vgl. BGH BGHZ 143, 189, 194; v. 22.11.1977 - VI ZR 114/76, VersR 1978, 182, 183). Auch müssen sie in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insb. nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden (vgl. BGH BGHZ 143, 189, 194 f.; 163, 362, 367; v. 6.3.2007 - VI ZR 120/06 -, a.a.O.).

Rz. 10

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe durch den Verkauf des Unfallfahrzeugs zu dem vom Sachverständigen geschätzten Wert gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Beklagte dem Kläger vor der Veräußerung des Fahrzeugs eine erheblich günstigere Verwertungsmöglichkeit unterbreitet, die dieser ohne Weiteres hätte wahrnehmen können und deren Wahrnehmung ihm zumutbar war. Danach hatte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 9.4.2008 ein bis 29.4.2008 bindendes Restwertangebot unterbreitet, das eine Abholung des Unfallfahrzeugs gegen Barzahlung von 1.730 EUR garantierte und das der Kläger lediglich telefonisch hätte annehmen müssen. Die Revision zeigt keinen übergangenen Sachvortrag auf, der ein anerkennenswertes Interesse des Klägers daran begründen könnte, das Unfallfahrzeug nicht an den von der Beklagten benannten Interessenten, sondern zu einem wesentlich geringeren Preis an den von ihm ausgewählten Käufer zu veräußern.

Rz. 11

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2350718

NJW 2010, 2722

NJW 2010, 8

EBE/BGH 2010, 212

JurBüro 2010, 611

ZAP 2010, 784

DAR 2010, 460

DAR 2011, 309

MDR 2010, 984

NJ 2010, 472

NZV 2010, 446

VRS 2010, 262

VersR 2010, 963

NJW-Spezial 2010, 458

RÜ 2010, 477

SVR 2010, 298

VRA 2010, 127

VRR 2010, 342

ZGS 2010, 341

r+s 2010, 350

DS 2010, 321

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