A. Allgemeines

I. Vor dem Urteil

 

Rz. 1

Der im Urteil ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) geht bei Straftaten gem. §§ 315c ff. StGB und § 142 StGB (mit bedeutendem Schaden) regelmäßig die Beschlagnahme gem. § 94 StPO oder die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO voraus.

II. Rechtsfolge

 

Rz. 2

Beschlagnahme und vorläufiger Entzug heben die Fahrerlaubnis nicht auf, sie wirken lediglich wie ein Fahrverbot. Sie sind als Präventivmaßnahme verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NStZ 1982, 78; DAR 1998, 466; NZV 2005, 379).

 

Rz. 3

 

Achtung: Unterschiedliche Strafandrohung

Nimmt der Betroffene dennoch am Straßenverkehr teil, hängt die Höhe der Strafe davon ab, ob die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen oder lediglich beschlagnahmt worden war. § 1 Abs. 2 StVG, der die Teilnahme am Straßenverkehr trotz vorausgegangener Beschlagnahme der Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, hat im Vergleich zu § 21 Abs. 1 StVG, der das Fahren nach vorausgegangener vorläufiger Entziehung regelt, nur eine halb so hohe Strafandrohung.

III. Eintragung in Flensburg

 

Rz. 4

Anders als die Beschlagnahme oder Sicherstellung wird die vorläufige Entziehung durch den Richter gem. § 111a StPO ins Fahreignungsregister eingetragen (§ 28 Abs. 3 Nr. 2 StVG) und nach rechtskräftigem Entzug oder Aufhebung des Beschlusses wieder gelöscht (§ 29 Abs. 3 S. 3 StVG).

IV. Im Ausland begangene Taten

 

Rz. 5

Die Fahrerlaubnis kann unter bestimmten Umständen in Deutschland auch nach im Ausland begangenen Verkehrsverstößen entzogen werden.[1]

[1] Janker/Albrecht, DAR 2009, 314.

B. Beschlagnahme, § 94 StPO

I. Voraussetzungen

1. Kraftfahrzeug

 

Rz. 6

Im Gegensatz zu §§ 316 ff StGB genügt hier nicht das Führen eines Fahrzeugs; die strafrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis ist vielmehr nur möglich, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug geführt hat. Deshalb macht sich der fahruntüchtige Radfahrer zwar nach § 316 StGB strafbar, die Fahrerlaubnis kann ihm jedoch nicht auf der Grundlage des § 69 StGB entzogen werden.

Beschlagnahme und vorläufige Entziehung stehen nebeneinander und haben identische Grundvoraussetzungen (BGHSt 22, 385), d.h. der endgültige Entzug muss höchstwahrscheinlich sein und es muss ein dringender Tatverdacht bestehen.

 

Rz. 7

Problematisch in diesem Zusammenhang sind Fahrräder mit elektrischem Hilfsantrieb (Pedelec bzw. E-Bike), die je nach Stärke des Hilfsantriebs als Kraftfahrzeuge oder Fahrräder einzustufen sind.

Auch wenn sie über eine Anfahr- und Schiebehilfe bis 6 km/h verfügen, sind sie Fahrrädern gleichzusetzen, solange der Antrieb über 25 km/h liegende Geschwindigkeiten nicht unterstützt (OLG Hamm DAR 2013, 712; OLG Hamm NZV 2014, 482). Zur rechtlichen Einordnung siehe § 27 Rdn 5, § 37 Rdn 30.

Dagegen sind Elektroroller ohne Weiteres Kraftfahrzeuge (AG Löbau NJW 2018, 530).

2. Endgültiger Entzug höchstwahrscheinlich

 

Rz. 8

Beschlagnahme und vorläufige Entziehung stehen nebeneinander und haben identische Grundvoraussetzungen (BGHSt 22, 385), d.h. es muss ein dringender Tatverdacht bestehen, ein für § 170 StPO ausreichender genügt. Darüber hinaus muss der endgültige Entzug höchstwahrscheinlich sein, deshalb muss im Zeitpunkt der Entscheidung eine hohe, fast an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Fahrerlaubnis im Urteil entzogen werden wird (OLG Düsseldorf DAR 1992, 187; BVerfG VRS 90, 1).[2] Erforderlich ist, wie nach § 112 StPO für den Haftbefehl, ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit hierfür (LG Zweibrücken BA 2002, 287).

Es müssen deshalb zunächst einmal die Voraussetzungen des § 69 StGB erfüllt sein, d.h. der Beschuldigte muss anders als bei § 316 StGB ein Kraftfahrzeug geführt haben, weshalb eine mit dem Fahrrad begangene Trunkenheitsfahrt keine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt (zur Einordnung von E-Bike, Pedelec und andererseits E-Roller, siehe § 37 Rdn 27). Entgegen der Auffassung des LG Kiel (DAR 2006, 699) kann auch im Falle einer Trunkenheitsfahrt mit einem Motorboot die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden, denn die Definition eines Kraftfahrzeugs hat sich an § 1 Abs. 2 StVG zu orientieren (OLG Oldenburg NJW 1969, 199; BayObLG NZV 1993, 239).

 

Rz. 9

Wird dem Mandanten ein Regelfall des § 69 Abs. 2 StGB vorgeworfen und besteht ein dringender Tatverdacht, ist jede weitere Diskussion über die Berechtigung der Beschlagnahme bzw. vorläufigen Entziehung sinnlos, es sei denn, es läge ein extremer Ausnahmefall vor (siehe hierzu § 57 Rdn 17 ff.).

 

Rz. 10

 

Tipp

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine endgültige Entziehung zu erwarten ist, sind alle Umstände des Einzelfalles mit zu berücksichtigen. Sind z.B. Angaben des Beschuldigten wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nicht verwertbar und sonstige Beweismittel nicht vorhanden, liegen dann keine dringenden Gründe für die Annahme vor, dem Beschuldigten werde die Fahrerlaubnis gem. § 69 StGB in der Hauptverhandlung entzogen, wenn die Verteidigung angekündigt hatte, der Verwertung der Angaben des Betroffenen bzw. der Vernehmung der Vernehmungsperson zu widersprechen (LG Koblenz zfs 2002, 406).

[2] So auch Hentschel, DAR 1988, 89.

3. Dringender Tatverdacht

 

Rz. 11

Dringender Tatverdacht besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter der ihm vorgeworfenen ...

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