Rz. 29

Zweck der Anrechnungsvorschrift ist es, zu verhindern, dass in einer Sache eine vergleichbare Tätigkeit mehrfach honoriert wird, wenn der RA z. B. zunächst einen Anspruch außergerichtlich verfolgt hat und später in dieser Sache gerichtlich tätig wird. Wäre es in der Sache gleich zum Prozess gekommen, hätte der RA auch keine anderen Tätigkeiten ausgeübt, sodass die vorprozessuale Tätigkeit letztlich nur der Vorbereitung der Klage gedient hat.

Nehmen Sie zum Beispiel die Mahnverfahrensgebühr (Nr. 3305 VV RVG): Sie wird auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) angerechnet, d. h. aber nicht, dass sie wieder weggenommen wird. Anders ausgedrückt, wird die Mahnverfahrensgebühr infolge der Anrechnung nicht durch die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Prozesses nachträglich aufgehoben. Dies bedeutet, dass die Mahnverfahrensgebühr z. B. dann (teilweise) bestehen bleibt, wenn die Verfahrensgebühr im späteren Prozess geringer ist (z. B. durch niedrigeren Wert im Prozess). Beide Verfahrensgebühren hat sich der RA verdient, da es sich um zwei Angelegenheiten handelt. Eine einmal verdiente Gebühr kann nicht wieder genommen werden (§ 15 RVG), sie kann jedoch in einer Gebühr, auf die sie aufgrund einer Vorschrift anzurechnen ist, untergehen. Wegen der Anrechnungsvorschrift kann der RA insgesamt schließlich nur eine dieser Gebühren berechnen. Dies hängt natürlich auch noch von den Gebührensätzen ab.

 

Rz. 30

Die Anmerkung zu Nr. 3305 VV RVG besagt, dass die Mahnverfahrensgebühr auf die Verfahrensgebühr für einen nachfolgenden Rechtsstreit angerechnet wird. Grundsätzlich wird also die erste verdiente Gebühr auf die spätere verdiente Gebühr angerechnet, nicht umgekehrt. Ausnahmen sind denkbar, weil in extremen Fällen gar nicht anders gerechnet werden kann, so z. B. bei der "Rückwärts-Anrechnung" (siehe § 4 Rdn 40 f.). Die Anrechnungsbestimmungen des § 15a RVG sind für die Mahnverfahrensgebühr eher nicht von Bedeutung, da sie hauptsächlich für den Fall erschaffen wurde, dass eine zuvor für außergerichtliche Tätigkeit entstandene Geschäftsgebühr anzurechnen ist (siehe § 2 Rdn 144 f.).

Meist wird also die erste Gebühr die zweite Gebühr vermindern – zumindest wenn die Werte in beiden Angelegenheiten (und die Gebührensätze) gleich sind. Da die erste Gebühr in einer Vergütungsrechnung für die betreffende Angelegenheit berechnet wird, ist sie eben in der Berechnung für die spätere Angelegenheit von der späteren Gebühr abzuziehen, sodass der RA insgesamt doch nur einmal eine Verfahrensgebühr erhält.

 

Rz. 31

Ein praktisches Problem bei der Gestaltung der Abrechnung kann allerdings daraus entstehen, dass nach Nr. 7002 VV RVG die Auslagenpauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungsentgelte in jeder Angelegenheit entsteht. Obwohl die Mahnverfahrensgebühr also angerechnet werden muss, wird eine Auslagenpauschale für die erste Angelegenheit (Mahnverfahren) und eine zweite Auslagenpauschale für die zweite Angelegenheit (Prozess) entstehen.

 

Beispiel a):

Nach dem Mahnverfahren wegen 500,00 EUR folgt nach Widerspruch der Prozess. Der RA hat den Antragsteller in beiden Verfahren vertreten. Es handelt sich um zwei Angelegenheiten, die getrennt abgerechnet werden. Das folgende Beispiel dient dem Verständnis; jedoch sollten Sie so NICHT abrechnen!

I. Mahnverfahren

 
1,0 Mahnverfahrensgebühr 49,00 EUR  
20 % Postentgeltpauschale 9,80 EUR  
–1,0 Mahnverfahrensgebühr – 49,00 EUR (weil sie anzurechnen ist)
  9,80 EUR  

Die Mahnverfahrensgebühr geht in der Verfahrensgebühr des nachfolgenden Prozesses unter, sie verschwindet also sozusagen. Im Mahnverfahren bleibt nur die Auslagenpauschale übrig.

II. Prozess

 
1,3 Verfahrensgebühr 63,70 EUR (einschließlich Mahnverfahrensgebühr)
20 % Postentgeltpauschale 12,74 EUR (Pauschale auf die im Prozess verdiente Gebühr)
  76,44 EUR  

In der Verfahrensgebühr von 63,70 EUR steckt die Mahnverfahrensgebühr sozusagen mit drin. Trotzdem wird die Auslagenpauschale von der Gebühr berechnet, die im Prozess vor der Anrechnung verdient wurde. Sie berechnen also zwei Auslagenpauschalen. Siehe hierzu den nachfolgenden Hinweis.

 

Rz. 32

Die Berechnungsweise in vorstehendem Beispiel a) ist umständlich. Außerdem wird bei dieser Berechnungsweise der Grundsatz verletzt, dass eine früher verdiente Gebühr auf eine später verdiente Gebühr anzurechnen ist. Deshalb wird in solchen Fällen anders gerechnet. Siehe das richtige Beispiel b).

 

Beispiel b):

Nach dem Mahnverfahren wegen 500,00 EUR folgt nach Widerspruch der Prozess. Der RA hat den Antragsteller in beiden Verfahren vertreten. Es handelt sich um zwei Angelegenheiten, die getrennt abgerechnet werden. Dabei wird berücksichtigt, dass eine einmal verdiente Gebühr erhalten bleibt und nicht wieder weggenommen werden kann. Dieser Lösungsweg sollte einsichtig sein und wird deshalb bevorzugt.

I. Mahnverfahren

 
1,0 Mahnverfahrensgebühr 49,00 EUR
20 % Postentgeltpauschale 9,80 EUR
  58,80 EUR

Die bereits verdiente Mahnverfahrensgebühr geht in der Verfahrensgebühr des nachfolg...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge