Anforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis

Ein Notar darf sich bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses nicht allein auf die Angaben des Erben verlassen, sondern muss eigene Nachforschungen anstellen, um sich Gewissheit vom Bestand des Nachlasses zu verschaffen.

In einem vor dem OLG Celle verhandelten Fall war der Sohn des Erblassers enterbt worden. Stattdessen hatte der Erblasser seine neue Ehefrau - die Stiefmutter des Sohnes - als Alleinerbin eingesetzt. Dem Sohn standen also nur Pflichtteilsansprüche zu.

Pflichtteilsberechtigter Sohn fordert notarielles Nachlassverzeichnis von der Erbin 

Um die Höhe des Pflichtteils ermitteln zu können, hatte der Sohn des Erben seine Stiefmutter aufgefordert, durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses Auskunft über den Bestand des Nachlasses einschließlich aller Aktiva und Passiva zu erteilen.

Das von der Erbin vorgelegte notarielle Nachlassverzeichnis genügt dem enterbten Sohn jedoch nicht. Er zeigte diverse Fehler und Unvollständigkeiten auf und begehrte vor Gericht erneut Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Verzeichnisses, welches auf eigenen Ermittlungen des Notars beruht. Mit diesem Begehren hatte er Erfolg.

Notarielles Nachlassverzeichnis muss größere Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit bieten

Das OLG stellte klar, dass es einem Pflichtteilsberechtigen gemäß § 2314 BGB ermöglicht werden muss, sich die benötigten Informationen zur Bemessung seines Anspruchs zu verschaffen. Im Gegensatz zu einem bloßen privaten Nachlassverzeichnis soll ein notarielles Nachlassverzeichnis dabei eine größere Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit bieten.

Pflichten des Notars beim Erstellen eines Nachlassverzeichnisses

Aus diesem Grund darf der Notar zwar zunächst von den Angaben des Erben ausgehen. Er darf sich darauf aber nicht beschränken, sondern muss eigene Ermittlungen anstellen, um den Nachlassbestand zu erfassen. Er muss diejenigen Nachforschungen anstellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde und darf dabei auch die Mitwirkung des Erben einfordern. Letztlich muss er durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen, dass er für den Inhalt verantwortlich ist.

Diesen Vorgaben genügte das im betreffenden Fall vorgelegte notarielle Nachlassverzeichnis nicht.

Notar hatte weder Erkundigungen bei Banken noch beim Finanzamt eingezogen

Der enterbte Sohn beanstandete zurecht, dass der Notar sich primär auf die Angaben der Erbin verlassen und keine eigenen Ermittlungstätigkeiten vorgenommen hatte. So ergab sich aus dem Nachlassverzeichnis beispielsweise nicht der Goldgehalt des Eherings und der Manschettenknöpfe.

Es offenbarte sich, dass der Notar nicht bei allen Banken, bei denen der Erblasser Konten unterhielt, bezüglich vorhandener Guthaben und Schulden angefragt hatte.

Hinsichtlich der im Nachlass vorhandenen Wertpapiere wurde im Verzeichnis weder die Art des Depots noch die ausgegebene Bank mitgeteilt. Betreffend etwaige Ansprüche gegenüber dem Finanzamt auf Steuerrückerstattungen hatte der Notar lediglich auf die Angaben der Erbin verwiesen, ohne sich dort selbst erkundigt zu haben. Und schließlich ist er auch dem Inhalt eines Bankschließfaches nicht weiter nachgegangen.

Auskunftsanspruch wegen offensichtlich unterbliebenen Ermittlungstätigkeit nicht erfüllt

Im Ergebnis hielt das OLG das vorgelegte Nachlassverzeichnis wegen der offensichtlich unterbliebenen eigenen Ermittlungstätigkeit des Notars für ungenügend und damit nicht zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs geeignet. Es verurteilte die Erbin nicht nur zur Ergänzung des vorgelegten Verzeichnisses, sondern zur Erteilung einer neuen Auskunft durch Vorlage eines genügenden notariellen Nachlassverzeichnisses. Zudem stellte das OLG klar, dass der Sohn berechtigt ist, bei der Erstellung des Verzeichnisses hinzugezogen zu werden.

(OLG Celle, Urteil v. 29.10.2020, 6 U 34/20).

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Hintergrund: Umfang des Auskunftsanspruchs

Gegenstand des Auskunftsanspruchs ist der Bestand des zur Zeit des Erbfalls tatsächlich vorhandenen (realen) Nachlasses i.S.v. § 2311 BGB. Hierzu zählen sämtliche hinterlassenen Vermögensgegenstände und Schulden, die dem Pflichtteilsberechtigten einzeln mitgeteilt werden müssen. Eine Saldierung bestimmter Gruppen von Nachlassgegenständen ist unzulässig (OLG Karlsruhe, Urteil v. 09.07.2004, 1 U 206/03).

Die Frage, ob bzw. welcher Wert einem Nachlassgegenstand beizumessen ist, spielt beim eigentlichen Auskunftsanspruch noch keine Rolle. Daher sind auch diejenigen Gegenstände anzugeben, die der Erbe für wertlos hält. Gleiches gilt für bedingte, zweifelhafte, unsichere und ungewisse Rechte und Verbindlichkeiten i.S.d. § 2313 BGB. Der Erbe muss den Pflichtteilsberechtigten in die Lage versetzen, die rechtliche Einordnung der einzelnen Nachlassgegenstände selbst vorzunehmen.

Anspruch auf notarielles Auskunftsverzeichnis

Neben dem privaten kann der Pflichtteilsberechtigte auch ein amtliches bzw. notarielles Nachlassverzeichnis verlangen. Voraussetzung hierfür ist lediglich das grundsätzliche Bestehen eines Auskunftsanspruchs nach § 2314 BGB. Weitere Bedingungen existieren nicht. Insbesondere wird das Recht auf ein amtliches Verzeichnis nicht durch die bereits erfolgte Vorlage eines privaten Nachlassverzeichnisverzeichnisses ausgeschlossen (OLG Karlsruhe , Beschluss v. 21.08.2006, 15 W 23/06). Beide Ansprüche bestehen kumulativ.

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Pflichtteilsanspruch, Notar, Erbrecht