Rz. 58

Überschlagsrechnungen basieren auf Marktdaten.[112] Grundlage für die Anwendung sind erzielte oder potenzielle Preise für das zu bewertende oder vergleichbare Unternehmen. Die Verfahren basieren somit auf der grundlegenden These Moxters "bewerten heißt vergleichen".[113] Im Rahmen dieser Verfahren kann entweder auf Börsenkurse oder auf realisierte Markt-/Verkaufspreise abgestellt werden.

 

Rz. 59

Der Börsenkurs eines Unternehmens nimmt insbesondere in der Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung eine besondere Rolle ein.[114] Bei einigen speziellen Unternehmensbewertungsanlässen (bspw. Ermittlung von Abfindung und Ausgleich gemäß §§ 304, 305 AktG) ist der Verkehrswert nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs zu ermitteln.[115] Sofern der Ertragswert unter dem Börsenkurs liegt, ist der Börsenkurs als Wertuntergrenze zu beachten. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Börsenkurs nicht dem Verkehrswert der Aktien entspricht. Dies kann bspw. bei fehlender Marktgängigkeit oder Manipulation des Börsenkurses der Fall sein.[116] Auch nach den Grundsätzen des IDW S 1 sind Börsenkurse, sofern diese für das Bewertungsobjekt vorliegen, zur Plausibilitätsbeurteilung heranzuziehen.[117] Eine wesentliche Bedeutung erfährt der Börsenkurs zudem im Steuerrecht. Nach der im BewG verankerten Methodenhierarchie ist der gemeine Wert gem. § 11 Abs. 1 BewG zunächst aus Börsenkursen abzuleiten (vgl. hierzu ausführlich Rdn 127).

 

Rz. 60

Nach der Multiplikatormethode errechnet sich der Wert eines Unternehmens aus dem Produkt einer Bezugsgröße mit einem Multiplikator. Hierbei werden Bewertungsrelationen, die auf dem Kapitalmarkt beobachtet werden können, auf das Bewertungsobjekt übertragen. Die verwendeten Multiplikatoren werden aus dem Verhältnis des bekannten Marktpreises des Vergleichsunternehmens zu einer ebenfalls bekannten Bezugsgröße (bspw. Umsätze, EBITDA, EBIT, Gewinn) des Unternehmens abgeleitet. Der Multiplikator kann dabei sowohl aus erfolgten Transaktionen des zu bewertenden Unternehmens oder vergleichbarer Unternehmen als auch aus der Börsenkapitalisierung vergleichbarer Unternehmen abgeleitet werden. Die daraus gewonnenen Multiplikatoren (Transaktions- oder Börsenmultiplikatoren) werden dann auf die gleiche Bezugsgröße des Bewertungsobjekts angewendet. Das Ergebnis kann daher als potenzieller Marktpreis interpretiert werden, der bei einer Veräußerung des zu bewertenden Unternehmens erzielt werden kann bzw. der einer vergleichbaren Börsenkapitalisierung entsprechen soll.[118] Grundlage für die Ableitung von Multiplikatoren sind Unternehmen, die in derselben Branche tätig sind und vergleichbare Merkmale hinsichtlich Wachstumsrate, Wettbewerbsposition, Risikostruktur und Rendite aufweisen.[119]

 

Rz. 61

Hinsichtlich der Auswahl der Bezugsgröße sollten branchenspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. Bei der Ableitung der Multiplikatoren unterscheidet man grundsätzlich zwischen sogenannten Equity- und Entity-Multiplikatoren. Diese unterscheiden sich danach, ob unmittelbar der Marktwert des Eigenkapitals (Equity-Multiplikatoren) oder ob zunächst der Marktwert des Gesamtkapitals (Entity-Multiplikatoren) ermittelt wird, aus dem sich der Marktwert des Eigenkapitals in einem zweiten Schritt (durch Abzug des Fremdkapitals) ableiten lässt.[120] Geläufige Bezugsgrößen von Entity-Multiplikatoren sind Umsatz, EBITDA und EBIT. Bei den Equity-Multiplikatoren ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis in der Praxis weit verbreitet.

 

Rz. 62

Anders als bei den zahlungsstromorientierten Verfahren, wie der Ertragswertmethode und den Discounted-Cash-Flow-Verfahren, erfolgt die Wertermittlung somit nicht durch die Abzinsung künftiger finanzieller Überschüsse. Der Multiplikator fungiert als Hilfsgröße für die Schätzung des Barwerts der künftigen finanziellen Überschüsse. Einer Wertfindung über Multiplikatoren kommt in der Praxis oftmals nur eine eingeschränkte Aussagekraft zu, da jene regelmäßig aus unsicheren Kennzahlen anderer Unternehmen oder Branchen abgeleitet werden, die mit dem Bewertungsobjekt teilweise nur eingeschränkt vergleichbar sind. Ebenso implizieren diese Verfahren, dass die am Kapitalmarkt beobachtbaren Preise den Unternehmenswert angemessen repräsentieren. Es besteht die Gefahr, dass (temporäre) Fehlbewertungen des Kapitalmarkts auf das zu bewertende Unternehmen übertragen werden.[121] Die scheinbar geringe Bewertungskomplexität und hohe Bewertungsgeschwindigkeit münden dann oftmals in Fehlbewertungen.[122]

 

Rz. 63

Neben der sachgerechten Ableitung der (bereinigten) Bezugsgröße des zu bewertenden Unternehmens muss auch die Ermittlung des Multiplikators nachvollziehbar sein. Nicht ausreichend sind Branchenmultiplikatoren, deren Ermittlung und Herkunft nicht zugänglich ist. Die Anwendung von Multiplikatorverfahren wird daher in der betriebswirtschaftlichen Literatur eher kritisch gesehen.[123] Zweck der Multiplikatorverfahren ist die überschlägige Einschätzung eines Marktpreises bzw. einer Wertband...

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