Rz. 190

In der Praxis erfolgt die Wertermittlung in der Regel durch das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen. Der Anspruch auf Bewertung durch ein Sachverständigengutachten besteht neben dem Recht auf Vorlage der für die Wertberechnung erheblichen Unterlagen.[368] Kann der Wert nur durch ein Sachverständigengutachten festgestellt werden (bspw. bei bebauten Grundstücken), dann genügt es, wenn die Unparteilichkeit eines Sachverständigen gegeben ist. Ein Anspruch auf ein Gutachten eines öffentlich vereidigten Sachverständigen besteht dagegen nicht.[369]

 

Rz. 191

Das Gutachten ist für die Parteien grundsätzlich unverbindlich und soll dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit bieten, den Pflichtteilsanspruch im Klageantrag möglichst genau beziffern zu können. Dennoch sollte sich der Pflichtteilsberechtigte zweckmäßigerweise die Unverbindlichkeit des Gutachtens im Antrag vorbehalten, um einer eventuellen Auslegung in einen Schiedsgutachtervertrag vorzubeugen. So hat das OLG Hamm in einem Fall, in dem es um die Bewertung der Zugewinnausgleichsforderung ging, aus dem Schriftwechsel der Anwälte geschlossen, dass das Gutachten des einverständlich beauftragten Sachverständigen die Grundlage der Bewertung und Abrechnung sein sollte.[370]

 

Rz. 192

Wie bereits erwähnt, ist der Auskunftsanspruch gem. § 2314 BGB analog auch gegenüber dem vom Erblasser Beschenkten anzuwenden. Der Wertermittlungsanspruch hingegen kann nur gegenüber dem Erben geltend gemacht werden, da die Kosten dem Nachlass aufzuerlegen sind.[371]

 

Rz. 193

Nach Ansicht des BGH besteht seitens des Pflichtteilsberechtigten der Anspruch auf Wertermittlung nur, wenn die Zugehörigkeit des zu schätzenden Gegenstands zum Nachlass unstreitig ist oder vom Pflichtteilsberechtigten bewiesen wird.[372] Besteht lediglich der Verdacht, dass ein bestimmter Gegenstand innerhalb der Frist des § 2325 BGB verschenkt wurde, dann steht dem Pflichtteilsberechtigten neben dem Auskunftsanspruch nicht auch noch ein Wertermittlungsanspruch zu.[373]

 

Hinweis

In der Praxis ist darauf zu achten, dass der Klageantrag auf Wertermittlung nur dann gestellt wird, wenn auch tatsächlich feststeht, dass der zu begutachtende Gegenstand zum Nachlass gehört.

 

Rz. 194

Der Pflichtteilsberechtigte hat Anspruch auf eine Wertermittlung, die es ihm ermöglicht, sich ein umfassendes Bild über den Wert des Nachlasses zu machen. Ist hierfür das Gutachten eines Sachverständigen erforderlich, reicht es nach der Rechtsprechung des BGH nicht aus, wenn sich der Sachverständige bei der Wertermittlung lediglich für ein Bewertungsverfahren (Ertragswertverfahren) entscheidet und nur dieses zur Disposition stellt.[374] Um den Anspruch aus § 2314 BGB erfüllen zu können, muss der Sachverständige in seinem Gutachten alle Kriterien erfüllen, die notwendigerweise an die Sachverständigentätigkeit gestellt werden, d.h., der Sachverständige hat nach wissenschaftlichen Grundsätzen erst einmal alle Bewertungsverfahren heranzuziehen und dann, nach einem Vergleich, sich für eine Bewertungsmethode zu entscheiden.[375] Er kann nicht eine Einschränkung dadurch vornehmen, dass er sich von vornherein für nur eine Bewertungsmethode entscheidet.[376]

Gehört zum Nachlass ein Unternehmen oder eine Unternehmensbeteiligung, hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Vorlage von Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie der zugrundeliegenden Geschäftsbücher und Belege für die fünf zurückliegenden Jahre vor dem Todestag des Erblassers sowie auf Einholung und Vorlage eine Gutachtens eines unparteilichen Sachverständigen. Der Anspruch auf Einholung eines Sachverständigengutachtens entfällt nicht durch eine Veräußerung des Unternehmens oder Unternehmensbeteiligung.[377]

[368] Staudinger/Herzog, § 2314 Rn 123.
[369] OLG Düsseldorf ZEV 1996, 431.
[370] OLG Hamm FamRZ 1983, 883.
[373] BGH NJW 1984, 487.
[374] BGH NJW-RR 1988, 391.
[375] Das Merkblatt der Industrie- und Handelskammer, (hrsg. v. deutschen Industrie- und Handelstag, "Sachverständige, Inhalt und Pflichten ihrer öffentlichen Bestellung", 3. Aufl., S. 45) schreibt, dass der Sachverständige sich mit unterschiedlichen Lehrmeinungen wissenschaftlich auseinanderzusetzen hat.
[376] Vgl. zum Umgang mit Sachverständigengutachten Zimmermann, ZErb 2000, 46, 190.
[377] OLG Köln ZEV 2014, 660.

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