Rz. 17

 

Achtung

Zu dem die Tat oder die Person betreffenden Ausnahmecharakter siehe Himmelreich.[1]

Von der Entziehung der Fahrerlaubnis darf im Falle einer Katalogtat nur dann abgesehen werden, wenn die Tat Ausnahmecharakter hatte (OLG Stuttgart NJW 1987, 142; OLG Köln DAR 1989, 115; OLG Düsseldorf VM 71, 59). Ausnahmegründe können sich z.B. aus der Person des Täters, den Tatumständen oder den Umständen nach der Tat ergeben (LG Wuppertal DAR 2014, 400).

Das gilt gleichermaßen für das Jugendstrafrecht, wenn auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 JGG die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB vom Grundsatz her gleichfalls uneingeschränkt gilt (OLG Nürnberg NZV 2012, 48).[2]

Es müssen Umstände vorliegen, die sich von den Tatumständen des Durchschnittsfalles deutlich abheben (OLG Stuttgart NZV 1997, 317; OLG Köln DAR 2012, 649), so z.B. bei menschlich nachvollziehbarem Versagen, hier einem Vater, der am Abend Alkohol getrunken und am nächsten Morgen mit Restalkohol zur Unfallstelle gefahren war, nachdem er vom Unfall seiner Tochter erfahren hatte (LG Heilbronn DAR 1987, 29; LG Potsdam NZV 2001, 360; BA 2002, 53) oder einem Unfallflüchtigen, der sich am nächsten Tag bei der Polizei gemeldet, die Regulierung des Schadens veranlasst und sich beim Geschädigten entschuldigt (LG Zweibrücken NZV 2003, 439) oder sich in einer extremen psychischen Ausnahmesituation befunden hat (LG Zweibrücken NZV 2004, 211).

[1] Himmelreich, DAR 2014, 46
[2] Tolksdorf, FS Nehm, S. 437; a.A. Wölfl, NZV 1999, 69.

1. In der Tat

 

Rz. 18

Ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn das Fahrzeug nur eine kurze Wegstrecke und nur, um einen verkehrsstörenden Zustand zu beheben, bewegt wurde (OLG Stuttgart NJW 1987, 142; OLG Düsseldorf zfs 1990, 274; OLG Köln VRS 81, 21; AG Gifhorn zfs 1996, 193; AG Fürstenfeldbruck zfs 2003, 470; AG Westerstede NZV 2012, 304; AG Verden zfs 2014, 349). Dies gilt (gegen LG Dessau zfs 1995, 73) selbst im Falle eines Vollrausches (AG Regensburg zfs 1985, 124; LG Dessau DAR 1999, 420).

2. Notstandsähnliche Situation

 

Rz. 19

Wie schon die Motive zum 2. Straßenverkehrssicherungsgesetz (BT-Drucks IV/651, S. 17) andeuten, kann eine notstandsähnliche Situation ein Ausnahmegrund sein, so z.B. wenn ein Arbeitnehmer unvorhergesehen vom Arbeitgeber zum Fahren genötigt (OLG Hamm DAR 1957, 77) oder ein Arzt überraschend zu einem dringenden Patientenbesuch gerufen wird (BT-Drucks IV/651, S. 17; siehe auch OLG Karlsruhe NZV 2004, 537).

 

Rz. 20

Dagegen liegt weder ein Notstand noch eine notstandsähnliche Situation vor, wenn ein Betrunkener sich ans Steuer setzt, um streunende Hunde einzufangen (LG Zweibrücken DAR 1996, 325).

3. Unfallflucht

 

Rz. 21

Grundsätzlich hat eine Unfallflucht mit einem Fremdschaden von (siehe § 45 Rdn 5) mehr als 1.300 EUR bzw. 1.500 EUR regelmäßig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge.

In den Fällen, in denen sich der Unfallbeteiligte jedoch noch zeitnah meldet, verneinen Gerichte des Öfteren einen Regelfall, so z.B. bei einer Meldung innerhalb von 24 Stunden (LG Gera DAR 2006, 107), 1,5 Stunden (AG Bielefeld DAR 2014, 401) oder gar bereits nach 40 Minuten (LG Aurich zfs 2013, 112). So auch das LG Zweibrücken (NZV 2004, 439), das zusätzlich noch berücksichtigt, dass der Schädiger die Regulierung des Schadens sofort veranlasst und sich beim Geschädigten entschuldigt hat.

4. Lang andauernde vorläufige Entziehung

 

Rz. 22

Eine lang andauernde vorläufige Entziehung ist ein möglicher Ausnahmegrund, wenn auch der bloße Zeitablauf allein nicht (siehe aber OLG Zweibrücken NZV 1977, 448; OLG Hamm NZV 2007, 639; LG Köln DV 16, 286; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6.10.2016 – 3 (5) Ss 473/16) zur Aufhebung nötigt (OLG Frankfurt zfs 1992, 319; OLG Düsseldorf zfs 1994, 186; OLG Stuttgart NZV 1997, 317; LG Halle zfs 1998, 441; OLG Köln VRS 90, 123; OLG Karlsruhe zfs 2004, 477; LG Stade zfs 2005, 99; BVerfG NZV 2005, 537).

 

Rz. 23

Prozessual nicht unzulässige Versuche des Angeklagten, die Maßregel abzuwenden bzw. zu verzögern, dürfen bei der Eignungsfrage übrigens ebenso wenig zu seinem Nachteil verwendet werden wie bei der Entscheidung darüber, ob eine bereits seit langem andauernde vorläufige Entziehung aufzuheben ist (OLG Köln VRS 90, 123).

 

Rz. 24

 

Tipp

Auch der BGH (DAR 2000, 532) betont, dass das Revisionsgericht die Entscheidung des Tatrichters, die Fahrerlaubnis nicht mehr zu entziehen, dann hinnehmen muss, wenn dieser die in solchen Fällen notwendige Gesamtwürdigung von Tatumständen und Täterpersönlichkeit vorgenommen hat; eben weil die Regelvermutung nach längerer Entzugszeit nicht mehr wirkt.

 

Rz. 25

 

Achtung: Deklaratorisches Fahrverbot

Wird die Fahrerlaubnis alleine im Hinblick auf die bereits lang andauernde vorläufige Entziehung nicht entzogen, muss das Gericht ein deklaratorisches Fahrverbot aussprechen, obwohl das Fahrverbot wegen der gem. § 25 Abs. 6 StVG bestehenden Anrechnungspflicht verbüßt ist (BGH NJW 1980, 130).

 

Rz. 26

Für einen Teil der Rechtsprechung (z.B. KG NZV 1997, 126) ist dagegen selbst eine lang andauernde Entzugszeit kein Grund für die Aufhebung der vorläufigen Entziehung. Im Gegenteil, diese Gerichte bejahen praktisch ohne Rücks...

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